Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum. (Friedrich Nietzsche)
Zum Jahresende ein (sehr wahrscheinlich) letztes Mal, aus alter Gewohnheit, und um die Nummer hier zu einem halbwegs geschmeidigen Ende zu bringen: eine Kulturforum-Liste der Lieblings-Alben 2019, die Top 25 Longplayer, subjektiv, absolut unvollständig, in jedem Fall ergänzungswürdig, unfertig, ohne weitere Kommentare. Weil das Leben 2019 zu Teilen ein Irrtum war. Seit dem Spätsommer keine Platten-Besprechungen mehr in diesem Theater. Zeitmangel, dadurch bedingt fehlende Muse und zunehmend weniger Lust am Fabulieren. So manches Weitere wäre unbedingt erwähnenswert gewesen, das neue Großwerk der runderneuerten Swans, der aktuelle Output der grandiosen französischen Postrock-Experimentierer von Oiseaux-Tempête, die jüngste Song-Sammlung von Baby Kreuzberg, das exzellente Krautrock-Album „The Ground“ des Hamburger Quartetts Halma, mit „Odds Against Tomorrow“ ein weiteres Meisterwerk des US-Gitarristen Bill Orcutt, der zweite Wurf der Münchner Rembetiko-No-Waver The Grexits, um nur ein paar wenige, sträflich vernachlässigte Beispiele zu nennen. Es sollte nicht sein, und es wird wohl auch nicht mehr werden. Anyway, alles hat seine Zeit, und manchmal spielt die Musik eben wo anders…
Danke für’s Lesen, danke für’s Reinhören, alles Gute für 2020 und darüber hinaus.
Top-Forty-Gigs 2019, Culture-Forum-Edition: die erinnerungswürdigsten, am längsten nachhallenden Konzerte des vergangenen Jahres, selbstredend wie immer rein subjektiv gewertet. Unterstützen Sie Ihre lokalen Festival- und Konzertveranstalter, knausern Sie nicht rum, wenn der Hut rumgeht, haben Sie im neuen Jahr 2020 bitte Spaß mit den MusikantInnen Ihres Vertrauens, zur Not auch für über 1000 Taler im VIP-Bereich des Stadions bei einem aufgewärmten Rock’n’Roll-Derivate-Scheißdreck wie Gewehre n‘ Rosen: Jeder nach seiner Fasson, the show must go on…
„That’s fantastic that you’re passionate about cardboard and listening to music on multi colored plastic You’re a collector of rare vinyl, a total fanatic, that’s completely absolutely hip, motherfucking fantastic But I’m more concerned with how I feel“ (Jesu/Sun Kil Moon, Good Morning My Love)
Tonträger-Ranking 2016. Eine rein subjektive Zusammenstellung, die keinerlei Anspruch auf Allgemeingültigkeit erhebt und selbstredend viele Lücken aufweist, man kann bei weitem nicht alles hören und gebührend würdigen, was von Interesse wäre.
Weg von der klassischen Songstruktur, hin zu instrumentalen Klang-Epen, so die individuelle Hörer-Tendenz im dahinscheidenden Jahr. Viele alte Helden haben sich reihenweise mit im besten Fall uninspirierter Durchschnittsware in die Belanglosigkeit verabschiedet, eine der wenigen rühmlichen Ausnahmen war Leonard Cohen mit seinem finalen „You Want It Darker“-Werk, aber der hat sich dann leider postwendend nach Veröffentlichung endgültig ganz woanders hin verabschiedet.
Kulturforum-Top-100 2016, ein paar Scheiben auch noch aus 2015, aufgeteilt in die Sparten Reguläre, Sampler, Bergungskommando, here we go:
(09) Russian Circles – Guidance (2016, Sargent House)
Das Postmetal-Trio aus Chicago bleibt eine verlässliche Größe des Genres und liefert mit „Guidance“ eine ihrer bis dato besten Arbeiten ab.
Das war’s für 2016. Kein schlechtes Musikjahr. Der schmutzige Rest in der realen Welt: Für die Zukunft viel Luft nach oben, keine Frage. Gerhard Polt würde sagen: „Wir stehen vor schwierigen Herausforderungen, die sehr schwierig sind.“
Kommt gut rüber ins neue Jahr, ich wünsche Euch für 2017 nur das Beste, bleibt auf Sendung, habt Glück und bleibt vor allem gesund. Danke an alle, die hier mitgelesen haben, danke für die Rückmeldungen, Anmerkungen, Kritik und Ergänzungen in den Kommentaren. Highly appreciated. Und jetzt hoch die Tassen…
„Unter allen Künsten ist die Musik am flüchtigsten. Erklingen und Verklingen sind eins, der Ton holt uns ins Jetzt, ist, wenn wir ihn hören, quasi schon fort, seine Spur in uns hinterlassend. Musik ist höchste Gegenwärtigkeit und schöne Erinnerung. Musik kennt Zukunft nur als Vorfreude auf den Konzertbesuch.“ (Ulrich Stock, Die Töne sind da. Wir sind noch da, Die Zeit, 21.12.2016)
Die Kulturforum-Konzertliste 2016, eine höchst subjektive, kann ja auch gar nicht anders sein. Vielen Dank an alle Familienmitglieder, Freunde und Bekannten, die begleitet, zum Teil sogar veranstaltet oder selbst musiziert und im Nachgang um Bewertungen und Kommentare gerungen haben, ohne Euch wäre der Spaß nur der Halbe gewesen. Und Dank selbstredend an alle auftretenden MusikerInnen und die Veranstalter, hier im Besonderen den Festival-Organisatoren von Frameless, Dunk!Fest, Raut-Oak-Fest und Muddy Roots Europe, es war eine großartige Zeit. Besten Dank auch an Mel vom curt-Magazin und Jürgen vom Substanz für diverse Gästelistenplätze.
2017 wird hinsichtlich konzertanter Beschallung auch gut. Versprochen.
(001) Swans @ Hansa39, München, 2016-11-11
Das letzte Mal Lärm, Klangrausch, Kontemplation und Ausbruch als große Kunst. Danke Michael Gira, danke Swans für etliche gigantische Abende. Das Beste zum Schluss.
(002) James Leg @ Raut-Oak Fest, Riegsee, 2016-07-22 The Son of a Preacherman beim großartigen Raut-Oak-Festival von Christian Steidl. Schwere Orgel-Drones, das vom harten Leben gestählte Röhren und ein treibender Beat ergaben den Blues-Rausch des Jahres.
(006) Ben Frost @ Frameworks Festival, Einstein Kultur, München, 2016-03-11
Black-Metal-Noise-Drone-Experimental-Hochamt in völliger Finsternis beim diesjährigen Frameworks-Festival, auch hier tausend Dank an Karin Zwack und Dr. Daniel Bürkner für diese over the top gelungene Veranstaltung.
(008) Pelican @ dunk!Festival, Zottegem/Velzeke, Belgien, 2016-05-06
Die US-amerikanischen Postmetaler waren der Bringer schlechthin beim ansonsten auch sehr exzellenten Postrock-Gipfeltreffen in Ostflandern. Fand die Band selber auch, das Konzert gibt es inzwischen als Mitschnitt auf Tonträger.
(010) Tortoise @ Hansa39, München, 2016-05-29
Über die Qualität des aktuellen Tonträgers „The Catastrophist“ mochte man streiten, live bleibt das Quintett aus Chicago das Mass aller Dinge im Jazz-/Ambient-infizierten Instrumental-Postrock.
(011) God Is An Astronaut @ Ampere, München, 2016-07-13
2016 war subjektiv betrachtet ein phantastisches Postrock-Jahr. God Is An Astronaut lieferten die Progressive- und Psychedelic-Variante. Mindblowing, um mal wieder einen Anglizismus zu bemühen.
(012) Simon Joyner @ Hauskonzerte, München, 2016-12-07
Simon Joyner: herausragender Folk-Musiker, herausragender Geschichtenerzähler, im Rahmen der nicht genug zu lobenden Münchner Hauskonzerte-Reihe.
(013) The Dad Horse Experience @ KAP37, München, 2016-11-24
Our beloved Keller-Gospler aus Kirchweihe/Bremen, im Rahmen des liebsten Lieblings-Konzert-Wohnzimmers präsentiert, was sollte an dem Abend schiefgehen?
„When I said you’re strange It was a compliment, you know“ (Langhorne Slim & The Law, Airplane)
Irgendwie ein typisches „Es-war-schon-alles-da-in-der-Musik-darum-schon-wieder-kein-neues-‚Astral-Weeks‘-‚Zen-Arcade‘-‚Exile-On-Main-St‘-Wunderwerk“-Jahr, dafür aber ein Musik-Jahr mit überraschenden Comebacks, würdigen Alterswerken, spannenden Mixturen, ein paar erwarteten und etlichen unerwarteten Highlights, einigen gewichtigen Ausgrabungen aus den Archiven und einem ersten Platz, der das in der Gesamtheit nicht sonderlich rosige Jahr 2015 in seiner Grundstimmung einfängt.
(01) Steve Von Till – A Life Unto Itself (2015, Neurot)
Das düstere Songwriting des Neurosis-Sängers/-Gitarristen: die Platte des Jahres 2015 im Kulturforum. Der passende Soundtrack für ein Jahr, von dem Bilder/Eindrücke unter anderem von gekenterten Flüchtlings-Booten, dem Terror-Anschlag auf einen Live-Club und allerhand politischen Verwerfungen bleiben werden, leider.
(02) Pops Staples – Don’t Lose This (2015, Anti)
Würdiges Alterswerk der Gospel-/Soul-Ikone, aus Rohfassungen von Tochter Mavis Staples und Wilco-Vorturner Jeff Tweedy behutsam zu einem guten Ende gebracht.
(11) Die Buben im Pelz & Freundinnen – Die Buben im Pelz & Freundinnen (2015, Konkord)
Den Violinen-Drone aus „The Black Angel’s Death Song“ haben sie nicht hingekriegt, sowas bleibt natürlich nur Musikern wie dem Gott-ähnlichen John Cale vorbehalten, ansonsten haben sie wirklich alles richtig gemacht, die Buben im Pelz und ihre Schicksen, mit ihrer Wiener Adaption eines der wichtigsten Alben der Pop-Historie. Total leiwand, eh kloa…
(17) Waves – Stargazer (2015, Waves)
Mit das Interessanteste in Sachen Post-Rock kam heuer aus München. Meine Hardcopy fange ich mir beim Konzert am 14. Januar im Backstage ein und dann folgt auch eine ausführliche Besprechung. Versprochen.
Das soll’s gewesen sein von meiner Seite für 2015. Rutscht gut rüber ins neue Jahr, ich wünsche Euch alles Gute, Glück und vor allem Gesundheit für 2016, uns wird es vermutlich auch im neuen Jahr im Großen und Ganzen wieder besser ergehen als 99% vom Rest der Welt, in diesem Sinne, weil Sylvester ist und weil gleich die Böller und Sektkorken knallen, soll das letzte Wort im alten Jahr an dieser Stelle Nathaniel Rateliff gehören: „Son of a Bitch, give me a Drink !!!!“ ;-)