Gov’t Mule

Gov’t Mule @ Backstage Werk, München, 2017-11-04

Ein Gitarrengott Warren Haynes schert sich nicht um seine etlichen Kilo zuviel auf den Rippen, der Trommler Matt Abts trägt ungeniert seine Tränensäcke, Falten und Proll-Tattoos zur Schau, dem seit 15 Jahren mitmusizierenden Keyboarder/Gitarristen/Posaunisten Danny Louis scheint die durch seltsame Zwergenmütze angeschrägte eigene Optik auch herzlich egal zu sein, diese Band braucht keinen Flitter und Tand, keine grellen Licht-Shows und keine albernen Bühnen-Uniformen – kurzum: Gov’t Mule müssen sich längst nichts mehr beweisen, und ihren die Münchner Backstage-Halle bis zum letzten Platz füllenden Fans schon gar nicht. Das Konzertpublikum rekrutierte sich am vergangenen Samstagabend zu gefühlt mindestens einem Drittel aus älteren Semestern, die vermutlich bereits zu Zeiten der ersten Allman-Brothers-Alben im ausgewachsenen Mannes- beziehungsweise besten gebärfähigen Alter waren, mit den Jahren und mit der weit über 20-jährigen Band-Historie von Gov’t Mule in Würde gereift, eine treue Hörerschaft, die selbstredend wusste, was zu der Gelegenheit zu erwarten war: Eine ausgedehnte Zeitreise zu den Wurzeln des Southern Rock, zum grundsoliden Blues-Rock, zu Jam-artigen Ausflügen in Gefilde des Hardrock, Soul, Jazz und Funk, ein beseeltes, handwerklich wie Klang-technisch perfektes Zelebrieren amerikanischer Musiktraditionen, vorgetragen von Könnern, die zuforderst ihre Liebe und ihr Herzblut für die Musik in den Vordergrund stellten und in ihrem Tun ganz bei sich waren.
Die von den beiden ex-Allman-Brothers-Band-Musikern Warren Haynes und dem im August 2000 verstorbenen Bassisten Woody Allen zusammen mit Drummer Matt Abts 1994 ursprünglich als Seitenprojekt aus der Taufe gehobene Formation Gov’t Mule verbleibt nach der ABB-Auflösung vor einigen Jahren neben der Derek Trucks Band die letzte ernstzunehmende Institution in Sachen Nachlassverwaltung der Southern-Legende, allein die herausragende Interpretation der Gregg-Alman-Nummer „Dreams“ vom 1969er-Debüt der Brothers inklusive schwerst beeindruckender Slide-Gitarren-Soli unterstrich dies zum Ende des ersten Sets eindrücklich.
Daneben brillierten die Musiker, die seit 10 Jahren vom schwedischen Bassisten Jorgen Carlsson virtuos unterstützt werden, mit eigenem Material, Gov’t Mule bedient sich ansonsten gern und oft in kongenialer Interpretation bei Werken der Stones, bei Pink Floyd, Black Sabbath oder alten Blues-Größen, an diesem Abend bleib diese Schiene weitestgehend außen vor, das selbst komponierte Werk stand den althergebrachten Klassikern in nichts nach: Der erste Abschnitt der täglich wechselnden Tour-Setlist bot einen exzellenten Querschnitt des eigenen Schaffens mit Schwerpunkt auf die Longplayer „High & Mighty“, „By A Thread“ und die „Deep End“-Alben, mit ausgedehntem Raum für die süffigen, geerdeten Riffs und ausgedehnten Soli des Weltklasse-Gitarristen Warren Haynes, die funky Blues- und Soul-Phrasierungen des glänzend aufgelegten Keyboarders Danny Louis, die schweren wie locker präsentierten Bass-Grooves des Schweden und die völlig unaufgeregt und auf den Punkt getrommelte Rhythmik des Stoikers Abts.
Set zwei nach kurzer Pause widmete sich vor allem der Präsentation ausgewählter Gustostücke aus dem aktuellen „Revolution Come… Revolution Go“-Album wie dem in die Länge gedehnten, mit beseelter Improvisation bereicherten, hart wie kompromisslos rockenden Titelstück, „Pressure Under Fire“, in dem der Soul nicht zuletzt in der dafür prädestinierten, markanten Blues-Stimme von Warren Hayne zu seinem Recht kam, „Stone Cold Rage“, dem Kommentar zur letzten US-Wahl und der getragenen, im Klangbild nach Freiheit und Abenteuer verlangenden wie im Text abgeklärten On-The-Road-Ballade „Traveling Tune“. Daneben zauberte die Band Reminiszenzen an das gut abgehangene, fast 20 Jahre alte Mule-Werk „Dose“ aus dem Hut, nebst dem immer gern gehörten Live-Klassiker „Thorazine Shuffle“ zum Beschließen des regulären Sets das kurz zuvor erklungene, die Improvisationskunst pflegende Jazz-Tribute „Birth Of The Mule“.
In der einzigen Zugabe des Abends zog das Quartett dann mit dem aktuellen „Dreams & Songs“ nochmals alle Register der herzergreifenden Southern-Ballade, ein Stück, zu dem man gerne mit einem kühlen Bier in der Hand auf der Holz-Veranda sitzend in der Abend-Schwüle des amerikanischen Südens in den Sonnenuntergang hineinsinniert hätte, statt sich die Füße auf dem kalten Backstage-Beton plattzutreten. Ein berückender Abschluss, der selbst einem altgedienten Bühnen-Profi wie dem vortragenden Warren Haynes die Tränen der Rührung ins Antlitz trieb, und damit ließen es Band und Publikum dann auch dankbar nach weit über 2 Stunden intensivster Southern-Seligkeit bewenden, nach einer Aufführung von vier begnadeten Ausnahmemusikern – mit einem federführenden Warren Haynes als Primus inter pares – die sich an dem Abend einmal mehr zu einer kaum zu toppenden, höchst inspirierten Einheit formierten.
(***** ½)

Reingehört (327): Gov’t Mule

Gov’t Mule – Revolution Come… Revolution Go (2017, Fantasy / Concord Records)

Warren Haynes und seine Jam-Rock-Combo Gov’t Mule geben auf dem neuen Album die würdigen Nachlassverwalter und pflegen das Erbe der legendären Allman Brothers Band, Haynes selbst war beim Southern-Rock-Stammhaus bekanntlich jahrzehntelanger Weggefährte der kürzlich dahingeschiedenen Mitbegründer Butch Trucks und Gregg Allman, und so kann das aktuelle Mule-Werk getrost als letzter musikalischer Abschiedsgruß an die Verblichenen gewertet werden, ein durchaus angemessen-feierliches letztes Farewell.
Die Aufnahmesessions zu „Revolution…“ starteten im vergangenen Herbst am US-Election-Day, „Stone Cold Rage“ setzt sich thematisch mit der Spaltung der amerikanischen Gesellschaft auseinander, die letztendlich in ihrem Ausdruck des Protests an besagtem 8. November diesen politischen Amokläufer in das Weiße Haus hievte.
Und sonst so? Die bewährte Mule-Kost, keine Frage. Qualitativ hinsichtlich Songwriting und Vortrag zu den stärkeren Arbeiten in der über zwanzigjährigen Geschichte der Band zählend, bietet das neue Album eine ausgewogene Mixtur aus den zu erwartenden Siebziger-Jahre-Southern-Rock-Reminiszenzen, wiederholt angereichert durch die von Gov’t Mule hinreichend bekannte härtere Gangart, in etlichen Ausprägungen auch im süffigen Blues-Rock oder schwer groovend im Southern Soul und Siebziger-Funk angelehnt. Seine stärksten Momente offenbart die Songsammlung in den entschleunigten Titeln wie der getragenen Blues-Nummer „The Man I Want To Be“, im Soul von „Pressure Under Fire“ oder der wunderbaren Open-Prairie-Ballade „Traveling Tune“, die in großartiger Southern-Gothic-Manier den Geist der amerikanischen Highways atmet, ein Paradestück für den entspannten Umtrunk am Lagerfeuer und das Leben „on the road“, inklusive schöner Slide-Gitarre des Kanadiers Gordie Johnson. Stevie-Ray-Bruder Jimmie Vaughn und seine Blues-Gitarre mischen noch mit bei „Burning Point“, ansonsten war es das dieses Mal auch schon mit Gästen beim Southern-Quartett, das sich sonst gerne mal mit prominenten Namen zuhauf auf der Besetzungsliste schmückt.
Druckvolle und facettenreiche Aufführung einer über etliche Dekaden bewährten Traditionsmusik, schön, dass Gov’t Mule derart inspiriert die Fahne dieses mitunter etwas aus der Zeit gefallenen Genres hochhalten.
(*****)

Gov’t Mule spielen im Rahmen ihrer anstehenden Europatournee live am 4. November im Münchner Backstage, weitere Termine: hier.

Konzertmitschnitte von Warren Haynes + Gov’t Mule @ nyctaper.com

Reingehört (200): Gov’t Mule

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Gov’t Mule – The Tel-Star Sessions (2016, Evil Teen / Mascot / Rough Trade)
Demos von 1994, aus dem Gründungsjahr der Combo, eingespielt in der Ur-Besetzung Haynes, Woody, Abts.
Gitarristen-Schwergewicht Warren Haynes und der im Jahr 2000 früh verstorbene Bassist Allen Woody arbeiteten seit der 1989er-Allman-Brothers-Reunion zusammen, befeuert durch ihre gemeinsame Verehrung für stramme Bluesrock-Trios wie die Jimi Hendrix Experience, Taste oder Cream gründeten sie zusammen mit Drummer Matt Abts von der Dickey Betts Band – der nächste Allman-Bruder, sozusagen eine einzige Inzucht ;-)) – Mitte der Neunziger Gov’t Mule, die spätere Full-Time-Beschäftigung war zuerst als Nebenprojekt angedacht. Die Archiv-Aufnahmen sollen die ersten Demos der Band überhaupt sein, eingespielt im Tel-Star Studio in Bradenton/Florida, der Stoff ist klangtechnisch optimal aufbereitet und bis auf das Anzählen der Nummern von einer regulären Studio-Veröffentlichung nicht zu unterscheiden.
Die schlechte Nachricht ist in dem Fall auch die gute: es gibt keine Überraschungen im ersten Wurf der Combo, der langjährige Mule-Hörer weiß genau, was ihn erwartet. Harter Southern Rock, die wuchtige Blues-Gitarre von Warren Haynes in ihrer ganzen süffigen, technisch exzellent vorgetragenen Pracht und die schweren, Hard-Soul-lastigen Grooves des Rhythmus-Duos Woody/Abts, die in ihrer unvermittelten Schwere auch nach über zwanzig Jahren keine Patina angesetzt haben.
Bassist Woody glänzt mit feinster Jack-Bruce-Schule, mit diesem Ansatz und seinem Gespür für Melodie, Phrasierung und Rhythmik vereinigte der Mann in seinem Spiel die Essenz aus Blues, Rock, Jazz und Soul wie kaum ein anderer.
Mit „Just Got Paid“ covert das Trio eine ZZ-Top-Nummer aus der Frühphase der Mainstream-Boogie-Rock-Nikoläuse, die alten Blues-Heroen Memphis Slim und Willie Dixon kommen mit „Mother Earth“ bzw. „The Same Thing“ zu Ehren, und mit „Mr. Big“ von Free orientiert man sich an einem weiteren Früh-Siebziger-Bluesrock-Kracher. Der Großteil der Songs findet sich in alternativen Versionen auf den ersten Gov’t-Mule-Alben wieder. Auf den „Tel-Star Sessions“ präsentiert sich die Band in bestechender Frühform, da können so manche Kicker dieser Tage zum Saisonauftakt nur von träumen…
(**** – **** ½)

Gov’t Mule / Warren Haynes legal konzertant mitgeschnitten @ nyctaper.com

Reingehört (104)

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Gov’t Mule – Stoned Side Of The Mule Vol. 1 & 2 (2015, Mascot / Rough Trade)
Der ex-Allman-Brothers-Ausnahmegitarrist und Viel-Produzierer Warren Haynes, dessen Arbeitstag ungefähr 40 Stunden haben muss, hat mit seiner Hauscombo Gov’t Mule ausgewählte Glanzstücke der Rolling Stones aus der Hochphase der Jagger/Richards-Kapelle eingespielt, das Ergebnis ist noch weitaus erfreulicher als die Übung, die sie mit Pink-Floyd-Material im Vorjahr auf ‚Dark Side Of The Mule (Mascot) praktizierten.
Die Stücke wurden bei einem Konzert am Halloween-Abend 2009 im Tower Theater in Philadelphia mitgeschnitten, die Band ist in absoluter Spiellaune und präsentiert unter anderem „Wild Horses“ und den Schmachtfetzen „Angie“ im gut sitzenden Blues-Gewand, Klassiker wie „Paint It, Black“, „Play With Fire“ und „Under My Thumb“ mit einer ureigenen Southern-Rock-Note, ohne den Stücken ihren zeitlosen Charakter zu rauben, „Shattered“ mit einem Drive, wie in die Autoren der Stücke dieser Tage kaum mehr bewerkstelligen können und „Monkey Man“, einen der größten Stones-Songs ever, in einer dem Original an Intensität in nichts nachstehenden Version, insbesondere das Slide-Gitarren-Solo ergreift wie beim ‚Let It Bleed‘-Original, wie dort zuckt die Hand wiederholt zur Repeat-Taste.
Randle Patrick McMurphy/Jack Nicholson bringt es im „Kuckucksnest“ auf den Punkt: „Rollender Stein setzt kein Moos an…“
(*****)

Shovels & Rope – Busted Jukebox: Volume 1 (2015, Dualtone)
Shovels & Rope sind ein Alternative-Country-/Folk-Duo aus Charleston/South Carolina, das sich aus den Eheleuten Michael Trent und Cary Ann Hearst zusammensetzt, auf ihrem vierten Longplayer präsentieren sie ausschließlich Fremdmaterial in beherztem Prärie-Americana-Outfit und beseeltem Rock’n’Roll-Geschepper, wir hören so unterschiedliche Komponisten wie Emmylou Harris, Allen Toussaint, Nine Inch Nails, die Kinks oder Lou Reed, „What’s So Funny ‚Bout) Peace, Love, and Understanding“ wird Elvis Costello zugeschrieben, der hat zwar die bekannteste Version der Nummer veröffentlicht, geschrieben hat das Stück aber nach wie vor Nick Lowe, egal, auch in der getragenen Country-Fassung macht die in diesen finsteren Zeiten wieder hochaktuelle Nummer eine gute Figur, „Perfect Day“ kommt als Bar-Crooner und der Country-Shuffle „Boys Can Never Tell“ von einem gewissen J Roddy Walston, der hier auch persönlich mitschmettert, ist alleine die Anschaffungskosten wert.
(**** ½)

Disappears – Low: Live In Chicago (2015, Sonic Cathedral)
Die Lücke, die sich immer dann auftut, wenn die Diskrepanz zwischen gut und gut gemeint ein zu großes Ausmaß annimmt, hier ist sie unüberhörbar. Die Indie-/Kraurock-Band Disappears aus Chicago/Illinois, bei der zwischenzeitlich auch mal der ex-Sonic-Youth-Drummer Steve Shelley zugange war, hat in ihrer Heimatstadt das bahnbrechende Bowie-Werk ‚Low‘ (1977, RCA) im November 2014 komplett von hinten bis vorne durchgespielt und von Spacemen-3-Spezi Peter Kember/Sonic Boom remastern lassen, die ein oder andere Nummer mag etwas mehr in Richtung Indie-Rock getrimmt sein, vor allem im zweiten Teil, dessen Instrumental-Parts Bowie zusammen mit Brian Eno komponierte, werden die Analog-Synthie-Passagen vermehrt durch Gitarren-Soundlandschaften ersetzt, aber unterm Strich fügt diese Bearbeitung dem Original wenig Neues hinzu.
Bei der Fremdinterpretation des ‚Low‘-Stoffs bleibt die ‚Symphony No. 1/Low Symphony‘ (1993, Universal) von Philip Glass der Maßstab.
(***)