Flandern

Reingehört (540): Kludde

Kludde – In de Kwelm (2019, Consouling Sounds)

Kludde ist eine fiktive Figur aus der flämischen Folklore, ein Quälgeist oder Dämon, der vielerlei Gestalten annehmen kann. Seit gut fünfzehn Jahren erscheint er sporadisch in diversen Inkarnationen als vierköpfiges Black-Metal-Monster vornehmlich in der belgischen Stadt Aalst, die Bühnen-Namen der vier aktuellen Musikanten – Cerulean, Snoodaert, Basstaerd & Vellekläsjer – klingen selbst nach Fabelwesen aus der Fantasy-Schwarte. Mystisch bleibt es in den Texten von Nummern wie „Schabouwelijke Praktijken II – De Commerçant“ oder „Schramoeille“ vom jüngst erschienenen Longplayer „In de Kwelm“ – im Mindesten voll umfänglich für alle, die des belgischen Niederländisch nicht mächtig sind. In den Klangwelten des schwarzen Metal im geschmeidigen Crossover zum dunklen Sludge sprechen Kludde hingegen eine über die Grenzen Ostflanderns hinaus verständliche Sprache, der grölende Kehlgesang und der stramme Instrumenten-Anschlag des Quartetts brauchen keine internationalen Vergleiche scheuen. Das direkte und aggressive Draufhauen flankieren bisweilen schemenhaft durchschimmernde, angedeutete Melodien und flotter Hardcore-Punk-Drive, was die metallene Härte betrifft, wird damit alles nicht so heiß gegessen, wie es im brodelnden Höllenschlund eingekocht wird. Country-Ikone Johnny Cash hat in den Achtzigern die irgendwie ziemlich unhumorige Nummer „Heavy Metal (Don’t Mean Rock And Roll To Me)“ geträllert (dabei war er zeitlebens selbst ein „Man in Black“ und in seinen alten Tagen Auftraggeber für Metal-Produzent Rick Rubin), den ignoranten Text aus der Feder der Herren Clark/McBride widerlegen Kludde mit ihren acht aktuell veröffentlichten Nummern erschöpfend und jegliche Widerrede platt walzend, wobei das über zehn-minütige Finale „De Laatste Reis“ als eingangs zäher Doom-Brei mit hintenraus gesteigerter Speed-Variante und finsterem Drone-Abgang etwas aus dem Konzept-Rahmen des Albums fällt – Diversity Rules, sowieso, da ist der Dämon tolerant, die Spielarten des Metal waren schon immer (m/w/d), mindestens…
„In de Kwelm“ ist seit vergangenem Freitag über das belgische Experimental/Postrock/Metal-Label Consouling Sounds aus Gent am Markt.
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Reingehört (537): Youff

„…finds liberation in daydreaming about having the confidence of a psychopath.“

Youff – 20/20 Hindsight (2019, Stadskanker)

Die belgische Noise-Band Youff aus Gent hat sich im Sommer 2018 für fünf Tage in einen alten Schuppen zurückgezogen und mit Kasper De Sutter von El Yunque live im Studio neunzehn neue Nummern eingespielt, roh und unbehandelt, so, wie es dem Sound der lärmenden Kapelle entspricht und ohne Zweifel am zuträglichsten ist.
Das aufgezeichnete Material soll in 2019 über zwei Alben verteilt im Laufe des Jahres veröffentlicht werden, der erste Wurf ist mit dem Tonträger „20/20 Hindsight“ für kommende Woche angezeigt.
Schwere Geschütze, die das Quartett aus Flandern damit auffährt: Der egozentrische Gesangspart ein verzweifeltes Geplärr, verzerrt und schrill, sich in irrsinniger Raserei windend, kurz vor dem endgültigen Überschnappen in die Hysterie, in zurückgenommener Ausprägung in Dauerschleife repetitiv, nahezu katatonisch vor sich hin schwadronierend – Lautsprecher Michiel De Naegel reiht sich damit ein in die Riege der selbstreinigenden Schrei-Therapeuten, die das Innerste ungefiltert nach außen kehren und dabei weder sich selbst noch die Konsumenten-Schar mit ihren Ausbrüchen schonen. Komfort-Zonen und Wohlfühl-Oasen muss sich die Hörerschaft woanders suchen, hierzu ist in den elf unvermittelt mit der Tür ins Haus fallenden Titeln kein Land in Sicht, nirgends. Der „Harshcore“ der Band trifft direkt ins Zentrum des Nervensystem und ist dabei gezeichnet von schnörkellos zuschlagenden, hart und dissonant klirrenden Gitarren-Riffs und einer bedingungslosen, nicht nach rechts oder links schielenden Brachial-Rhythmik im straighten Vorwärtsgang. Eine frontal angreifende Spielart aus spartanischem, stumpfem No-Wave-Stakkato und radikalem Hardcore, die den analog erzeugten, energetischen DIY-Postpunk der Belgier in die Nähe von verfremdetem, experimentellem Industrial-Lärmen rücken – die letzten, sich final aufbäumenden und weithin vernehmbaren Zuckungen von automatisierten, aus dem Ruder laufenden und kollabierenden Maschinen-Komplexen – oder ist es am Ende doch einfach nur die Marschmusik für alle Schwarzmaler und Nihilisten, die begleitende atonale Untermalung für den letzten Gang einer hoch komplexen und überzüchteten Zivilisation in Richtung Abgrund?
„20/20 Hindsight“ erscheint am 27. Mai beim belgischen Label Stadskanker in Brüssel, mit freundlicher PR- und Vertriebsunterstützung von Consouling Sounds.
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Reingehört (497): B / CHVE / Syndrome

B / CHVE / Syndrome – Reworks (2018, Consouling Sounds)

B wie Beats Per Minute, B wie Belgien, B wie Bert: Der flämische Sound-Tüftler Bert Libeert in seiner Inkarnation als Live-Techno-DJ B hat sich zweier ausgedehnter Solo-Arbeiten aus dem Dunstkreis des Künstler/Musiker-Kollektivs Church Of Ra zum gepflegten Remix angenommen, unter dem Motto „One Man Versus Four Machines“ erweitert er die Sound-Dimensionen und verändert die Charakteristika der Werke mithilfe zweier Synthies bzw. Drum-Maschinen. Die im Original vom getragenen, gleichförmigen Drehleier-Spiel dominierte Folk-Drone-/Ambient-Nummer „Rasa“ vom Solo-Projekt CHVE des Sängers Colin H. Van Eeckhout der Postmetal-Institution Amenra aus dem westflämischen Kortrijk und der gespenstische, diffuse Crossover-Flow aus artifiziellem Desert Blues, Postrock-Drones und dezent-dunkler Ambient-Electronica in „Forever And A Day“ aus dem Syndrome-Fundus seines Bandkollegen Mathieu Vandekerckhove, beides im Original jeweils ausgedehnte Kompositionen mit einer Länge um eine halbe Stunde, erfahren in der Libeert-Transformation eine mehrschichtige Bereicherung an Electronica-Samplings und synthetischer Rhythmik. Wo das ursprüngliche Material in seiner jeweils individuellen Ausgestaltung in düsterer, meditativer, mystischer Grundstimmung mit bezeichnender Church-Of-Ra-Schwergewichtigkeit seine Wirkung bis hinein in die hintersten, tiefsinnigsten Winkel des Gemüts entfaltet, verstärkt Klangforscher Libeert zum einen mit dunklen Basslinien den kontemplativen Flow und trimmt die Stücke darüber hinaus mit Variationen in der monotonen Taktgebung in Richtung Club-taugliche Tanzbarkeit. Der Trance- und Drone-lastige Ambient wird dank komplexer Maschinen-Samplings mit fundamentalem Industrial-Pochen und frei lichternden Darkwave- und EBM-Elementen verwoben und lässt die finsteren Impressionen damit zuweilen in freundlicheren, optimistisch gestimmteren Klangfarben leuchten.
Die „Reworks“ von B bringen die spirituellen, emotionalen Grenzerfahrungen der CHVE- und Syndrome-Soundscapes mit dem präzisen Pulsschlag des Old School Techno in Einklang, mehr Aufforderung zum Tanz und Nightclubbing-Spuk dürfte es bis dato nicht gegeben haben in den heiligen Hallen der Church Of Ra.
„Reworks“ ist Anfang November beim verehrungswürdigen Postrock/Postmetal/Experimental-Label Consouling Sounds im belgischen Gent erschienen.
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