Die hohe Kunst der gepflegten Indie-Schule am vergangen Dienstag im Münchner Backstage, in doppelter Ausfertigung: Den schweißtreibenden Abend durfte der englische Songwriter Ed Harcourt solistisch in improvisierter DIY-Manier im Vorfeld zum anstehenden Afghan-Whigs-Inferno eröffnen, mit live eingespielten Drum-Samples, digitalen Loops, eindrücklichen, von massiv angeschlagener, verzerrter Noise-Gitarre begleiteten Songs aus dem Grenzbereich Alternative-Rock/Experimental-Drone, einer Handvoll dramaturgisch ansprechender, ab und an leider auch etwas ins Austauschbare abdriftenden Piano-Balladen und mit einem finalen, exaltierten Sangesvortrag inklusive ausgiebigem Bad in der Menge gab der Londoner Musiker die halbstündige Empfehlung ab für seine anschließende Weiterbeschäftigung als Aushilfsgitarrist und Keyboarder bei der reanimierten Combo von Grunge-Urgestein Greg Dulli.
(**** ½)
Die Afghan Whigs waren bis vergangenen Dienstagabend das letzte Mal vor sage und schreibe 19 Jahren in der bayerischen Landeshauptstadt konzertant zugange, viel ist seitdem passiert in der Bandhistorie, Auflösung 2011, ein kurzes Intermezzo 2006, Reformierung dann vor fünf Jahren, dazwischen mal mehr, mal weniger gelungene Veröffentlichungen und Konzertreisen von Bandleader Greg Dulli auf Solopfaden, mit den Twilight Singers oder dem gemeinsamen Gutter-Twins-Seitenprojekt zusammen mit Grunge-/Indie-Blues-Ikone Mark Lanegan.
Die Jahre sind nicht spurlos an den Bandmitgliedern vorübergegangen, der Frontmann aus Hamilton/Ohio hat inzwischen etliches an Pfunden zuviel auf den Rippen, von der Erscheinung mittlerweile weitaus mehr einem feisten Theken-Stammgast, rausgefressenen Mafiosi oder Polizeihauptmeister Krause als einem Rockstar ähnelnd, Basser und Whigs-Mitbegründer John Curley ist zum grauen Wolf gereift, und Gitarrist Dave Rosser hat traurigerweise kürzlich im Alter von 50 Jahren den Kampf gegen sein Krebsleiden verloren, die Band widmete ihm an dem Abend das Jeff-Buckley-Cover „Can Rova/Last Goodbye“.
Greg Dulli eröffnete den 100-minütigen München-Gig seiner wiederbelebten Afghan Whigs im Alleingang mit dieser unsäglichen Prince-für-Arme-Soulnummer „Birdland“, die auch als Aufmacher beim aktuellen „In Spades“-Album herhalten muss, wie auf dem Tonträger ging es im Konzert nach dieser überstandenen, kurzen Tortur qualitativ steil anziehend nach oben, der schwergewichtige Soul kam ab dann vor allem in den fordernden, klagenden und grollenden Sangeskünsten des Bandleaders zu seinem Recht, jener gab nicht zuletzt aufgrund seiner massiven Leibesfülle in der Beschwörung der eigenen Dämonen den formvollendeten R&B-Crooner.
Die sechsköpfige Band entfachte einen permanent glühenden, schwelenden Brand an hart zupackenden und massiv groovenden, dunkel funkelnden Grunge-Epen, mit diesen für die Band typischen Bastarden aus schweißtreibendem Sixties-/Southern-Soul und intensivem Alternative-/Indie-/Blues-Rock, den die Whigs bereits auf frühen Alben wie den Meisterwerken „Gentlemen“ (1993) und „Black Love“ (1996) in Perfektion veredelten.
Mit phasenweise bis zu vier Gitarren schichtete die Formation eine beeindruckende Soundwand auf, die kaum mehr eine denkbare Steigerung an Vehemenz zuließ, immer den beseelten Saitenanschlag und das Heulen Dullis in den Vordergrund gemischt, seiner Rolle als Entertainer, Zentrum, Kopf, maßgeblichem Songwriter und exklusivem Poser der Band gerecht werdend.
Die jahrzehntelange Historie der Afghan Whigs wurde gebührend abgefeiert, neben einer Auswahl an Frühwerken lag der Schwerpunkt der präsentierten Songs auf den Titeln der beiden Comeback-Alben „In Spades“ und „Do To The Beast“, im Mittelteil der Show nahm Greg Dulli auf dem Keyboard-Hocker Platz, um in einer Balladen-lastigen Passage für eine zwischenzeitliche Verschnaufpause für Mitmusiker wie Publikum zu sorgen, ein Intermezzo von kurzer Dauer, das die Kräfte sammelte für einen in Tempo und Intensität erneut losgelösten zweiten Teil. Wo die Band auf Tonträger mitunter den Druck dezent herausnimmt, mit Bläsersätzen abrundet und ab und an auch verhaltener im Anschlag agiert, lässt sie im Live-Vortrag alle Dämme brechen und führt selbst durchschnittliches Songmaterial zu ungeahnten Höhen, gegen Ende des regulären Teils zitierte Greg Dulli gar die Doors und zog im Zugaben-Block mit dem finalen „Faded“ nochmals alle Register der Alternative-Rock-Dramatik.
Es war vor allem für die beinharten Whigs-Fans, zu Teilen aus fernen Gefilden der Republik angereist, ein denkwürdiger, erschütternder, ergreifender Konzert-Abend, dem das Publikum in der vollgepackten Backstage-Halle den gebührend frenetischen Applaus spendete.
(*****)