Indien

Reingehört (375): Brooklyn Raga Massive

Brooklyn Raga Massive – Terry Riley In C (2017, Northern Spy)

Die Kompositionen des amerikanischen Minimal-Music-Pioniers Terry Riley sind neben Jazz-Referenzen stark beeinflusst von der indischen Musiktradition, jetzt haben sich Erneuerer der klassischen Raga-Musik nach dem Motto „Wie man in den Wald hinein ruft, so kommt es heraus“ um eines der zentralen Werke des Meisters angenommen.
Riley, der in der Welt der experimentellen Rockmusik vor allem durch seine Kollaboration mit dem ex-Velvet-Underground-Musiker John Cale zum gemeinsamen Album „Church Of Anhrax“ (1971, Columbia) und dem Einfluss auf Pete Townshends Synthie-/Keyboard-Sequenzen zu „Baba O’Riley“ und „Won’t Get Fooled Again“ bekannt sein dürfte, komponierte 1964 „In C“, quasi „Beethoven’s Fünfte der Minimal Music“, 1968 wurde das Werk von Terry Riley und seinen Mitmusikern erstmals für einen Tonträger bei Columbia Records eingespielt, seitdem ist die für die moderne und hier vor allem serielle Musik eminent einflussreiche Arbeit über die Jahrzehnte unzählige Male neuinterpretiert worden, unter anderem von der Cleveland-Protopunk-Band The Styrenes, der japanischen Psychedelic-Band Acid Mothers Temple oder dem New Yorker Kollektiv für zeitgenössische Klassik Bang On A Can.
Nun also die orientalische Variante: Die in New York beheimatete Organisation für indische Klassik Brooklyn Raga Massive, der unter anderem der in dieser Szene bekannte Sitar-Virtuose Abhik Mukherjee angehört, hat sich um die 53 kurzen, in unzähligen Schleifen wiederholten Heterophonie-Phrasen angenommen und arbeitet in ihrer live im Januar 2017 mit 18 Musikern eingespielten Interpretation den repetitiven, nahezu meditativ-hypnotischen Trance-/Proto-Ambient-Charakter der Komposition in eindrucksvoll gefangen nehmender Weise heraus, hier sind Könner ihres Fachs am Werk, die der über fünfzig Jahre alten Monotonie-Variation neues Leben einhauchen und diese in nicht geahnten Klangfarben des indischen Subkontinents erstrahlen lassen. Das Ensemble erweitert das vorgegebene Schema auf Anregung von Meister Riley himself um Solo-Einlagen diverser traditioneller asiatischer Instrumente wie um treibende Tabla-Rhythmen und bringt so neben dem experimentellen Ansatz die klassische indische Musik-Schule zur weiter reichenden Entfaltung, dementsprechend stellt die Formation das frei improvisierte „Raga Bihag Alap“ als Einführung, als sozusagen musikalisches Vorwort, zum indischen Raga vor die eigentliche „In C“-Interpretation. Die Eröffnungen zu den jeweiligen „Cells“ mögen der mit dem Riley-Werk vertrauten Hörerschaft noch geläufig erscheinen, durch den indisch-orientalischen Ansatz entwickeln die Phrasierungen schnell ein exotisches Eigenleben in grenzerweiternder Manier, die man bei dieser Komposition in der Intensität nicht erwartet hätte.
Tradition trifft Moderne in sich gegenseitig befruchtender Art und Weise, in dem Fall sind durchaus Zweifel erlaubt, welchen Part der über ein halbes Jahrhundert alte Minimal-Music-Urmeter und welchen die Jahrtausende-alte melodische Raga-Grundstruktur jeweils repräsentieren.
(***** – ***** ½)

Reingehört (73)

Shankar + Harrison

Ragamatic – Auditus (2015, Acre Recordings)
Da beschreitet einer ganz neue Wege in der Welt der indischen Sitarklänge. Der aus Weilheim stammende Reiner Heidorn hat jahrelang klassische hindustanische Musik auf der klassischen indischen Langhalslaute studiert und verbindet auf seinem neuen Werk die jahrhundertealte nordindische Musiktradition mit elektronischen Ambient- und Rhythmus-Elementen: “What would happen if a group of swāmi (hindu monks) would discover a synthesizer in one of their sacred forests?” Wahrscheinlich würde genau dieser hochspannende Crossover zwischen Tradition und elektronischer Moderne in Form von Sampling/Verfremdung passieren, der sich im vorliegenden Fall in einer spannenden Balance zwischen Meditations-Drone und rhythmischem, von Tempiwechseln immer wieder durchbrochenem, dezentem Groove findet.
Die Sitar selbst variiert zwischen vertrauter Melodienlandschaft und einer Art dezent angedeutetem, wohl der elektronischen Bearbeitung zu verdankendem Feedback, das derartige Ansätze aus dem Indie-Bereich, nennen wir mit Sonic Youth einen exemplarischen Namen, in andere Sphären geleitet. Zur Beschreibung der Klangvielfalt dieses Electronic Raga mögen Worte oft nicht ausreichen, in dem Fall muss man das selbst gehört haben.
Im oberbayerischen Weilheim gedeihen neben The Notwist und ihren gefühlt dreihunderteinundachtzig Nebenprojekten offensichtlich noch andere interessante musikalische Pflanzen…
Ragamatic ist konzertant zugange am 25. September im Münchner Haus der kleinen Künste.
(**** ½)

Stephan Micus – Nomad Songs (2015, ECM)
Der aus Stuttgart stammende Klassikkomponist und World-Musiker Stephan Micus hat eine gelungene Instrumental-Sammlung zum Themenbereich Nomaden/Wüste veröffentlicht, die getragenen, mitunter düster-melancholischen Stücke reflektieren in ihrer kargen, meditativen, ruhig angelegten Struktur beeindruckend das Leben in den entvölkerten, lebensfeindlichen Regionen des Planeten. Micus, der sich selbst als musikalischen Nomaden bezeichnet, beschäftigte sich auf seinen Reisen nach Asien, Südamerika und Afrika mit dem Studium traditioneller Instrumente und Kompositions-Techniken. Zum vorliegenden Werk schreibt seine Plattenfirma: „Nomad Songs is his 21st album for ECM; he plays nine different instruments, but emphasizes two he hasn’t used before: The first is the Moroccan genbri, a lute covered with camel-skin, played by the Gnawa in Morocco. The second is the ndingo, a lamellophone similar to the kalimba, used by the San people in Botswana.“
Das ambitionierte Album wurde, wie vom Münchner Nobel-Klassik/Experimental/World/Jazz-Label gewohnt, in aufnahmetechnisch und klanglich exzellenter Form produziert.
(****)

Jenner Zimmermann: Gesichter Indiens @ Gasteig München

Der Fotograf Jenner Zimmermann zeigt im Münchner Gasteig faszinierende Schwarz-Weiß- und Farb-Aufnahmen von seinen ausgedehnten Reisen nach Indien, die er zwischen 1978 und 2014 unternahm. Sie brachten ihn in viele Landesteile und entlegene Orte, wobei im Mittelpunkt seines Interesses und der Arbeit mit der Kamera der Mensch stand. Die Aufnahmen unternehmen den Versuch, die unzähligen Gesichter dieses faszinieren Subkontinents zu zeigen, ein Unterfangen, das wohl abschließend niemandem in Gänze gelingen kann.

Die Bilder beleuchten die gelebte Religiosität Indiens, die Dichte und die Kontraste des Zusammenlebens in den Metropolen und die Weite der Landschaften. Die Mehrzahl der gezeigten Fotografien sind in Jenner Zimmermanns vier Bild/Text-Bänden über Indien veröffentlicht worden.

Sein 1986 erschienenes Buch »Indische Heilige – Porträts« (List Verlag München) befasst sich speziell mit dem Thema der indischen Asketen; ein weiterer Schwerpunkt der Ausstellung ist das Portraitieren indischen Frauen, die sich in sozialen Projekten engagieren, so zum Beispiel die mit dem alternativen Nobelpreis ausgezeichnete Wissenschaftlerin und Sozial-Aktivistin Dr. Vandana Shiva.

Jenner Zimmermann: Gesichter Indiens
Bis 20. Mai 2015
Gasteig München, Rosenheimer Straße 5
Glashalle, 1. Obergeschoss
Öffnungszeiten:
Täglich 8.00 – 23.00 Uhr
Eintritt Frei.

Jenner Zimmermann / Homepage