Flying Nun

Mermaidens + Ippio Payo @ Maj Musical Monday #96, Glockenbachwerkstatt, München, 2019-05-20

Die 96. Ausgabe des Maj Muscial Monday wurde zum Wochenstart in der Münchner Glockenbachwerkstatt gemeinschaftlich von KiwiMusic-Konzertveranstalter Christian Strätz und MMM-Organisator Chaspa Chaspo präsentiert, die Do-It-Yourself-Reihe für lokalen und internationalen Indie-, Post- und Experimental-Rock wartete bei erfreulichem Besucher-Zulauf mit einem Paket aus hiesiger Postrock-Instrumental-Kunst und neuseeländischer Gitarren-Psychedelic auf, mit zwei Protagonisten, die in ähnlicher Form schon einmal vor einem guten halben Jahr im Rahmen einer Doppel-Veranstaltung aufeinander trafen.

Die qualitative Messlatte für den Abend legte Gitarrist Josip Pavlov mit dem Solo-Auftritt seines Postrock-Projekts Ippio Payo ordentlich hoch, und in dem Fall für alle folgenden Agierenden auch nicht mehr erreichbar. Über den in diesem Forum hoch geschätzten und oft gewürdigten Münchner Ausnahme-Musiker wie in zahlreichen örtlichen Bands engagierten Multi-Instrumentalisten zum x-ten Mal ausführlich zu referieren, kommt mehr und mehr dieser Athener Eulen-Nummer gleich. Den Lobpreisungen aus zurückliegenden Konzert-Besprechungen muss gleichwohl eine weitere folgen, neben seinen ausgeprägten technischen und kompositorischen Fähigkeiten versetzt Sound-Forscher Pavlov immer wieder mit der permanenten Weiterentwicklung und Mutation seiner experimentellen Klang-Gebilde in Erstaunen, mit einer steten Neuformulierung zusätzlicher Facetten und den Grenzen austestenden Improvisationen seiner energetischen Postrock-Flows.
Den Set eröffnete Ippio Payo am Montagabend mit der Aufführung einer in epische Länge gedehnten Version der neuen, vor wenigen Tagen bei Soundcloud veröffentlichten Nummer „Rückgebäude“, in der mittels Loops und repetitiver Samplings eine virulente, latent nervöse Minimal-Rhythmik mit wunderschönen Gitarren-Phrasierungen und sich überlagernden Sound-Schichtungen harmoniert. Mit weiterem Fortgang steigerten sich Intensität, stilistische Zitate und Härtegrade des hypnotischen Instrumental-Trance, in dem Pavlov mit Einsatz diverser technischen Gerätschaften seine Anlehnungen an das Gitarren-Treatment eines Brian Eno aus dessen Prä-Ambient-Phase in den Siebzigern auf rohe Postpunk-Riffs, experimentelles, bisweilen erratisches Saiten-Spiel und die unerschöpfliche Vielfalt seiner in die Jetzt-Zeit transportierten, heftig wie gleichsam detailliert umgesetzten Kraut- und Progressive-Rock-Interpretationen treffen ließ und in gedeihlichen Einklang brachte.
Der vor Ideen-Reichtum, spontanem Drive und komplexen Kompositionen strotzende Auftritt von Ippio Payo/Josip Pavlov war einmal mehr zeitlich viel zu knapp bemessen, der Münchner Klang-Magier bleibt erste Wahl als Lieferant für die tonale Endlos-Schleife zum Hinüberdriften ins glückselige Gitarren-Ambient-Nirvana.

Auf Ippio Payo traf die Gitarristin Gussie Larkin from down under bereits im vergangenen Oktober im KAP37 zum gemeinsamen Schaufenster-Konzert, die junge neuseeländische Musikerin war damals mit dem Drummer Ezra Simons und ihrem Duo-Outfit Earth Tongue zu Gast in der Stadt. Auf erneute Einladung von KiwiMusic-Spezialist Christian Strätz machte Larkin für die jüngste Runde mit ihrer Stammformation Mermaidens Halt an den Sturm-umwehten Gestaden der Isar-Ansiedlung, die Band aus Wellington bringt ihre Tonträger über das seit Jahrzehnten in Indie-Kreisen weltweit bekannte und geschätzte Flying-Nun-Label in Christchurch auf den Markt, in der Heimat eilt dem Trio ein guter Ruf für exzellente Live-Auftritte und hochgelobte Tonträger-Veröffentlichungen voraus.
Wo Gussie Larkin mit Earth Tongue deutlich strammer in die Saiten greift und mit dröhnenden Doom-Riffs die Herzen der Stoner-, Fuzz- und Acid-Rocker höher schlagen lässt, entspinnt sie zusammen mit Bassistin Lily West und Trommler Abe Hollingsworth ein deutlich filigraneres Geflecht aus entspannter Shoegazer-Melancholie und dunklem Slowcore. Dem schlafwandlerisch unaufgeregten Indie-Rock hätte eingangs der ein oder andere Schub an Dramatik-steigernder Härte und Noise-Ausbruch im Saiten-Anschlag durchaus gut zu Gesicht gestanden, etwas austauschbar und emotional ins Lethargische neigend gestaltete die Combo das Intro der ersten Nummern. Nach diesem Dream-Pop-Prolog im ausgedehnten Weltschmerz-Weiden inklusive lieblichem Mädels-Zweigesang wusste die NZ-Band mit fortschreitender Konzert-Dauer zusehends mehr Druck und Überzeugungskraft ins gemeinsame Musizieren einzubringen, mittels neo-psychedelischer Surf-Melodik, druckvollerem Beat, finster wummernden Bässen, sporadischem vokalen, lautsprechendem Ausbruch und im Speziellen mit den scharf angeschlagenen, durch die Nacht schneidenden Postpunk-Akkorden, die Gitarristin Larkin zum Ende des Vortrags hin häufiger aus dem Ärmel zauberte.
Unerwartet, fast unverhofft Würze ins Geschehen brachten zwei aufeinander folgende Strom-Ausfälle gegen Ende des Sets, die Konzert-Reihe des Maj Musical Monday hat bei weitem schon heftigere Lärm-Erschütterungen und atonalere Brachial-Attacken er- und überlebt, trotzdem verlangte die Technik an diesem Abend nach wiederholten Auszeiten. Ob die Sicherungen nicht mehr wollten oder der anhaltende Regenguss für spontane Kurzschlüsse sorgte, einerlei, die Band nahm es gelassen und setzte ihr Set unaufgeregt nach den beiden kurzen Unterbrechungen fort, steigerte zum Finale die Intensität ihres dräuenden Alternative-Rock-Gewerks und holte sich damit den letztlich wohlverdienten, wohlwollenden Applaus und die Bitte um Zugabe vom zahlreich anwesenden Publikum.

Der Maj Musical Monday im kommenden Monat entfällt wohl wegen des viertägigen Noise Mobility Festivals von 7. bis 10. Juni. Die Münchner Glockenbachwerkstatt ist an diesen Tagen erneut das Zentrum für die europäische Underground-Szene und Forum für experimentelle Pop- und Rockmusik, elektronische Avantgarde, Performance-Kunst, gesellschaftlichen Podiums-Diskurs, Ausstellungen und einen DIY-Flohmarkt.

Gussie Larkin tritt mit Mermaidens heute in Berlin in der Kantine am Berghain als Support für Hand Habits und am 25. Mai in Köln bei einem Privat-Konzert auf, am 28. Juni ist sie mit Earth Tongue im Rahmen des dreitägigen Raut Oak Fests am Riegsee zu Gast.

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Konzert-Vormerker: Mermaidens + Ippio Payo @ Maj Musical Monday #96

Die Indie-Gitarristin Gussie Larkin aus Wellington/NZ und der in München ansässige, in zahlreichen Bands/Projekten engagierte Sound-Pionier Josip Pavlov sind bereits im vergangenen Oktober beim famosen Doppelkonzert des neuseeländischen Psychedelic-Doom/Acidrock-Duos Earth Tongue und Pavlovs Postrock-Outfit Ippio Payo im KAP37 aufeinander getroffen, am 20. Mai wird es zu einer weiteren Begegnung der beiden im Rahmen der 96. Ausgabe des Maj Musical Monday in der Münchner Glockenbachwerkstatt kommen: KiwiMusic-Konzertveranstalter Christian Strätz und MMM-Macher Chaspa Chaspo präsentieren ein weiteres Kapitel aus den Klangreise-Erzählungen der experimentellen Instrumental-One-Man-Band Ippio Payo. Im Anschluss zum Konzert des Münchner Tausendsassas Josip Pavlov wird Gussie Larkin mit ihrer Stammformation Mermaidens auftreten, neben der jungen Sängerin und Gitarristin sind ihre langjährigen Freunde Lily West und Abe Hollingsworth an Bass und Trommel im Power-Trio aus der neuseeländischen Hauptstadt involviert. Die Combo ist beim renommierten Flying-Nun-Label in Christchurch unter Vertrag, in der Heimat am anderen Ende der Welt eilt dem Dreigestirn ein Ruf als exzellente Live-Band voraus, sie durften neben zahlreichen Festival- und Headliner-Auftritten bereits für namhafte Acts wie Sleater-Kinney, Death Cab For Cutie oder The Veils das Support-Programm bespielen.
Die seit 2014 veröffentlichten, regelmäßig von der Kritik gefeierten Tonträger der Mermaidens begeistern mit einer neo-psychedelischen Spielart des dunklen Postpunk, die mit melancholischer Shoegazer-Seligkeit und ruppiger Grunge-Fuzz-Kratzbürstigkeit einhergeht und im konzertanten Vortrag wie seinerzeit beim Earth-Tongue-Auftritt schwer vermutlich noch etliches an Intensitäts-Graden und Noise-Ausbrüchen zuzusetzen weiß. Aktuell ist Anfang April die Split-Single „You Maintain The Stain/Cut It Open“ bei Flying Nun Records erschienen.
Pflichttermin, nothing else (matters), egal, wer oder was an dem Abend in München sonst noch so antanzt…

KiwiMusic und Maj Musical Monday präsentieren: Mermaidens + Ippio Payo, Glockenbachwerkstatt, Blumenstraße 7, München, 20. Mai 2019. 20.00 Uhr.

Reingehört (282): The Bats

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The Bats – The Deep Set (2017, Flying Nun Records)

In den Achtzigern gab es einen mittelgroßen, nicht unberechtigten Hype im Indie-Bereich zum Thema „Pop-Musik aus Neuseeland“ im Allgemeinen und um das Flying-Nun-Label im Besonderen, losgetreten durch einen längeren Artikel im Fachblatt Spex, Tonträger-Würdigungen im britischen New Musical Express und nicht zuletzt den herrlichen Sampler „Tuatara – A Flying Nun Compilation“ aus dem Jahr 1985 mit tollen Bands vom anderen Ende der Welt wie den Sneaky Feelings, The Clean, den Chills oder den Verlaines und eben auch den Bats, das Quartett glänzte wie die genannten Kollegen mit dem Stück „I Go Wild“ in Sachen Indie-Rock und Gitarren-Pop im für das Umfeld typischen „Dunedin Sound“ und machte schwer Laune auf Alben wie die „By Night“-EP oder das 1987er-Werk „Daddy’s Highway“.
Velvet-Underground-beeinflusstes Gitarrengeschrammel, überschaubare Komplexität bei Bass-Spiel und Getrommel und ansprechendes, der Melodie zugewandtes Songwriting bestimmte das Klangbild der Combo aus Christchurch, die sich 1982 als Quartett formierte und seitdem personell unverändert mit einer zwischenzeitlich längeren Auszeit zwecks Familiengründungen und anderen lebenswichtigen Dingen sporadisch ihre Tonträger und Konzerte bespielte.
Auf „The Deep Set“ mag es ein wenig an Ecken und Kanten fehlen, welche Werke früherer Dekaden vor allzu viel Wohlklang bewarten, der Biss der Jugend ist dieser in die Jahre gekommenen Band zwangsläufig wie so vielen anderen auch etwas abhanden gekommen, für ein ansprechend-behagliches Indie-Gitarrenpop-Album im Geiste der Go-Betweens, „16 Lovers Lane“-Phase, Grant-McLennan-Abteilung, reicht es allemal noch, die Rein- und Schönheit der Melodie bricht sich in nahezu allen zwölf Stücken Bahn, ohne in saumseeligen Dreampop zu verkommen, und solange feinstes Liedgut wie das eindringliche, Ohrwurm-taugliche „Antlers“ oder melancholische Kleinode wie die Eröffnungsnummer „Rooftops“ ein Bats-Album zieren, muss man sich um die Band im Jahr 2017 keine Sorgen machen.
Wie schön, dass es in dieser sich ständig schneller drehenden Welt noch Dinge von Bestand gibt.
The Bats sollen laut Gerüchten im kommenden Sommer für einige Konzerte auch in Deutschland aufschlagen, man darf gespannt sein.
(**** ½)

Soundtrack des Tages (162): Sneaky Feelings

Entspannter Sonntags-Indie-Gitarren-Pop von den Sneaky Feelings aus Neuseeland: Die Band aus Dunedin benannte sich 1981 nach einem Song vom Elvis-Costello-Debüt „My Aim Is True“ (1977, Stiff), in den folgenden Jahren bis zur Auflösung im Jahr 1989 hat das Quartett um die beiden Sänger/Gitarristen Matthew Bannister und David Pine eine Handvoll schöner Indie-Pop-Alben beim Flying-Nun-Label in Auckland veröffentlicht und wunderbare Konzerte gespielt, für die sie sich die Roger-McGuinn-Gedächtnismedaille in Gold verdient hätten, gäbe es denn solch eine Auszeichnung.
Matthew Bannister ist heute wissenschaftlicher Mitarbeiter am Waikato Institute of Technology. 2006 hat er ein Buch mit dem Titel „White Boys, White Noise: Masculinities and 1980s Guitar Rock“ veröffentlicht. 1999 wurde seine Historie über die Band, die neuseeländische Musikindustrie und Flying Nun Records im Werk „Positively George Street: A Personal History of the Sneaky Feelings and the Dunedin Sound“ publiziert.
David Pine machte nach Auflösung der Sneaky Feelings Karriere im diplomatischen Dienst, 2012 wurde er zum High Commissioner of New Zealand in Malaysia berufen.
Schwer vorstellbar, aber offensichtlich gibt es ein Leben abseits der Pop-Musik… ;-)))

Reingehört (51)

KULTURFORUM REINGEHÖRT 51

The Soft Moon – Deeper (2015, Captured Tracks)
Der dritte Longplayer von The Soft Moon aus Oakland, Kalifornien, der Neo-Post-Punk-Band um den Bandleader, Sänger und Gitarristen Luis Vasquez, erweitert das Spektrum der Combo um Space-Psychedelic und Synthie-New-Wave im Stile düsterer Depeche Mode, kommt aber leider auch hier nicht aus der Achtziger-Jahre-Retro-Falle, in der sie bereits seit ihren beiden Vorgänger-Alben „The Soft Moon“ (2010) und „Zeros“ (2012, beide Captured Tracks) festhängen. Ich habe durchaus ein Faible für diesen Joy-Division-beeinflussten Sound, aber wie beim Konzert im Dezember 2012 im Münchner Orangehouse verblasst auch auf der neuen Scheibe der faszinierende Charme dieser hochenergetischen Düsternis recht schnell und wird im weiteren Verlauf monoton-urfad, wobei ich Vasquez‘ Gespür für alptraumhafte Soundlandschaften grundsätzlich zu schätzen weiß. Der Blick nach vorne würde dem Sound von Soft Moon in der Tat nicht schaden…
(*** ½)

The Stones – Three Blind Mice (2015, Flying Nun)
Eine der ersten Flying-Nun-Bands from Kiwi-Land, die den sogenannten Dunedin Sound durch die „Dunedin Double EP“ (1982, Flying Nun) prägten, die sie 1982 zusammen mit den bekannteren Neuseeland-Bands The Sneaky Feelings, The Verlains und The Chills einspielten. Gepuscht durch die Fachpresse, allen voran die Indie-Soziologen-Postille Spex, war der Stoff vom Flying-Nun-Label Ende der Achtziger auch hierzulande kurzfristig der ganz heiße Sch***, und das völlig zu Recht, gab es doch tatsächlich zahlreiche Gitarrenpop-Preziosen im fernen Neuseeland zu entdecken. Die Stones, deren Bandnamen ich für einen der gewagtesten in der Pophistorie halte, lösten sich bereits 1983 wieder auf, Wayne Elsey heuerte bei den Douplehappys an und verunglückte 1985 bei einem Unfall tödlich.
Die vorliegende Scheibe versammelt alle Singles der Band, das Material der erwähnten EP sowie diverse Live-Aufnahmen, die das Talent der kurzlebigen Combo für den Mix aus Schrammel-Pop, Garagen-Trash und Velvet-Underground-Denkmalspflege, wie er nur von dort unten kommen konnte, auf’s Vortrefflichste dokumentieren.
(**** ½)

Seasick Steve – Sonic Soul Surfer (2015, Caroline)
Grundsolider Blues vom erstaunlich jugendlich abrockenden, inzwischen 74-jährigen Seasick Steve, der auf dieser Scheibe in seinen besten Momenten an die inzwischen gut abgehangenen Bluesrock-Hämmer eines Captain Beefheart aus Safe-As-Milk-Zeiten erinnert. Der Mann mit den selbstgebauten Gitarren wird unter anderem unterstützt von Luther Dickinson von den Mississippi All Stars, der bei diversen Stücken an der Slidegitarre glänzt. Wer Seasick-Steve-Platten kennt, ahnt auch bei ‚Sonic Soul Surfer‘, was den Hörer erwartet: Jam-artige Blues-Grundmuster mit exzellenten Gitarrenlicks, die sich an der ein oder anderen Stelle gerne mit den Trance-Blues-Wunderwerken eines Otis Taylor messen lassen dürfen.
(**** ½)