Top-Forty-Gigs 2019, Culture-Forum-Edition: die erinnerungswürdigsten, am längsten nachhallenden Konzerte des vergangenen Jahres, selbstredend wie immer rein subjektiv gewertet. Unterstützen Sie Ihre lokalen Festival- und Konzertveranstalter, knausern Sie nicht rum, wenn der Hut rumgeht, haben Sie im neuen Jahr 2020 bitte Spaß mit den MusikantInnen Ihres Vertrauens, zur Not auch für über 1000 Taler im VIP-Bereich des Stadions bei einem aufgewärmten Rock’n’Roll-Derivate-Scheißdreck wie Gewehre n‘ Rosen: Jeder nach seiner Fasson, the show must go on…
Feierwerk
Holly Golightly @ Kranhalle, München, 2019-12-03
„Don’t expect any Miracles“ warnte die britische LoFi-Songwriterin Holly Golightly Smith zu Beginn ihres Konzerts am Dienstag vergangener Woche diejenigen aus der Zuhörerschaft in der Münchner Kranhalle, die an diesem Abend zum ersten Mal in den Genuss ihrer Show kamen. Alle anderen wussten: Vorweihnachtliche oder wie auch immer geartete Wunder, ausgefeilte Finessen oder gar experimentelles Feuerwerk gab’s sicher nicht zu erwarten, schmissig-gepflegtes Rock’n’Roll-Entertainment mit der ein oder anderen ruppigen Ecke und Kante aber allemal, und dahingehend sollte das gut gefüllte Auditorium der vom Clubzwei präsentierten Veranstaltung auch keineswegs enttäuscht werden.
Begleitet wurde die gewohnt kratzbürstig gelaunte Frontfrau mit dem sarkastischen Humor an diesem Abend vom solide und unaufgeregt aufspielenden Trommler Bruce Brand, bekannt vor allem durch sein Mitwirken am unüberschaubaren Tonträger-Output der nahezu gleichsam unüberschaubaren Inkarnationen des englischen Indie-Tausendsassas und früheren Goligthly-Weggefährten Wild Billy Childish, in Sachen verlässliches und unaufdringliches Rhythmus-Geben stand Matt Radford am Upright Double Bass in nichts nach, Akzente setzte vor allem Gitarrist Bradley Burgess mit seinen exzellenten, locker aus dem Ärmel geschüttelten Rhythm-and-Blues-Licks – nicht anders als beim letzten Münchner Golightly-Gig in diesem Verbund vor gut drei Jahren im restlos ausverkauften Substanz-Club.
Die mittlerweile im amerikanischen Bundesstaat Georgia angelandete Londoner Königin der Schrammelgitarre hat über die Jahre ihren Hang zur ureigenen, zeitlosen Spielart des US-Rock’n’Roll, zu schmissigem Rockabilly, Blues- und Country-Twang mit dezenten Anleihen bei Soul und Gospel kultiviert, ihr früheres Faible für Garagen-Trash jeglicher Couleur offenbart sich dieser Tage vor allem im atmosphärischen Hall ihrer windschiefen Desert-Blues-Balladen, die Holly Golightly und ihre Mannen im Mittelteil der launigen, ausgedehnten 100-Minuten-Sause ausgiebigst als gespenstisch-schaurige Prärie-Beschallung in die Münchner Nacht heulen. Hätten Herrschaften wie David Lynch oder die Coen-Brüder das cineastische Machwerk mit dem New Yorker 5th-Avenue-Juwelier im Titel auf Zelluloid gebannt, Holly Golightly hätte anstelle von Film-Komponist Henry Mancini und seinem „Moon River“ den passenden Soundtrack zum – gewiss weitaus schrägeren – Schauspielern ihrer namensgebenden Filmfigur beitragen können, wer weiß. Da das Showbusiness nicht nur Glamour pur ist, wie sie an diesem Abend selbst anmerkt, wird es zum großen Hollywood-Auftritt vermutlich in diesem Leben nicht mehr kommen, die Realität sind verlorene Autoschlüssel und damit ein verschlossener Van mit dem gesamten Merchandising im fernen Hamburg. Bandleaderin und Begleit-Combo nahmen es mit nonchalanter Selbstironie, streuten eine Handvoll bewährte, auf den Kern reduzierte Blues-Standards wie „Big Boss Man“ und ein den Klauen Claptons entrissenes „Further On Up The Road“ in die reichhaltige Werkschau eigener Kompositionen, die trotz schwindender Garagen-Ruppigkeit den ewigen und unverfälschten Geist des Rock’n’Roll atmeten, in geerdeter Schlichtheit und ungeschliffenem Rohzustand, und damit war bei gefälligem Mitwippen des Tanzbeins allemal für einen höchst vergnüglichen und hoch unterhaltsamen Abend gesorgt – die Entscheidung pro Holly an diesem Abend sollte der Schaden der Besucherschar nicht sein, trotz massiver, dem Vernehmen nach stark aufspielender Giant-Sand-Konkurrenz in der H39-Halle nebenan.
Pelican + Slow Crush @ Hansa39, München, 2019-10-09
Unrunder Konzert-Abend zur vergangenen Wochenmitte im leidlich gut besuchten Hansa39-Saal des Münchner Feierwerk. Dabei war die Vorfreude zum Auftritt der US-amerikanischen Postmetal-Band Pelican groß, das Quartett zählt neben Formationen wie Russian Circles, Isis, Neurosis oder Jesu zur Speerspitze der Bewegung. Unvergessen ihr grandioser Auftritt beim belgischen dunk!Festival im Frühsommer 2016, der Gig in Flandern stach seinerzeit qualitativ weit aus dem dreitägigen Programm des alljährlichen Postrock-Gipfeltreffens heraus und veranlasste damit das Veranstalter-eigene Label zur Veröffentlichung des Mitschnitts auf limitiertem Vinyl. Der München-Auftritt 2019 wird hingegen kaum in die großen Momente der Pelican-Analen eingehen, das lautmalende Instrumental-Quartett aus Chicago erwischte im Feierwerk bei weitem nicht die besten Rahmenbedingungen ihrer Karriere für einen gelungenen Gig. Dabei startete die Formation um den entfesselt aufspielenden Gitarristen und Bühnen-Derwisch Trevor de Brauw furios, Nummern wie der Opener „Midnight And Mescaline“ funktionieren live wunderbar – wo das Material vom aktuellen, im vergangenen Sommer veröffentlichten Düster-Werk „Nighttime Stories“ so manche Fragezeichen nach der Sinnhaftigkeit einer weiteren Pelican-LP im immer gleichen Instrumental-Flow aufwirft, zeugte die konzertante Interpretation des fast komplett vorgetragenen neuen Werks von Funken-schlagender Energie und ungebändigter Spielfreude. Leider brachte defektes Equipment die zupackende Mixtur aus offensiven, stramm in den vordersten Fronten angreifenden Postmetal-Riffs, Sanges-freiem, Black-Sabbath-infiziertem Doom und großen Postrock-Dramen nach wenigen Stücken zum zwischenzeitlichen Erlahmen, der für die filigranere Gitarren-Arbeit zuständige Dallas Thomas zeigte sich ungehalten über seinen defekten Amp, das Gerät lieferte nicht das, was der Musiker wollte. Nach minutenlanger Unterbrechung und einem weiteren gescheiterten Versuch mit der defekten Marshall-Gerätschaft wurde mit dem Ersatz-Teil der Vorband improvisiert. Den regulären Set brachte die Band damit im strammen Drive zum glücklichen Ende, das Postmetal-Volk nickte gefällig mit bis zur einsetzenden Halsstarre. Finaler Stimmungstöter nach Bühnen-Abgang mit der Weigerung der Band, zusätzliches Material zur knappen Stunde als Zugabe zu kredenzen. Wo einer wie der gute alte Lou Reed selbst bei völlig verstimmten Saiten nur ein lakonisches „It’s good enough for Rock and Roll!“ knurrt und sein Gewerk zur Erbauung des Auditoriums unbeeindruckt fortsetzt, gaben sich die vier Wasservögel als Technik-Perfektionisten und verweigerten jedes weitere Zutun. Im Saal hätte außer den Musikern selbst wohl kaum jemand den Unterschied in der Wiedergabe des Gitarrenanschlags auf improvisiertem Equipment benennen können, anyway, so fährt man eine Nummer, die trotz widriger Umstände gleichwohl im Wesentlichen funktionierte, endgültig gegen die Wand. Schade.
Bereits zuvor eine durchwachsene Darbietung: Den Auftakt der Veranstaltung bespielte das belgische Quartett Slow Crush um die englische Sängerin und Bassistin Isa Holliday, zur Bewerbung der für den 25. Oktober geplanten Veröffentlichung des neuen Tonträgers „Ease“, im Opener mit einem hymnischen, melodischen, geradezu ergreifenden Hybrid aus Shoegazer-Romantik und Postpunk-Energie, dessen hohes Niveau im weiteren Verlauf des Auftritts bedauerlicherweise kaum gehalten werden konnte. Gegen Ende der guten vierzig Minuten ein weiterer Peak an euphorisierenden, Konzert-beschließenden Postrock- und Noisepop-Ergüssen, dazwischen reichlich, geradezu über Gebühr strapaziertes Shoegazer-Standardprogramm, das die engen Grenzen des Genres einmal mehr deutlich aufzeigte und wie bei vielen anderen Vertretern der Zunft unterstrich, warum das Songmaterial jedweder Combo dieser Spielart des Indie-Rock mit zu den austauschbarsten in der weiten Welt der lärmenden Pop-Musik zählt. Die Lichtshow und die gelegentlich zwischen Noise-Rock und Grunge taumelnden Eruptionen setzten unbedingt gefällige Akzente, das Potential der Band scheint jedoch (bisher) nicht ausgeschöpft, die Reise der vier Musikanten nahm vor zwei Jahren erst ihren Anfang, und es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen…