Freikonzert

Rose Tattoo @ Backstage free & easy, München, 2019-07-25

Schweißtreibender Rock’n’Roll-Spaß am Donnerstag Abend in der Sauna-Landschaft des vollbepackten Münchner Backstage-Werks: Die australische Hardrock-Legende Rose Tattoo war im Rahmen des „Free & Easy“-Festivals als prominenter Headliner zu Gast in München. Trotz tropischer Temperaturen, die weit mehr nach Biergarten, Liegewiese im öffentlichen Bad oder Isar-Chillen schrien, folgte die Schar der altgedienten Hard-und-Heavy-Gemeinde dem Aufruf zum Freispiel bereitwillig, für lau hat da sicher als schlagendes Argument pro Indoor-Veranstaltung beim ein oder anderen Besucher gezogen.
Die Epigonen-Sets zum Thema „70er-Heavy-Rock“ der Abend-eröffnenden Raygun Rebels aus Bad Aibling und ihrer geistesverwandten Schwestern vom Stockholmer Damen-Quartett Thundermother gerieten wie so vieles im Leben zur reinen Geschmackssache, die wahlweise den Zweck der Publikums-Animation erfüllte oder die umgehende Flucht aus dem Saal befeuerte, in jedem Fall unzweifelhaft den qualitativen Unterschied zu den Originalen vor Augen führte, die mit den in Würde gealterten Herrschaften von Rose Tattoo den Hauptteil der Veranstaltung bestritten.
Böse Zungen und wahre Kenner behaupten bis heute, das selbstbetitelte 1978er-Debüt der Band wäre die beste AC/DC-Scheibe, die Angus und Co. nie selbst zuwege gebracht hätten, mit dem scharfen Slide-Gitarren-Spiel von Rose-Tattoo-Gründer Peter Wells im harten Blues-Rock-Format war man damals stilistisch tatsächlich nur einen Steinwurf von frühen, allseits bekannten Gassenhauern wie „High Voltage“, „T.N.T.“ oder „The Jack“ entfernt, und mit dem Produzenten-Duo Vanda & Young wurde die Combo aus Sydney zu der Zeit vom selben Team im Studio betreut wie die berühmteren Nachbarn von AC/DC.
Vom Line-Up des ersten Rose-Tattoo-Albums ist dieser Tage nur noch Sänger Angry Anderson am Start, fast alle Begleiter der Original-Besetzung sind mittlerweile den Weg alles Irdischen in die ewigen Jagdgründe gegangen, viele Umbesetzungen und etliche Auszeiten folgten im Laufe der vergangenen Jahrzehnte, mit dem früheren AC/DC-Bassisten Mark Evans hat man seit 2017 immerhin einen weiteren prominenten Vertreter des australischen Hard/Blues-Rock in der aktuellen Formation an Bord, so schließt sich der Kreis.
Rose Tattoo kennen offensichtlich ihre Stärken genau, und so drängte sich förmlich auf, dass sich in der Setlist des überhitzten Auftritts fast alle Kracher des ersten Longplayers finden, der Hit „Rock ’n‘ Roll Is King“ und der Titel-Track „Assault & Battery“ vom Folgewerk, dagegen kaum Nummern von späteren Veröffentlichungen – der Stoff, den die in die Jahre gekommenen Fans und Metal-Kuttenträger auch heute noch hören wollen.
Zum gedehnt-schneidenden Slide-Riff der grandiosen Slow-Blues-Moritat „The Butcher And Fast Eddie“ über das tödliche Duell zweier Gang-Leader weicht der singende und laufende Meter Anderson kurzerhand vom Text ab und erzählt die Geschichte in einer anderen Interpretation, der Stimmung tut dies zu der Gelegenheit keinen Abbruch – das Röhren und Knurren des Sängers mit der Reibeisen-Stimme, der mittlerweile auch seine 71 Lenze auf dem Buckel mitschleppt, krakeelt scharf und giftig wie in den Zeiten der aufbegehrenden Jugend, wenn auch dem Alter geschuldet ein abgeklärt über den Dingen stehender Angry alles andere als zornig auf den Bühnenbrettern flaniert, der permanent unter Strom stehende Rocker aus jungen Jahren îst Geschichte. Wer will es ihm verdenken, der Mann hat unter anderem schwierige Familien-Verhältnisse, Missbrauch und Elektro-Schocks in der Jugend wie einen „Mad Max“-Filmset mit Tina Turner und Mel Gibson überlebt, da darf man im Renten-Alter wohlverdient einen Gang zurückschalten. Der Sound der Band kommt unvermindert schneidig und feurig brennend, allem voran durch das exzellente Slide-Spiel von Gitarrist Dai Pritchard, im erdigen Crossover aus hartem Blues-Rock und energischem Rock’n’Roll-Drive, der wie einst nach Bier, Zigaretten, genagelten Motorrad-Stiefeln, Garagen-Schmutz, speckigen Lederjacken und damit nach glaubwürdiger Straßentauglichkeit klingt. Der zeitlose Klang der wütenden jungen Männer mit der Faust in der Tasche und den Testosteron-Wallungen, aus einer lange vergangenen Zeit, in der nur gestandene Rocker neben Seefahrern und Knast-Kameraden, ganz sicher aber nicht die Pendants zu dieser Hipster-Bagage heutiger Tage von oben bis unten mit Tinten-Kunst zugestochen waren, aus einer längst vergangenen Ära des Rock’n’Roll, in der die prominenteren australischen Kollegen noch im Erwachsenen-Alter mit Schuluniform und Ranzen herumkasperten oder – wie im speziellen Fall des guten alten Bon Scott – tragischerweise mit dem Alkohol nicht umzugehen wussten.
Wer hier abfällig das Ewig-Gestrige und die fehlende stilistische Weiterentwicklung im Blues-orientierten Hardrock anprangert, mag zum vergangenen Donnerstag im Backstage beim Vorprogramm sicher nicht falsch liegen. Dass sich auch am Sound von Rose Tattoo in den vergangenen vierzig Jahren nicht eine einzige Nuance geändert hat, ist hingegen eine willkommene Konstante, sie wird von den Fans genau so erwartet, und sie garantiert nach wie vor prächtiges Live-Entertainment. Das Böse-Buben-Image der Band kommt mittlerweile mit einem sympathischen Augenzwinkern, aber wenn’s hart auf hart kommt, gilt auch für die angebrochene fünfte Dekade von Angry & Co im Geiste von Sprung-Messern, Schlagringen und Tattoo-Shops in the suburbs north of the river: „Nice Boys Don’t Play Rock’n’Roll“

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Mitch Ryder @ Kunstfoyer Versicherungskammer, München, 2019-03-10

Bei weitem eine anständigere Nummer als die eingenommenen Versicherungsprämien mit Derivate-Wetten in Hedge-Fonds oder auf dubiosen Lustreisen der Vertreter-Schar zu verpulvern: Die Versicherungskammer Bayern tritt seit geraumer Zeit über ihre gemeinnützige Stiftung als Ausrichter exzellenter wie kostenfreier Ausstellungs- und Konzertprogramme in der Münchner Kulturlandschaft in Erscheinung, für die in die Jahre gekommenen Rock’n’Roll-Fans schlüpfte sie am vergangenen Sonntag in die Spendier-Hosen zwecks Engagement des US-amerikanischen Bluesrock-Shouters Mitch Ryder – die Detroit-Legende für lau, die 180 Freikarten Wochen zuvor in sensationellen 2 Minuten vergriffen, so wurden die begehrten Tickets schnell zum wertvollen Dokument.
Der bestuhlte Sitzungssaal der Versicherungsanstalt bot eine ungewöhnliche Lokalität für einen Rock-Gig, die anberaumte Zeit mit 18.00 Uhr alles andere als einen gängigen Konzert-Termin, zur Krönung selbst die Getränke kostenfrei, die Kulturstiftung wusste im Rahmenprogramm mit Überraschungen zu glänzen.
„Ein Stück Sicherheit“ prangte als Werbeslogan unter dem Unternehmenslogo am rechten Bühnenhintergrund, ein durchaus brauchbares Motto zum zweistündigen Konzert der US-Rock-Ikone Mitch Ryder, der seinem zugewandten Publikum exakt das lieferte, was es im Wesentlichen erwartete: Grundsolides Soul-, Blues-, Rock- und R&B-Entertainment, begleitet von der Ost-Berliner Band Engerling um den versierten Bluesharp-Spieler und Keyboarder Wolfram „Boddi“ Bodag, mit der Ryder seit Mitte der Neunziger regelmäßig in Europa tourt und seine jeweils aktuellen Tonträger einspielt. Das wäre alles nicht weiter spektakulär, zumal sich die Gitarristen der Combo nicht selten in gängigen Mainstream-Soli und Stadien-Rock-Riffs verloren, wäre da nicht immer noch diese außergewöhnliche, raue, brüchige wie tief-dunkle Soul-Stimme des kleinen, in dem Fall sehr großen Mannes aus Michigan.
Der 1945 als William Sherille Levise Junior in der Great-Lakes-Region nahe Detroit geborene Sänger mit der unverkennbar schroffen wie klagenden Reibeisen-Stimme stand bereits 1962 als Jugendlicher auf den Bühnen örtlicher Soul-Clubs, mit den Detroit Wheels feierte er ab Mitte der Sechziger einige Chart-Erfolge in der amerikanischen Heimat, in Großbritannien und Australien. In Europa hat Mitch Ryder vor allem durch seinen berühmten, in zahlreichen Ländern live ausgestrahlten „Rockpalast“-TV-Auftritt im Oktober 1979 bleibenden Eindruck hinterlassen, das legendäre „Full Moon Concert“ lange nach Mitternacht als Finale der 5. ARD-Rocknacht gilt vielen Kritikern und Fans als eine der Sternstunden des Rock’n’Roll – das Motto der Sicherheit war seinerzeit alles andere als groß geschrieben: Trotz vorangegangenen Handgreiflichkeiten zwischen den Musikern in der Garderobe und einem katastrophalen Interview vor dem Auftritt mit Moderator Alan Bangs, trotz ausgelebter, destruktiver Feindschaft zu sich selbst, zu seiner Band und zum Publikum wusste ein streitsüchtiger, schwer angetrunkener und pöbelnder Mitch Ryder mit diesen radikal ausgelebten Launen als Rock-Performer nachhaltig schwerst zu überzeugen, ein Talent, mit dem wohl nur die wahrhaft Großen des Fachs gesegnet sind.
Das Raubeinige im Charakter hat sich bei Ryder in den vergangenen Jahrzehnten längst abgeschliffen, der Sänger gab sich mit seinen mittlerweile 74 Lenzen auf dem gekrümmten Buckel am frühen Sonntagabend als altersmilder, höflicher, für seine Verhältnisse geradezu leiser Frontman. Von gesundheitlichen Rückschlägen gezeichnet, in den Bewegungen und Gesten reduziert, mitunter filigran und nicht mehr völlig trittsicher auf den Beinen, ist Ryder dem eigenen Bekunden nach dankbar, dass er noch als Sänger auftreten darf, nachdem eine Kehlkopf-Erkrankung im Vorjahr dahingehend schwerwiegende Zweifel aufkommen ließ. Damit nimmt es nicht weiter Wunder, wenn manche Passage in Hits wie „Tough Kid“, „War“ oder „Bang Bang“ nicht mehr dergestalt kräftig geknurrt wie in vergangenen Zeiten grollen und vibrieren, der Mann am Mischpult hat durch die überlauten Gitarren zu der Gelegenheit das Seine beigetragen – den tot-zitierten Allgemeinplatz, dass der Weiße keinen Blues singen kann, vermag Mr. Levise trotz Abstrichen zu vergangenen Glanz-Abenden nach wie vor eindrucksvoll zu widerlegen – sie offenbarte sich zu Zeiten und forderte Bewunderung, diese überwältigende Urkraft in der erhobenen Stimme, die Konzerte von Mitch Ryder nach wie vor aus der Masse der altgedienten Haudegen an Bluesrock- und Soul-Acts herausragen lassen: In der herzergreifenden Balladen-Version des Jimmy-Cliff-Klassikers „Many Rivers To Cross“, in der Verneigung vor R&B/Soul-Reverend Al Green mit dem oft gecoverten Soul-Hit „Take Me To The River“ oder der finalen, schwer Blues-lastigen Doors-Nummer „Soul Kitchen“, in der Mitch Ryder mit dem Ziehen aller Register seiner einzigartigen Vokal-Kunst unter Beweis stellte, dass er im Zweifel vermutlich der bessere Morrison gewesen wäre.
Mit der (unzweifelhaften) Bemerkung, dass ein Kollege wie Bob Dylan wohl mittlerweile am Ende wäre, blitzte kurz der alte Ryder-Sarkasmus auf, wenn sich der Meister auch postwendend gnädig gab und den fein abgerockten „Subterranean Homesick Blues“ mit den Worten ankündigte, man spiele ihn trotzdem, der Mann wäre ja zweifellos ein Heiligtum.
Der ein oder andere erwartete Klassiker fehlte in der Setlist, der Uralt-Bühnenfeger „Devil With A Blue Dress On“ etwa, „Little Latin Lupe Lu“ oder sein Song mit dem deutschen Titel „Er ist nicht mein Präsident“, der sich in Zeiten eines Donald Trump förmlich aufdrängt, die Nummer hat nichts an Aktualität verloren, wenn sie auch seinerzeit Anfang der Achtziger in Opposition zum neoliberalen B-Movie-Cowboy Ronald Reagan entstand. Mag sein, dass einer wie Mitch Ryder über die Jahrzehnte längst an der amerikanischen Politik verzweifelt ist, der betagte Sänger strahlte in seiner fragilen Erscheinung durchaus auch etwas latent Resignatives und Entrücktes aus – wie es sich für einen altgedienten Blues-Mann eben ziemt.
Nach gut zwei Stunden gediegenem Bühnen-Entertainment und Standing Ovations seitens der beinharten Ryder-Fans war klar, dass die Münchner Versicherung mit dem bis 1994 bestehenden Feuerschutz-Monopol auch beim spendierten Wandeln durch nahezu sechs Dekaden Rock-Geschichte nichts anbrennen ließ.