Erinnerung

Moondog

Vergangene Woche privat im westfälischen Münster zugange, war es selbstredend meine heilige Pflicht, das Grab des von mir sehr verehrten amerikanischen Minimal-Music-Komponisten Moondog auf dem Münsteraner Zentralfriedhof zu besuchen.

Moondog wurde als Louis Thomas Hardin im Jahr 1916 in Marysville, Kansas, geboren. Im Alter von 16 Jahren verlor er beim Experimentieren mit Sprengstoff das Augenlicht.
Sowohl als Student als auch als Autodidakt kam er mit der klassischen Musik der Alten Welt in Berührung und erlernte das Spiel auf Violine, Viola, Piano, Orgel, den Chorgesang sowie Harmonielehre und Komposition.
1943 ging Hardin nach New York, wo er Musikergrößen wie Leonard Bernstein, Arturo Toscanini, Charlie Parker, Charles Mingus, Benny Goodman und den Beat-Dichter Allen Ginsberg kennenlernte. Seine frühen Arbeiten sind vom Jazz beeinflusst, den er für sich in eine ureigene, experimentelle Bahn lenkte.
Von den späten Vierzigern bis Anfang der siebziger Jahre lebte Hardin als Straßenmusiker, in dieser Zeit hielt er sich hauptsächlich an der 6th Avenue zwischen der 52. und 55. Straße auf, er trug dabei ein Wikingerkostüm und wurde so als „The Viking Of 6th Avenue“ zur lokalen Berühmtheit in Manhattan.
Das Hilton Hotel gab seine Adresse in Anzeigen eine Weile mit „opposite Moondog“ an.
Seinen Künstlernamen wählte er laut eigener Aussage zu Ehren eines Blindenhunds „who used to howl at the moon more than any dog I knew of.“
Im Laufe der Jahre tendierte sein Kompositionsstil mehr und mehr in Richtung Kontrapunkt-Minimal-Klassik, Größen des Genres wie Philip Glass oder Steve Reich bezeichnen die Arbeiten Moondogs als frühe Einflüsse.
1974 wurde der Komponist vom Hessischen Rundfunk für zwei Konzerte nach Deutschland eingeladen und blieb kurzerhand im Anschluss im Lande.

„Ich wollte ursprünglich gleich nach dem Konzert zurück. Als ich aber hier war, da war ich so beeindruckt von den Menschen, von ihrer Freundschaftlichkeit, ihrer Wärme, der ganzen Atmosphäre, dass ich mich entschieden habe, nicht mehr in die USA zurückzugehen.“
(Moondog)

In Hamburg, Hannover und Recklinghausen trat er weiter als Straßenmusiker auf, ehe ihn die Studentin Ilona Sommer in Oer-Erkenschwick unter ihre Fittiche nahm. Ilona Sommer gründete den Musikverlag ‚Managarm‘, in dem heute die meisten Werke Moondogs veröffentlicht sind.

Von seinen zahlreichen Werken möchte ich dem geneigten Hörer vor allem das Columbia-Album „Moondog“ aus dem Jahr 1969 ans Herz legen, hier entfaltet der Meister seine ganze Minimal-Klassik-Pracht, immer spannend und trotz des avantgardistischen Ansatzes jederzeit angenehmst anzuhören. Der Tonträger ist nicht zu verwechseln mit der Prestige-Aufnahme gleichen Namens aus dem Jahr 1956, Moondog zelebriert dort – ebenfalls sehr hörenswert – experimentelle Avantgarde-Musik und schräg-angejazztes Soundgefrickel.
Eine dringende Empfehlung ist das Spätwerk „Elpmas“ (1992, Roof), Moondog arbeitet auf diesem Vibraphon-dominierten Werk erst- und letztmals mit elektronischem Sampling (Elpmas: spell it backwards!), schlägt die Indianer-Trommel und erzeugt somit wunderschöne, meditative Soundlandschaften, die ihresgleichen suchen.
Eine wunderbare Übersicht über seine späten Jahre gibt die Doppel-CD „The German Years 1977 – 1999“ (2004, Roof), die die diversen Schaffensperioden des Meisters in ihrer kompositorischen Vielfälltigkeit in repräsentativen Klangbeispielen dokumentiert. CD 2 enthält das letzte Konzert Moondogs, dass er wenige Monate vor seinem Tod zusammen mit der französischen Pianistin Dominique Ponty auf dem M.I.M.I.–Festival in Arles/Süd-Frankreich spielte, der Querschnitt seiner Klavierwerke präsentiert Werke aus fünf Jahrzehnten jenseits jeglicher Konventionen.
Weitere Empfehlungen:
Moondog 2“ (1971, Columbia), wunderbare Weiterführung des 1969er-Meilensteins und in der Regel mit dieser im Doppelpack erhältlich.
A New Sound Of An Old Instrument“ (1979, Kopf/Roof), großartige, meditative Orgelklänge, hier kann der Bach-Freund seinen Horizont auf’s Angenehmste erweitern.
Sax Pax For A Sax“ (1997, Atlantic/Kopf/Roof), minimalistische Kammermusik und Experimental-Jazz, eingespielt mit dem ‚London Saxophonic‘-Ensemble im britischen Bath, unter Beteiligung des Multi-Instrumentalisten Danny Thompson (Pentangle, Richard Thompson) und von Peter Hammill, dem Kopf der englischen Prog-Rock-Institution Van Der Graaf Generator.

1999 ist Louis Thomas Hardin/Moondog in Münster im Alter von 83 Jahren an Herzversagen gestorben. Sein Grab liegt an der Mauer im neuen Teil des Münsteraner Zentralfriedhofs. Die Grabstätte ist zudem die letzte Ruhestätte seiner Förderin Ilona Sommer, die 2011 im Alter von sechzig Jahren verstarb.
Die Grabskulptur wurde vom Wiener Künstler Ernst Fuchs (der lebt noch!), einem engen Freund des Musikers, gestaltet.

„Seine Musik ist das Genialste, was es in der zeitgenössischen Musik überhaupt gibt. Sie ist von einer Präzision, da würde heute selbst Bach applaudieren.“
(Ernst Fuchs)

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NS-Dokumentationszentrum München / 1. Untergeschoss

Vor dem Leseraum im 1. Untergeschoss des neuen Münchner NS-Dokumentationszentrums ist eine Sonderanfertigung der „Todesmarsch“-Skulpturen des Pullacher Künstlers Hubertus von Pilgrim ausgestellt, über das Grünwalder Denkmal habe ich vor Kurzem berichtet.
Die Version der Skulptur im Dokumentationszentrum unterscheidet sich von den restlichen, 22 identischen Versionen in Größe, Material und Darstellung.
Die zusätzliche Abbildung des gestürzten KZ-Häftlings gibt dem Kunstwerk einen noch intensiveren, beklemmenderen Ausdruck.
Die neue, 2001 gefertigte Version der Skulptur wurde vom Verleger-Ehepaar Irene und Rolf Becker für das NS-Dokumentationszentrum gestiftet.

Im Lesesaal selbst findet sich eine umfangreiche Literatur-Sammlung zur NS-Zeit im Allgemeinen und zum Nationalsozialismus in München im Besonderen sowie zahlreiche Bildschirme für Film-Dokumentationen.
Im Saal befinden sich auch die einzigen Originalstücke, die das Museum zeigt: Die Seiten der „Moabiter Sonette“, die der in München geborene Widerstandskämpfer Albrecht Haushofer während seiner Gestapo-Haft in Berlin verfasste.
Haushofer war Vierteljude, erhielt aber auf Geheiß von Rudolf Heß, der mit Haushofers Vater befreundet war, nach seinem Geografie- und Geschichtsstudium eine Dozentenstelle an der Berliner Hochschule für Politik. Ab 1934 war er freier Mitarbeiter der Dienststelle Ribbentrop, die er in außenpolitischen Missionen unterstützte.
Albrecht Haushofer hatte Kontakt zu Regimekritikern und war als Angehöriger des Popitz-Kreises ab Anfang der vierziger Jahre an Aktionen gegen das NS-Regime beteiligt. Nach Rudolf Heß‘ Englandflug stand er unter Aufsicht der Gestapo, in der Folge des Stauffenberg-Attentats vom 20. Juli 1944 wurde er im Dezember 1944 im Gefängnis Berlin-Moabit inhaftiert. Am 23. April 1945, kurz vor der Befreiung Berlins durch die Rote Armee, wurde Albrecht Haushofer von einem SS-Kommando ermordet.

„Ein Todesdrängen, aus dem Hass geboren,
in Rachetrotz und Übermut gezeugt –
nun wird vertilgt, gebrochen und gebeugt,
und auch das Beste geht im Sturz verloren.

Dass dieses Volk die Siege nicht ertrug –
die Mühlen Gottes haben schnell gemahlen.
Wie furchtbar muss es nun den Rausch bezahlen.

Es war so hart, als es die andern schlug,
so taub für seiner Opfer Todesklagen –
Wie mag es nun das Opfer-Sein ertragen

Der Wahn allein war Herr in diesem Land.
In Leichenfeldern schließt sein stolzer Lauf,
und Elend, unermessbar, steigt herauf.“
(Albrecht Haushofer, Moabiter Sonette, Auszüge)

Neben der Literatursammlung zeitgenössischer Dokumentationen ist im Leseraum als Dauerleihgabe der Universität Augsburg die „Bibliothek der verbrannten Bücher“ ausgestellt. Die Bibliothek wurde vom Sammler Georg P. Salzmann seit den siebziger Jahren zusammengetragen, sein Ziel war, die Erinnerung an Werke der während der NS-Diktatur verfolgten und verbotenen Schriftstellerinnen und Schriftsteller aufrecht zu erhalten. Salzmann trug das Gesamtwerk von circa 70 Autorinnen und Autoren in Erstausgaben zusammen und ergänzte die Sammlung um Einzelwerke von 30 weiteren Schriftstellern.
Die Bücherverbrennung der damals verbotenen Literatur „wider den undeutschen Geist“ fand in München am 10. Mai 1933 auf dem Königsplatz, in unmittelbarer Nähe des heutigen Standorts des NS-Dokumentationszentrums, statt.

“ (…) Die schönste Überraschung aber ist mir erst jetzt zuteil geworden: Laut „Berliner Börsencourier“ stehe ich auf der „weißen Autorenliste“ des neuen Deutschlands, und alle meine Bücher, mit Ausnahme meines Hauptwerkes „Wir sind Gefangene“, werden empfohlen: Ich bin also dazu berufen, einer der Exponenten des „neuen“ deutschen Geistes zu sein!
Vergebens frage ich mich: Womit habe ich diese Schmach verdient?
Das „Dritte Reich“ hat fast das ganze deutsche Schrifttum von Bedeutung ausgestoßen, hat sich losgesagt von der wirklichen deutschen Dichtung, hat die größte Zahl seiner wesentlichsten Schriftsteller ins Exil gejagt und das Erscheinen ihrer Werke in Deutschland unmöglich gemacht.
(…)
Und die Vertreter dieses barbarischen Nationalismus, der mit Deutschsein nichts, aber auch rein gar nichts zu tun hat, unterstehen sich, mich als einen ihrer „Geistigen“ zu beanspruchen, mich auf ihre so genannte „weiße Liste“ zu setzen, die vor dem Weltgewissen nur eine schwarze Liste sein kann!
Diese Unehre habe ich nicht verdient!
Nach meinem ganzen Leben und nach meinem ganzen Schreiben habe ich das Recht, zu verlangen, dass meine Bücher der reinen Flamme des Scheiterhaufens überantwortet werden und nicht in die blutigen Hände und die verdorbenen Hirne der braunen Mordbande gelangen. Verbrennt die Werke des deutschen Geistes! Er selber wird unauslöschlich sein wie eure Schmach! (…) „
(Oskar Maria Graf, Verbrennt mich!, Auszüge)

NS-Dokumentationszentrum / Homepage

Heysel

Eigentlich ist Fußball das zentrale Thema des Beitrags, aber 1985 war hinsichtlich Rock- und Pop-Musik ein zu herausragender Jahrgang, als dass ich das an der Stelle unerwähnt und für eine unkonventionelle Einleitung und einen kurzen Einschub ungenutzt lassen könnte. Tonträger wie das Jesus-And-Mary-Chain-Debüt, „V.U.“, die Sammlung mit den lange in den Archiven schlummernden, tollen Velvet-Underground-Aufnahmen aus der Spätphase der Band, Jeffrey Lee Pierce’s Super-Solo-Debüt „Wildweed“, „Rum, Sodomy And The Lash“ von den Pogues, „This Nation’s Saving Grace“ von The Fall, die damals völlig unterschätze, großartige „Don’t Stand Me Down“-Scheibe der Dexys Midnight Runners, „1/2 Mensch“ der Neubauten, das Beatles-und-Byrds-treffen-Hardcore-Meisterwerk „Flip Your Wig“ von Hüsker Dü, „Vietnam“ von Shockabilly und das juvenile Pop-Juwel „Rockin‘ And Romance“ von Jonathan Richman, die epochale „Tupelo“-Single von Nick Cave samt dazugehöriger „The Firstborn Is Dead“-Platte, „Rain Dogs“, der grandiose Soundtrack zum Abhängen in den späten Stunden von Tom Waits, ach, ich komme kaum aus dem Schwärmen raus, zeitloses Spitzen-Gedöns mit heute noch gültigen Platten-des-Jahres-Qualitäten war das. Nach dem erfreulichen Abfeiern des Musik-Jahrgangs nun aber zur eigentlichen, wesentlich ernsthafteren Thematik des Tages:

In Punkto Fußball war das Jahr 1985 eine einzige Katastrophe, nicht nur, dass meine geliebten Münchner Löwen bereits das dritte Jahr in den Niederungen der drittklassigen Bayernliga kickten und die Saison 1984/85 mit einem lausigen 11. Platz beendeten, das alleine war damals schon Grund genug, mir den Spaß an der „Fußlümmelei“ zunehmend zu verleiden, richtig finster wurde es am 29. Mai 1985.
Heute jährt sich zum dreißigsten Mal die sogenannte „Katastrophe von Heysel“, beim Europapokal-Endspiel zwischen Juventus Turin und dem FC Liverpool kam es im maroden Brüsseler Heysel-Stadion zu Übergriffen der englischen Fans im italienischen Supporter-Block, was zu einer Massenpanik führte, in deren Folge 39 Menschen durch Quetschungen und eine einstürzende Mauer zu Tode kamen, weitere 454 Stadion-Besucher wurden zum Teil schwer verletzt. Im deutschen Fernsehen sollte das Endspiel vom ZDF übertragen werden, nach Bekanntwerden der ersten Todesfälle verabschiedete sich der Sender dankenswerter Weise von der Live-Ausstrahlung.

HEYSEL (2)

Das Endspiel von Heysel wurde trotz der vielen Toten mit einer Verspätung von fast 90 Minuten angepfiffen, es endete 1:0 für Juventus durch einen verwandelten Strafstoß des französischen Mittelfeld-Stars Michel Platini.

Als Konsequenz aus der Katastrophe wurden alle englischen Vereine für die folgenden fünf Jahre von sämtlichen internationalen Wettbewerben ausgeschlossen, der FC Liverpool für weitere zwei zusätzliche Jahre. Der FC galt zu jener Zeit als einer der stärksten internationalen Vereine, von diesem Einschnitt hat er sich bis heute nicht völlig erholt.

HEYSEL

Jeder Fußball-Fan, der den Abend erlebte, wird sich mit Schaudern daran erinnern. Nicht nur für den Profifußball bedeutete dieses schreckliche Ereignis eine Zäsur, nicht wenige Fans überdachten individuell ihr Verhältnis zum Fußball-Sport und im Bezug auf ihr Supporter-Dasein. Mir ist nach diesem Abend für viele Jahre der Spaß am Fußball völlig abhanden gekommen, wenn ich mich recht entsinne, habe ich erst 1989 oder 1990 wieder einen Fuß ins Grünwalder Stadion gesetzt, 1860 war damals immer noch in der 3. Liga unterwegs.

Tragischerweise war der FC Liverpool auch in einer folgenden, verheerenden Stadion-Katastrophe involviert, beim FA-Cup-Halbfinale zwischen Nottingham Forest und dem FC im Hillsborough-Stadion in Sheffield am 15. April 1989 wurden für den Gästeblock zu viele Karten verkauft, 96 Liverpool-Fans wurden am Spielfeldrand-Zaun erdrückt oder zu Tode getrampelt, neben den Toten waren 766 Verletzte zu beklagen. Auf der Gedenktafel für die Opfer von Hillsborough am Liverpooler Stadion an der Anfield Road findet sich auch der Name von Jon-Paul Gilhooley, einem Cousin des späteren FC-Kapitäns Steven Gerrard.

STEVEN GERRARD 20 Jahre nach Hillsborough

Wer 1985 Deutscher Fußball-Meister war, brauche ich wohl nicht erwähnen. Auftakt für eine Trilogie. Neunzehnhundertfünfundachtzig: Im Bezug auf Fußball eine einzige Katastrophe…

Hubertus von Pilgrim: Todesmarsch-Denkmal in Grünwald

Der in Berlin geborene und in Pullach lebende Bildhauer Hubertus von Pilgrim hat zum Gedenken an die sogenannten Todesmärsche der KZ-Häftlinge von Dachau 23 identische Skulpturen geschaffen, die an diversen ehemaligen Streckenverläufen der Märsche in München und im weiteren Umland errichtet wurden. Ein weiteres Exemplar ist in der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem ausgestellt. Für das vor kurzem eröffnete Münchner NS-Dokumentationszentrum wurde vom Künstler eine einmalige, erweiterte Version geschaffen, sie ist dort im ersten Untergeschoss der neuen Einrichtung zu sehen.

Ich trug mich schon länger mit dem Gedanken, einen Bericht über die Denkmäler zu posten, einfach in das neue Dokumentationszentrum um die Ecke zu laufen und ein paar Fotos schießen war mir dann doch zu simpel und so schwang ich mich Montagabend auf mein Mountainbike und düste über die Isarauen und den Grünwalder Forst Richtung Münchner Nobel-Vorort in die reichste Gemeinde Deutschlands, ohne mich vorher über den genauen Standort des dortigen Todesmarsch-Denkmals schlau zu machen, im Vertrauen, der ortsansässige Grünwalder würde mir bei meiner Suche schon irgendwie weiterhelfen.
Weit gefehlt. Von zahlreichen gefragten Grünwalder Bürgern konnte mir nicht einer den Standort verraten, von „Nie gehört!“ bis „Da draußen, beim Maibaum, bei dem Denkmal geht’s um den Todesmarsch“ (es handelte sich um das Kriegerdenkmal) war alles dabei, nur absolut nichts Brauchbares, noch nicht mal bekannt war die Existenz des Denkmal bei den Befragten. Hab’s dann doch noch gefunden, in der Nähe des Grünwalder Waldlehrpfads, gegenüber dem Eingang zum Waldfriedhof, direkt an der Ausfallstraße nach Wolfratshausen ist das Denkmal an relativ prominenter Stelle auch kaum zu übersehen. Auf die Gefahr hin, dass ich einigen Einwohnern unrecht tue: den Grünwaldern kann ich nur gratulieren, Verdrängung funktioniert in der Wohngegend der FC-Bayern-Bonzen, Neu- und Altreichen und der Münchner Bussi-Bussi-Gesellschaft ganz wunderbar… :-((((

Hubertus von Pilgrim / Wikipedia

Todesmärsche von KZ-Häftlingen / Wikipedia

„Das Unsagbare zeigen“ @ NS-Dokumentationszentrum München

„Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen.“
(Primo Levi, 1986)

Die ehemalige „Stadt der Bewegung“ hat es knapp vor dem siebzigsten Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs dann doch noch geschafft, das NS-Dokumentationszentrum München auf dem ehemaligen Gelände des sogenannten „Braunen Hauses“ an der Brienner Straße zu eröffnen. Was beispielsweise in Berlin mit der Dokumentationsstätte „Topographie des Terrors“ seit 1987 längst „State Of The Art“ ist, hat in der bayerischen Landeshauptstadt, in der die Uhren doch wieder etwas langsamer tickten, gefühlte Ewigkeiten auf sich warten lassen. Hinsichtlich Architektur, Präsentation und Technik ist die Münchner Dauerausstellung selbstredend auf dem neuesten Stand, aber ganz ehrlich: einige Jahrzehnte mehr an öffentlicher Auseinandersetzung mit der Münchner NS-Zeit hätten nicht geschadet, zumal keine andere deutsche Stadt von Beginn an ein derart enges Verhältnis zur NSDAP hatte wie das Isar-Millionendorf. Die ansonsten in ihrem Fach recht durchschnittliche Münchner Kabarettistin Luise Kinseher hat hierzu einen schönen Satz in der „Süddeutschen Zeitung“ zum Besten gegeben: „70 Jahre braucht der Münchner, um eine Idee davon zu bekommen, wie er seine Nazi-Vergangenheit aufarbeiten könnte. Wäre der Hitler nicht gestorben, hätten wir es wahrscheinlich ganz vergessen.“
Abgesehen davon, dass man Vergangenheit nicht aufarbeiten kann: ich befürchte es auch…

Am Standort des Dokumentationszentrums war ein 1928 errichtetes Palais beheimatet, dass 1930 zur Parteizentrale der NSDAP umgebaut wurde. In den folgenden Jahren diente das „Braune Haus“ als Sitz von Büros verschiedener Parteiorganisationen (u.a. SA-Leitung, Oberstes Parteigericht, Reichs-Pressestelle) sowie hochrangiger Parteifunktionäre (u.a. Adolf Hitler, Rudolf Heß und Hans Frank).
1945 wurde das Gebäude bei Luftangriffen auf München schwer zerstört, 1951 wurden die letzten Trümmer beseitigt.

Seit 1. Mai 2015 ist das NS-Dokumentationszentrum der Öffentlichkeit zugänglich, die Obergeschosse 2 bis 4 zeigen Dauerausstellungen zu den Epochen 1918 – 1933, 1933 – 1939, 1939 – 1945 und „Nach 1945“, in letzterer werden unter anderem Themen wie der aktuelle NSU-Prozess oder das Münchner Oktoberfest-Attentat dokumentiert. Mit den Obergeschossen 2 bis 4 habe ich mich bisher noch nicht näher auseinandergesetzt, insofern gilt hier im Blog zum Thema NS-Dokumentationszentrum: Fortsetzung folgt.

Im 1. Obergeschoss werden wechselnde Sonderausstellungen zum Thema „Auseinandersetzung mit der NS-Zeit nach 1945“ gezeigt, den Auftakt macht die Präsentation „Das Unsagbare zeigen. Künstler als Warner und Zeugen 1914 – 1945“, in der bis zum 30. August 2015 Werke diverser Maler, Zeichner und Graphiker ausgestellt werden, die sich unmittelbar künstlerisch mit der Zeit und der politischen Situation zwischen 1914 und 1945 speziell in Deutschland auseinandergesetzt haben.
Interpretiert werden der Aufstieg und die Etablierung des Terrorregimes der Nationalsozialisten, gezeigt werden beklemmende Darstellungen bekannter Künstler wie Käthe Kollwitz, Otto Dix oder John Heartfield ebenso wie Arbeiten unbekannter Künstler, die in Konzentrationslagern entstanden und das Grauen unmittelbar aufzeichneten.

Das Unsagbare zeigen. Künstler als Warner und Zeugen 1914 – 1945
Bis 30. August 2015
NS-Dokumentationszentrum München, Brienner Straße 34
Sonderausstellung, 1. Obergeschoss
Öffnungszeiten:
Dienstag bis Sonntag 10.00 – 19.00 Uhr
Eintritt für das gesamte Dokumentationszentrum bis 31. Juli 2015 frei.

NS-Dokumentationszentrum München / Homepage