Heavy-Rock

Pontiak + So Low @ Kranhalle, München, 2019-03-17

Zwei Psychedlic-Spielarten in denkbar weit voneinander entfernten Extremen, am vergangenen Sonntagabend in der Kranhalle des Münchner Feierwerk. Irish-Folk-Vollbedienung und das ein oder andere Guinness am Nachmittag bei der großen St. Patick’s Parade der Irish Community in der Innenstadt oder das unwirtliche Regenwetter mögen größerem Besucherandrang im Wege gestanden sein, den auch diese Veranstaltung zweifellos verdient hätte.

Einen Schnaps vorneweg zur Brust genommen, „One for the Road“, quasi, und dann direktemang ohne viel Federlesens hinein ins Vergnügen: Die Brüder Jennings, Van und Lain Carney vom Neo-Pschedelic-Rock-Trio Pontiak aus der Blue-Ridge-Mountain-Gegend Virginias überwältigten ihr Publikum im Familienbetrieb am Sonntagabend zum letzten Termin ihrer Europa-Tournee mit einem entfesselten Set im Sturm, in den die drei bärtigen Zauseln von der amerikanischen Ostküste alles an Gewicht hinein warfen, was an groß auftrumpfender, lärmender Rockmusik seit Urzeiten gut, wahr und schön ist.
Als Power-Trio gab sich die Combo über knapp eineinhalb Stunden ihrer überbordenden Spielfreude hin, die vom Start weg in den Saal brandete und das Volk beherzt mitnicken ließ. Wo auf dem letzten Album „Dialectic Of Ignorance“ (2017, Thrill Jockey Records) die ein oder andere technische Spielerei an Keyboard-Sounds und psychedelisch verschleiernden, entschärfenden Synthetik-Elementen mitschwang, damit den Druck etliche Eichstriche unter der Siedepunkt-Marke kontrollierte, kaprizierte sich die Band bei ihrem München-Gig auf schwere Breitseiten in Sachen laute Strom-Gitarre plus Takt-gebende Dröhnung und ließ damit den berstenden Kessel ein ums andere Mal in entladenden Erschütterungen explodieren, Linderung der blutenden Ohren allenfalls mit einem Anstimmen melancholischer, klagender Psychedelic-Chöre gewährend. Der Wolfs-heulende und Höllenhund-knurrende Sangesbruder Van als Zentrum im Auge des Hurrikans, als permanenter Unruheherd in der heiligen Dreifaltigkeit setzte seinem beinhart angeschlagenen, überbordenden Gitarrenspiel keine Grenzen. Virtuose, gedehnte, jaulende Soli und staubtrockene, schroffe Heavy-Riffs in einem durch Mark und Bein fräsenden Midtempo durchdrangen die pulsierende Rhythmus-Arbeit seiner beiden Brüder, die mit grollendem, kraftvollem Bass und den machtvollen, befeuernden Drums das ihre zum brachialen wie rauschhaften Ausbruch beitrugen.
Zu großen Teilen mag das Pontiak-Donnern unüberhörbar in die Hochzeiten der hart und bleischwer rockenden Siebziger referenzieren, zum zähen wie gründlich erschütternden Malstrom der frühen Black Sabbath, zuweilen zum gewichtigen Proto-Garagenrock der MC5 und Stooges und den ausladenden Gitarren-Exzessen von Crazy Horse – und doch gelingt es der Carney-Verwandtschaft mit dringlicher Stoner-Wucht und einer aus Prog-, Acid- und Indie-Elementen gespeisten, zeitlosen Energie-Quelle, ihren Heavy-Psychedelic-Trip in gegenwärtiger Bodenhaftung zu verankern. Eine gepflegte Desert-Ballade im Zugabenblock, ein, zwei Tempo-zurückgenommene Nummern zum Innehalten, das soll es an gelasseneren Momenten im Pontiak-Vortrag an diesem Abend gewesen sein, der große Brocken war ein finster schimmernder Meteorit an Gitarren-dominierten, konzertanten Roh-Fassungen aus dem Œuvre des Trios.
Die Band bedient sich in der Inspiration ihrer Songs, in ihren bildhaften Beschreibungen zum desolaten Zustand der Welt unter anderem auch bei den Werken des derzeit schwer angesagten norwegischen Literaten Karl Ove Knausgård, dabei scheinen die drei Brüder in ihrem ungestümen Gebaren und ihrer unverstellten Erscheinung inklusive Anti-Frisuren und wallenden Rauschebärten weit mehr direkt dem hemdsärmeligen Personal von Ken Keseys Holzfäller-Epos „Sometimes A Great Notion“ entsprungen zu sein.
Dass die Carney-Brothers als Betreiber der eigenen Pen Druit Brewery der Schädel-spaltenden Münchner Augustiner-Brühe zusprachen, befremdete dann doch ein wenig, aber das soll’s auch schon an Naserümpfen zu diesem weithin schwerst gelungenen Konzertabend gewesen sein. Gegen eine Band, die dergestalt enthemmt aufspielt und nach dem Verhallen der letzten Zugaben-Akkorde direkt den Weg ins Auditorium sucht, um sich bei jedem Anwesenden persönlich per Handschlag für den Besuch zu bedanken, können keine seriösen Einwände geltend gemacht werden.

Den Abend eröffnete zuvor im halluzinogenen Kontrast das Ein-Mann-Projekt So Low aus Louisville/Kentucky, hinter dem Pseudonym verbirgt sich der OM-/Watter-Keyboarder Tyler Trotter. Wo Pontiak die hart abrockende Variante der angewandten Psychedelik pflegten, widmete sich der junge Electronica-Soundbastler für eine knappe halbe Stunde der digitalen Ambient- und Space-Variante. Aus eingangs monotonen Sphären-Klängen leitete er seine Kompositionen via gesampelter Cello-Drones im Minimal-Music-Intermezzo in einen ausgedehnten Hauptteil über, der sich an Früh-Siebziger-Spielarten des Krautrock anlehnte, vornehmlich an die ausgedehnten, gefällig und angenehmen ins Ohr gehenden Klangreisen von  Formationen wie Tangerine Dream, Neu! oder Ash Ra Tempel: die deutschen Pioniere des Genres haben augenscheinlich ihre prägenden Einflüsse bei der nächsten und übernächsten Generation auch jenseits des großen Teichs hinterlassen. So Low loopte synthetische, treibende Club-Rhythmen, reicherte mit atmosphärischem Synthie-Trance durch Schrauben an den Knöpfen und Reglern an und streute sporadisch über analoges Musizieren simple Mellotron-Melodien ein. Die Frage, warum er über seinen gesamten Vortrag hinweg eine weiße Fender Stratocaster als überdimensionales Schmuckstück umhängen hatte, beantwortete er mit wenigen, sekunden-kurzen, von den Maschinen nachbehandelten und verfremdeten Riffs, die das Klangbild nur unwesentlich bereicherten und kaum das Risiko eines steifen Halses rechtfertigen.
Höflicher und verdienter Applaus für dieses Ohren-schmeichelnde Intro, das mit energetischem Ambient-Flow nicht geizte und mindestens den Freunden der alten bundesrepublikanischen Instrumental-Electronica das ein oder andere Schmunzeln des Wiedererkennens ins Gesicht zauberte.

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MC50 + Taskete! @ Backstage Halle, München, 2018-11-23

„Fred Smith und ich gründeten kurz darauf eine super Gruppe, die wir mit den besten Musikern aus unseren beiden Bands besetzten. Später kam noch Rob Tyner dazu, ein Beatniktyp. Von ihm stammt auch der Name MC5. Rob fand, das würde sich anhören wie eine Seriennummer – es passte also hervorragend zum Leben zwischen Autofabriken. Immerhin kamen wir aus Detroit, und die MC5 hörten sich an, als wären sie auf dem Fließband entstanden.“
(Wayne Kramer in: Legs McNeil, Gillian McCain, Please Kill Me: The Uncensored Oral History Of Punk)

„Kick Out The Jams, Motherfuckers!“, von den Motor City Five vor einem halben Jahrhundert im radikal links-revolutionären Geist dem amerikanischen Hippie-Volk im Grande Ballroom zu Detroit um die Ohren geblasen, kurz darauf bei Elektra als heute noch ohne Abstriche gültiger Meilenstein der Rockmusik für die Nachwelt auf Vinyl gepresst, zu der Gelegenheit dem benachbarten Iggy und seinen Stooges zum Plattenvertrag bei der selben Firma verholfen, und damit der Musik-konsumierenden Welt erstmalig eine ungefähre Ahnung gegeben, was da ein paar Jahre später unter dem Label „Punk“ an roher Energie auf sie einwirken sollte.
50 Jahre MC5 und die Veröffentlichung ihres Protopunk-Debüt-Jahrhundertwerks, Grund genug, für Gitarrist Wayne Kramer mit einer handverlesenen Schar an Indie-/Alternative-Größen unter dem hochgezählten Band-Namen MC50 zum würdigen Zelebrieren des Jubiläums auf große Konzertreise zu gehen, vergangenen Freitag machte der US-amerikanische All-Star-Tross auch im Münchner Backstage Halt.
Im Vorfeld gehegte Zweifel hinsichtlich lauer Darbietungen aufgewärmter, abgestandener Rock-Dinosaurier-Kost zwecks Aufbesserung der Musikanten-Rentenkasse zerstreuten sich umgehend mit Konzert-Start, die Band legte furios los mit dem ersten Teil der Setlist, die alle acht Stücke des Debüts in leicht veränderter Reihenfolge präsentierte, herausragend dabei neben solider bis mitreißender Aufführung von „Ramblin Rose“ über den allseits bekannten Titeltrack „Kick Out The Jams“ und aller weiteren Heavy-Perlen vor allem das Platten-beschließende „Starship“ als großartige, ausgedehnte Space-Rock-Jam zwischen experimentellem Free Jazz, Cosmic American Music und lichternder Acid Psychedelic in Anlehnung an „Dark Star“-Exerzitien der Vorzeige-Hippies von Grateful Dead.
Die Band ließ zu keiner Sekunde Zweifel an der Ernsthaftigkeit ihrer Unternehmung aufkommen, Mastermind Wayne Kramer selbst als einzig verbleibendes Gründungsmitglied der MC5 offenbarte geradezu lichterlohes Brennen für sein Werk und eine fulminante Bühnenpräsenz, wohlgemerkt für einen mittlerweile Siebzigjährigen. Der Ausnahmegitarrist hat sich offensichtlich von persönlichen Rückschlägen wie seiner früheren Drogensucht, einem Gefängnisaufenthalt, durchwachsenen Solo-Erfolgen und Jobs als Handwerker zur Finanzierung des Lebensunterhalts nicht unterkriegen lassen, Kramer gibt trotz lichter werdendem Haupthaar im fortgeschrittenen Rentneralter den bestens aufgelegten, Energie-geladenen Springteufel, hinsichtlich Fingerfertigkeiten an den Saiten seiner elektrischen Gitarre ist der Mann ohnehin über jede Zweifel erhaben, wie sein begleitendes, prominentes Tour-Personal nicht minder.
Soundgarden-Gitarrist Kim Thayil glänzte als spielfreudiger, versierter Ersatzmann für den 1994 dahingeschiedenen Fred „Sonic“ Smith, die gleichsam nicht mehr unter den Lebenden weilenden MC5-Musiker Rob Tyner und Michael Davis wurden imposant von Zen-Guerilla-Sänger Marcus Durant und dem Faith-No-More-Bassisten Billy Gould vertreten, erster nebst der Optik durch explodierendes Afro-Haar vor allem auch wegen seinem voluminösen Sanges-Organ für den Job mehr als prädestiniert, zweiter mit unermüdlichem Druck ein herausragender Rhythmusgeber an den wummernden Bass-Saiten, im kongenialen Verbund mit ex-Fugazi-Drummer Brendan Canty, den man mit seinem virtuosen Getrommel nach mehreren vergangenen Dekaden endlich wieder einmal in München begrüßen durfte.
Das Quartett beeindruckte mit einer beseelten Mixtur aus technisch brillantem Prä-Grunge, unsentimentaler Punk-Härte und schneidigem Garagen-Rock, in selten so differenziert gehörtem, glasklaren Sound, ohne den Schmutz der alten Rock-Hauer vermissen zu lassen, neben dem kompletten Material des 1969er-Debüt-Albums mit einer Auswahl an Songs aus den beiden Folge-Werken „Back In The USA“ und „High Time“, Sänger Durant gab nebst grundsolider Performance vor allem in der zu einem hart rockenden Blues-Bastard anschwellenden Ray-Charles-Nummer „I Believe To My Soul“ als einziger Cover-Version des Abends und im schwergewichtigen Bluesrock von „Let Me Try“ im Zugabenblock den extrovertierten, mächtig beeindruckenden Soul-Shouter, ganz Frontmann der alten Schule.
Da hat eine Zusammenkunft aus alten Haudegen dem Nachwuchs eine mustergültige Lehrstunde an handfestem, enthusiastischem, substanziellem Rock-Entertainment im historischen Kontext ohne Verfallsdatum verpasst, wem das am vergangenen Freitag keinen Respekt abnötigte, der- oder demjenigen war dann hinsichtlich Geschmacksverirrung oder Taubheit wohl kaum mehr zu helfen…

„Die MC5 waren die Typen, die die Bäume gefällt haben, um die Feldwege anzulegen, damit die Straßen gepflastert werden konnten, um die Highways zu bauen, damit der Rest von uns im Cadillac spazierenfahren konnte.“
(Cub Koda)

MC50 live in unseren Landen noch zu folgenden Gelegenheiten, highly recommended:

27.11.Köln – Luxor
28.11.Berlin – Columbiahalle
29.11.Hamburg – Fabrik

Die zwei jungen Mannen aus dem Vorprogramm können sich zweifellos noch einiges abschauen von den alten Hasen, da heißt es Augen und Ohren auf zur Gelegenheit der gemeinsamen Tour. Drummer Flo Weber von den Sportfreunden Stiller hat die Komfort-Zone des deutschsprachigem Mainstream-Indie-Pop seiner Stammcombo verlassen und sich mit Aren Emirze, dem ehemalige Frontmann der hessischen Noise-Rock-Kapelle Harmful im Sommer zum gemeinsamen Duo-/Seiten-Projekt Taskete! formiert. Druckvolles, entfesseltes Getrommel und lärmende Stromgitarre sorgten für leidlich gefällige Unterhaltung zwischen Garage und Grunge, die dem lautmalenden, oft zu Gehör getragenen  Alternative-Rock-Gedröhne vergangener Dekaden im Wesentlichen nicht allzu viel Neues hinzuzufügen hatte und fürderhin ein gerüttelt Maß an breitgefächertem, ergänzendem Ideen-Input zur durchaus brauchbaren Basis benötigt, um den Weg aus Einheitsbrei und dreißig-minütigem Vorprogramm-Beschallen zu finden.

The Devon Allman Project, Duane Betts + Wynchester @ Backstage Club, München, 2018-08-30

Die Hitzewelle scheint überstanden, ein untrügliches Anzeichen, dass sich auch das konzertante Sommerloch langsam aber sicher schließt: Das Münchner Backstage präsentierte am vergangenen Donnerstag-Abend ein ordentlich geschnürtes Live-Paket in der Atmosphäre der von hoher Luftfeuchtigkeit und schwülen Hochsommer-Temperaturen durchtränkten Nächte des US-amerikanischen Südens wie zur Brauchtums-Pflege des Southern Rock, als Nachlassverwalter waren zwei Ausnahmemusiker der nachgeborenen Generation aus dem Umfeld der legendären Allman Brothers Band am Start.
Bevor der Südstaaten-Bluesrock in seiner ausladenden Pracht durch die Halle des gut besuchten Backstage-Clubs schallte, eröffnete das Akustik-Duo Wynchester den launigen Traditionalisten-Ball, die beiden Folk-Gitarristen Mike Bray und John Konesky tummeln sich beizeiten im Dunstkreis der fragwürdigen Comedy-Rocker Tenacious D um den bekannten Hollywood-Schauspieler Jack Black, wer stumpfes Gaudiburschen-Gepolter im Programm der beiden Songwriter vermutete, durfte dahingehend indes schnell alle Befürchtungen in den Wind schreiben, Leadsänger und Rhythmus-Gitarrist Bray gab den gut gelaunten und humorigen Conférencier, Konesky glänzte als versierter Saiten-Künstler mit etlichen gelungenen, filigranen Soli auf seiner Akustischen im kurzen Eröffnungs-Gig, in dem die beiden Sympathie-Bolzen eine Handvoll Eigen-Komponiertes wie auf schmissige Americana getrimmtes Fremdwerk aus der Feder von Steely Dan und Lionel Richie zum Besten gaben, in einer stilistischen Bandbreite von akustischem Country-Blues über beschwingten Western-Swing bis hin zu einer beseelten Trucker-Folk-Ballade. Unspektakulärer, äußerst angenehmer Kurzauftritt und sowas wie die Ruhe vor der Gewitter-artigen Stromgitarren-Entladung, die da geballt noch aufziehen sollte.

„Irgendwie hieß es, ich wäre heute gar nicht da, aber jetzt bin ich doch hier“ begrüßte Duane Betts, der Sohn von Allman-Brothers-Band-Co-Founder und Weltklasse-Gitarristen-Legende Dickey Betts, das Münchner Publikum zum Auftakt seines virtuosen, gut einstündigen Gigs, der junge Mann, dem das Gespür für die exzellente Saiten-Kunst des Southern Rock bereis in die Wiege gelegt und der nach Allman-Bruder Duane getauft wurde, der „on the road“ an der Seite seines Vaters das Rock’n’Roll-Geschäft und die Finessen auf den sechs Saiten von jungen Jahren an von der Pike auf lernte – wer wäre mehr dazu prädestiniert, den musikalischen Geist der Frühsiebziger aus den Sümpfen Floridas weiterzutragen und die Erinnerung an Elizabeth Reed wachzuhalten? Der introvertierte, in sich ruhende Musiker brillierte mit satten Gitarren-Licks, gedehnten Soli und wie scheinbar aus dem Ärmel geschüttelter technischer Brillanz an seiner Gibson, ein würdiger Nachfahr zur Fortführung der hohen Kunst in Sachen Jam-Band-Flow und Crossover aus Blues-Rock, Southern-Süffigkeit und schwarzem Fusion-Groove. Im Verbund mit einer exzellent eingespielten Backing-Band spielte sich Betts in einen Rausch, dem analog zu den Urvätern auf ihrem seinerzeit im Fillmore East mitgeschnittenen Live-Meilenstein aus dem Jahr 1971 die lebendige Improvisations-Spontanität, das versierte Zusammenspiel und die beseelte instrumentale Meisterschaft von Coltrane über Hendrix bis hin zu den Dead innewohnte. Der Nachwuchs-Gitarrengott coverte sich gekonnt durch alte Southern-Klassiker der Altvorderen und gab darüber hinaus Einblick in eine Auswahl seiner Arbeiten vom neuen Album „Sketches Of  American Music“, da war einer am Werk, bei dem die musikalische Früherziehung und die Gnade der genetischen Disposition reichhaltige Früchte trägt. Der eigentliche Star des Abends, dem im Nachgang zu seinem kurzen Gig im weiteren Verlauf der Veranstaltung beim Auftritt von Devon Allman noch weitere Gelegenheit zur Entfaltung seiner expliziten Fertigkeiten gegeben wurde.
Wie schön, dass er trotz vorab anders lautender Infos doch da war…

Als Sohn des Allman-Brothers-Organisten Gregg trägt man zweifelsohne schwer am Erbe des großen Namen, MusikerInnen wie Rosanne Cash, Jakob Dylan oder Julian Lennon als Nachwuchs von Ausnahmekünstlern können gewiss alle ein Lied singen von den Schwierigkeiten, aus dem Schatten der weltberühmten Väter zu treten, wenn im Fall von Devon Allman die nicht zu überhörenden, selbst benannten prägenden Einflüsse vom Layla-Geleier des Bluesrock-Derivats Clapton (bei dessen Einspielung auch Onkel Duane 1970 maßgeblich beteiligt war) und das Latin-Gefrickel eines Carlos Santana hinzukommen, kann es ab und an etwas eng werden mit der eigenständigen Emanzipation im Musikbusiness, das extrovertierte Grimassen-Schneiden beim Herausjaulen der Gitarren-Soli im Stile Stevie Ray Vaughans machen die Nummer dahingehend nicht einfacher, wie auch nicht das wiederholte, in Richtung Mainstream/Stadion-Rock schielende, mitunter enervierende „Clap Your Hands“-Anheizen, und dennoch hatte der Auftritt des Gregg-Filius und seines Projects, dass sich nahezu personell identisch aus der Band vom vorangegangenen Betts-Gig rekrutierte, genügend erhebende Momente, um einen gelungenen Konzertabend abzurunden. Als hart rockender Fender-Gitarrist überzeugte Devon Allman ohne Abstriche, wie auch mit einem gesegneten, im schwarzen Soul verhafteten Sangesvortrag. Die sporadisch mit Duane Betts korrespondierenden Gitarren-Soli sprühten vor improvisatorischen Ideen, bei der Auswahl und Interpretation US-amerikanischer Songklassiker nebst eingestreutem Eigenmaterial bewies das Ensemble eine sichere Hand. Da war zum einen der wie ein Dr-John-Wiedergänger daherkommende Keyboarder Nicholas David mit seiner Einlage, in der er mit der Withers-Nummer „Lean On Me“ als schwergewichtiger Soul-Crooner zu überzeugen wusste, im Mittelteil glänzte die gesamte Band mit einer wunderschönen, lockeren Version des Country-Rock-Songs „Friend Of The Devil“ vom Folk-Klassiker „American Beauty“ der Grateful Dead, und allerspätestens beim Grande Finale, in dem die Formation die ellenlange Fassung des Allman-Brothers-Sahnestücks „Dreams“ vom 1969er-Band-Debüt als großes Southern-Rock-Hochamt präsentierte, gab es hinsichtlich Begeisterungsstürmen im Publikum kein Halten mehr, die Gitarristen gaben sich die Klinke in die Hand bei den ausladenden Soli, die Rhythmusabteilung arbeitete intensiv inklusive doppelter Drum-Besetzung, und das süffige Georgel sorgte für das entsprechende Swampland-Feeling – das Auditorium, das an dem Abend sicher mit keinen großen Innovationen hinsichtlich Weiterentwicklung der traditionellen Rockmusik rechnete, bekam das Erwartete reichhaltig erfüllt. Die 2014 endgültig in die Annalen eingegangene Allman Brothers Band hat nach wie vor in Interpreten und/oder ex-Musikern wie Warren Haynes und seiner Formation Gov’t Mule, dem Gitarristen-Wunderkind Derek Trucks und – wie am Donnerstag Abend eindrucksvoll unter Beweis gestellt – im eigenen Familien-Nachwuchs mit den beiden Gitarristen Devon Allman und Duane Betts eine ganze Handvoll würdiger Gralshüter im Rennen.

Reingehört (367): Radio Moscow

Radio Moscow – New Beginnings (2017, Century Media Records)

Bandgründer, Sänger und Multiinstumentalist Parker Griggs und die beiden anderen Langhaarigen hören sich auch auf dem fünften Radio-Moscow-Album so an, wie die Optik der Band mit dem ersten Gedanken spontan vermuten lässt: nach Heavy-Sound, Marshall-Boxen-Türmen, ausladenden Gitarren-Soli, rausgerotzten Rock’n’Roller-Weisheiten, säuerlichen Alkohol-Ausdünstungen am Tag danach, eingefangen in Biker-Garagen-Atmosphäre, die Luft geschwängert vom Motorenöl-Duft, Rauchwaren-Schwaden und dem Aroma von verschüttetem Bier.
Das Trio aus Iowa geht auf „New Beginnings“ mit einer Vehemenz und einem energetischen Uptempo-Drive zugange, mit denen es letztendlich einerlei ist, ob die schneidenden Gitarren-Riffs, der heftige Rhythmus-Anschlag, der Wah-Wah-Pedal-Einsatz, der irgendwo zwischen Robert-Plant- und Ronnie-Van-Zandt-Plagiat herausgepresste Southern-Gesang und die vereinzelten, gedrosselten Jam-Improvisations-Passagen vor allem an psychedelischen Hard-Blues und Heavy-Rock längst vergangener Tage kurz vor der Geburtsstunde des Früh-Siebziger-Metal erinnern. Der Band selbst scheint es auch völlig egal zu sein, dass ihr Stoner-/Grunge-gewürzter End-Sechziger-Krach erst gar nicht versucht, die Einflüsse aus dem Hauptwerk von altgedienten und in vergangenen Dekaden hinlänglich durchgenudelten Combos wie Led Zeppelin oder Blue Cheer zu vertuschen, und diese ausgeprägte LMAA-Haltung nötigt mindestens genauso viel Respekt ab wie die unstrittigen handwerklichen Talente der Musikanten.
Like Punk never happened.
(**** ½)