Hip Hop

Soul Family Tree (59): Soul goes Country, again – und eine Handvoll Jubiläen…

Black Friday, heute mit einem neuen Beitrag vom Hamburger Freiraum-Blogger Stefan Haase: „Soul goes Country“ hieß es in dieser Reihe bereits im November 2017 mit der Würdigung der „Dirty Laundry“-Sampler aus dem Hause Trikont, mit Johnny-Cash-Nummern in der Soul-Interpretation von Brian Owens und ausgewählten Songs der Altmeister Solomon Burke und Charlie Rich, heute knüpft Stefan an das Thema an und erinnert darüber hinaus an einige Jubiläen aus der Welt des Hip Hop:

Heute geht es im Soul Family Tree um die Begegnung von Country und Soul. Countrystars singen Soul. Und mit Ray Charles gibt es einen recht prominenten Vorreiter des Soul-Genres, der gleich mehrere Country-Alben aufnahm. Bereits 1959 legte er mit dem Album „Modern Sounds In Country & Western“ einen Meilenstein vor. Dazu blicken wir 30 Jahre zurück und erinnern an das Debüt von De La Soul und an das vor 15 Jahren erschienene Meisterwerk von Madvillain. Und als Bonus gibt es obendrauf eine sehr gute Musik-Dokumentation.

Kommen wir gleich zu Beginn zu Ray Charles. Er perfektionierte seinen eigenen Stil aus Blues, Gospel und Jazz und hatte bereits früh einen Plattenvertrag bei Atlantic Records. Angetrieben von dem Wunsch, ganz nach oben zu kommen, nahm er zahlreiche Hits auf: „What I’d Say“ oder „Hit The Road Jack“ stürmten die R&B- und Pop-Charts. Ende der 1950er Jahre war er bereits auf dem Höhepunkt seiner Karriere und wechselte zu ABC Paramount. Dort bekam er volle künstlerische Freiheit und schrieb mit dem Album „Modern Sounds In Country & Western“ Musikgeschichte.

Als Kind saß er vor dem Radio und hörte die Sendung „Grand Ole Opry“, die bekannteste Country-Show des Landes. Seitdem träumte er davon, ein Country-Album aufzunehmen. Mit dem neuen Plattenvertrag ist er selbstbewusst genug, es zu tun. Doch spielte er die Songs nicht einfach nach. Er machte daraus swingende Pop-Nummern mit üppigen Streicher- und Bläser-Arrangements.

„Modern Sounds In Country & Western“ gilt als eines der erfolgreichsten Country-Alben überhaupt. Aber Ray Charles erreicht damit sehr viel mehr als ein paar Hits in den Billboard Charts. Auf seinen Konzerten tanzen schwarze und weiße Jugendliche gemeinsam. Er verband beide Welten, was einer kleinen Revolution im Amerika der Rassentrennung gleichkam.

Ray CharlesJust A Little Lovin‘

Und hier ein Wiederhören mit dem König des Swamp-Rock, Tony Joe White, der leider im Oktober letzten Jahres verstarb:

Tony Joe WhiteDid Somebody Make A Fool Out Of You

Townes Van ZandtBlack Widow Blues

Bobbie GentryMississippi Delta

Johnny DayeStay Baby Stay

The Country Soul ReviewSapelo (feat. Larry John Wilson)

Millie JacksonPick Me Up On Your Way Down

Blicken wir zurück. Im März 1989 veröffentlichten De La Soul ihr Debüt „3 Feet High And Rising“. Das Hip-Hop-Trio aus New York begründete damit einen Stil-Wechsel. Weg vom Gangsta-Rap und hin zu einem mehr freundlicheren Auftritt. Das nannte sich Native Tongues Posse und erlebte in den 1990er-Jahren seine Blütezeit. Aus dieser Zeit stammen Künstler wie Queen Latifah, Jungle Brothers oder A Tribe Called Quest.

De La SoulPlug Tunin‘ (Last Chance To Comprehend)

Und vor 15 Jahren erschien das Debüt vom Hip-Hop-Duo Madvillain. Damals zunächst kein großer kommerzieller Erfolg, dieser sollte sich erst mit den Jahren einstellen. Heute zählt das Debüt zu den besten HipHop-Alben aller Zeiten. Besonders die gekonnte Sample-Technik, unter anderem der Einfluss von Jazz-Samples, macht dieses Album auch heute noch zu einem hörenswerten Kunstwerk.

MadvillainAll Cabs

Vor fast 20 Jahren kamen die damaligen Rapper Dr. Dre, Snoop Dogg, Ice Cube und Eminem für eine Konzerttour zusammen. In der Arte-Dokumentation „Up In Smoke“ sieht man nicht nur eine grandiose Hip-Hop-Show, sondern erhält auch einen Blick hinter die Kulissen. Gefilmt wurde die Tournee und das Konzert am 20. Juli 2000 in Worcester, Massachusetts. Und diese sehenswerte Dokumentation gibt es noch bis zum 1. Juni in der arte-Mediathek.

Bis zum nächsten Mal.

Peace and Soul.

Stefan aka Freiraum.

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Soul Family Tree (57): Inspiration & Intro

Im heutigen Black-Friday-Gastbeitrag zeigt der Hamburger Freiraum-Blogger Stefan Haase mit ausgewählten Songs, wo gut abgehangene Mainstream-Hanseln wie die ollen Beatles oder die Hardrock-Urknaller von Led Zeppelin seinerzeit ihre musikalischen Ideen vornehmlich bei afro-amerikanischen Musikern zusammengeklaut haben, quasi die fortgeführte Ausbeutung der Sklaven-Nachfahren durch den weißen Mann, mit anderen Mitteln  – Stefan formuliert das seinem Naturell entsprechend selbstredend etwas charmanter und thematisch differenzierter, here we go:

Heute dreht sich alles um Inspiration in der Musikgeschichte, und zum Ende um einen Podcast, der sich mit Intros von Songs beschäftigt.

Vor 50 Jahren erschien das Debut von Led Zeppelin. Auch die beiden Köpfe der Band, Robert Plant und Jimmy Page, ließen sich musikalisch inspirieren. Ihr Song „Rock And Roll“ ist hinlänglich bekannt, er wurde stark beeinflusst von Little Richard’s „Keep A Knockin'“, wie Plant in einem Interview verriet.

Led ZeppelinRock And Roll

Little RichardKeep A Knockin‘

Wir bleiben in England. John Lennon soll eine Jukebox besessen haben, so die Legende. Und irgendwann tauchte diese Jukebox wieder auf, wurde versteigert und anhand der Original-Singles erschien 2004 auch ein Album mit allen Songs. Es soll die Musik dokumentieren, die Lennon musikalisch inspirierte. Wie gesagt, belegt ist wenig. Doch heute weiß man, dank zahlreicher Interviews u.a. mit Paul McCartney, dass die beiden sich ebenfalls inspirieren ließen vom Sound der 1950er/1960er Jahre. Auf dem Album „John Lennon´s Jukebox“, erschienen bei Virgin, findet sich eine interessante Auswahl von Singles aus den Jahren 1956-1966. Hier trifft man wieder auf Little Richard, Wilson Pickett’s „In The Midnight Hour“ und auf Otis Redding, Bob Dylan und viele mehr. Ausführlicheres dazu gibt es bei Wikipedia zum Nachlesen, inklusive Tracklist.

Und hier einige Songs zum nachhören und rätseln, zu welchen Beatles-Songs sich John Lennon hat inspirieren lassen.

Chuck BerryNo Particular Place To Go

Little RichardSlippin‘ and Slidin‘ (Peepin‘ and Hidin‘)

Bobby ParkerWatch Your Step

Bobby Parker war ein Rhythm-and-Blues-Musiker. Sein Song „Watch Your Step“ aus dem Jahr 1961 war inspiriert von Dizzy Gillespie’s „Manteca“ und „What I´d Say“ von Ray Charles. Die Nummer war sein einziger Billboard-Hit. Parker trat oft zusammen mit Chuck Berry und Little Richard auf.

Vor fast 40 Jahren erschien das letzte reguläre Album der Band The Specials. Sie waren die erste Ska-Band in England und hatten enormen Erfolg. Auch wenn sie bis heute aktiv sind und Konzerte spielen, neues Songmaterial war bis vor kurzem Mangelware. Doch nun heißt es „Encore“, der Titel des neuen Albums. Und die erste Single daraus lässt sich gut hören. Erinnerungen an „Ghost Town“ werden wieder wach.

The SpecialsVote For Me

Missy Elliott wurde als erste Rapperin in die Songwriters Hall Of Fame aufgenommen. Das ist bemerkenswert, da bislang nur Jay-Z und Jermaine Dupri als Hip-Hop-Künstler aufgenommen wurden. Das ist Grund genug, auf den ersten Hit von Missy Elliott zurück zu blicken, der besonders bei regnerischen Wetter für gute Laune sorgt. Der Song erschien 1997 und basiert auf den bekannten Song „I Can´t Stand The Rain“.

Missy ElliottRain (Supa Dupy Fly)

Wer erkennt folgende Lyrics? „Chaka, Chaka, Chaka, Chaka Khan / Chaka Khan, Chaka Khan, Chaka Khan / Chaka Khan, let me rock you / Let me rock you, Chaka Khan …“ Prince schrieb für Chaka Khan ihren größten Hit mit „I Feel For You“. Sofort denkt man auch an Grandmaster Melle Mel, der dabei rappte. Nach vielen Jahren, in denen man von Chaka Khan nichts mehr hörte, kommt nun ein neues Album. Im letzten Jahr erschien bereits die erste Single „Like Sugar“, und nun hat sie ihr Video für „Happiness“ veröffentlicht. Und irgendwie ist die Zeit stehen geblieben. Satte Bassläufe und die alte Schule aus den 1980er Jahren lassen sich wieder hören.

Chaka Kahn Happiness

Und die letzte Inspiration kommt von McKinley Morganfield. Besser bekannt als Muddy Waters. Er inspirierte so viele andere Musiker und u.a. auch Led Zeppelin. Der geniale Willie Dixon schrieb den Song „You Need Love“, der Led Zeppelin für die Lyrics zu „Whole Lotta Love“ inspirierte.

Muddy WatersYou Need Love

Podcasts erfreuen sich seit geraumer Zeit großer Beliebtheit. Sound Opinions haben mit Great Starts einen wunderbaren Podcast ins Leben gerufen, in dem es um das Intro, die Anfänge in bekannten Songs geht. Und die Songauswahl ist richtig gut. Wer zum Beispiel mehr über Public Enemys Klassiker „The Power“ erfahren möchte, oder wie New Order den Beginn von „Blue Monday“ umgesetzt haben, sollte einschalten. Die beiden Moderatoren Greg und Jim schreiben dazu: „The first few bars of a song can make it or break it! Jim and Greg share tracks they think have great starts. They also share one song each that has an iconic ending“.

In der aktuellen Ausgabe geht es u.a. um The Temptations und ihren Klassiker „Papa Was A Rolling Stone“, um Public Enemy oder John Cale’s „Hallelujah“.

Bleibt inspiriert und bis zum nächsten Mal.

Peace and Soul.

Stefan aka Freiraum.

Soul Family Tree (49): Don’t Believe The Hype

Nach längerer Pause heute wieder Black Friday mit einem Gastbeitrag von Stefan Haase vom Hamburger Freiraum-Blog, here we go:

Der amerikanische Sänger Clarence Fountain, Mitbegründer des legendären Ensembles Five Blind Boys Of Alabama, ist vor einigen Wochen im Alter von 88 Jahren gestorben. Er war einer der Großen des Gospels. Bereits als Schüler schloss er sich Ende der 1930er Jahre mit Freunden zusammen und gründete eine Vokalgruppe namens Happy Land Jubilee Singers. Der erste große Hit folgte 1948 mit „I Can See Everybody´s Mother But Mine“. Später benannte sich die Formation in Five Blind Boys Of Alabama um. Statt wie andere Vokalgruppen auf den Soul- oder Blues-Zug zu springen, blieben sie dem Gospel ein musikalisches Leben lang treu.
Sie engagierten sich in den 1960er Jahren in der Bürgerrechtsbewegung, spielten auf Veranstaltungen für Martin Luther King und feierten mit dem Musical „The Gospel of Colonus“ wie auch mit ihren eigenen Alben Erfolge. In den 2000er Jahren folgten mehrere Grammy-Preise und schließlich 2009 der Preis für ihr Lebenswerk.
Neben eigenen Werken arbeiteten die Blind Boys mit anderen Künstlern wie Lou Reed, Tom Waits, Bonnie Raitt oder K.D. Lang zusammen. Clarence Fountain stand noch bis 2007 auf der Bühne und im vergangenen Jahr erschien sein letztes Album „Almost Home“.

Five Blind Boys Of Alabama with Lou Reed in der Letterman-Show → youtube-Link

Bonnie Raitt and Five Blind Boys Of Alabama – When The Spell is Broken → youtube-Link

Five Blind Boys Of Alabama – Wade In The Water  → youtube-Link  

Jalal Mansur Nuriddin von den Last Poets wurde vom amerikanischen Geheimdienst überwacht und von Public Enemy und anderen Rap-Stars bewundert. Er hat mit den Lost Poets Anfang der Siebziger das vermutlich erste Rap-Album aufgenommen. Vor einigen Wochen ist er im Alter von 73 Jahren gestorben.
Jalal Mansur Buriddim haute seine Texte unter dem Pseudonym Lightnin‘ Rod mit Schärfe heraus, in einer Form, die man zuvor so noch nicht gehört hatte. 1973 erschien das Album „Hustler’s Convention“. Die LP wurde ein Flop und gehört dennoch neben Marvin Gayes „Inner City Blues“ und Gil Scott-Herons „The Revolution Will Not Be Televised“ zu den wichtigsten Alben der 1970er Jahre, es definierte bereits den Gangsta-Rap, obwohl es diesen Namen für den Stil noch gar nicht gab. Die Lost Poets waren Vorreiter. Sie suchten keine Melodien mehr, sondern legten über harten Jazz-Funk Schusswaffengeräusche. Das Album wurde später einer der großen Einflüsse für den Hip-Hop. Grandmaster Flash spielte als DJ Tracks davon und Chuck D. von Public Emeny feierte das Album als immer gültige „Landkarte des Gettos“. Später sampelten die Beastie Boys, der Wu-Tang Clan und andere einzelne Passagen aus diesem Album.
Die Botschaft war klar: „The real hustlers were rippin‘ off billions / From the unsuspecting millions“. Die Verbrecher hängen nicht auf der Straße ab, sie sitzen in den Konzernen. Die Last Poets forderten schon Anfang der 1970er Jahre „Wake Up Niggers“. Der Erfolg blieb dennoch aus. Durch den Hip Hop in den 1980er Jahren erinnerten sich viele Künstler wieder an die Lost Poets.

The Last Poets – Hustler’s Convention (Album 1973) → youtube-Link

Am 28. Juni 1988 erschien das Album „It Takes A Nation Of Millions To Hold Us Back“ von Public Enemy. Es sollte das Hip-Hop-Album werden, das den Hip Hop auf ein neues Level brachte, unzählige andere Künstler inspirierte und damals der meistverkaufte Mega-Seller der Sparte war. 30 Jahre sind eine lange Zeit. Dennoch sind die Zeilen von Chuck D beispielsweise in „Don’t Believe The Hype“ ein zeitloses Dokument. Dieses Album war wie ein Erdbeben, ein ganz großer Wurf.
Das lag zum einen am Sound und der hier erstmals eingesetzten revolutionären Sample-Technik. Public Enemy orientierten sich musikalisch an Bands wie Run D.M.C., was die Musik betraf. Darüber hinaus wollten sie sozialkritische und politische Texte vortragen, und sie legten bereits bei ihrem Debüt den Finger in die Wunde der Probleme der afroamerikanischen Gesellschaft.
Hank Shocklee/The Bomb Squad war seiner Zeit der Phil Spector des Hip Hops. Seine Sample-Technik: einmalig. Hier wurden neben musikalischen Samples auch Audio-Aufnahmen von beispielsweise Martin Luther King eingefügt, durch das Sampling gewinnt man den Eindruck, dass sich die Songs alle paar Sekunden verändern. Der Old School Rap wurde mit diesem Album begraben und eine neue Ära begann. Es ist ein wütendes Album, das dem Zorn der Farbigen eine Stimme gab und laut nach Veränderungen rief. Anfang der 1990er Jahre wurde „Bring The Noise“ zusammen mit der Thrash Metal Band Anthrax neu eingespielt. Und mit dem Def-Jam-Label von Rick Rubin hatte man zudem einen weiteren genialen Partner an der Seite. Insgesamt und als guter Einstieg in die Welt von Public Enemy sind ihre ersten drei Alben zu empfehlen: neben „It Takes A Nation Of Millions…“ das Debut „Yo! Bum Rush The Show“ (1987) und der Nachfolger „Fear Of A Black Planet“ (1990).

Public Enemy – It Takes A Nation Of Millions To Hold Us Back (Album) → youtube-Link

Public Enemy – Don´t Believe The Hype → youtube-Link

Zum Schluss noch zwei Radiosendungen zum nachhören. Gilles Peterson hatte in seiner Radio-Show in jüngster Zeit zweimal sehr interessante Gäste begrüßt. Zum einen den Multi-Instrumentalisten, Produzenten, Arrangeur und Komponisten Adrian Young, der untere anderem durch seine Zusammenarbeit mit Kendrick Lamar und A Tribe Called Quest bekannt wurde. In der Sendung stellt er sein neues Album vor.
Als zweiten Gast empfing Gilles Peterson Kamasi Wahsington. Viel ist zu seinem neuen Album geschrieben worden. Hier kommt er selbst zu Wort, und Musik vom neuen Album gibt es auch.

BBC Radio 6 – Gilles Peterson meets Adrian Young → BBC iPlayer-Link

BBC Radio 6 – Gilles Peterson meets Kamasi Washington → BBC iPlayer-Link

Peace and Soul.

Stefan aka Freiraum.

Soul Family Tree (48): Cypress Hill

„Die Revolution hat gesiegt, es lebe die Routine! Hip Hop in ’93 befindet sich in einer Phase der Verfeinerung einmal erreichter Standards, die Szene ist geprägt von brillanten Technikern ohne Charisma. Allein Cypress Hill haben noch einmal das Kunststück geschafft, auf breiter Ebene einen neuen Stil durchzuboxen.“
(Oliver von Felbert, Spex, September 1993)

Bandjubiläum: Drei Dekaden Cypress Hill. Und in diesem Jahr soll der lange angekündigte Longplayer „Elephants On Acid“ erscheinen, es wäre das erste Studio-Album seit acht Jahren, indes: nichts genaues weiß man hierzu nach wie vor nicht.
Grund genug jedenfalls, an die frühen Jahre der Formation zu erinnern, in der sie mit ihren ersten Alben dicke Ausrufezeichen im amerikanischen Westcoast-Rap und Hip Hop setzten.

Die Hispanic-American-Formation Cypress Hill wurde 1988 von den beiden in Kuba geborenen Brüdern Senen „Sen Dog“ und Ulpiano „Mellow Man Ace“ Reyes, dem aus Queens/NYC stammenden Lawrence „DJ Muggs“ Muggerud und dem Rapper Louis „B-Real“ Freese in South Gate/Los Angeles gegründet, ursprünglich unter dem Namen DVX (Devastating Vocal Excellence). Mellow Man Ace verließ kurz darauf das Quartett für eine Solo-Karriere, worauf sich die verbleibenden Band-Mitglieder nach einer Straße in South Gate umbenannten.

Cypress Hill unterschrieben kurz nach Gründung einen Platten-Deal mit dem auf R&B- und Hip-Hop-Acts spezialisierten Columbia-Joint-Venture Ruffhouse Records, bereits das 1991 veröffentlichte, selbstbetitelte Debüt-Album „Cypress Hill“ ging kommerziell durch die Decke, das Erstwerk verkaufte sich über zwei Millionen Mal, vor allem bedingt durch das massive Airplay der Single „The Phuncky Feel One / How I Could Just Kill A Man“ im College-Radio wie auch bei großen Sendern, dabei war das Material des ersten Longplayers mit den experimentellen Loops, eingestreuten Gitarren-Riffs, einem nervenden Saxophon-Getröte und vor allem diesem für Cypress Hill typisch unfreundlich-quengelnden, hohen Vokal-Geleier alles andere als Hip-Hop-Mainstream.

Der frühe Cypress-Hill-Sound ist geprägt von B-Reals übertrieben nasalem Sprechgesang, einem schleppenden, oft in den Blues neigenden, düsteren Doom- und Down-Tempo-Groove, der in späteren Arbeiten durch das Sampling aus Melodien und Sounds von Prog-/Psychedelic-/Kraut-Rock- bis zu Filmmusik-Originalen noch verstärkt wurde. Die Band spielte von Anfang an bewusst mit finsteren Metal-Symbolen wie Totenschädeln, martialischen Tattoos und ähnlichem Firlefanz, wie man ihn sonst aus der Black-Sabbath-Ecke und Artverwandtem kennt. Seit jeher bekennen sich die Rapper zum Gras-Rauchen, die Forderung nach Marihuana-Legalisierung mündet bis heute in ihrer Befürwortung von Cannabis-Einsatz in der medizinischen Therapie. Das alles mag neben dem expliziten Sound zu einem Gutteil erklären, warum Cypress Hill auch bei Hörern anderen Indie-/Underground-Spielarten stets wohlgelitten waren und selbst bei beinharten Hardcore- und Grunge-Fans auf offene Ohren stießen. Ein bewusst vor sich her getragener Alles-egal-es-geht-eh-den-Bach-runter-Fatalismus und ein paar Deadhead-artige Rauschebärte reichten darüber hinaus völlig aus, um die Band Genre-übergreifend in der Outlaw-Subkultur zu etablieren, da brauchte es keine Körperverletzungs- und Totschlag-Delikte wie bei anderen Rap-Kollegas in jenen Tagen, und die paar Meilen von South Gate zum L.A.-Brennpunkt South Central spielten dabei wenn überhaupt auch nur eine untergeordnete Rolle.

„Black Sunday“, das zweite Album von 1993, toppte die Verkaufszahlen des Debüts um knapp eineinhalb Millionen Exemplare, der Tonträger stieg bereits in der ersten Verkaufswoche auf Platz 1 der Billboard-Charts ein und trug wesentlich dazu bei, dass Cypress Hill zu den ersten Latino-Hip-Hop-Superstars mit Multi-Platin-Seller-Status avancierten. Vor allem die erste Single des Albums, die Crossover-Nummer „Insane In The Brain“, erfreute sich auch beim klassischen Rock-Publikum großer Beliebtheit. Das Stück verwendet unter anderem Samples von James Brown, Sly & The Family Stone und den Youngbloods.

Die Band tourte in der Zeit mit Hardcore-/Punk-Bands wie Rage Against The Machine, 7 Year Bitch und den weißen Hip-Hop-Nachbarn von House Of Pain. 1993 nahmen sie auch zwei Stücke für den Rap/Metal/Grunge-Crossover-Soundtrack des Action-Thrillers „Judgment Night“ auf, „Real Thing“ zusammen mit Pearl Jam, und „I Love You Mary Jane“, einer Kollaboration mit der New Yorker Noise-Kult-Combo Sonic Youth, das Konzept des Filmmusik-Samplers war klar definiert: Jede Nummer wurde exklusiv von einem Hip-Hop-Act zusammen mit einer Formation aus der alternativen Rockmusik  aufgenommen. Der Kino-Streifen war laut Kritiken weit von einem cineastischen Meisterwerk entfernt, die Soundtrack-Beschallung erntete dagegen allseits wohlwollendes Lob, der amerikanische Rolling Stone merkte etwa an: „Judgment Night’s bracing rap rock is like the wedding of hillbilly and ‚race‘ music that started the whole thing in the first place….It’s an aspiring re-birth“.

Zwei Jahre später erschien mit „Cypress Hill III: Temples Of Boom“ Mitte der Neunziger das dritte Album, die Verkaufszahlen lagen wieder ordentlich im Millionenbereich, die Kritiken waren hingegen erstmals durchwachsen, obwohl die Band ihren Sound runderneuerte und auf ein tiefenentspanntes, nahezu Trance-artiges, dunkles Klangbild setzte, asiatisch-psychedelische Elemente in den Vordergrund stellte und bei den Samples tief in die Trickkiste griff, von Ravi-Shankar-Ragas über Ausschnitte aus Arbeiten der kalifornischen Acid-Rocker Iron Butterfly, Henry-Mancini-Filmmusik und Reggae-Tunes aus der Feder von Jackie Mittoo bis hin zur berühmten Ezekiel-25:17-Ansage von Samuel L. Jackson aus dem „Pulp Fiction“-Streifen wurde quer durch den Pop-kulturellen Gemüsegarten zitiert, daneben mischten bei einigen Stücken RZA und U-God vom New Yorker Wu-Tang Clan mit.
Etliche Fachblätter und Radiostationen konnten sich aber durchaus zu positiven Wertungen durchringen, und das wird diesem exzellenten Album mit All-Time-Favourites wie „Illusions“, „Boom Biddy Bye Bye“ und „Throw Your Set In The Air“ auch weitaus mehr gerecht.

Cypress Hill – „Throw Your Set In The Air“ → youtube-Link

Nach dem dritten Album beschäftigten sich DJ Muggs und der Rapper Sen Dog jahrelang mit eigenen Projekten wie dem losen Underground-Hip-Hop-Kollektiv Soul Assassins und der Rap-Metal-Combo SX-10, mit „IV“ veröffentlichten Cypress Hill 1998 nach 3 Jahren ein neues Werk, das qualitativ wie die weiter sporadisch bis 2010 veröffentlichten Longplayer nicht mehr an das Niveau der ersten drei Würfe heranreichte, die Band experimentierte in späteren Jahren mit zeitgenössischer Rockmusik, Punk und Reggae und entfernte sich damit von ihrem klassischen Sound, die Verkaufszahlen ließen entsprechend zu wünschen übrig, was 2010 zum Verlassen des Sony-Labels führte. Cypress Hill sind nach wie vor auf Sendung, vielleicht kommt irgendwann das lange angekündigte neue Album, ob es nochmal für einen großen Wurf reicht, wird sich dann zeigen. Bis dahin stehen die ersten drei Alben als Meilensteine des Rap im Black-Music-Kanon, und daneben seltsame Cover-Versionen von Cypress-Hill-Songs wie etwa die der britischen Indie-Rocker Kasabian…

Kaspian – „Insane In The Brain“ → youtube-Link

Soul Family Tree (47): I Have A Dream

Black Friday heute mit einer Ausgabe von Stefan Haase vom Hamburger Freiraum-Blog in Gedenken an den vor fünfzig Jahren ermordeten amerikanischen Bürgerrechts-Aktivisten und Baptisten-Pastor Martin Luther King Jr.

1968 war weltweit ein Jahr, das für Aufbruch und Befreiung stand, besonders für Amerika war es ein prägendes Jahr, über das es wenig Erfreuliches zu berichten gibt. Im Herbst wählten die Amerikaner den Republikaner Richard Nixon zu ihrem neuen Präsidenten. Er gewann die Wahl unter anderem, weil er versprach, für Recht und Ordnung zu sorgen. Martin Luther King hingegen befürchtete in früheren Reden, dass sich die Republikaner in eine Partei des Weißen Mannes verwandeln werden. Er sollte Recht behalten.

Am 4. April 1968 um 18.01 Uhr wurde Martin Luther King auf dem Balkon des Lorraine Motels in Memphis (Tennessee) erschossen. Danach kam es in über 100 Städten Amerikas zu teils massiven Ausschreitungen. Heute im Soul Family Tree: ein „I Have A Dream“-Mix, anlässlich des 50. Todestages von Martin Luther King. Musik, die von King und der damaligen Zeit und Stimmung inspiriert wurde.

1991 veröffentlichten die legendären Politrapper von Public Enemy den Song „By The Time I Get To Arizona“. Im Fokus des Song stand der damalige Gouverneur Fife Symington. Die Band protestierte im Text gegen die Weigerung des Gouverneurs, den Bürgerrechtsaktivisten mit einem Feiertag zu würdigen. Die Hauptrolle im Video spielte Martin Luther King, der sich 1968 vehement gegen den Vietnamkrieg stellte. Public Enemy ließen für das Video die Bürgerrechtsbewegung von damals wieder auferstehen und bauten Originalaufnahmen mit ein. Die Schlussszene sorgte für einen Skandal. Sie zeigte in Zeitlupe die Ermordung von King und Kämpfer, die ein Attentat auf den Gouverneur verüben. Das Video und der Song wurden damals in Amerika verboten. Trotzdem verkaufte sich das Album „Apocalypse 91…“ sehr gut und kletterte auf Platz eins der R&B Charts. Denn Public Enemy traf eine ganze Generation mitten ins Herz. Themen wie Rassismus, Armut, Arbeitslosigkeit gehörten zum festen Repertoire. Bereits 1988 veröffentlichten sie mit ihrem Album „It Takes A Nation Of Millions To Hold Us Back“ eines der wichtigsten Alben der HipHop-Geschichte.

Bei „By The Time I Get To Arizona“ ein Gitarrenriff der Band Mandrill und ein Loop der Jackson Five zu hören. Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre stand keine andere Band mehr für Widerstand als Public Enemy.

Nina Simone fragte, nur wenige Tage nach der Ermordung an King, „What will happen, now that the King is dead?“ und schrieb den Song „Why? (The King Of Love Is Dead)“.

James Brown wurde der Held der Stadt Boston. Einen Tag nach dem Attentat sollte er in der Stadt an der US-Ostküste spielen. Der Bürgermeister befürchtete Unruhen und plante, das Konzert abzusagen. Doch Brown wollte spielen, und es wurde vermutlich sein schwierigster und wichtigster Auftritt seiner Karriere. Als Zuschauer auf die Bühne kamen und niemand wusste, was passieren würde, blieb James Brown ruhig, beschwichtigte die Menge und setzte sein Konzert fort. Niemand wurde verletzt. Hier ein kleiner Ausschnitt. Das ganze Konzert wurde live mitgeschnitten und später veröffentlicht.

Muddy Waters, Otis Spann, Harmonica Master Little Walter und der Bassist Willie Dixon kamen im Mai 1968 nach Washington, um dort ein Benefiz-Konzert für „Poor People“ zu spielen. Otis Spann ist der vielleicht größte Blues-Pianist gewesen und stand für den Chicago-Blues. 1968 schrieb er zwei berühmte Songs: „Blues For Martin Luther King“ und „Hotel Lorraine“. Mehr zu diesem denkwürdigen Konzert kann man hier nachlesen: Blues For Martin Luther King.

America is essentially a dream
It is a dream of a land where men of all races
of all nationalities and of all creeds
can live together as brothers…

Bobby Womacks Alben „Poet I“ und „Poet II“ sind nach wie vor großartige Aufnahmen. Im Song „American Dream“ gibt es zu Beginn einen Auszug aus der berühmten „I Have A Dream“-Rede von Martin Luther King.

Black, god damn, I’m tired my man
Don’t worry bout what color I am
Because I’ll show you how ill, this man can act
It could never be fiction cause it is all fact…

Auch im HipHop und Rap inspiriert King bis heute viele Künstler. Run-D.M.C. waren Pioniere des HipHop. Ihr 1986er Album „Raising Hell“ erreichte Platinstatus. 2002 endete die Karriere abrupt. DJ Jam Master Jay wurde in einem Plattenstudio von einem Unbekannten erschossen. Danach lösten die verbliebenen Bandmitglieder die Formation auf. Aus ihrem Platinalbum kommt nun „Proud To Be Black“:

Die Liste mit von King inspirierten Songs könnte man lange weiterführen. Wer mag, sollte u.a. Sam Cooks „A Change Is Gonna Come“ hören und/oder die Cover-Versionen von Solomon Burke und Baby Huey (von Curtis Mayfield produziert). Dann wären da noch Gil Scott-Herons „Winter In America“ oder James Brown mit „Cold Sweat“ und natürlich Muddy Waters 1968er Album „Electric Mud“.

1968 war nicht nur für die USA ein wechselhaftes Jahr. Wenige Monate nach der Ermordung von King kam der damalige Justizminister Robert Kennedy ums Leben. Und in Deutschland wurde im April Rudi Dutschke schwer angeschossen. Dazu kommen weitere Unruhen und Demonstrationen in Frankreich und nicht zu vergessen der „Prager Frühling“ in der damaligen CSSR. 1968 war ein bewegtes Jahr.

Peace and Soul.

Stefan aka Freiraum.