
Wie können wir leben, ohne Unbekanntes vor uns zu haben?
(René Char)
Das höchst subjektive Tonträger-Ranking für das Jahr 2018. Brauchbares aus den Sparten Indie-Rock, der freien Pop- und Folk-Spielart und aus der krachenden Alternative-Garage war im abgelaufenen Jahr allenfalls mit der Lupe zu finden, vieles aus der Ecke ist in den letzten Jahren im Grab der Belanglosigkeit verendet oder der Spur des Geldes folgend verräterisch ins Mainstream-Lager übergelaufen. Der Postrock in seiner zusehends mehr offensichtlichen Austauschbarkeit taugt auch in den weitaus meisten Ausprägungen nur noch zur „scheena Leich“, wie Wienerin und Wiener in ihrem unnachahmlichen Schmäh zu so einem Fall gerne anmerken, in 2018 galt es vornehmlich, das Heil im Experiment, im dissonanten Krach, in diversen Metal-Abseitigkeiten, in der Neoklassik, auf den wenig ausgetretenen Nebenpfaden und in den mutigen, Genre-übergreifenden Wagnissen zu suchen.
Etliches bleib wie auch alle Jahre zuvor unverdient unbeachtet links liegen, sorry dafür, aber alles ist wie das Dasein selbst endlich, auch jeder neue 24-Stunden-Tag, und manchmal findet das Leben ganz einfach auch woanders statt. Eine Handvoll Tonträger aus 2018 wird sicher noch als Nachlese im neuen Jahr kommen, eine gute, bereits veröffentlichte Platte bleibt schließlich auch im Jahr 2019 noch eine gute. Manches war die verschwendete Zeit nicht wert und blieb dementsprechend hier bewusst unerwähnt, den jeder noch so genüsslich-sarkastisch zelebrierte Verriss kostet weitere Stunden und bringt letztendlich weder Musikant noch Rezensent Freude.
Voila, das soll’s gewesen sein für heuer, an dieser Stelle. Herzlichen Dank allen regelmäßigen und sporadischen Leserinnen und Lesern, Kommentatorinnen und Kommentatoren, Material einreichenden Platten-Labels, Verlagen, Promotern und nicht zuletzt den vorgestellten Bands, Musikantinnen und Musikanten. Bleibt auf Sendung in 2019. Und bleibt vor allem gesund, aufrecht, ehrlich und Euch selber treu.
Und jetzt Flaschenöffner und Korkenzieher gezückt und hoch die Tassen, „schwoam ma’s owe“ (which means „spülen wir es hinunter“, for non-native speakers), wie wir in unseren Breitengraden in solchen Fällen zu sagen pflegen, das fast vergangene alte Jahr und seinen schmutzigen Rest.

(001) Poppy Ackroyd – Resolve (2018, One Little Indian)
Hochverdienter Platz 1 für die englische Pianistin Poppy Ackroyd. Ganz ohne Frauenquote, dafür mit großartigem, Herz-erwärmendem Neoklassik-/Electronica-Crossover. Instrumental, pur, überwältigend. Auch konzertant-solistisch großes Kino.
(002) Wrekmeister Harmonies – The Alone Rush (2018, Thrill Jockey Records)
Hinsichtlich Glanztaten aus der Ecke Postmetal/Ambient/Experiment sind J. R. Robinson und Esther Shaw seit Jahren eine mehr als verlässliche Größe, „The Alone Rush“ wartet zudem mit gewichtigen Inspirationsquellen aus der Welt der neueren Literatur auf, „Eine kurze Geschichte von sieben Morden“ von Marlon James und „Lincoln im Bardo“ von George Saunders funktionieren als anregende Lektüre zur Not selbstredend auch ohne den gewaltigen Klang-Rausch.
(003) Manu Delago – Parasol Peak (2018, One Little Indian)
Extrem-Bergsteigen und zu der Gelegenheit ein wunderschönes Potpourri aus Neoklassik, Jazz, Folklore und experimentellen Elementen als Field Recordings einspielen, Originelleres war im abgelaufenen Jahr nicht zu finden und zu hören, dank des österreichischen Grenzgängers Manu Delago und seiner begleitenden Bergfexe.
(004) Phal:Angst – Phase IV (2018, Bloodshed666 Records)
Und gleich nochmal Österreich: Strache, Kickl und sonstige Polit-Ungustln aus dem öffentlichen Leben mögen alles andere als zu Begeisterungsstürmen hinreißen, mit der Musi hat’s die Alpenrepublik hingegen scheint’s ganz gut erwischt im vergangenen Jahr, mit dem Electro-Postrock der Wiener Formation Phal:Angst in jedem Fall.
(005) Barst – The Endeavour (2018, Consouling Sounds)
Der Belgier Bart Desmet und sein Postrock-Kollektiv haben die Hörerschaft mit ihrem 2017er-dunk!-Festival-Auftritt aus den Socken geblasen, mit der entsprechenden, artverwandten Tonträger-Einspielung „The Endeavour“ ist ihnen im Jahr darauf das Kunststück erneut vollumfänglichst ein weiteres Mal gelungen. Mindblowing, grenzüberschreitend, Konventionen sprengend, „Mad Rush“ als multipler Postrock-Orgasmus.
(006) Dreamweapon – SOL (2018, Fuzz Club Records)
Minimalistischer Post-/Krautrock und Ambient-Experiment aus Portugal. Das Leben als psychedelischer Hypnose-Zustand.
(007) Kama Aina + Hochzeitskapelle – Wayfaring Suite (2018, Gutfeeling Records / Alien Transistor)
Munichs beloved Rumpeljazzer und der japanische Minimal-Indie-Artist Kama Aina in gedeihlichster Symbiose, fast noch eine Spur erhebender als das grandiose, Weltkulturerbe-verdächtige Hochzeitskapellen-Debüt „The World Is Full Of Songs“.
(008) Oiseaux-Tempête – TARAB طرب / Live (2018, Sub Rosa)
Der fulminante 2017er-Großwurf „AL-‘AN ! الآن (And Your Night Is Your Shadow – A Fairy-Tale Piece Of Land To Make Our Dreams)“ des Pariser Experimental-Postrock-Duos Oiseaux-Tempête funktioniert auch in seiner konzertanten Ausgestaltung prächtig, wir durften selbst in München im Herbst 2017 Zeuge werden, der im Rahmen dieser Tour entstandene Mitschnitt inklusive einer Auswahl neuer Arbeiten unterstreicht das einmal mehr.
(009) Tecumseh – For The Night (2018, Consouling Sounds)
Drone, Doom, Trance und verfremdeter Metal aus der rauschenden Klangwelt der Sound-Avantgardisten John Krausbauer, Ian Hawk und Jeremy Long. Es ist nie zu spät für einen ausgedehnten Trip.
(010) Sandro Perri – In Another Life (2018, Constellation Records)
Entspanntes, intelligentes Indie-Pop-Experiment mit Ausflügen in die Jazz-Bar und – ein oder zwei Etagen höher – in den Ambient-Space vom kanadischen Multi-Talent Sandro Perri.
(011) thisquietarmy – The Body And The Earth (2018, Consouling Sounds)
Der kanadische Experimental-Gitarrist Eric Quach zum ersten Mal mit eingespieltem Band-Format: So geht Postrock im fortgeschrittenen 21. Jahrhundert, und nur so hat er eine Überlebens-Chance. Heavyweight Crossover-Experiment at its best.
(012) HARPS – ORDERINCHAOS (2018, Self Release)
Like Fugazi never happened. Das Pariser Trio HARPS mit einer fulminanten Post-Irgendwas-Mixtur aus zwar nicht allem, aber sehr vielem, was an lärmender, moderner Rockmusik Freude bereitet. Play it loud!!!
(013) Innerwoud & Astrid Stockman – Haven (2018, Consouling Sounds)
Schwermut Forest mittels entrückter Neoklassik und experimentellen Drones von der belgischen Kollaboration Pieter-Jan Van Assche aka Innerwoud & Astrid Stockman. „Es gibt andere Welten als diese“, wie Jake Chambers im Dark-Tower-Epos von Stephen King zu sagen pflegt…
(014) A Veil Of Water – Late Night Loneliness (2018, Hidden Vibes)
Der Norweger Rune Trelvik mit komplexer Klang-Melancholie zwischen Postrock, Ambient und Minimal Music.
(015) Inwolves – Color In The Zoo (2018, 9000 Records / Consouling Sounds)
Die belgische Sound-Tüftlerin Karen Willems präsentiert sich auf diesem unkonventionellen Entwurf als würdige This-Heat-Erbin im Sinne der evolutionären Weiterentwicklung des experimentellen Postpunk- und Drone-Kosmos der britischen Progressive-Pioniere.
(016) Bill Frisell – Music IS (2018, OKeh / Sony Masterworks)
Bill Frisell und seine solistischen Fertigkeiten an der Gitarre waren auch 2018 eine Klasse für sich. Ein stets faszinierender Ausnahmemusiker, wie es nur wenige von seinem Schlag gibt.
(017) Willard Grant Conspiracy – Untethered (2018, Loose Music)
Farewell Robert Fisher. Das Vermächtnis des großen, schwergewichtigen und schwermütigen Americana-Eigenbrötlers, vom Langzeit-Weggefährten David Michael Curry würdig in finale Form gebracht.
(018) G.Rag Y Los Hermanos Patchekos – How Sweet The Sound (2018, Gutfeeling Records)
Konzertant seit jeher eine mehr als verlässliche Größe im Münchner Kulturleben, mit dem „Sweet Sound“ der aktuellen Scheibe nicht minder: Der vielbeschäftigte G.Rag mit einem seiner Big-Band-Outfits und einem schier unerschöpflichen Kosmos an scheppernden Weltklängen zwischen Sun-Ra-Interpretation und Isar-Swampland-Groove.
(019) Philip Bradatsch – Ghost On A String (2018, Trikont)
Der Allgäuer Roots- und Americana-Musiker Philip Bradatsch rettet via Giesinger Trikont-Label den Siebziger-US-Folk/Southern/Desert-Rock in die Neuzeit, wie dergestalt erhebend und beglückend sonst niemand im Jahr des Herrn 2018.
(020) SUMAC – Love In Shadow (2018, Thrill Jockey Records)
Die Postmetal/Sludge-Veteranen Aaron Turner, Brian Cook und Nick Yacyshyn mit ihrem bis dato reifsten, komplexesten und mutigsten Werk. Experimenteller Drone- und Doom-Lärm kann so herrlich sein.
(021) Jonas Hain – Solopiano / MMXV (2018, recordJet)
(022) Sirkus – The Noise Of Time (2018, Nasoni Records)
(023) Diamanda Galás – At Saint Thomas The Apostle Harlem (2017, Intravenal Sound Operations)
(024) Soul Grip & VVOVNDS – Split-EP (2018, Consouling Sounds / Hypertension Records)
(025) B / CHVE / Syndrome – Reworks (2018, Consouling Sounds)
(026) kj – ex (2018, Dronarivm)
(027) Møster! – States Of Minds (2018, Hubro)
(028) Common Eider, King Eider – A Wound Of Earth (2018, Consouling Sounds)
(029) The Dead Brothers – Angst (2018, Voodoo Rhythm Records)
(030) The Bevis Frond – We’re Your Friends, Man (2018, Fire Records)
(031) An Autumn For Crippled Children – The Light Of September (2018, Consouling Sounds)
(032) Runar Blesvik – Blend (2018, Fluttery Records)
(033) Elkhorn – The Black River (2017, Debacle Records)
(034) Bruno Sanfilippo – Unity (2018, Dronarivm)
(035) Ry Cooder – The Prodigal Son (2018, Caroline / Universal Music)
(036) Oiseaux-Tempête & The Bunny Tylers – The True History Of The Tortoise & The Hare According To Lord Dunsany / Live At Reunion On March 19, 2016 (2018, Ruptured / Cargo Records)
(037) Alexandra Stréliski – Inscape (2018, Secret City Records)
(038) DAS Hobos & Franz Dobler / Leonie Singt & G.Rag/Zelig Implosion Deluxxe – Remembering Nico 7“ (2018, Gutfeeling Records)
(039) Soul Grip – Not Ever (2018, Consouling Sounds)
(040) Rachel Grimes – The Doctor From India: Original Motion Picture Soundtrack (2018, Mossgrove Music / Temporary Residence Limited)
(041) Arms And Sleepers – Find The Right Place (2018, Pelagic Records)
(042) Los Gatillos – Los Gatillos (2018, Gutfeeling Records)
(043) Jet Plane – Falls Feather (2018, Ricco Label)
(044) Dan Caine – Cascades / Remastered (2018, Fluttery Records)
(045) David Eugene Edwards & Alexander Hacke – Risha (2018, Glitterhouse Records)
(046) El Yunque – O Hi Mark (2018, Sentimental)
(047) Onségen Ensemble – Duel (2018, Hell Fi Studios / Self Release)
(048) The Devil’s Trade – What Happened To The Little Blind Crow (2018, Golden Antenna Records)
(049) Sairen – Neige Nut (2018, Fluttery Records)
(050) Pabst – Chlorine (2018, Crazysane Records)
(051) Enob – La Fosse Aux Débiles (2018, Atypeek Music)
(052) Dirk Serries – Epitaph (2018, Consouling Sounds)
(053) Statues – Adult Lobotomy (2018, Crazysane Records)
(054) The Tidal Sleep – Be Kind EP (2018, This Charming Man Records)
(055) 42DE – EP (2018, Fluttery Records)
(056) Kaada – Closing Statements (2018, Mirakel Recordings)
(057) bvdub – A Different Definition Of Love (2018, Dronarivm)
(058) Dirtmusic – Bu Bir Ruya (2018, Glitterbeat)
(059) Dine Doneff – Rousilvo (2018, neRED Music / ECM Records)
(060) HEADS. – Collider (2018, This Charming Man Records / Corpse Flower Records / Heart Of The Rat Records)
(061) Pardans – Spit And Image (2018, Tambourhinoceros)
(062) Stony Sugarskull – Butterflies 7″ (2018, Self Release)
(063) Pigeon – Pigeon (2018, Black Verb / Antena Krzyku / Dunkelziffer)
(064) Electric Horseman – Arrival EP (2018, Klangkantine)
(065) The Bonnevilles – Dirty Photographs (2018, Alive Naturalsound)
(066) Kal Marks – Universal Care (2018, Exploding In Sound)
(067) Textor & Renz – The Days Of Never Coming Back And Never Getting Nowhere (2017, Trikont)
(068) Anenon – Tongue (2018, Friends Of Friends)
(069) Moodie Black – Lucas Acid (2018, Fake Four Inc.)
(070) Micah P. Hinson – At The British Broadcasting Corporation (2018, Full Time Hobby / Rough Trade)
(071) Headroom – Head In The Clouds (2017, Trouble In Mind)
(072) Psychic Lemon – Frequency Rhythm Distortion Delay (2018, Tonzonen Records)
(073) Keiji Haino & SUMAC – American Dollar Bill – Keep Facing Sideways, You’re Too Hideous To Look At Face On (2018, Thrill Jockey)
(074) Gura – Caligura (2018, Consouling Sounds)
(075) Mooner – Tabiat (2017, Bhang Records / Plastic Head / Outer Battery Records)
(076) LLNN – Deads (2018, Pelagic Records)
(077) Richard Luke – Voz (2018, 1631 Recordings)
(078) Mia Vita Violenta – Grey Seas EP (2018, Atypeek Music)
(079) Mouth – Floating (2018, Tonzonen Records / H’Art)
(080) Gulfer – Dog Bless (2018, Big Scary Monsters)
(081) Toundra – Vortex (2018, Inside Out Music)
(082) Kinky Friedman – Circus Of Life (2018, Echo Hill Records)
(083) Divide And Dissolve – Abomination (2018, Dero Arcade)
(084) Aaron Martin & Machinefabriek – Seeker (2017, Dronarivm)
(085) Saz´iso – At Least Wave Your Handkerchief At Me: The Joys And Sorrows Of Southern Albanian Song (2017, Glitterbeat / Glitterhouse)
(086) God Is An Astronaut – Epitaph (2018, Napalm Records)
(087) The Men – Drift (2018, Sacred Bones Records)
(088) Various Artists – Konkere Beats – YORUBA! – Songs And Rhythms For The Yoruba Gods In Nigeria (2018, Soul Jazz Records / Indigo)
(089) Noise Trail Immersion – Symbology Of Shelter (2018, Moment Of Collapse Records)
(090) Summer Effect – Reverie (2018, Fluttery Records)
(091) Deafheaven – Ordinary Corrupt Human Love (2018, Anti- / Epitaph)
(092) Bardo Pond – Volume 8 (2018, Fire Records)
(093) Wing Vilma – Safe By Night (2018, Young Heavy Souls)
(094) Gargle – Wading In Shallow Waters (2018, Fluttery Records)
(095) Table Scraps – Autonomy (2018, Zen Ten)
(096) Red Apollo – The Laurels Of Serenity (2018, Moment Of Collapse Records)
(097) Petrolio – Intramoenia: Noises For Angela (2018, Low Noise Productions)
(098) Des Demonas – Des Demonas (2017, In The Red)
(099) Half Japanese – Why Not? (2018, Fire Records)
(100) Godflesh – Post Self (2017, Avalanche Recordings)
(101) Winterlight – The Longest Sleep Through The Darkest Days (2018, n5MD)
(102) Mogwai – KIN (2018, Rock Action Records)
(103) Caroline Rose – LONER (2018, New West Records)
(104) William Elliott Whitmore – Kilonova (2018, Bloodshot Records)
(105) EMA – Outtakes From Exile EP (2018, City Slang)
(106) Aidan Baker & Karen Willems – Nonland (2017, Gizeh Records)
(107) Neurosis – Pain Of Mind – Remastered/Reissued (1987/2018, Neurot Recordings)
(108) The Hooten Hallers – The Hooten Hallers (2017, Big Muddy Records)
(109) Charming Timur – So Far So Good (2018, CD Baby)
(110) Emma Ruth Rundle – On Dark Horses (2018, Sargent House)
(111) Noise Raid – Trebellum EP (2018, Noise Raid)
(112) Sweet Apple – Sing The Night In Sorrow (2017, Tee Pee Records)
(113) Crippled Black Phoenix – Great Escape (2018, Season Of Mist)
(114) Television Personalities – Beautiful Despair (2018, Fire Records)
(115) Paulinchen Brennt – Wie Salz 7″ (2018, 30 Kilo Fieber Records / Different Records)
(116) Yo La Tengo – There’s A Riot Going On (2018, Matador)
(117) Nap Eyes – I’m Bad Now (2018, Jagjaguwar)

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