Electro-Punk

Raut-Oak Fest 2019 @ Riegsee, 2019-06-29

Der Samstag/Tag 2 des Raut Oak am Riegsee eröffnete mit einem heimischen Beitrag aus dem Münchner Hause Gutfeeling Records: Wo Kapellmeister Andreas Staebler aka G.Rag im vergangenen Jahr mit seinen Hermanos Patchekos das gute Gefühl beim sonntäglichen Faulenzen und den Genuss beim Blicke-Schweifen über das herrliche Bergpanorama im Grünen zusätzlich mit opulenten wie wunderbar schrägen Big-Band-Sounds beförderte, war heuer die schmale Trio-Besetzung der G.Rag/Zelig Implosion Deluxxe angezeigt. Zusammen mit Drummer Mikel „Mr. Zelig“ Jack und Electronica-Tüftler Fritz Fritzmann lieferte Gitarrist/Sänger Staebler den scheppernden Weckruf für die 2. Festival-Runde am frühen Nachmittag mit einem grundsoliden wie unkonventionellen Einstieg in das Konzert-Programm. Weit ab von rauem Blues und artverwandten Variationen bespielte die Band ihr hochgeschätztes Potpourri aus stoisch reduzierten No-Wave- und Postpunk-Perlen, elektronisch veredelten Cumbia-Rhythmen und experimentellen Ausflügen in die Drone- und Space-Welt des Geräte-schraubenden Synthie-Tüftelns, die Sänger G.Rag zuweilen mit verzerrter Singstimme und dadaistisch-minimalistischer Lyrik bedachte. Mindestens die vor der Bühne versammelten Lokalpatrioten wussten wie zu vielen anderen Gelegenheiten in der Vergangenheit den ewig jungen und frischen Punk/Wave-Swing der Münchner Indie-Institution schwerst zu goutieren und starteten den 2. ROF-Tag im Blauen Land mit einem – genau! – Gutfeeling.

Die nächste Runde gehörte den vier Ladies von The Darts aus Phoenix/Arizona, dort ist es nach Ansage von Sängerin Nicole Laurenne regelmäßig noch wesentlich heißer als am hochsommerlichen Riegsee, mehr als knappe Textilien im Bühnen-Outfit haben die Mädels trotzdem nicht aufgetragen für ihre Bad-Taste-Show im Geiste des Sixties-Trash und der Psychedelic-Garage. Krawalliges Uptempo-Gepolter mit Glam-Appeal, Punk-Drive, Horror-B-Movie-Potential und exzessivem Malträtieren der Weltraum-Orgel. Die Band ist beim Alternative-Tentacles-Label von Jello Biafra am Start und präsentierte am Samstag vorwiegend das Material des Ende Mai erschienenen aktuellen Longplayers „I Like You But Not Like That“. Wer’s braucht, war vorn am Bühnenrand, alle anderen im Schatten unter der Eiche oder am Bierstand. Lux Interior hätte sich bei der Wahl zwischen Weibsen oder Drinks wohl zerreißen müssen, aber dieses Dilemma ist ja eine altbekannte Geschichte…

Gritty Tails of the Essex Underworld: Feinsten britischen Pub-Rock zelebrierten Eight Rounds Rapid aus dem südenglischen Southend On Sea. Wer sich spontan an die schneidigen Gitarren-Riffs von Dr. Feelgood’s Wilko Johnson erinnert fühlte, lag goldrichtig und musste nicht lange nach den Wurzeln suchen: ERR-Gitarrist Simon Johnson ist als Sohn des einflussreichen Musikers familiär geprägt vom englischen Prä-Punk der Siebziger und hat sich dabei unverkennbar den ein oder anderen Griff vom Altvorderen abgeschaut. Die Band lieferte im feinen Zwirn bei brütender Hitze ein vollmundiges Gebräu aus der harten Rhythm’n’Blues-Mutation der englischen Kaschemmen und Reminiszenzen an die Aufbruch-Jahre des Punk-Rock auf der Insel vor gut vier Dekaden, mit Verweisen auf die Mod-Nummern des frühen Paul Weller mit The Jam, auf die ungestüme Energie der Pistols bis hin zum fortgeschriebenen PiL-Kapitel. Speziell die stilistische Nähe zu den Johnny-Rotten-Kapellen war durch den schneidenden, fordernden Vokal-Vortrag von Sänger David Alexander offenkundig. Exzellenter erster Eindruck einer bis dato in unseren Breitengraden weithin unbekannten Band, allein dafür ein großes Dankeschön an Organisator Christian Steidl für die Ausgrabung und Präsentation derartiger Perlen.

Großes Staunen und Kinnladen-Runterfallen beim Auftritt von Bones Shake aus Manchester. Sänger David Brennan hat bereits am Vortag mit seinem energischen Auftritt zusammen mit der Combo The Dee Vees mächtigen Eindruck hinterlassen, am Samstag legte er am Spätnachmittag noch eine ordentliche Portion an Bühnenpräsenz und beinhartem Rock’n’Roll-Entertainment drauf. Der rohe, harte und überdrehte Fuzz-Trash und Primitiv-Blues-Rock dröhnte rudimentär und reichlich dissonant mit Gitarre und Drums der Sheffield-Brüder Andy und David aus den Tiefen einer versifften Garage, aus der Brennan in seiner Rolle als sich völlig verausgabender Frontmann wie der sprichwörtliche Springteufel herauskrakeelte, schrie, jaulte und heulte, als seien die letzten Tage und das jüngste Gericht angebrochen. Ein Verrenken, Wälzen auf den Bühnenbrettern und manisches Predigen, das die ohnehin schon völlig kompromisslose Bühnenshow des australischen Bruders im Geiste und Beasts-Of-Bourbon-Vorturners Tex Perkins in seinen besten Zeiten um ein Vielfaches steigerte und auf die Spitze trieb. Mehr Intensität und frenetisches Fiebern beim Grenzen-niederreißenden Herauskehren der inneren Dämonen und wütenden Entladen der Energie ist kaum vorstellbar. Großes Underground-Blues-Kino und damit selbstredend einer der exzellentesten Momente der ROF-2019-Ausgabe. Das jüngst bei Abattoir Blues Record, dem Label von Bandleader David Brennan erschienene Vinyl „Sermons“ ist auch ein sehr feines Teil für alle Freunde der raueren Gangart des Blues.

Zum Auftritt von Repetitor darf das Kulturforum zur Abwechslung mal ganz unbescheiden aufs Blech hauen: Dezenten Hinweis auf das Glockenbachwerkstatt-Konzert der serbischen Postpunk-Granaten im vergangenen Herbst an ROF-Mastermind Christian Steidl gesteckt, der fand Gefallen und hat postwendend mit dem Vertrag gewedelt, das Publikum am Samstag war nicht minder angetan vom Auftritt des gemischten Trios aus Belgrad, alles paletti. Die furios aufspielenden Rhythmus-Musikerinnen Milena Milutinović und Ana-Marija Cupin und ihr in Sachen Intensität in nichts nachstehender Band-Kollege Boris Vlastelica an Gitarre und Gesang zündeten ein Feuerwerk an Postpunk-Vehemenz und progressiven Ideen im Uptempo-Drive ihrer ureigenen Interpretation des harten, lauten und schnellen Alternative-Rock. Virtuos treibende Bass-Linien, entfesseltes Getrommel, schwergewichtige Gitarren-Attacken und verzweifeltes Herausschreien in offensiver Bühnen-Präsentation versetzen große Teile des Publikums in euphorische Ekstase, für nicht wenige war der scharfe Balkan-Noise einer der herausragenden Sets des Festivals. Wer die Band bereits bei früheren Gigs erleben durfte, war nicht wirklich überrascht vom schwer für sich einnehmenden Auftreten der entfesselt aufspielenden Formation, die drei jungen Musiker_Innen haben im Postpunk und seinen zahlreichen Nebensträngen eine eigene Sprache gefunden, die frontal und mit überbordendem Spielwitz zum Vortrag kommt. Der exzellent abgemischte Sound tat das Seine zum herzerfrischenden, frenetisch beklatschten Repetitor-Orkan, zu dem selbst die gröbsten Feedback-Dissonanzen noch glasklar und differenziert vernehmbar waren. Mit derart beherztem Herangehen schreibt man wohl Raut-Oak-Geschichte. Nächstes Jahr gerne wieder.

Die Brüder Aled und Brenning Clifford aus Wales beeindruckten als klassisches Gitarren/Drums-Duo Henry’s Funeral Shoe durch erdigen Heavy-Blues, wuchtige Soul-Grooves und lärmenden Rock’n’Roll, die Mixtur zeigte in der Form auf dem Festival gewiss keine neuen Perspektiven des Genres im Raut-Oak-Standardformat auf, wurde aber energisch, im satten Anschlag und mit Herzblut durch das fein abgemischte Equipment gerockt und ist damit selbstredend eine lobende Erwähnung wert. Slide-Gitarrist Aled Clifford hat sein Handwerk vom langjährigen Van-Morrison-Musiker Ned Edwards erlernt, da ist unzweifelhaft so manche Unterrichtsstunde auf fruchtbaren Boden gefallen. Dieser Umstand und seine raue, voluminöse Bluesmänner-Stimme wie der druckvolle Trommelanschlag seines jüngeren Bruders Brenning sorgten allemal für ein breites Grinsen bei den Freunden ausladender E-Gitarren-Soli und grundsolider, harter Bluesrock-Kost.

In den Abendstunden des Samstags stand der bei weitem kontroverseste Auftritt beim diesjährigen Raut Oak an: Am durchgeknallten Gig des deutschen Duos Dÿse schieden sich die Geister, wo es zu vielen exzellenten Festival-Auftritten keine zweite Meinung gab, war zum Gewerk der Herren Dietrich und van Gohl dahingehend reichhaltige Diversität bei der Konsumenten-Schar geboten. Rammstein für Harzer? Helge Schneider goes Noise-Rock? Schwer erträgliches Blöd-Geblubber, wo man bekloppt von wird, einhergehend mit durchaus ansprechendem, lärmendem Rockmusik-Gewerk – oder tatsächlich genial-spontaner Dadaismus, mit schmissigem, schwerst gefälligem und brachial nach vorne abgehendem Trash-Metal orchestriert? Bis zur abschließenden Klärung dieser Fragen und dem Ausräumen aller etwaigen Unklarheiten: Sag einfach Hans zu mir… (Indifferent-Achselzuck und ab).

Mittlerweile Dauergäste beim Raut Oak sind Left Lane Cruiser aus Fort Wayne/Indiana, fortwährend gebucht und hochwillkommen wie der großartige Orgel-Wizard James Leg, der am kommenden Tag seinen großen Auftritt haben sollte, gehört das Trailerpark-Hardblues-Duo mittlerweile zum festen Inventar der Veranstaltung – und doch war nicht alles beim Alten zum 2019er-Gig: Fredrick „Joe“ Evans IV hat sich extra fein gemacht und war beim Bader („Barber Shop“ heißt der Friseur heutzutage bei den Rauschebart-Hipstern im Glockenbachviertel, in Williamsburg und allen anderen tot gentrifizierten Nachbarschaften), und eine Handvoll neue Songs wie einen neuen Trommler hatte er auch im Schlepptau. Pete Dio kümmert sich daheim in den Staaten um den Nachwuchs, dafür durfte Johnny Revers als Ersatz die Stöcke schwingen, weitaus defensiver und zurückgenommener als sein Vorgänger, was dem rauen und unverblümt aus der Hüfte geschossenen, hart und unverdaut vor die Front gerotzten Slide-Riffs und den Einsichten aus der prekären Welt der „Abgehängten“ im Mittleren Westen der US of A von Gitarrist/Sänger Evans etwas die schneidende Schärfe nahm. Als singender, Soul-infizierter Drummer im Geiste eines Levon Helm macht der Mann mit dem imposanten Bartwuchs in einer Handvoll an Nummern obendrein eine gute Figur. Evans der Vierte sorgte mit seinem permanenten „Fucking-dies-und-fucking-das“-Gefluche, polternden Knurren und Zuprosten zwischen den beinharten Trash- und Punk-Blues-Ausbrüchen dafür, dass es nicht allzu gemütlich wurde. Die hochgefahrene Lautstärke intensivierte den wie seit eh und je überwältigenden Auftritt der Blues-Berserker, eine schweißtreibende und herzerfrischende Angelegenheit, aber damit erzählt man der Raut-Oak-Gemeinde weiß Gott nichts grundlegend Neues, und das ist in dem Fall auch gut so.

Zu den Klängen von Radio Moscow ging es in Richtung heimatliche Gefilde, um Mitternacht war nach nahezu zehn Stunden konzertanter Beschallung, anregenden Gesprächen in den Umbaupausen und einem kurzen Abstecher an die Tiki-Bar der Almost Boheme die Aufnahmefähigkeit am Tiefpunkt, über die Psychedelic-Combo aus Iowa stand an dieser Stelle im Rahmen der Platten-Besprechung zum letzten Werk „New Beginnings“ folgendes zu lesen: „Bandgründer, Sänger und Multiinstumentalist Parker Griggs und die beiden anderen Langhaarigen hören sich auch auf dem fünften Radio-Moscow-Album so an, wie die Optik der Band mit dem ersten Gedanken spontan vermuten lässt: nach Heavy-Sound, Marshall-Boxen-Türmen, ausladenden Gitarren-Soli, rausgerotzten Rock’n’Roller-Weisheiten, säuerlichen Alkohol-Ausdünstungen am Tag danach, eingefangen in Biker-Garagen-Atmosphäre, die Luft geschwängert vom Motorenöl-Duft, Rauchwaren-Schwaden und dem Aroma von verschüttetem Bier“ – in der vernommenen ersten halben Stunde des ROF-Gigs des Power-Trios hat sich das nicht viel anders ausgenommen, die Band ist in den längst vergangenen Zeiten des Siebziger-Blues-Rock verhaftet, im ausgedehnten Ausleben der Gitarren-Exzesse zwischen Wah-Wah-Verzerrungen, psychedelischen Sound-Trips und endlosem Flow, getrieben vom wummernden Rickenbacker-Bass und einer latent zu schnellen, ausladenden Drum-Rhythmik, die das aus der Zeit gefallene Retro-Gebräu in Richtung Stoner-Härte drängt.
Zum Konzert des jungen spanischen Trash/Psychobilly-Duos Yo Diablo lassen sich mangels Anwesenheit nur die Zeugen vor Ort zitieren, es herrschte wohl einhellige Meinung, dass die Band mit ihrem zum orientalischen Swing neigenden Desert-Blues-Geschrammel völlig zu überzeugen wusste und damit jede/r das abrupte Ende des Auftritts um 3 Uhr morgens zwecks verordneter Nachtruhe schwerst bedauerte. Zweite Chance im nächsten Jahr, vielleicht?

ROF 2019 / Day 3 – coming soon…

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Soundtrack des Tages (208): Große Freiheit

Was aus der Nostalgie-Abteilung, nach dem Motto „Früher war alles besser, die Musik mutiger und wir selbst wilder & vor allem jünger“: Die Combo Große Freiheit wurde Anfang der Achtziger von den Hamburger Musikern Martin Georg Grunwaldt und Michael Wentzel gegründet, 1982 veröffentlichte das ZickZack-Label von Alfred Hilsberg ihre beiden Maxis/EPs „Piroschka“ und „Die Moschusfunktion“. Begriffe wie DIY oder LoFi geisterten zu jener Zeit noch nicht durch die Musikpresse, die Band bewegte sich auf diesem Level in einem Spannungsfeld zwischen experimentellem NDW-Elektro-Pop und Synthie-New-Wave. Auf „Die Moschusfunktion“ glänzt vor allem das Stück „Expressomaschine“, eine wunderbar gelungene und in der Form bis heute unerreichte Coverversion mit surrealem Text im Geiste des Elektro-Punk, das Original „Auf der Espresso-Maschine“ stammt vom Liedermacher, Rechtsanwalt und Alt-Kommunisten Franz Josef Degenhardt und findet sich auf seiner 1965er-LP „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“.
Von Große Freiheit war’s das dann auch schon mehr oder weniger mit Erwähnenswertem aus der Pop-Historie. Martin Grunwaldt trat in den späten Achtzigern mit dem Bassisten Johann Bley als Duo auf, neben zahlreichen Fernseh-Shows unter anderem im Vorprogramm der Red Hot Chili Peppers. Im Nachgang veröffentlichte Grunwaldt zwei Solo-Alben, das bis dato aktuellste erschien im Jahr 2001.

Futuro de Hierro + Dame Area @ Pension Noise #11, Köşk, München, 2018-06-07

Zwei lärmende und höchst anregende experimentelle Projekte vom jungen Duo Silvia Konstance und Víctor Hurtado aus Barcelona am vergangenen Donnerstag im Rahmen der Veranstaltungsreihe Pension Noise im Münchner Köşk: Eingangs abstrakte Noise-Drones, rhythmisches Industrial-Pochen, verzerrte Beats, Heavy Ambient Space-Out-Soundtracks und irrwitziges Synthie-/Sampling-/White-Noise-Gelichter im steten Flow von Futuro de Hierro unter Federführung und garniert mit Trance-verwandten Spoken-Word-/Post-Rap-Sprachfetzen im politischen Kontext von Multi-Instrumentalist Hurtado aka Viktor Lux Crux, der in der Vergangenheit bereits mit musikalischen Avantgarde-Größen wie Jochen Arbeit und Nurse With Wounds zusammenarbeitete und an dem Abend von Silvia Konstance Knöpfe-drehend und damit raumgreifendes Electronica-Dröhnen und -Pfeifen erzeugend an Korg-Gerätschaften begleitet wurde, die Selbstauskunft des spanischen Klangkünstlers blieb an dem Abend unwidersprochen: „His live performances are high octane and visceral sonic assaults of disjointed rhythms, noise and vocals“. Durchaus. Musik zum Erleben mit allen verfügbaren Sinnen.

Nach kurzer Umbau-/Verschnauf-/Getränke-Pause sodann im zweiten Teil des Experimental-Pakets das Projekt Dame Area mit Silvia Konstance als Chefin im Ring, weitaus tanzbareren Polter-Rhythmen und minimalistischer Elektro-Melodik. Tribalistischer, bewusst primitiv gehaltener Industrial-Beat traf auf synthetische Großstadt-Kälte in Gestalt von Post/Electropunk-, Achtziger-Proto-Industrial- und Synth/Wave-Pop-Reminiszenzen im Geiste von Genesis P-Orridge, Gary Numan und Alan Vega, zu denen die junge Frau frontal das Publikum animierend den gesamten Zuhörerbereich als Bühne nutzend als extrovertierte Electronica-Lolita ihre Stakkato-/Propaganda-artigen Schlagwörter schwadronierte, repetitive Kampfansagen, Statements, auf Kern-Aussagen reduzierte Schlaglichter, vermutlich auch hier mit politischen Inhalten, Zivilisations-Kritik/Verdrossenheit, was auch immer. Musik in Gedenken an eine Zeit, in der die Aufbruchstimmung gewaltig, der Forschergeist ausgeprägt und der Wille zum Aufbauen neuer Klangstrukturen, Zerstören althergebrachter Muster, Do-It-Yourself groß war, mit großartigen Ergebnissen auf Throbbing-Gristle-, Joy-Division-, Cabaret-Voltaire- und vielen anderen Tonträgern, so auch in der konzertanten, doppelten Intensiv-Bedienung am Donnerstag-Abend im Münchner Westend.

Reingehört (380): Xao Seffcheque, Sammlung: Elektronische Kassettenmusik

„Wir hatten auch den Schizo-Look. Da war die halbe Seite vom Kopf so richtig gewachsen und wild. So richtig schwarzen Bart und Haare wachsen lassen. Die andere Seite war blond, ganz kurz, Augenbrauen abrasiert. Alles total rasiert. Und auch zwei Anzüge. In der Mitte geteilt. Der ganze Mensch war in der Mitte geteilt. In jeder Beziehung.“
(Xao Seffcheque, in: Jürgen Teipel, Verschwende Deine Jugend, Ein Doku-Roman über den deutschen Punk und New Wave)

Xao Seffcheque – Ja, nein, vielleicht kommt sehr gut: A Selection of Electronic Beats 1980-82 (2017, Bureau B)

Gaudibursch aus der deutschen New-Wave-Ursuppe: Der Grazer Alexander Sevschek aka Xao Seffcheque, ab Ende der Siebziger Autor zu den Themen Punk und New Wave bei Sounds und später bei der Spex, 1981 zusammen mit Peter Hein von den Fehlfarben Gründer der Band Family 5, mit der er immer noch sporadisch auftritt, in den Achtzigern diverse eigene Projekte und Platten mit seinen Formationen Die Pest/ Die Post / Der Rest, heute vor allem als Drehbuchautor für diverse Kino- und Fernseh-Produktionen beschäftigt.
Das Hamburger Indie-Label Bureau B hat einen Best-Of-Sampler mit Arbeiten aus der solistischen Frühachtziger-Schaffensphase zusammengestellt, die den österreichischen NDW-„Scheckheft-Sektchef“ als lustigen Pionier der elektronischen Musik porträtiert.
Mit Synthies, Elektro-Beats/Drum-Maschinen und Texten, die weit mehr Lautsprache und Endlos-Schleifen-artiges Reproduzieren von Tönen und infantilem Geblubber im Geiste eines absurd-dadaistischen Statements als inhaltlich nachvollziehbares Geschichten-Erzählen sind, persifliert der Wahl-Düsseldorfer die damalige deutsche Speerspitze der Neuen Deutschen Welle von Deutsch Amerikanische Freundschaft bis Palais Schaumburg in ironisch-abgründiger Manier.
Bei allem sprachlichen Nonsens und humoristischen Gefeixe darf nicht übersehen werden, dass Seffcheque mit seinem Elektro-Punk-Ansatz hinsichtlich Sound & Vision durchaus als Vorreiter zu Techno, Trance, No Wave und Weiterentwickler vorangegangener Experimental-/Kraut-Electronica-Ansätze wahrgenommen werden darf.
Beatles-Allgemeingut kriegt auch sein Fett weg, die Fab Four waren in der Punk-Ära stets ein gern genommenes wie dankbares Opfer, in „Why We Hate The Residents“ lehnt sich der Künstler an das „Meet The Residents“-Konzept des kalifornischen Anonym-Multimedia-Kollektivs an und bringt „Eleanor Rigby“ in einem futuristisch-avantgardistischen Primitiv-Gezirpe in schwindlige Schräglage – C’mon and humor me
(**** ½)

V.A. – Sammlung: Elektronische Kassettenmusik, Düsseldorf 1982-1989 (2017, Bureau B)

Eine weitere schöne Sammlung zum Thema deutsche Electronica von Bureau B: scheinbar jeder aus der ortsansässigen Nachbarschaft, der sich mit dem Frühwerk der Düsseldorfer Kraut-/Elektro-/Synth-Pop-Vorreiter Kraftwerk und Neu! oder den Arbeiten der NDW-Experimental-Elektroniker Der Plan intensiver auseinandersetzte und an den entsprechenden analogen und digitalen Gerätschaften die relevanten Schrauben in die richtige Richtung zu drehen wusste, hat in den Achtzigern in Heimarbeit die eigenen Ergüsse auf Musikkassetten verhaftet, das Hamburger Kraut-/NDW-/Elektropop-Label veröffentlicht die spannendsten und wegweisendsten Arbeiten auf „Sammlung: Elektronische Kassettenmusik, Düsseldorf 1982-1989“.
Eigensinnige, unkonventionelle Elektronik-Trips aus der Post-Punk-Hochphase im Nachgang zur deutschen Kraut-Ära, vom Do-it-yourself-Geist des Punk-Bebens durchweht, eingespielt von heute weithin unbekannten Düsseldorfer Underground-Geistern und Projekten wie Konrad Kraft, Pfad der Tugend, Maria Zerfall, Strafe für Rebellion, um nur einige zu nennen, die trotz einiger technischer Unzulänglichkeiten und simpelster Produktionsbedingungen ein feines Gespür dafür zeigten, was in der experimentellen Pop-Musik hinsichtlich Trance, Ambient, Noise, Industrial-Drone und abstrakter Electronica in naher und ferner Zukunft, von einer Achtziger-Jahre-Warte aus betrachtet, fürderhin noch alles möglich sein sollte.
(**** ½ – *****)