Gerhard Polt

Die virtuelle Reste-Schublade (1)

Kennt man wahrscheins aus dem heimischen Haushalt: Die Schublade, in der alles landet, was andernorts nirgends hinsichtlich Größe oder thematischer Zuordnung reinpasst oder keinen sinnvolleren, geordneten Aufbewahrungsort finden mag. Hier also in Zukunft sporadisch als neue Rubrik die virtuelle Schublade für „Irgendwas mit Medien“, Kulturgut-Fundstücke, Bücher, Musik, besonders schöne oder besonders hässliche Artefakte, et cetera pp – für den Rest vom Schützenfest eben, für den eine ausführliche Besprechung sich zeitlich nicht ausgeht, der thematisch keinen eigenen Beitrag hergibt oder was auch immer, jedenfalls zum Wegschmeißen/Unerwähnt-bleiben einfach eine Spur zu schade ist.

Im Bayerischen heißt „Die Schublade“ im übrigen „Der Schubladen“, männlicher/weiblicher Artikel, Ihr wisst schon. Aber Outside-Bavarians, obacht, die richtige Artikelverwendung gibt noch lange keine/n unserer schönen Landessprache Mächtige/n, wie der große Kabarettist, Hiesigen-Versteher und Namensvetter Gerhard Polt in seiner Auftakt-Nummer „Der Konservator“ der 2006er-Bühnennummern-Sammlung „Eine menschliche Sau“ (Kein & Aber Records) anschaulich erläutert, das nämliche Thema explizit ab circa Minute acht: guckst Du → youtube-Link

Stay at home, read a book – Daumen-hoch-Literatur:

John Steinbeck – Die Reise mit Charley. Auf der Suche nach Amerika (2007, dtv)

Der amerikanische Autor und spätere Literaturnobelpreis-Träger John Steinbeck beschleicht Anfang der 1960er das ungute Gefühl, dass ihm Verständnis und Gespür für sein eigenes Land abhanden kommen, begibt sich mit Luxus-Wohnmobil und Pudel-Hundsviech Charly auf eine Rundfahrt quer durch das Land von US-amerikanischer Ost- zur West-Küste und wieder zurück und findet Menschen mit politischen Einstellungen, liberalen wie reaktionären Ansichten, ausgeprägten Rassismus speziell in den Südstaaten und andere Eigenheiten des vielschichtigen sozialen Geflechts der Vereinigten Staaten, die sich von den aktuellen nach wie vor nicht groß zu unterscheiden scheinen, insofern: zeitlose Lektüre. Exzellente Reisebeschreibung wie kritische Auseinandersetzung mit der amerikanischen Gesellschaft: Steinbecks Schilderungen der Dialoge seiner Begegnungen, seine Reflexionen zur US-Geschichte, seine besorgten Anmerkungen zu Politik und gesellschaftlichen Tendenzen, die Beschreibung landschaftlicher Eigenheiten und Anmerkungen zur zeitgenössischen wie klassischen Literatur lesen sich auch weit über fünfzig Jahre nach Erstveröffentlichung im Jahr 1962 noch spannend wie erhellend. Damals bekam man den Nobelpreis eben noch nicht für eine Handvoll passable Protest-Liedlein und ein paar hingekrächtzte Sinatra-Interpretationen nachgeschmissen, da war noch herausragendes schriftstellerisches Handwerk und vom Genius durchwehte Fabulierkunst gefragt.

Joe R. Lansdale – Das Dickicht (2016, Heyne Verlag / Heyne Hardcore)

How the West was won: Texas-Trash-Schwergewicht Joe R. Lansdale mit einem Hardcore-Western zu Zeiten der amerikanischen Pocken-Epidemie kurz nach Anbruch des 20. Jahrhunderts. Der junge Jack Parker verliert seine Eltern an die Seuche und den Großvater als Erziehungsberechtigten in einer tödlichen Auseinandersetzung mit einer Handvoll hartgesottener Galgenvögel, die zur Krönung  auch noch seine Schwester verschleppen. Der vom Schicksal geschüttelte Jugendliche heuert zur Befreiung der nächsten Verwandtschaft Eustace Cox, einen farbiger Kopfgeldjäger mit einem Haustier-Eber und den Cox-Freund Shorty an, einen philosophierenden wie hart zupackenden Liliputaner; die Blut-getränkte, von roher Gewalt begleitete Suche führt die seltsame Truppe in Bordelle, zweifelhafte Kaschemmen, zu unwilligen Gesetzeshütern und eben ins Dickicht, dort, wo die Räuber hausen, zum finalen Showdown. Hauptprotagonist Jack durchläuft in kürzester Zeit die Entwicklung zum Mann, ungeschönt, in absurdesten Situationen schräg-niveauvoll mit satirischem Gespür gewohnt unterhaltsam von Lansdale geschildert. Und allgemein gültige Lebensweisheiten haut sowieso keiner unvermittelter und unzweideutiger raus als der gute Joe.

Joe R. Lansdale – Kahlschlag (2013, Suhrkamp)

Der Spätwestern zur #MeToo-Debatte vom Krimi/Horror/Southern-Gothic-Trash-Großmeister. Ost-Texas, Dreißiger Jahre: Constable Pete hurt sich lustig durch die Bordelle, vergewaltigt und prügelt daheim hingegen übellaunigst die eigene Angetraute Sunset, die die Faxen irgendwann dicke hat und folgerichtig dem Ungustl-Gatten den finalen Sonnenuntergang mittels Kugel aus der Dienstwaffe beschert. Schwiegermuttern schlägt sich auf ihre Seite, schmeißt den eigenen Alten raus und sorgt dafür, dass Frau Sunset mit Notwehr davonkommt und darüberhinaus auch noch den Gesetzeshüter-Job des hingeschiedenen Ehemanns erbt. Die junge Frau darf sich im Fortgang der flott und unterhaltsam geschriebenen Pulp Fiction mit etlichen Morden, Polizei-Korruption, krummen Immobilien-Geschäften, vagabundierenden Schwerenötern und schizophrenen Folterknechten in einer von Rassismus, Dummheit, Eifersucht und vor allem von eruptiver Gewalt dominierten Männerwelt rumschlagen. Es liegt auf der Hand: der Roman hätte auch viele Dekaden später in der Gegenwart des 21. Jahrhunderts spielen können.

Go to concerts, to the pub, to the match, to church, have a fuck, whatever, mach was Du willst, aber lass bitte die Finger von diesen Druckerzeugnissen:

„Wo warst Du heut Nacht, Jack Kerouac, ich habe dich gesucht,
würd gern wissen, wie es damals wirklich war,
Siebenundvierzig, Achtundvierzig, Neunundvierzig,
in Amerikaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa!“
(Sportfreunde Stiller, Unterwegs)

Anthony McCarten – Jack (2018, Diogenes)

Eine hanebüchene, urfad erzählte Geschichte über Beat-Literatur-Papst Jack Kerouac als sich totsaufendes Wrack in seinen letzten Zügen, der in seinem Alkohol-durchtränkten Elend von einer Studenten-Göre heimgesucht wird, die vordergründig seine Biografie schreiben will und ihn im eigentlichen Ansinnen als seine uneheliche Tochter mit seiner Vaterschaft konfrontiert.
Die Story ist das eine, maximalst erschwerend kommt hinzu: der Schreibstil ist das pure Grauen, farblos, ohne eigenen Charakter, austauschbar, das kriegt jeder halbwegs talentierte Oberstufen-Leistungskurs-Deutsch-Gymnasiast aus dem Stegreif um Längen besser hin, zu allem Überdruss garniert Autor McCarten die Chose mit Dialogen, die an Plattheit und nichtssagendem Geschwätz kaum mehr zu unterbieten sind – gegen dieses klatschhafte, erbärmlich unausgegorene Machwerk ist selbst die „Bunte“ gehobene Literatur. Gut, dass der alte Jack das nicht mehr erleben musste. Und das in einem Verlag, der Dürrenmatt, Andersch, Highsmith, Irving, Chandler zu seinen jahrzehntelangen Zugpferden zählt – o tempora, o mores

Sportfreunde Stiller – „Unterwegs“ → youtube-Link

10.000 Maniacs – „Hey Jack Kerouac“ → youtube-Link

Philip Kerr – Die Berlin-Trilogie (2007, Rowohlt Taschenbuch Verlag)

Der im vergangenen März mit 62 Jahren früh verstorbene schottische Autor Philip Kerr hat sich ein gebührendes Renommee in der Spannungsliteratur-Szene erschrieben, unter anderem mit unkonventionellen Krimis wie der SciFi-Utopie „Das Wittgensteinprogramm“ über zukünftige Fahndungs-Methoden und philosophierende Sereienmörder, oder „Der Tag X“, einem Verschwörungs-theoretischen Thriller über den Mordanschlag auf US-Präsident Kennedy. Mit der Serie über den im Berlin der Dreißiger Jahre ermittelnden Privat-Detektiv Bernie Gunther mag hingegen keine rechte Freude aufkommen. Den machthabenden Nazis ist man in jenen Jahren wohl kaum mit schnoddrig-zynischem Sarkasmus und Lonesome-Wolf-Gebaren a la Chandler/Hammett beigekommen, wie auch der geübten Krimi-Leserschaft nicht mit permanent bemühten, bildhaften Vergleichen in einem Erzählstil, der literarisch kaum höheren Ansprüchen genügt, mit Plots, Wendungen, konstruierten Zusammenhängen und Spannungsbögen, die in vielen anderen, oft weitaus inspirierter geschriebenen Sex-and-Crime-Schmonzetten auch zu finden sind. Dass die braune Brut ein widerliches Verbrecher-Pack war, dürfte bereits vorher bekannt gewesen sein, dafür muss man sich nicht durch tausende von Seiten einer auf elf Teile ausgewachsenen, mittelprächtigen Historien-Krimi-Reihe plagen.

Dean Koontz – Der Geblendete (2003, Heyne Verlag)

Der eigentliche Horror in diesem ellenlangen Schriftstück ist nicht die Geschichte vom Psychopathen, der an seiner schieren Mordlust zusehends mehr Gefallen findet, und seinem Widerpart, dem blinden Jungen mit den paranormalen Fähigkeiten, der wahre Horror sind der Zuckerguss-artige Kitsch und die Ami-Klischees, die aus fast jeder der langatmigen 880 Seiten triefen. Was den Horror-King betrifft, darf der gute alte Stephen nach wie vor sein Schwert in Highlander-Manier protzig gen Himmel recken und ein beherztes „Es kann nur einen geben!“ unwidersprochen in die Runde schmettern…

„Bei Euch läuft doch heut der Film wo der Charles Bronson alle Gammler derschiaßt???!!!!??“

Zweimal herausragende Solo-Auftritte, letztens im Kino: Einmal Marie Bäumer im Schwarz-Weiß-Streifen „3 Tage in Quiberon“ der deutsch-französisch-iranischen Regisseurin Emily Atef, als bis zur Schmerzgrenze (und darüber hinaus) Seelen-strippende Romy Schneider, in diversen Interview-Sitzungen und Suff-Exzessen mit einem Stern-Reporter während eines Kur-Aufenthalts an der bretonischen Küste. Achtung Zigaretten-Abstinenzler: Man bekommt allein vom Zuschauen mindestens schwersten Raucherhusten, wenn nicht weitaus Schlimmeres. Daneben in weiteren Hauptrollen, auch sehr glänzend: Birgit Minichmayr, Charly Hübner und Robert Gwisdek.

Filmtrailer „3 Tage in Quiberon“ → youtube-Link

Und der großartige Steve Buscemi als Nikita Chruschtschow in der Polit-Satire „The Death Of Stalin“ von Armando Iannucci, ein sehenswertes, das Lachen des Öfteren im Hals verklemmendes Ränke-Spiel des sowjetischen Politbüros nach Ableben von Uncle Joe, in dem der ausgebuffte Niki den NKWD-Schlächter Beria, die Herrschaften Molotow, Malenkow und das ganze andere Gesindel mustergültig ausmanövriert, permanent mit einem zur Schau getragenen, unnachahmlichen Buscemi-eigenen Mimik-Mix aus Besorgnis, Angewidert-sein und notorischem Sodbrennen. Der Film ist in den ex-Sowjet-Republiken Russland, Weißrussland, Kasachstan und Kirgisistan verboten – wie es halt so läuft bei „lupenreinen Demokraten“ und Konsorten im Post-Stalinismus.

Filmtrailer „The Death Of Stalin“ → youtube-Link

Zu guter Letzt: Zurück zur Werbung!

Molly Gene One Whoaman Band – „Amazing Grace“ → youtube-Link

We Stood Like Kings – „Live Session“ → youtube-Link

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Reingelesen (38)

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„(…) Feierlich überreichte man mir die Weißwurscht. Ich roch, prüfte noch einmal, dann schob ich sie in den Mund und zuzelte, zuzelte – dann hielt ich die Haut triumphierend in die Luft. „Und?“ Erwartungsvolle Augen blickten mich an. „Und?!“ „Sehr guat!“, sagte ich, „Sehr guat! – narrisch guat!“ Überall ein erleichtertes Aufatmen. „Guat“, sagte der Metzger, „wenn’s aso is, dann vakauf ma’s!“
Ob Sie es glauben oder nicht, diese langjährige Prozedur hat mein Selbstbewusstsein enorm befördert.“
(Gerhard Polt, Hundskrüppel – Lehrjahre eines Übeltäters, Die Weißwurscht)

„Ein Mensch, der noch lebt, hat keine Biografie verdient.“
(Gerhard Polt)

Gerd Holzheimer – Polt (2012, LangenMüller)

Jeder kennt einen hier in Bayern, der den Polt nicht mag. Zu nah am bayerischen Gemütszustand ist er oft dran, zu deutlich kehrt er das Verbohrte, Verquere, Verstocke der Leute heraus, zu oft bleibt dem Zuhörer das Lachen im Hals stecken. Oder wie es ein guter Freund mal treffend auf den Punkt gebracht hat: „Meine Verwandtschaft kann über den Polt überhaupt nicht lachen, die sind alle genau so wie seine dargestellten Figuren.“

Der durch seine Schreibe unschwer zu erkennende Polt-Fan Gerd Holzheimer hat sich 2012, aus Anlass zum seinerzeit 70. Geburtstag des bayerischen Kabarett-Giganten, mit Gerhard Polt auseinandergesetzt, und eine formal als Biografie angekündigte Themensammlung angelegt, weniger chronologische Lebensgeschichte, vielmehr Interpretationsansatz, der dem Wesen, dem Welt- und dem kabarettistischen Verständnis Polts über Schilderung, Deutung und Durchleuchtung von Episoden, Begebenheiten und Schaffensphasen nahezukommen versucht, an vielen Stellen durchaus mit Erfolg, vor allem, was den ersten, biografischeren Teil des Buches, „Im Lauf der Zeit“ überschrieben, betrifft.

Der Hang zum makaberen Schwank offenbart sich beim kleinen Gerhard bereits in der Kindheit im erzkatholischen Gnadenort Altötting, das gemeinsam mit gleichgesinnten Kindkollegen ausgeführte „Hineinsystematisieren“ von lebenden Hühnern in das monumentale Panoramabild „Kreuzigung Christi“, dem einzigen in Europa noch erhaltenen Panorama mit religiösem Hintergrund, spricht Bände, die Lehrjahre des Hundskrüppels eben.

„Ich erinnere mich noch, in der Stiftskirche von Altötting stand eine Uhr, wo der Sensenmann jede volle Stunde gemäht hat. Aus dieser Zeit stammt meine fatalistische Lebensauffassung. Wer neben einem Friedhof aufwächst, braucht sich später die Seinsfrage nicht mehr zu stellen.“
(Gerhard Polt)

Es folgen Geschichten zu den späteren Lebensstationen, die Jugend in der Münchner Amalienstraße, in der Zeit noch nicht vom Schutt des Bomben-Kriegs befreit, das Studium der Politikwissenschaft, von Geschichte und Kunstgeschichte in München und, unkonventionell und ganz Polt, von Skandinavistik und Altgermanisch von 1962 bis 1968 an der Universität Göteborg.
Später dann, glückliche Fügung des Schicksals, das Zusammentreffen mit dem Regisseur Hanns Christian Müller und der Schauspielerin Gisela Schneeberger, beide kurioserweise mit Polt im gleichen Bauensemble in der Münchner Maxvorstadt aufgewachsen, „schöner hätten’s die Tauben nicht zusammentragen können“, wie’s bei uns im Volksmund so schön heißt. Das deutsche Kabarett-Schwergewicht Dieter Hildebrandt wird langjähriger Wegbegleiter, ebenso wie der österreichische Volksschauspieler und Kabarettist Otto Grünmandl und die Vorzeigekapelle des bayerischen Volksmusik-Undergrounds, die Well-Brüder und ihre Biermösl Blosn. Erfolge und Anfeindungen mit der Fernsehreihe „Fast wia im richtigen Leben“, Hildebrandt’s „Scheibenwischer“, unzählige Auftritte, solo oder mit der Biermösl Blosn, im Bierzelt genau so begeisternd wie vor dem schwedischen Königshaus, Platten- und CD-Aufnahmen zuhauf, Programme an den renommierten Münchner Theatern, und zumindest mit „Kehraus“ eine gewichtige Kino-Produktion – was sich auf dem Polt-Konto in den letzten 40 Jahren angesammelt hat, er selbst würde es wohl mit einem gern verwendeten Ausdruck auf den Punkt bringen: enorm.
Kulturpreise „zum Sau-Füttern“, eine monatelange Ausstellung zum siebzigsten Geburtstag im Münchner Literaturhaus – zu Zeiten von Rhein-Main-Donau-Kanal-Bau und Wackersdorf noch auf einem Level mit bayerischen Staatsfeinden wie dem Passauer Kabarettisten und erklärten CSU- und Klerus-Feind Siegfried Zimmerschied, ist der Polt aus dem deutschen, speziell süddeutschen Kulturbetrieb heute nicht mehr wegzudenken, selbst beinharte CSUler gehören mittlerweile zum Stammpublikum.

„Früher habe ich von der alten Dame, sie hieß Zenta von Vegesack, bisweilen ein Zehnerl geschenkt gekriegt, um mir ein Eis zu kaufen. Aber seit sie zu meiner Mutter sagte: „Ich habe schon mit dem Zaren getanzt!“, und meine Mutter fragte „Mit welchem, Gnä‘ Frau?“ Seitdem habe ich nie mehr was gekriegt. Seltsam.“
(Gerhard Polt, Hundskrüppel – Lehrjahre eines Übeltäters, Seltsam)

Der zweite Teil des Buches, der den „Kosmos Polt“ hinsichtlich seiner Weggefährten wie den Biermösl Blosn oder den (nicht nur in dem Zusammenhang völlig überschätzten) Toten Hosen um den Punk-Kasperl Campino und der von Gerhard Polt bevorzugten Themen und Methoden durchleuchtet, geht dem Autor der Gaul hinsichtlich Interpretation des Polt’schen Schaffens mehrmals arg durch, die Verweigerungshaltung bezüglich Kooperation zum vorliegenden Werk, die Polt wiederholt auch zu anderen Gelegenheiten in dem Satz „I sog nix!“ manifestierte, wird in dem Abschnitt nachvollziehbar.
Wie der Presse seinerzeit zu entnehmen war, war er bockig, der Polt, hinsichtlich Interviews und Zusammenarbeit mit dem Autor Gerd Holzheimer, nicht weiter verwunderlich aufgrund des eingangs erwähnten Zitats. Machte die Sache für den Münchner Schriftsteller und promovierten Philosophen selbstverständlich nicht einfacher und erklärt größtenteils den unrunden Charakter des zweiten Abschnitts.

Holzheimer sinniert über den Umstand, dass der Polt diesen Erfolg nie gehabt hätte, gäbe es nicht die bayerische Staatspartei CSU, an der und deren typischen Wähler sich der Kabarettist reiben und abarbeiten konnte, andersrum wird wohl auch ein Schuh draus, die CSU wäre mitsamt ihrer vielbeschworenen Stammtisch-Hoheit und ihrer allumfassenden Präsenz im Freistaat kaum denkbar, wenn es nicht genau diese Beratungs-resistenten, sturen Querschädel im bajuwarischen Volksstamm gäbe, die wider besseren Wissens diesen Haufen immer wieder wählen, und die der Kabarettist immer wieder auf seine unnachahmliche Art so treffend porträtiert.

„Mit den Verlusten, die eine Gesellschaft zu beklagen hat, der die Nähe zu ihren eigenen Ursprüngen abhanden gekommen ist, besetzt er ein Thema der CSU, das diese Partei schon längst verloren hat. Es gibt eine seltsame Liebe zwischen einem Mann und einer Partei, in der die Partei ihren Mann erblickt, der Mann aber nicht seine Partei.“
(Gerd Holzheimer, Polt, Ohne uns gäb’s dich gar nicht: Gerhard Polt und die CSU)

Für jahrzehntelange Polt-Fans ist das Buch eine durchaus vergnügliche Lektüre, ob die zahlreichen Interpretations-Ansätze, Querverweise und Erklärungsversuche im eigenen Denk-Kosmos unterzubringen sind, kann nur der beurteilen, der das Werk des bayerischen Kabarett-Giganten letztendlich selbst durchdrungen hat, der vom Thema Unbeleckte wird dem Polt über die Lektüre kaum näher kommen, auch wenn das bayerische Wesen an sich an vielen Stellen durchaus originell und treffend erläutert wird.

Ich selber verfolge den Polt seit 35 Jahren, in Bierzelten, auf Theater- und Kleinkunst-Bühnen, mittels Ton- und Bildkonserven sowieso, nie war er mir näher als im Rahmen der Oskar-Maria-Graf-Lesung Anfang 2002 im Münchner Residenztheater, an dem Abend hat einfach alles zusammengepasst, unser großer bayrischer Schriftsteller vom Starnberger See als Autor sowieso, Gerhard Polt hat die humorigen Texte Grafs gelesen, der leider viel zu früh verstorbene, große Schauspieler Jörg Hube übernahm die ernsten, politischen Passagen, und die Biermösl Blosn hat dazu schön musiziert. Ganz weit vorne sind wir auch noch gehockt, im Theater, oder wie der Metzger-Ade sagen würde: „g’sitzt“ – eh klar: enorm. Der Rudi Löhlein war an dem Abend glaub ich nicht da…

Reingelesen (24)

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„2005 kam endlich die Umkehrung: Im Bayerischen Landtag wurde dem grünen Fraktionsvorsitzenden Sepp Dürr nach einem Zwischenruf vom unterbrochenen Redner öffentlich ins Gesicht geschleudert, er sei der verlängerte Arm der Biermösl Blosn!“
(Hans Well, 35 Jahre Biermösl Blosn, Heimat und Politik)

„Wir brauchen in Bayern keine Opposition, weil wir sind schon Demokraten!“
(Gerhard Polt, 1705)

„Manchmal hatte man das Gefühl, das Image Bayerns ist noch schlimmer als das der DDR.“
(Hans Well, 35 Jahre Biermösl Blosn, Heimat und Politik)

Hans Well mit Franz Kotteder – 35 Jahre Biermösl Blosn (2013, Verlag Antje Kunstmann)
Dreieinhalb Dekaden Biermösl Blosn in ihrer Mission in Sachen Musik-Kabarett, Erhalt der bayerischen Volksmusik und Widerstand gegen den CSU-Staat inklusive Wackersdorf-WAA, Isental-Autobahn und Dobrindt’scher Volksverdummung sind das große Thema der Autobiografie von Hans Well, dem Texter des erfolgreichen und beliebten Trios, das sich im Januar 2012 zum großen Bedauern Wells und der zahlreichen Fans der Musikgruppe, die sich nach einem Moos zwischen München und Augsburg benannte, auflöste.
Well gibt erstaunlich offen und ehrlich Einblick in die Welt seiner musikalischen Groß-Familie, er ist das neunte von fünfzehn Kindern der Volksmusikerin Gertraud Well und des Schulmeisters Hermann Well, Konflikte unter den Geschwistern, das Auseinanderleben der Eltern und vor allem die kritische Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit des Vaters bleiben nicht unerwähnt.

„Bis zur zehnten Klasse vertrat ich politisch eher die allgemein auf dem Dorf üblichen Meinungen und äußerte bei Diskussionen, was ich halt daheim so hörte. Zum Beispiel 1972 beim Olympia-Attentat, „dass für jeden israelischen Sportler, der durch die Geiselnehmer getötet wird, ein Baader-Meinhof-Terrorist an die Wand gestellt gehört“. Das galt keineswegs als radikal, sondern war beim Sportverein oder bei Diskussionen über dieses Thema im Dorf Konsens.“
(Hans Well, 35 Jahre Biermösl Blosn, Hollaradiridi – Yeah, Yeah, Yeah)

Das außerordentliche musikalische Talent seines Bruders Christoph „Stofferl“ Well ist selbstverständlich Thema, der jüngere Bruder, ausgewiesener Humorist und Rampensau der Biermösl Blosn, konnte seine Konzertkarriere aufgrund eines Herzfehlers bei den Münchner Philharmonikern unter Sergiu Celibidache nicht fortführen, entsprechend groß war sein Engagement im Verbund mit seinen Brüdern Hans und Michael.
Erste musikalische Gehversuche in Münchens Kleinkunstszene und im bayerisch-schwäbischen Umland, das frühe Zerwürfnis – ausgelöst durch das Vortragen des „BayWa-Lieds“ im öffentlich-rechtlichen Fernsehen – mit dem Bayerischen Rundfunk und insbesondere der bayerischen Staatspartei CSU, die mit ihrer g’wamperten Mia-san-mia-Selbstherrlichkeit eine prädestinierte Zielscheibe für den kritischen Spott der Musikanten abgab, das spezielle Verhältnis und die Freundschaft zu ihrem jahrzehntelangen Bühnenpartner, Bayerns Kabarett-Schwergewicht Gerhard Polt, all das kommt in der Biografie ausführlichst zur Sprache.
Beim tendenziell auf Dauer etwas nervigen, anekdotenhaften Herumreiten auf den Vertretern der CSU und des katholischen Klerus inklusive – zumindest in Bayern allseits bekannter – Polit- und sonstiger Skandale mag einem irgendwann die Stellungnahme des pensionsberechtigten Akademikers aus Siegfried Zimmerschieds Soloprogramm „A ganz a miesa, dafeida, dreggiga Dreg san sie“ in den Sinn kommen, „Immer wieder die Kirche. Immer wieder die CSU, der Klerus und die Presse, mein Gott!“, Wells Namedropping, wen er nicht alles kennengelernt hat in seiner langen Bühnenkarriere, hat den Lesespass ebenfalls mitunter getrübt, wett macht er dies, indem er zwei alten Weggefährten, die das Zeitliche allzufrüh segneten, in sehr würdiger Form gedenkt: dem 2009 dahingegangenen grandiosen Film-, Theater- und Kabarett-Giganten Jörg Hube, über den hier im Kulturforum noch zu sprechen sein wird, sowie dem 2010 verstorbenen Ökobauern Sepp Daxenberger, dem politischen Hoffnungsträger der bayerischen Grünen und ehemaligen Bürgermeister von Waging am See.

„Im Herbst tourten wir gerade mit dem Gerhard im Norden, als uns am 1. Oktober in Aachen die Nachricht erreichte, Franz Josef Strauß sei in der Nähe von Regensburg bei einer Hirschjagd des Grafen Johannes von Thurn und Taxis ins Koma gefallen. Gerhard meinte: „Wenn der Strauß stirbt, können wir das Stück nicht mehr spielen!“ Das sah ich anders, weil es in „Diridari“ ja nicht nur um Strauß ging, sondern um das System dahinter.“
(Hans Well, 35 Jahre Biermösl Blosn, Theater)

Wiederum sehr lesenswert sind die ausführlichen Berichte über Reisen in die DDR und nach Afrika, bei Auftritten im Ostteil Deutschlands reifte in Hans Well die Erkenntnis im Umgang mit linientreuen DDR-Kabarettisten, dass der Arbeiter- und Bauernstaat im Wesentlichen der verbeamtete, kleingeistige Überwachungsstaat war, als der er sich letztendlich selbst entlarven sollte, die Reise nach Südafrika und Namibia führte die Biermösl Blosn mit ehemaligen Apartheid-Gegnern wie dem ANC-Unterstützer Denis Goldberg zusammen, die eindrucksvolle Begegnung sowie die Dokumentation von Auftritten mit schwarzen Musikern in den Townships ist auch ausführlich in der empfehlenswerten Arthaus-DVD „Plattln in Umtata“ dokumentiert.

„Waffen? Munition?“ Ich entgegnete übermütig: „Na nix, bloß hint im Kofferraum a kloane Bombn!“ Er nahm die Pässe, legte sie zur Seite und sagte ganz beiläufig: „Fahren Sie rechts ran!“ Nach etwas zwei Stunden kam er wieder: „Waffen, Munition?“ Ich entgegnete kleinlaut: „Nein!“ „Dann fahren Sie weiter!“ Das war genau die Art von Autorität, die ich gestrichen hatte.“
(Hans Well, 35 Jahre Biermösl Blosn, Unbekannte Verwandte)

Das abschließende Thema, jenes, das Hans Well unübersehbar schwer am Herzen lag, ist das Auseinanderbrechen der Biermösl Blosn, das über 35 Jahre erfolgreiche Trio spielte im Januar 2012 in Fürth sein letztes Konzert, logische Konsequenz der gescheiterten Reformpläne Hans Wells bezüglich des Bühnenprogramms, der Texter der Volksmusik-Institution wollte etwas Neues wagen, weg von den ewig gleichen Klassikern, in dieser Sache hatte er die Brüder Stopherl und Michael nicht auf seiner Seite, und so kam es zum Zerwürfnis, das so manch treuer Fan entsetzt mit den Worten „Aus is, und gor is, und schod is, dass wohr is!“ kommentierte.

Jahrzehntelang habe ich die Biermösl Blosn mit Genuss verfolgt, konzertant wie auf Tonträger, mehr oder weniger fast über die volle Distanz, ob bei Demos, Konzerten für Gartenbauvereins- und Blaskapellen-Jubiläen im Bierzelt, zahlreichen Auftritten mit Gerhard Polt, bei der Oskar-Maria-Graf-Lesung wiederum mit Polt sowie dem großartigen Jörg Hube, bei den Theaterinszenierungen „München leuchtet“ und „Offener Vollzug“ oder zuletzt beim grandiosen Auftritt mit den südafrikanischen Gumboot-Dancern in der Muffathalle, erste Reihe, Mitte, mit Michael Wells Alphorn auf den Schultern (Michael Well: „Take it!“ ;-))), es waren durch die Bank ausnahmslos wunderbare Abende, und so kann ich Hans Wells Verbitterung und Enttäuschung über die Auflösung des Trios, die sich am Ende seiner Biografie Bahn bricht, mehr als nachvollziehen, den eines ist gewiss: Die Biermösl Blosn fehlen seitdem in der bayerischen Kulturlandschaft – und wie. Oder wie ein ehemaliger hessischer Ministerpräsident und gescheiterter Baukonzern-Vorstand sagen würde: „Brutalstmöglich.“

Hoffnung bleibt allemal, der Well-Clan hat sich weiter fortgepflanzt, und so gibt Hans Well in seiner unterm Strich gelungenen und für Biermösl-Fans allemal sehr lesenswerten Biografie einen Ausblick auf seine Zusammenarbeit mit dem eigenen musikalischen Nachwuchs, seinen drei Kindern von den „Wellbappn“, die das musikalische Talent und die Liebe zur bayerischen Volksmusik-Tradition praktisch in die Wiege gelegt bekamen…

„Auch was das Verhältnis unter uns Biermösln betraf, war eine gewisse Endzeitstimmung nicht zu übersehen. Unversöhnlicher als sonst waren die Auseinandersetzungen. Die absolute CSU-Alleinherrschaft war mit der Wahl 2008 nach sechsundvierzig Jahren gebrochen. Bayern hatte sich verändert, unser Programm nicht! Nicht einmal der Münchner Merkur war noch, was er gewesen war.“
(Hans Well, 35 Jahre Biermösl Blosn, Staatstheater und andere Anstalten)

Biermösl Blosn Grüß Gott mein Bayernland

Biermösl Blosn – Tonträger – Eine Auswahl:

Grüß Gott, mein Bayernland (1982, Mood Records)
Livemittschnitt aus dem Münchner MUH vom Juni 1982. Für Hans Well die eigentliche Debüt-Platte, unter anderem mit dem Skandal-Lied „Gott mit Dir, Du Land der BayWa“, das auf Hintertreiben der CSU zur jahrzehntelangen Verbannung der Combo von den Sendezeiten des Bayerischen Rundfunk führte, mit der Anti-Kriegs-Nummer „Wer will unter die Soldaten“, dem Kommentar zur Entnazifizierung „Drunt in da greana Au“ und dem „Che Guevara Landler“. Der Ruf der Gruppe als fünfte Kolonne Moskaus war damit in der Frühphase der Volksmusikanten-Karriere im politisch tiefschwarzen Bayern begründet.
Bereits 1980 veröffentlichte die Biermösl Blosn mit ‚Ex Voto‘ ihre Debüt-LP bei Intercord. Die Scheibe ist längst vergriffen und Hans Well ist froh über diesen Umstand. Das sagt wohl alles über die Qualität der Platte. Ein Bekannter hat ein handsigniertes Exemplar in seinem Bestand, inklusive Autogramm von Gerhard Polt, dieser wollte seinerzeit nicht unterschreiben, weil er auf dem Tonträger nicht akustisch vertreten sei, nach Unbedenklichkeitsbescheid signierte er mit den Worten: „I derf aa unterschreim, Gerhard Polt.“

Tschüß Bayernland (1985, Mood Records)
Live im neuen MUH, 3. bis 5. September 1985. Enthält unter anderem die Punk-Version des Münchner Volkslied-Klassikers „Stolz von da Au“, die damals tatsächlich in ‚Live aus dem Alabama‘ im BR gesendet wurde, da hat wohl wer in der BR-Redaktion gepennt, sowie das Boris-Becker-Spottlied „Boris Bumm Bumm“.

Wo samma (1994, Mood Records)
Live in der Weilachmühle, Thalhausen, am 2. und 3. März 1994. Das Wirtshaus wurde damals von einem Bruder der Biermösl Blosn betrieben. Enthält konzertante Klassiker wie „Seid’s alle do“ und „Wie reimt sich das zusamm'“, ersteres kündigte Hans Well vor Auftritten gerne mit den Worten „Wer das nächste Lied nicht versteht, für den ist der weitere Verlauf des Abends sinnlos“ an, sowie „Da boarisch Hiasl“, einer Zusammenarbeit mit den Toten Hosen, die sich aus ihrem gemeinsamen Auftritt bei den Anti-WAA-Demos in Wackersdorf ergab.

Wellcome to Bavaria (1998, Mood Records)
Live in der Weilachmühle, Thalhausen, am 6. und 7. Mai 1998. Sehr gelungenes Album mit den Konzert-Standards „Welcome to Bavaria“, „De Schand vom Oberland“ und der kirchenkritischen Techno-Nummer „Ravermess'“.

Räuber & Gendarm – Bayrische Räuber- und Wildschützenlieder (2002, Mood Records)
Lohnende Sammlung klassischen bayerischen Liedguts über bajuwarische Rebellen und Wilderer wie den bekannten Outlaw Matthias Kneißl und den Wildschütz Jennerwein, die fester Bestandteil der bayerischen Geschichts-Schreibung wurden und sich noch heute beim Volk höchster Beliebtheit erfreuen.
Die CD erschien seinerzeit zur Ausstellung „Im Wald da sind die Räuber. Kneißl, Hiasl & Co. Räuberrromantik und Realität“ im Bauernhofmuseum Jexhof des Landkreises Fürstenfeldbruck.
Das Jennerwein-Lied wird gesprochen von Gerhard Polt.

Jubiläum (2009, Kein & Aber)
Eine Art Best-Of-Doppel-CD mit ausgewählten Biermösl-Preziosen und exemplarischen Solo-Nummern von Gerhard Polt, ersetzt keinen regulären Tonträger weder des Trios noch von Polt, gibt aber einen schönen Überblick über 30 Jahre „im Dienst der Rampe“ und enthält mit „Banca rotta“, dem im gregorianischen Kirchengesangs-Stil vorgetragenen Kommentar zur Finanzkrise, wahrscheinlich eines der besten Biermösl-Blosn-Stücke überhaupt.

TTIP STOPPEN ! G7 DEMO München 2015-06-04 HANS WELL + DIE WELLBAPPN (3)

Und zu guter Letzt – Back to the Roots:

Kraudn Sepp – Sonntag (2005, Trikont)
Großes Vorbild Hans Wells: Dem 1977 im Alter von 80 Jahren in Greiling bei Bad Tölz verstorbenen Josef Bauer also known as The Kraudn Sepp hat das Trikont-Label mit einer Doppel-CD-Sammlung seiner derben und oft boshaften bayerischen Wirtshauslieder ein schönes Denkmal gesetzt. Der Kraudn Sepp besitzt in der bayerischen Volksmusik einen Stellenwert, der im amerikanischen (Alternative) Country allenfalls mit dem von Größen wie Hank Williams oder Johnny Cash vergleichbar ist.
Der Augsburger Schriftsteller und Musikjournalist Franz Dobler schreibt im Begleitheft zur CD unter anderem folgende wunderbaren Sätze: „Der Kraudn war und ist die beste alte Verbindung für alle Bastard-Volksmusiker seit den 80er Jahren, seien es die kurzlebigen Dullijöh oder die weiterhin an ihrer Blues-Verbindung aus „Son House und Kraudn Sepp“ arbeitenden Williams Wetsox. Sein Echo ist auch bei den Radikalsten zu hören: in den Gstanzln von Attwenger, deren Hans Falkner mit der Scheißleitn Musi auch die heftigere Wirtshausunterhaltung pflegt; und bei Hans Söllner, in der Art, mit dem Publikum umzugehen oder vom derben Humor zur Herzensangelegenheit zu springen. Josef Bauer war kein Rebell, aber die Rebellen mögen ihn.“

Rom-Soundtrack

„We are all romans we live to regret it“ – Die großartige Londoner Post-Punk-/Experimental-Band This Heat mit „S.P.Q.R.“ vom grandiosen zweiten und gleichzeitig finalen Album der Band, „Deceit“, aus dem Jahr 1981 (Rough Trade):

Um den Hansi Hölzel kommst bei dem Thema ned rum, aber: is eh leiwand…:

„Wir sind Papst“ hat sich auch der Polt gedacht, unser Godfather of Cabaret Artists from Upper Bavaria, wo man bereits vor der Christianisierung erzkatholisch war, des merkst Dir, Spezi ;-)):

Die Sendlinger Mordweihnacht

In der Gegend meiner unmittelbaren Nachbarschaft fand in der Nacht von Heiligabend auf den 25. Dezember 1705 die blutige Niederschlagung der ersten bayerischen Revolution statt, die unter dem Namen „Sendlinger Mordweihnacht“ in die Geschichtsbücher einging. In der Folge des Spanischen Erbfolgekriegs, der von vielen Historikern als der eigentliche erste Weltkrieg angesehen wird, fiel Bayern 1704 nach der verlorenen Schlacht bei Höchstädt an das Heilige Römische Reich Deutscher Nation und de facto unter die Regentschaft der Krone Habsburgs.
Bayerns Bauern, der sogenannte „vierte Stand“, litt extrem unter Zwangsaushebungen und horrenden Abgaben, was zu Weihnachten 1705 im Marsch aufständischer Oberland-Bauern auf München gipfelte. Dort legten die Revolutionäre nach Verhandlungen mit den kaiserlichen Offizieren in Sendling die Waffen nieder und wurden trotz vorherigem Gewähren von Pardon von den Regierungstruppen brutal niedergemetzelt.

Zahlreiche Straßennamen, Gedenktafeln und Denkmäler erinnern in meiner Nachbarschaft an diese Bluttat, allem voran das Standbild des „Schmied von Kochel“, der der Legende nach als einer der Letzten in der Sendlinger Bauernschlacht fiel und dessen Existenz bzw. Herkunft historisch nie einwandfrei geklärt werden konnte.

Zum Gedenken an das Massaker findet alljährlich in der Heiligen Nacht ein Fackelzug der „Historischen Gruppe Schmied von Kochel“ zum alten Sendlinger Friedhof statt, um der dort bestatteten 204 Opfer der Mordweihnacht zu gedenken. Insgesamt waren im Rahmen der Bauernaufstände zum Jahreswechsel 1705/06 über zehntausend Gefallene auf bayerischer Seite zu beklagen.

Wer sich für eine detaillierte Darstellung der Geschehnisse, vor allem auch im historischen Kontext, interessiert, greife zu dem Buch „1705 – Der bayerische Volksaufstand und die Sendlinger Mordweihnacht“ (1980, Langen-Müller) des Historikers Henric L. Wuermeling, der in der Dokumentation unter anderem die These vertritt, dass der bayerische Volksaufstand 1705/06 aus dem einfachen Grund nicht als erste bekannte Revolution – noch vor der französischen – in die Geschichte einging, weil sie nicht von Erfolg gekrönt war.

Auf dem Gelände des ältesten noch erhaltenen Münchner Zentralfriedhofs, des Alten Südfriedhofs, befand sich ein ungepflegter Grabhügel, unter dem der Überlieferung nach mehr als fünfhundert Tote der Sendlinger Bauernschlacht ihre letzte Ruhestätte fanden. An dieser Stelle wurde auf Anregung des bayerischen Mundartforschers Johann Schmeller im Jahr 1831 ein Denkmal zur Erinnerung an die Opfer errichtet. Es war das erste Münchner Kunstwerk im neugotischen Stil, das Denkmal ist noch heute auf dem seit 1898 aufgelassenen Friedhof im Originalzustand erhalten.

Selbstredend beansprucht die Ortschaft Kochel am See im bayerischen Süden die Herkunft des Schmieds für sich, zu seinem Gedenken wurde am Dorfplatz ebenfalls ein Denkmal errichtet:

Die Sendlinger Mordweihnacht / wikipedia