Ausverkauftes, vollgepacktes Haus beim Münchner Auftritt der texanischen Band Explosions In The Sky, die ihre Instrumental-Kunst ausdrücklich nicht im Lager des Postrock verortet wissen will, Namen sind letztendlich auch Schall und Rauch und die Etikettierung egal, bei einem Auftritt des für konzertante Aufführungen mit Carlos Torres zum Quintett erweiterten Kollektivs allemal.
In einer stimmigen Werkschau aus Arbeiten ihres aktuellen Albums „The Wilderness“ und älteren Juwelen vom Kaliber „First Breath After Coma“ oder „Your Hand In Mine“ aus ihren herausragenden Vorgänger-Alben wie dem fälschlicherweise thematisch mit den 9/11-Anschlägen in Verbindung gebrachten „Those Who Tell the Truth Shall Die, Those Who Tell the Truth Shall Live Forever“ (2001) oder dem 2003er-Meisterwerk „The Earth Is Not a Cold Dead Place“ (alle: Temporary Residence Limited) wusste die Band in einem einzigen Fluss und mit ineinander greifenden Übergängen die Gefolgschaft zu überzeugen, wo andere artverwandte Bands die Gitarren-Ergüsse übereinander schichten, die für den Postrock mehr oder weniger obligatorische Wall of Sound in den Saal stellen und so die tonale Klimax suchen, mäandert der EITS-Sound in einem einzigen Strom von erhabener, getragener Sound-Schönheit hin zu Noise-Rock-artigen, mit zwei Bässen forcierten Orkanen und mittels abstrakter Ambient- und Electronica-Übergänge wieder zurück in ruhigere, würdevollere Fahrwasser, ein stetes An- und Abschwellen, dem klanglichen Gesamtkunstwerk dienend.
Knapp neunzig Minuten, sinnbildlich zwischen klaren Gebirgsbächen, hereinbrechenden Springfluten und sich Bahn suchenden Wassermassen nach dem reinigenden Sommergewitter.
Explosions In The Sky: Nie waren sie im Sinne der Diversifizierung des instrumentalen Indie-Rock wertvoller als heute.
(*****)
Filmkunst von Peter Simonite und Annie Gunn zu gepflegten Postrock-Klängen: „Postcard From 1952“ aus dem 2011er-Album „Take Care, Take Care, Take Care“ der texanischen Instrumental-Combo Explosions In the Sky, die am kommenden Dienstag im Münchner Strom die Glückshormone in Wallung bringen wird…
Waves – Stargazer (2015, Waves)
Die Postrock-Band aus München hat bereits Ende 2012 mit den sechs Instrumental-Perlen ihrer äußerst gelungenen Debüt-CD ‚Lights & Colours‘ respektabel vorgelegt und sich darüberhinaus in den vergangenen Jahren ihre Meriten durch beeindruckende Konzerte erworben, unter anderem zusammen mit US-Größen des Genres wie Russian Circles und Caspian, im vergangenen Herbst ließ sie nun einen weiteren großen Wurf in Form des Longplayers ‚Stargazer‘ folgen – in der persönlichen Jahresrückschau Platz 17 der 2016-Tonträger und allein schon darum hinsichtlich Besprechung längst überfällig.
Das aktuelle Werk glänzt durch glasklaren Anschlag der Saiteninstrumente und vertrackte, repetitive Temporeduktionen, die immer wieder Anläufe für die Band-typischen, überbordend-hymnischen Gitarren-Attacken nehmen, welche sich in bombastischem, jedoch nie überproduzierten Sound-Gewand präsentieren, Klangwellen gleich, um in der Bildsprache des Bandnamens zu bleiben.
Die einzelnen Stücke halten gekonnt die Waage zwischen feinen, nahezu kontemplativen Klängen und einer befreienden, ausufernden Härte, die immer die melodiöse Komponente berücksichtigt.
Etliche Stücke wie „Stargazer II“ sind geprägt von einer spannend-nervösen 80er-Post-Punk-Rhythmik, das über 10-minütige, zentrale Werk „Hikikomori“ besticht durch bereichernden Beitrag des E-Bows.
Wiederholte Male vermeint der Hörer sporadisch die ergreifende Dramatik der Morricone-Filmmusiken zu verspüren, für kurz aufflackernde Momente würde man sich nicht wundern, wenn der alten Clint auf dem Gaul mit Kippe im Wundwinkel ums Eck geritten käme…
(**** ½ – *****)
Unknown Connection Failure – Ships Will Sink EP (2015, Unknown Connection Failure)
Feinsten Post-Rock und gewichtige Instrumental-Epen bieten die sechs Musiker von Unknown Connection Failure aus Hamburg auf den drei ausgedehnten Klangwerken ihrer letztjährigen EP, der langsame, getragene, sorgfältige Aufbau der Sound-Landschaften mutet dunkel-düster, nahezu sakral an, der dynamische, hypnotische Spannungsaufbau nimmt eine Entwicklung hin zu einer sich in der Stimmung aufhellenden, erhabenen Schönheit, im Sinne der neueren Klassik drängen sich Referenzen zu Górecki in ihrer Bedeutungs-schwangeren Schwere zu Beginn und die Tondichtkunst der kanadischen Postrock-Größen Godspeed You! Black Emperor in den komplexen Strukturen und beim euphorisch-befreienden Auflösen der jeweiligen Stücke auf, wie die Stil-prägende Band aus Montreal versteht es auch das norddeutsche Sextett äußerst gekonnt, mittels gesampelten Spoken-Word-Fragmenten sowie Glockenspiel- und Violinen-Beigaben zum wuchtigen Gitarrensound die gängigen Grenzen des Postrock und konventionelle Klischees weit hinter sich zu lassen.
Wer an dieser opulenten Spielart der Instrumentalmusik Gefallen findet, sollte tunlichst auch seine beiden Ohren dem 27-Minuten-Epos der Band aus dem Jahr 2010 leihen, das sie auf der EP ‚Arms To Walk Legs To Run‘ zelebrierte.
(**** ½ – *****)
Unknown Connection Failure spielen zusammen mit den Münchner Postrockern Waves am 16. Juni in der Hamburger Astra-Stube und am am 17. Juni im Berliner Schokoladen.
Mogwai – Atomic (2016, PIAS UK / Rough Trade)
Die schottische Postrock-Institution Mogwai ist im vergangenen Jahr zum Quartett geschrumpft, Gitarrist John Cummings hat die Band wegen geplanter Solo-Projekte verlassen. Ersatzweise musizieren auf dem neuen Tonträger Sophia-Chef Robin Proper-Sheppard und der sporadische Mogwai-Tourbegleiter Luke Sutherland mit.
Mit ‚Atomic‘ veröffentlichen die Glasgower den Soundtrack zur BBC-Doku „Atomic, Living in Dread and Promise“ über die Entstehungsgeschichte der Atombombe und die Schrecken des Nuklearzeitalters – die vierte Film-Musik der Combo nach den Arbeiten zur stinklangweiligen Experimental-Dokufilm-Fußball-Meditation ‚Zidane: A 21st Century Portrait‘ (2006, Play It Again Sam), ihrem Beitrag zum Fantasy-Streifen ‚The Fountain‘ (2006, Nonesuch) und dem sehr ansprechenden Soundtrack zur französischen Mystery-/Horror-Serie ‚Les Revenants‘ (2013, Rock Action).
Auf ‚Atomic‘ setzen die Schotten vermehrt auf meditativen Elektro-Ambient, sie entfernen sich zum Teil deutlich von den ausgetretenen Postrock-Pfaden vergangener Tage, lediglich „Bitterness Centrifuge“ erinnert an die große, alte Mogwai-Schule, etliche Nummern offenbaren einen ausgeprägten Hang zu 70er-Prog- und Space-Rock-Elementen. Entschleunigung ist das große Thema.
(**** ½)
Explosions In The Sky – The Wilderness (2016, Temporary Residence Limited)
Die texanische Speerspitze des Postrock-Genres veröffentlicht nach einigen Soundtracks und Kollaborationen das erste Vollwerks seit fünf Jahren, das Quartett aus Austin kündigte die dargebotenen neuen neun Werke an als Mixtur aus “shoegaze, electronic experimentation, punk damaged dub, noise, and ambient folk somehow coexist without a hint of contrivance”, und damit wird offensichtlich, dass es mit dem stringenten Gitarrensound und den typischen Laut-Leise-Klangwellen der Band vorerst vorbei ist, auch Explosions In The Sky versuchen sich im Grenzensprengen der hergebrachten Instrumental-Muster, oft gelingt dies hervorragend wie beim dunkel-erhabenen Titelstück und in den rituell-beschwörenden Passagen, die sich gekonnt zwischen melancholischem und euphorischem Ausdruck bewegen, einige Male verzettelt sich die Band auch allzu sehr in geläufig-beliebigen Ambient-Drones, immer ist jedoch das Bemühen erkennbar, den typischen EITS-Sound neu zu erfinden und hinsichtlich Instrumentarium/Abstraktion/ Klangvielfalt zu erweitern, nachdem man bereits Anfang der 2000er Standards im Gitarren-dominierten Postrock setzte mit den beiden Ausnahme-Alben ‚Those Who Tell The Truth Shall Die, Those Who Tell The Truth Shall Live Forever‘ (2001) und ‚The Earth Is Not A Cold Dead Place‘ (2003, beide Temporary Residence Limited).
(****)
Im Oktober wird die Band zur Live-Präsentation des neuen Albums auch im alten Europa aufschlagen, unter anderem am 25. Oktober im Münchner Strom.