Irish Folk

Wellbrüder aus’m Biermoos @ Sommerabend am Sendlinger Kirchplatz, München, 2018-06-30

„De AfD in Bayern, de braucha mia nia, sogt da Dobrindt, denn rechts und radikal warn oiwei scho mia!“
(CSU-Mantra zur anstehenden Landtagswahl)

Nach dem nahezu in jedem Sommer wiederkehrenden Jazz-Gedudel, das zu der Gelegenheit meist obstinat zu Hause bleiben oder das Abend-Entertainment woanders suchen ließ, präsentierte die Sendlinger Kulturschmiede in der 2018er-Ausgabe ihrer seit 28 Jahren stattfindenden Open-Air-Veranstaltung „Sommerabend am Sendlinger Kirchplatz“ am wunderschönen, Denkmal-geschützten Ensemble am Fuße der alten Sendlinger Kirche zur Abwechslung was Handfestes, Ohren-verträgliches und höchst Amüsantes, oder, um es im hier angebrachten Bairisch zu sagen: endlich moi wos G’scheids! Mit den Well-Brüdern aus dem oberbayerischen Hausen lud der Stadtteil-Kulturverein von schräg gegenüber jahrzehntelange Erfahrung in Sachen Musik-Kabarett, Satire, instrumentale Vielfalt wie handwerkliche Exzellenz auf die Bühne. Die ehemalige Biermösl Blosn, die sich 2012 – durch den Ausstieg von Hans Well bedingt – nach 36 Jahren auflöste und unter neuem Namen mit Bruder Karl und den verbleibenden Wells Stofferl und Michael im folgenden Jahr neu formierte, ließ dankenswerter Weise am Samstagabend die mitunter gern begleitende tote Hose Campino seine als Deutsch-Punk getarnten peinlichen Schlager-Liedlein woanders trällern und den in letzter Zeit auch kaum mehr zu Hochform auflaufenden Well-Intimus Gerhard Polt andernorts seinen zusehends immergleichen Krampf verzapfen, und so konnte sich das Publikum freuen auf einen ausgedehnten Abend mit Nummer 12, 13 und 14 der Well-Geschwisterfolge, in der die vielseitig ausgebildeten Musikanten wieder einmal ihre Brillanz auf unterschiedlichster Spiel-Gerätschaft wie Bach-Trompete, Dudelsack, Gitarre, Tuba, Akkordeon bis hin zu Drehleiher und Alphorn unter Beweis stellten, das inspirierte Können ist bei den Wells weithin bekannt in eigenen Dimensionen angesiedelt, selten beherrscht jemand eine Vielfalt an Instrumentarium derart professionell, virtuos und scheinbar völlig locker aus dem Handgelenk geschüttelt wie die drei Brüder, wie im übrigen auch ihre Schwestern von den Wellküren oder der abtrünnige Hans, inzwischen mit seinem eigenen Nachwuchs aufspielend. Identitäts-stiftend, wie es immer so schön heißt, für uns Bajuwaren allemal, Musik um der Musik willen, als kollektives Erlebnis und Brauchtums-Pflege im Geiste des Kraudn-Sepp fernab des sich wie auch immer verrenkenden „Neuen Heimat-Sounds“.
Und dann glänzen’s neben dem schwungvollen Vortragen in bayerischer Volksmusik inklusive Versatzstücken aus irischem Folk und der Hochkultur der Klassik – Stofferl Well war nicht ohne Grund beim Celibidache zugange – ja auch noch als ausgewiesene Gaudiburschen, neben den bereits obligatorischen Kalauern über die Hausener Feuerwehr, den neuen Kreisverkehr am Ortseingang, den darüberbretternden SUV und die neuesten Erkenntnisse vom Drexler Toni, seines Zeichens Kreisheimatpfleger in fraglicher Gemeinde, drängten sich im schönen Sendling die Themen Gentrifizierung, Wohnraum-Verdichtung, Veganer-Overkill und voranschreitende Veränderung des Stadtteil-Charakters förmlich auf, dem ein oder anderen kürzlich Zugezogenen – the so-called „Zuagroasten“ oder „Reigschmeckten“ – mag da das Lachen im Hals stecken geblieben sein, und den Alteingesessenen vergeht es zu dem Thema ohnehin zusehends mehr.
Stofferl Well führte ins Feld, dass Humor nichtsdestotrotz das Einzige wäre, was das Unvermeidliche etwas erträglicher gestaltet, ob es das unausweichliche eigene Dahinscheiden ist, die nächste Deutsche Meisterschaft vom Steuerhinterzieher-Verein oder die allmächtige Existenz in Bayern der – man ahnt es – CSU. Dass sich die drei Vollblut-Musiker und -Kabarettisten mit etlichen bayerischen Gstanzln, boshaften Ausführungen und Liedtexten auf ihre jahrzehntelangen Lieblings-Spott-Opfer von den „Christ-Sozialen“ einschossen, liegt bei einem Konzert der Well-Brüder auf der Hand und gehört seit etlichen Dekaden zum unumstößlichen Standard-Programm, zumal in Zeiten, in der die momentan völlig irrlichternde bayerische Volks-Partei mit Vereinnahmung rechts-populistischer Themen, dem Aufhängen von Islamisten-, AfDler- und Sozi-vertreibenden Kruzifixen in freistaatlichen Amtsstuben, einer gelinde gesagt erratischen Bildungspolitik, kulturellem Größenwahn in Form des in Regensburg und andernorts bereits vor Eröffnung nicht unumstrittenen Museums der Bayerischen Geschichte und nicht zuletzt unsäglichem Personal wie dem Bundesinnenminister-Vollhorst, Maut-Spezi Doofbrindt und dem dauergrinsenden Franken-Schmieranten auf dem MP-Sessel keine Gelegenheit auslässt, um Zielscheibe und maximalste Angriffsfläche zu bieten für die kritischen Geister aus dem Beerenmoos im Fürstenfeldbrucker Umland.
Um dem Proporz Genüge zu tun, durfte der ein oder andere Seitenhieb auf SPD-OB Reiter, die Volksverhetzer von der AfD und grüne Spießbürgerlichkeit nicht fehlen, so konnte sich so ziemlich jede/r im musikalischen Polit- und Gesellschafts-Rundumschlag der Well-Brüder wiederfinden, und so haben’s auch alle was zum Lachen und zum lang anhaltend Applaudieren gehabt, die Haufen Leute am gesteckt vollen Sendlinger Kirchplatz, schee war’s, und schod war’s, wia’s gor war – und das Jazz-Getröte, der Polt und der Campino sind sowieso niemandem abgegangen, eh klar…

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Reingehört (383): Tim Grimm And The Family Band

Winter will be hard this year
And I know the seasons changed but this one I’ve come to fear
Songs of joy turn to silence
And hope turned into fear
Winter will be hard this year
(Tim Grimm, These Rollin‘ Hills)

Tim Grimm And The Family Band – A Stranger In This Time (2017, Cavalier Recordings)

Mittelständischer Familienbetrieb mit grundsolidem Handwerk im Angebot: Indiana-Songwriter Tim Grimm, seine Ehefrau Jan und die gemeinsamen Söhne Connor und Jackson bestechen auf ihrem aktuellen Album „A Stranger In This Time“ neben einem Talking Blues in Anlehnung an die brauchbare Sechziger-Jahre-Dylan-Phase vor allem mit herzensgutem Akustik-Folk, No-Depression-Alternative-Country, feinen Bluegrass-Elementen und Einflüssen aus der irischen Volksmusik im weiten Feld der beseelten Americana-Ballade. Die Songs zeugen von einer tief empfundenen, nachdenklichen Sicht auf die nicht immer angenehmen Realitäten des Lebens, bereits mit dem getragenen Opener „These Rollin‘ Hills“ ist die Grundstimmung der Songsammlung weitestgehend umrissen. Die Metaphern vom Kaliber „Dunkle Wolken über den grünen Auen“ aus dem ländlichen Farmleben lassen sich auf die individuellen Umstände übertragen, wer mag im kalten November widersprechen, dass der Winter hart wird, wenn es an allen Ecken und Enden nass reingeht – feine Liedkunst mit Tiefgang im Geiste getragener Johnny-Cash-Kleinode und unverstellt-wahrhaftiger Steve-Earle-Tondichtungen.
Tim Grimm ist mit Folk-Legende Ramblin‘ Jack Elliott befreundet, in früheren Zeiten hat er sich neben der Musik mit Theater-Produktionen und diversen Film- und Fernsehrollen in Hollywood beschäftigt. Sein prominentester Kino-Auftritt ist die Rolle des FBI-Agenten Dan Murray in „Das Kartell“ neben den Stars Harrison Ford und Willem Dafoe. Ab Anfang der 2000er widmete er sich vermehrt seinen Folk-Erzählungen, die Veröffentlichung eines Dutzends Tonträger steht seither zu Buche. Kann man nur gut heißen, cineastischen Mainstream gibt es sowieso schon zuviel.
(*****)

Reingehört (325): Kronos Quartet

Kronos Quartet – Folk Songs (2017, Nonesuch)

Die Streicher vom kalifornischen Kronos Quartet liefern seit weit über vierzig Jahren herausragende Arbeiten aus der weiten Welt der Avantgarde und der Neo-Klassik, ob in der Vertonung von Ginsberg-Gedichten, eigenwilligen Hendrix- und Monk-Interpretationen, in der Umsetzung afrikanischer Tondichtungen oder der Einspielung umfangreicherer Arbeiten von zeitgenössischen Komponisten wie Philip Glass, Steve Reich, Terry Riley, George Crumb oder Henryk Górecki, wo Kronos draufsteht, ist regelmäßig außergewöhnliche Qualität drin.
So nicht anders im jüngsten Werk der experimentierfreudigen Formation, auf „Folk Songs“ nähern sich die Musiker unter Mithilfe diverser Gäste traditionellem folkloristischem Liedgut aus dem angelsächsisch-gälischen Kulturraum, in einer Bandbreite zwischen leichtfüßiger Verspieltheit und schwerer, düsterer Dramatik, zwischen süßlichem Geigen-Schmeicheln und melancholisch-elegischem Cello-Dröhnen stellt das Quartett einmal mehr seine herausragenden Fertigkeiten am Streich-Instrumentarium unter Beweis, als begleitende Vokalkünstler beeindrucken die englische Folk-Sängerin Olivia Chaney, der US-Barde Sam Amidon, die Bluegrass-Musikerin Rhiannon Giddens und die ausgewiesene Indie-Folk-Expertin, Trump-Gegnerin, Songwriterin und ehemalige 10.000-Maniacs-Frontfrau Natalie Merchant, deren beide beseelten Interpretationen – die Klage aus dem Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg „Johnny Has Gone For A Soldier“ und die englischen Ballade „The Butcher’s Boy“ – besonders herauszuheben sind aus diesem rundum gelungenen Werk.
Schwere Empfehlung vor allem auch für die Verehrerinnen und Verehrer des traditionell beeinflussten nordenglischen Folk-Ansatzes der Unthanks-Schwestern, die dieser Tage – wie passend – auch ein neues Album mit Neuinterpretationen von Songs und Vertonungen von Gedichten von Molly Drake, der Mutter von Nick Drake, am Start haben. Besprechung folgt (vielleicht ;-)).
(**** ½ – *****)

Reingehört (189): United Bible Studies

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United Bible Studies – The Ale’s What Cures Ye (2015, Mie)
Bereits im November vergangenen Jahres erschienene Songsammlung des irisch-englischen-Experimental-Folk-Kollektivs United Bible Studies, dem hier eine faszinierende Mixtur aus traditionellen Folksongs, Neoklassik-Ansätzen, Field Recordings und dezentem Ambient/Drone-Freifluss gelingt. Der altertümliche Irish Folk bleibt als zentrales Element erkennbar, der Gesangsvortrag hat eine weitaus mehr sakrale als experimentelle Note, die trotz Hang zum Grenzenerweitern zeitlos anmutenden Werke dürften bei Traditionalisten wie bei Freunden des Free Folk gleichermaßen auf offene Ohren stoßen.
Der lockere und stets im Personellen wechselnde Zusammenschluss der Folk-Freigeister ist seit Anfang der 2000er aktiv und im Tonträger-Veröffentlichen extremst rührig, ein weites Feld, das es hier noch zu ergründen gibt.
Auf der vorliegenden, mit „Traditional Folk Songs from the British Isles“ untertitelten Sammlung konzentriert sich der Alternative-Folk-Verbund auf überlieferte Klassiker der Gattung, das Material wurde bei diversen Gelegenheiten live mitgeschnitten, unter anderem in einer Schmugglerhöhle in Dorset. Althergebrachtes trifft Moderne mit gezielt und dezent eingesetztem Mut zum Experimentieren und Erneuern, den man beim irischen Volksmusizieren in der Form nicht zwingend erwartet hätte.
„A little psychedelic, no doubt, but it’s probably the ale, not the acid, that’s prevalent.“ (John Mulvey, UNCUT).
(**** ½ – *****)

Reingehört (175)

dexys

Dexys – Let The Record Show: Dexys Do Irish And Country Soul (2016, Rhino / Warner)
Dexys Midnight Runners, was soll man groß sagen? Jeder, der auch nur einen Funken Faible für Northern Soul hat, ist die letzten 35 Jahre an der Band nicht vorbeigekommen, auch wenn zwischen 1985 und 2012 (mit Ausnahme zweier, wenig beachteter Kevin-Rowland-Soloalben) totale Funkstille herrschte.
Dabei ging es für die Band seinerzeit furios los, 1980 das hochgelobte Debütalbum „Searching For The Young Soul Rebels“ (EMI) mit der UK-Number-One-Single „Geno“ über den US-Soul-Sänger Geno Washington, zwei Jahre später dann die Hit-Scheibe „Too-Rye-Ay“ (1982, Mercury), die neben dem Welt-Schlager „Come On Eileen“ mit einem ganzen Reigen an Top-Nummern wie „Plan B“, „Until I Believe In My Soul“, „Let’s Make This Precious“ oder der Van-Morrison-Coverversion „Jackie Wilson Said“ aufwartete. Zum Thema Celtic Folk/Soul dann im April 1983 ein fulminanter, Europa-weit ausgestrahlter Rockpalast-TV-Auftritt im Vorfeld zu Joe Jackson und den nigerianischen Juju-Hypnose-Gitarren von King Sunny Ade und seinen African Beats, spätestens ab dem Zeitpunkt hingen die Erwartungen an die Band hoch, die sie hinsichtlich ihrer Eigenschaft als Hit-Lieferanten auf dem kommerziell völlig geflopten, nichtsdestotrotz exzellenten Nachfolgealbum „Don’t Stand Me Down“ (1985, Mercury) nicht erfüllen konnten, die Musikkonsumenten waren offensichtlich mit dem feinen Zwirn, in den sich die Band inzwischen nach Ablegen des Latzhosen-Schmuddel-Looks gewandete und vor allem mit den sieben, größtenteils ellenlangen Soul-Balladen völlig überfordert. Spätere Hörer wussten die Songsammlung offensichtlich weit mehr als Achtziger-Meilenstein zu schätzen, das Album wurde 1997 und als Director’s Cut 2002 jeweils neu aufgelegt.
Für die folgenden 27 Jahre mussten sich die Dexys-Fans hinsichtlich neuem Tonträger-Material gedulden, die Band löste sich 1987 zwischenzeitlich auf und formierte sich 2003 neu, erst 2012 folgte auf dem Plattenmarkt mit der passablen „One Day I’m Going To Soar“-Einspielung (BMG) nach vielen Jahren ein erstes Lebenszeichen, dessen Material zusammen mit alten Perlen äußerst ansprechend auf der hörenswerten Live-Triple-CD „Nowhere is Home: Live at Duke of York’s Theatre“ (2014, Absolute Dexys / Rough Trade) konzertant dokumentiert wurde.
Dieser Tage nun also eine Sammlung mit Fremdkompositionen aus den Bereichen Ballade, Folk und Soul, wie ihn nur die Dexys in ihrer ureigenen Art zu mixen wissen, in der Hauptsache irische Folk-Standards, ergänzt um die Interpretationen von Songs zeitgenössischer Musiker. Material von Autoren wie Joni Mitchell oder Rod Stewart offenbart ungeahntes Potential in der gesanglichen Interpretation von Dexys-Chef Kevin Rowland, Ex-DMR-Geigerin Helen O’Hara fiedelt zum ersten Mal seit 29 Jahren mit beim Eröffnungs-Instrumental „Women Of Ireland“, die herausragenden Highlights der Coverversionen-Sammlung sind die Phil-Coulter-Komposition „The Town I Loved So Well“ in formvollendeter, herzergreifender Balladen-Manier und der Richtung Northern Soul getrimmte Klassiker „To Love Somebody“ aus dem Fundus der Bee-Gees-Sixties, die Dexys befinden sich da in bester Gesellschaft, das Zeug aus der Frühphase der Brüder Gibb ist ein immerwährender, oft unterschätzter Quell der Freude, ob in der Interpretation von Alternative-Country-Rockern wie Slobberbone, in der Bearbeitung der kanadischen Experimental-Postrocker Hrsta oder im Original wie letztens im Abspann einer der letzten „Walking Dead“-Folgen aus Staffel 6.
(****)