
„Kamikaze Girls want you to know that it’s okay to be sad“ geben uns Lucinda Livingstone und Conor Dawson mit auf den Weg, dabei war am vergangenen Montag in der Kranhalle des Münchner Feierwerks nicht im mindesten Anlass zur Trauer geboten ob des Auftritts des gemischten Doppels aus Leeds UK. Auch wenn die Kamikaze Girls vor gut zwei Jahren eine Sad-/Slowcore-/LoFi-Version des Bowie-Klassikers „Heroes“ einspielten und diese Fassung schon mal das Taschentuch zwecks melancholischer Seelenpein zücken lässt, standen die Zeichen zur Eröffnung des launigen Indie-Abends zum Start in die Karwoche eindeutig auf Sturm. Die Sängerin/Gitarristin mit dem Michael-Jackson-Tourshirt und der Drummer mit dem naturroten Rauschebart griffen sich das Publikum vom Fleck weg mit beherztem Anschlag, und so zierte sich das Konzertvolk kaum, der Aufforderung Lucinda Livingstons Folge zu leisten, die hinteren Ecken der spärlich gefüllten Halle zu verlassen und den Platz vor der Bühne zu füllen, machte ja auch Sinn, von der Nähe betrachtet verfing der ungebremste Mix aus Enthusiasmus und ernsthafter Darbietung der jungen Leute aus Northern England noch weitaus mehr. Unverstellter Riot-Grrrl-Drive mit viel Wut im Bauch, die beizeiten auch unvermittelt herausgeplärrt artikuliert wurde, gehaltvoller, abgeklärter Postpunk mittels Sirenen-artiger Fuzz-Gitarren, melodischer Riffs, einer entfesselten Rhythmik und Klagen über den Zustand der Welt, inhaltlich untermauert durch die Auseinandersetzung mit Themen wie Depression oder Abhängigkeit und Statements für Toleranz, offene Grenzen und gegen sexuelle Übergriffe im Pub um die Ecke oder sonstwo, das Duo scheint hinsichtlich Haltung und musikalischer Umsetzung zu wissen, wo und wofür es steht. Damit nicht genug, Freund_Innen des gepflegten Postrock kamen mit dem gedehnten Ausklang durch entsprechendes Pedale-Bedienen und Effektgeräte-Schrauben zur Errichtung einer dezent von Feedbacks verzerrten Gitarrenwand als vehementem Schlusspunkt auch noch auf ihre Kosten.
So gab es dann zum Ende hin doch noch eine kleine Träne zu zerdrücken, und es war mehr als ok, traurig zu sein, da keine Zugaben geplant waren im knapp fünfzig-minütigen Opener-Programm, ein Seufzer des Bedauerns, da der schmissige Punk der beiden jungen Musikanten aus West Yorkshire gut und gerne noch eine Weile in der Güte und Intensität so weiterscheppern hätte dürfen. So blieb nur das Wort des großen deutschen Fußball-Philosophen Lothar M. im Geiste von „Wäre, wäre, Fahrradkette“ als schwacher Trost, der Gang zum Tresen zur Überbrückung des Wartens auf den Hauptact des Abends und das Hoffen auf eine Headliner-Tour der Kamikaze Girls in naher Zukunft.
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Allein mit der Niederschrift des ellenlangen Bandnamens The World Is A Beautiful Place And I Am No Longer Afraid To Die dürfte sich so mancher Zeilenschinder aus den Lohnsklaven-Abteilungen der Konzert- oder Platten-besprechenden Printmedien klammheimlich über quasi geschenkte Gage ohne großen Zusatzaufwand freuen, dabei schwebte über dem Konzert der amerikanischen Ostküsten-Formation aus Willimantic/Connecticut eindeutig über weite Strecken das Motto „Weniger wäre mehr“, mitunter war die Combo da in Linie, ob rein optisch beim jeweils gekürzten Haupthaar von Keyboarderin Katie Dvorak und Sänger David Bello oder dem reduzierten Lineup im Vergleich zum München-Konzert vor gut zwei Jahren, als TWIABPAIANLATD insgesamt zu acht mit sage und schreibe vier Gitarristen antanzten und damit eine orchestrale Eindringlichkeit an erhabenen Emocore-/Postrock-Momenten zu entfalten wussten – eine emotional ergreifende Intensität, die man am vergangenen Montag zuweilen etwas misste.
Es mag am unausgegorenen, größtenteils weit unter den Möglichkeiten der Band bleibenden Songmaterial des aktuellen, hier kaum auf ungeteilte Gegenliebe stoßenden Longplayers „Always Foreign“ liegen, das zu Teilen zum Vortrag kam und Gottlob im konzertanten Gewand nicht in Gänze an die Arcade-Fire-artige Belanglosigkeit der dokumentierten Tonkonserven heranreichte, es mochte aber auch einfach an einem Alles-sofort-auf-einmal-wollen der personell oft variierenden Formation liegen, dass die Qualität und Erhabenheit ihres letzten Auftritts an gleicher Örtlichkeit nur sporadisch erreicht wurde. Am Einsatz der Musiker_In mangelte es gewiss nicht, das Sextett engagierte sich wie vor zwei Jahren zelebriert mit Herzblut für die eigenen Klangentwürfe, und doch hatten ein exzellent aufgelegter Steven Battery an den Drums mit Unterstützung von Urmitglied Josh Cyr am fünfsaitigen Bass sprichwörtlich alle Hände voll zu tun, um den in viele Richtungen wegexplodierenden Laden halbwegs zusammenzuhalten. In einem erratischen, atemberaubenden Ritt bewegte sich die Band durch die Spielarten ihres wunderschönen, hymnischen Indie-Emocore, den opulenten Postrock und die experimentellen Gitarren-Noise-Drone-Intermezzi, die auf einer imaginären Überholspur den 70er-Prog-Rock hinsichtlich Tempi-Wechsel, Melodie-Breaks und unvermittelter stilistischer Launen weit hinter sich ließen und so für die Hörerschaft das ein oder andere Rätsel in den Raum stellten und manche Antwort schuldig blieben – die größte Ungewissheit nach diesem vehementen wie das Publikum beizeiten über Gebühr fordernden Auftritt dürfte die spannende Frage aufwerfen, wo die Reise dieser außergewöhnlichen, mit vielen Talenten gesegneten Vertreter des atmosphärischen Emocore künftig hinführt. Das KF bleibt dran an TWIABPAIANLATD und berichtet beizeiten, versprochen.
(**** – **** ½)
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