Brokeback – Illinois River Valley Blues (2017, Thrill Jockey)
Prärie-Alternative-Country und Desert-Blues in Referenz an die eine Stammcombo Eleventh Dream Day, im rein instrumentalen Postrock-Gewand als Referenz an die andere Stammcombo Tortoise, die Schnittmenge aus zwei voneinander getrennten Welten, in denen der Musiker seit Jahrzehnten unterwegs ist, so mutet das neue Werk von Douglas McCombs und seinem eigenen, sporadischen Projekt Brokeback an, völlig ohne die von Tortoise oder früheren Brokeback-Alben bekannten, abstrakten Klanggebilde kommen die 10 neuen Arbeiten aus, ein sehr organischer, Wüstenstaub-trockener Slow-Motion-Italo-Western-Soundtrack im Stile der frühen Calexico inklusive widerhallender Gitarren in dunkel-verhaltener Grundstimmung, angereichert mit Dosierungen an 70er-Jahre-Klängen aus dem Bereich Krautrock, Santana-Latin-Blues und Deadheads beglückende Ausflüge in Richtung angejazzter Space- und Cosmic-American-Music-Freeflow. Da ein altgedienter, versierter und erfahrener Indie-Haudegen wie Douglas McCombs grundsätzlich noch nie für irgendwelchen Durchschnitts-Output oder gar musikalischen Sondermüll seinen guten Namen hergegeben hat, darf man auch im Fall des neuen Brokeback-Outputs beherzt und ohne Reue zugreifen.
(**** ½ – *****)
„When I said you’re strange It was a compliment, you know“ (Langhorne Slim & The Law, Airplane)
Irgendwie ein typisches „Es-war-schon-alles-da-in-der-Musik-darum-schon-wieder-kein-neues-‚Astral-Weeks‘-‚Zen-Arcade‘-‚Exile-On-Main-St‘-Wunderwerk“-Jahr, dafür aber ein Musik-Jahr mit überraschenden Comebacks, würdigen Alterswerken, spannenden Mixturen, ein paar erwarteten und etlichen unerwarteten Highlights, einigen gewichtigen Ausgrabungen aus den Archiven und einem ersten Platz, der das in der Gesamtheit nicht sonderlich rosige Jahr 2015 in seiner Grundstimmung einfängt.
(01) Steve Von Till – A Life Unto Itself (2015, Neurot)
Das düstere Songwriting des Neurosis-Sängers/-Gitarristen: die Platte des Jahres 2015 im Kulturforum. Der passende Soundtrack für ein Jahr, von dem Bilder/Eindrücke unter anderem von gekenterten Flüchtlings-Booten, dem Terror-Anschlag auf einen Live-Club und allerhand politischen Verwerfungen bleiben werden, leider.
(02) Pops Staples – Don’t Lose This (2015, Anti)
Würdiges Alterswerk der Gospel-/Soul-Ikone, aus Rohfassungen von Tochter Mavis Staples und Wilco-Vorturner Jeff Tweedy behutsam zu einem guten Ende gebracht.
(11) Die Buben im Pelz & Freundinnen – Die Buben im Pelz & Freundinnen (2015, Konkord)
Den Violinen-Drone aus „The Black Angel’s Death Song“ haben sie nicht hingekriegt, sowas bleibt natürlich nur Musikern wie dem Gott-ähnlichen John Cale vorbehalten, ansonsten haben sie wirklich alles richtig gemacht, die Buben im Pelz und ihre Schicksen, mit ihrer Wiener Adaption eines der wichtigsten Alben der Pop-Historie. Total leiwand, eh kloa…
(17) Waves – Stargazer (2015, Waves)
Mit das Interessanteste in Sachen Post-Rock kam heuer aus München. Meine Hardcopy fange ich mir beim Konzert am 14. Januar im Backstage ein und dann folgt auch eine ausführliche Besprechung. Versprochen.
Das soll’s gewesen sein von meiner Seite für 2015. Rutscht gut rüber ins neue Jahr, ich wünsche Euch alles Gute, Glück und vor allem Gesundheit für 2016, uns wird es vermutlich auch im neuen Jahr im Großen und Ganzen wieder besser ergehen als 99% vom Rest der Welt, in diesem Sinne, weil Sylvester ist und weil gleich die Böller und Sektkorken knallen, soll das letzte Wort im alten Jahr an dieser Stelle Nathaniel Rateliff gehören: „Son of a Bitch, give me a Drink !!!!“ ;-)
Eleventh Dream Day – Works For Tomorrow (2015, Thrill Jockey/Rough Trade)
Alte Helden mit unerwartetem neuen Output: Die grandios-gute und permanent erfolglose Alternative-Rock-Combo Eleventh Dream Day aus Chicago/Illinois hat im Jahr 1988 mit ‚Prairie School Freakout‘ beim französischen Indie-Label New Rose (2004, Thrill Jockey Reissue) ein exzellentes Volle-Länge-Debüt nach einer bereits sehr respektablen, selbstbetitelten EP (1987, Fan Club / New Rose) veröffentlicht, auf dem die Band einen betörenden, Gitarren-lastigen, Neil-Young-beeinflussten, hoch-energetischen Sound transportierte, der sich im Lauf der Jahrzehnte auf den folgenden, stets empfehlenswerten Werken der Band mal mehr in traditionellere Gefilde – als Beispiel sie hier das grandiose Album ‚Lived To Tell‘ (1991, Atlantic/WEA) genannt – mal in experimentellere Bereiche bewegte, hier seien die Werke ‚Ursa Major‘ (1994, City Slang) oder ‚Stalled Parade‘ (2000, Thrill Jockey/Rough Trade) exemplarisch erwähnt.
Seit der Jahrtausendwende haben Eleventh Dream Day nur noch sporadisch, wohl dem ausbleibenden Erfolg geschuldet, veröffentlicht, die Bandmitglieder tummelten sich parallel bzw. zwischenzeitlich in diversen anderen Projekten: Schlagzeugerin Janet Beveridge Bean war alternativ beim hervorragenden Bluegrass-Projekt Freakwater am Start und veröffentlichte 2003 mit ‚Dragging Wonder Lake‘ unter Janet Bean And The Concertina Wire auf Thrill Jockey ein respektables Solodebüt, Bassist Doug McCombs kam als festes Bandmitglied beim Post-/Experimental-Rock-Quintett Tortoise zu internationalem Renommee. Bandleader Rick Rizzo ist inzwischen im Hauptberuf Lehrer, soweit kommt’s, wenn man vom Plattenverkauf nicht leben kann, eine Schande im Falle dieser Combo.
2011 veröffentlichte die Band mit ‚Riot Now!‘ (Thrill Jockey) das Vorgänger-Album der aktuellen Songsammlung, die Band promotete dankenswerte Weise im selben Jahr – leider bei geringem Zuschauerzuspruch – live auch in unseren Gefilden, hier deutete sich bereits vehement an, was auf ‚Works For Tomorrow‘ seine ganze Pracht entfaltet: die Combo pflegt neben vertrauteren, Americana-beeinflussten, traditionelleren Indie-Gitarrenrockern vermehrt eine härtere, direktere, zornigere, mitunter an Sonic Youth/Thurston Moore gemahnende Variante unter Einsatz von Feedbacks und sonstigen Verzerrungen. Die Rohheit des Punk stand wiederholt Pate für drängende, ungebändigte, vor Tatendrang strotzende Stücke, die in der Mehrzahl von Janet Beveridge Bean nahezu geschrien werden, man hört das „Nehmt uns endlich ernst oder geht zum Teufel!“ förmlich heraus, und im Falle dieser erneut erfreulich gelungenen Eleventh-Dream-Day-Platte kann ich das nur unterstreichen: Kauf den Tonträger und macht die Combo reich, verdient haben sie es schon lange.
Was immer diese Band durchhalten lässt: möge es als Inspiration/Motivation noch lange anhalten…
(***** ½)
Cosmic Psychos – Cum The Raw Prawn (2015, Desperate)
Alte Helden mit noch wesentlich weniger erwartetem neuen Output: Von den australischen Cosmic Psychos war mir bis vor ein paar Wochen nicht bewusst, dass das Punkrock-Trio aus Melbourne nach wie vor aktiv ist und seit der zuletzt wahrgenommenen ‚Blokes You Can Trust‘ (bereits von 1991, Amphetamine Reptile Records) weitere sieben Alben, das aktuelle mitgerechnet, veröffentlichte.
Von der Originalbesetzung ist einzig Sänger und Bassist Ross Knight nach wie vor mit von der Partie, der Sound der Band wurde vom australischen Musikjournalisten Ian McFarlane als Punk-Krach in einer Mischung aus Birthday Party und narkotisierten Ramones beschrieben, „equal parts Stooges riffs, Ramones tempos, lashings of wah wah guitar, American 1980s hardcore attitude and a healthy dose of yobbo humour. [They] played no-frills, stripped-down punk rock“, kann man getrost so stehen lassen, die verzerrten Uptempo-Stooges-Gitarren waren für meine Begriffe immer das Markenzeichen dieses kompromisslosen, zupackenden Sounds, der auf Konserve kaum anders klang als konzertant, Ende der Achtziger stellte die Band das während einer Europatournee, welche sie auch in den längst abgefackelten, legendären Circus Gammelsdorf verschlug, eindrucksvoll unter Beweis, das Fachblatt Spex berichtete seinerzeit ausführlichst.
Grunge-Größen wie Kurt Cobain, Eddie Vedder, Donita Sparks von L7 und nicht zuletzt der großartige Buzz Osbourne von den Melvins nannten die Band als frühe Einflüsse für ihren inzwischen weltberühmten Seattle-Sound.
Das neue Werk unterscheidet sich hinsichtlich energischem Drive, Themen und repetitiver Texte nicht groß von früheren Alben und das ist auch gut so – ab und an ist Konstanz in der weiten Welt der Musik etwas Wunderbares.
(**** ½ – *****)