Israel

Shanir Blumenkranz‘ Abraxas plays John Zorn’s Masada Book III: Beriah @ Jazzclub Hirsch, Moosburg, 2019-01-20

„Shanir Ezra Blumenkranz steps out on his own to make one of the most primal and tribal installments in John Zorn’s Masada series. Drawing on his Sephardic roots, Shanir plays gimbri throughout, giving the music a trance inducing primeval Moroccan edge. Featuring the intense guitar pyrotechnics of Eyal Maoz and Aram Bajakian – and the atavistic drumming of Kenny Grohowski, this is Ritualistic Jewish Rock for the 21st century by a brilliant young lion from the East Village via Brooklyn/Israel!“
(Tzadik Records)

Im Isar-Millionendorf findet sich für derart Erlesenes scheint’s kein Veranstalter, darum war am vergangenen Sonntagabend bei winterlichen Minusgraden die Passage flussabwärts bis nahe an die niederbayerische Grenze angezeigt, in die Kleinstadt Moosburg im Landkreis Freising, der Ort als Eiland zwischen Isar und Amper gelegen, der veranstaltende Jazz-Club Hirsch im Stadtzentrum selbst Insel der Glückseligen, was experimentelle musikalische Abenteuerlichkeiten anbelangt, am vergangenen Wochenende allemal.
Angezeigt waren der Ausnahmemusiker Shanir Ezra Blumenkranz aus Brooklyn mit seiner Formation Abraxas, zur Aufführung von Werken aus „The Book Beriah“ des „Masada Book Three“-Zyklus aus der Feder des renommierten New Yorker Avantgarde-Komponisten, Multiinstrumentalisten und Produzenten John Zorn. Der Experimental-Vorreiter komponierte seit 1994 hunderte von Werken für seine insgesamt drei „Masada“-Sammlungen, zum einen zur Erforschung seiner jüdischen Wurzeln, zum anderen, um die jüdischen Musik-Traditionen unter Einbezug der sogenannten phrygisch-dominanten Tonleiter für das 21. Jahrhundert weiterzuentwickeln. Viele dieser Arbeiten wurden in dem Kontext mit namhaften Musikern eingespielt, Werke aus der exzellenten „Masada Book Two – The Book Of Angels“-Reihe etwa ab 2005 für das Zorn-eigene Label Tzadik Records, unter anderem von Wegbegleitern wie Uri Caine, Marc Ribot, Erik Friedlander, Pat Metheney oder eben auch Shanir Ezra Blumenkranz, der im Sommer 2012 mit „Abraxas: Book of Angels Volume 19“ sein Plattendebüt in dieser Reihe ablieferte, das seiner Formation letztendlich auch seinen Namen gab.
Am Sonntagabend eröffnete Blumenkranz den nachfolgenden Klang-Orkan eingangs mit der vorausgeschickten Versicherung, man wolle mit den dargebotenen Aufführungen niemanden schädigen, die Musik diene ausschließlich zur Erbauung des Publikums. Und das tat sie trotz ausgedehnter Lärm-Passagen, uneingeschränkt. Der Bandleader selbst, der in anderen Formationen wie Pharaoh’s Daughter oder Rashanim auch als Bassist und Musizierender auf der arabischen Oud in Erscheinung tritt, dirigierte das Geschehen Derwisch-gleich mit seiner marokkanischen Gimbri, einer dreisaitigen Laute mit Leder-bespanntem Korpus, die im hybriden Bespielen sowohl als Bass wie als perkussive Handtrommel funktioniert – ein Instrument, dass in der nordafrikanischen Musiktradition weit mehr für rituelle Heilungen mittels hypnotischem Flow denn zu reinen Unterhaltungszwecken verwendet wird, wie der Musiker anmerkte, der mit seinem ungebändigten Rhythmus-Geben auf dem unkonventionellen Gerät Trance-artige, arabisch swingende, gedämpfte Tribal-Beats und Basslinien als Grundrahmen für die exzessiven Instrumental-Ausbrüche seiner Band vorgab. Kongenial begleitet wurde er zum einen von Drummer Kenny Grohowski, der neben seinem Engagement bei Abraxas in so unterschiedlichen Formationen wie der New Yorker Death-Metal-Combo Imperial Triumphant, zahllosen Funk- und Jazz-Bands oder bei Maestro Zorn himself zugange ist, ein Hexer an den Trommeln, der virtuos von brachial bis filigran in allen Schattierungen wie Frei- und Intensitäts-Graden dazwischen den gesamten Kosmos an Takt- und Rhythums-gebenden Möglichkeiten zu beherrschen schien, in einer unaufgeregten Lockerheit, die nur noch in Staunen versetzten mochte.
Die einzigartige Mixtur aus hartem Klezmer-Rock, Fusion Jazz, reinigenden Noise-Erschütterungen, freier Improvisation und orientalisch-nordafrikanischer Trance-Hypnose, mit unterschwelligen Kraut-Reminiszenzen und in vehementer psychedelischer Entrücktheit brachten die beiden Gitarristen zur individuellen Veredelung, beide Musiker nicht minder Meister ihres Fachs, der Israeli Eyal Maoz als ruhender Pol des Geschehens in zentraler Bühnenposition sitzend, der armenisch-stämmige New Yorker Aram Bajakian scheinbar jeden Ton seiner angeschlagenen Saiten mit jeder einzelnen Körperzelle nachfühlend und damit permanenter Unruheherd in der dargebotenen Präsentation wie Bandleader Blumenkranz selbst. Im Verbund zauberten die beiden Gitarristen-Wizzards schier Unnachspielbares auf ihre Griffbretter, in einer Bandbreite, die von wunderschönen Melodienbögen zwischen nordafrikanischem Desert-Blues und nahöstlicher Mystik über abtrakte, dem Rauschen von Vogelschwärmen gleichen Akkorden bis hin zu völlig enthemmten, dissonant-atonalen Noiserock-Ausbrüchen in Hochgeschwindigkeits-Frequenz reichten, zu denen selbst bei Letzteren paradoxerweise das filigrane Element nie zu kurz kam, dargereicht in einer Virtuosität gepaart mit druckvoller Intensität, die selten anzutreffen ist, vielleicht ab und an im Spiel von berühmten Könnern wie Zappa, Frisell, Ribot – einmal dahingestellt, ob solche Vergleiche überhaupt Sinn machen.
Selbstredend ist diese Spielart des Crossover, die sich in groben Zügen noch aus Elementen der freien Improvisation der Jazzfusion-/Jazzrock-Welt speisen mag, in ihrer radikalsten Ausprägung oft weit mehr beim lärmenden No Wave eines Michael Gira und seiner Swans zu verorten denn bei ohne Maß und Ziel vor sich hin nervenden, bodenlosen Miles-Davis-Unförmigkeiten – wenn sich auch diese, alle Sinne fordernde, durchdringende wie komplexe Musik letztendlich jeglicher Kategorisierung entzieht.
John Zorn hat der Musik-Welt seine Masada-Kompositionen zur freien Interpretation zur Verfügung gestellt, Shanir Blumenkranz merkte grinsend an, er wollte in seinem Ansatz in jedem Fall etwas mit „Cojones“ abliefern, das ist ihm im Verbund mit seinen Abraxas-Kollaborateuren in einer permanenten Druckwelle von der Bühne herunter in den Gastraum der Moosburger Hirschbräu-Wirtschaft hinein am vergangenen Sonntag ohne jeden Zweifel gelungen. Um die heilende Kraft von Musik zu verspüren, müsse man heraus aus der Komfort-Zone, so der Zeremonienmeister aus Brooklyn, und sich zuweilen dem Lärm aussetzen, auch da mochte in dieser Runde keiner widersprechen.

Werbung

Wackelkontakt @ Köşk, München, 2018-02-09

„Fremde Töne. Sprech-Murmeln. Städtische Paranoia. Entfremdung. Vision. Atmosphäre. Spannung. Und bevor uns der tiefe Schlaf befällt, will ich das Licht sehen.“
(Harald inHülsen, Von Emotionen/Von Ideen, in: Rock Session 4. Magazin der populären Musik)

Die Gallerie Kullukcu & Gregorian präsentierte am vergangenen Freitag im Rahmen der Reihe Pension Noise in der 10. Ausgabe ein Gustostückerl für alle Freund_Innen des experimentellen Grenzgangs, vermittelt durch Anton Kaun aka Rumpeln war das israelische Drone-Trio Wackelkontakt in der Zwischennutzung der ehemaligen Stadtbibliothek in der Schrenkstraße im Münchner Westend zu Gast, die Formation wurde dem Motto des Köşk – „1000 Tage Raum für viele Ideen“ – an diesem einen speziellen und irgendwo auch denkwürdigen Tag ohne Abstriche gerecht.
„Post-Orientalist Tunes With Epileptic Imagery, Stolen From Exoticist Culture And Inspired By The Stress Of Living“ beschreibt die Formation aus Jerusalem ihre eigene Multimedia-Kunst, eine schwerst intensiv von allen Sinnen Aufmerksamkeit fordernde Präsentation aus mitunter verstörenden Noise-Drones, sich aus dem weißen Rauschen herausschälenden Industrial-Beats, schweres Pochen in Reminiszenz an Throbbing Gristle und andere 80er-Lärm-Pioniere, gepaart mit einem Hauch – weitaus mehr Ahnung als Ausformulierung – von Electronica-Dropout-Space und Kraut-Prog, minimalisitischem Psychotrap, in minutenlanger, völliger Dekonstruktion an die Grenzen der Musik gehend, im folgenden Trance-artigen Fluss die Hoffnung aber immer am Leben erhaltend.
Das Sampling und die dominant digitalen, synthetischen, artifiziellen Sound-Wüsten und zerrütteten tonalen/atonalen Innenansichten/Visionen wurden begleitet von analogen Drums, bereichert durch blitzartige Lichteffekte, abstrakte Video-Installationen und massives Trockeneis-Wabern, das Konstrukt zuforderst zusammengehalten durch den Vokal-Vortrag von Tomer Tea Damsky. Auch mit ihrer Sangeskunst lotete die junge Frau die Grenzen des Möglichen der eigenen Stimme aus, flüsternd, fordernd, mit durch den Verzerrer gejagtem Schreien krönte sie im Durchwandern der Nebelschwaden, zu Teilen sitzend oder sich unter das Publikum mischend das vehemente Klang-/Visual-Gesamtkunstwerk.
Eine Wackelkontakt-Performance sprengt nicht nur die Grenzen der Hörgewohnheiten und konzertanten Erfahrungen, darüber hinaus wohl letztendlich auch die Möglichkeiten der berichtenden Beschreibung. Wackelkontakt muss man live erfahren, mit vollem Körpereinsatz und aufnahmebereitem Bewusstsein – insofern, falls sich beizeiten die Gelegenheit bietet: Do yourself a favour.
(***** – ***** ½)

Freakinout Fest #3 @ Nandlstadt/Zeilhof, 2017-07-07

Zurück in die Zukunft: ein wie für den ersten Tag des 3. Freakinout-Festivals geschaffenes Motto am vergangenen Wochenende im Herzen des bayerischen Hopfenanbau-Gebiets Hallertau, in der entspannten Idylle des Weilers Zeilhof in der Nähe von Nandlstadt, des weltweit ältesten Anbauorts des Humulus-Hanfgewächses, präsentierte Veranstalter Christian Spanheimer im wetterfesten Zeilhofstadl eine Jahrzehnte umspannende Zeitreise durch die Rockhistorie hinsichtlich eindringlichem Psychedelic-/Stoner-/Acid-/Heavy-/Post-Rock.

Den Start in den ersten Festival-Tag in Sachen schwergewichtige Rockmusik zündete das Münchner Quartett Dune Pilot, ein heftiger Einstieg mittels Stoner/Desert/Grunge-Härte/Schmutz, der Sound der frühen Neunziger eben: schneidende Gitarrenriffs, Bass-lastiger, schnörkelloser Rhythmus-Groove und ein stimmgewaltiger Frontmann, der im Bühnen-Gebaren neben wiederholt angedeuteter Onanisten-Gestik zuforderst seine Teilnahme-Bewerbung für die jährlich im finnischen Oulu stattfindende Luftgitarren-Weltmeisterschaft abgab. Körperhaltung, Grifftechnik, Intensität der Aufführung: tip top. Klangliche Untermalung durch die drei Mitmusikanten: das selbige.

The Weight aus Wien, die zweite Band des Abends, haben gewiss eines formvollendet hinbekommen: die Spaltung des Publikums in Punkto Goutieren versus Saal-Flucht. Wer im Jahr 2017 uneingeschränkt-unvermindert maximales Jagger-/Tyler-Gepose, „The Age Of Aquarius“ und das ganze andere Gedöns aus diesem haarigen Musical, schwere Schweineorgel, ausladende Gitarren-Soli und die opulente Bandbreite des völlig aus der Zeit gefallenen Mittsiebziger-Stadien-Rocks zu schätzen wusste, wurde mit der konzertanten Aufführung des Quartetts aus der Donau-Metropole bestens bedient, alle anderen kratzten sich an der Rübe, in der sich zwischen den Ohren das „Like Punk never happend!“-Befremden manifestierte und in einem „Da samma von de Weana Haberer aber an bessern Schmäh g`wohnt!“ artikulierte, die ganze Wahrheit zum Retro-Auftritt wird sich vermutlich in der verbalen Auseinandersetzung der Herren Franz Münchinger und Dr. Edgar Schönferber finden…

Nochmal einen weiteren Meilenstein zurück in der Rockhistorie ging es mit dem Londoner Power-Trio Stubb, das sich im Psychedelic-Hard-Blues von Vorbildern wie Hendrix, den britischen Landsmännern der Edgar Broughton Band, gediegener Black-Sabbath-Härte und Ausflügen in den Endsechziger-/Frühsiebziger-Acid- und Space-Rock im Geiste von Hawkwind aalte, ein rauschhafter Auftritt, der hinsichtlich verzerrter Fuzz-Gitarren, vehementer Schwere in der Rhythmik und Experimentieren mittels wabernden Wah-Wah-Pedals und lärmenden Gitarren-Feedbacks keine Wünsche offen ließ. Stubb haben das Rad in dieser hinlänglich zelebrierten Spielart der harten Klang-Orgien weiß Gott nicht neu erfunden, mit Herzblut und tiefem Verständnis für die tonalen Exzesse der Idole aus der Acid-Rock-Steinzeit vorgetragen war’s nichtsdestotrotz allemal ein bereicherndes Hinhören wert.

Durch die israelische Postrock-Band Tiny Fingers wurde das Publikum weit nach Mitternacht zurück in die Jetzt-Zeit geholt, die vier sympatischen jungen Männer ergingen sich im ersten, kürzeren Teil ihrer Aufführung im klassischen, Gitarren-dominierten Instrumental-Postrock mit der für das Genre bekannten Laut-Leise-Dramatik und den sich im intensiven Saiten-Anschlag auftürmenden Sound-Wällen, um im weiteren Verlauf des Konzerts das Spektrum in Richtung moderner Space-Rock, Triphop und Dubstep zu erweitern, mittels vertrackter Rhythmik und futuristischer Electronica-Exzesse befeuerte die Band die Tanzbereitschaft der zur fortgeschrittenen Stunde leider nicht mehr allzu zahlreich anwesenden Besucher-Schar, der facettenreiche Rave hätte als Headliner des ersten Festival-Abends weitaus mehr Zuspruch verdient. In der Form ein heißer Kandidat für die Stargazer-Bühne des alljährlichen dunk!-Postrock-Gipfeltreffens im belgischen Zottegem, und für die am Freitag spärlich vertretene Fan-Basis der rein instrumentalen Ton-Kunst das Highlight der Veranstaltung.

Am Samstag gab’s noch ein schweres Paket mehr an Stoner-/Desert-Blues-/Prog-/Heavy-/Kraut-Psychedelia, allein die kürzlich beim München-Konzert im Vorprogramm von Kikagaku Moyo 幾何学模様 schwer überzeugenden Pretty Lightning wären abermals einen Besuch wert gewesen, Weedpecker, Dopelord und Da Captain Trips sollen berufenem Munde zufolge auch gute bis sehr gute Auftritte hingelegt haben, allein, es ist sich zeitlich leider nicht mehr ausgegangen…

Very special thanks an Mel und Tim vom curt-Magazin.