Jeff Tweedy

Reingehört (216): Okkervil River, Wilco, Nick Cave & The Bad Seeds

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Okkervil River – Away (2016, ATO)
Mitte der Nuller-Jahre haben sie nach einigen sehr passablen Frühwerken mit dem hervorragenden, von Tim Hardin inspirierten Indie-Folk-Rock-Album „Black Sheep Boy“ (2005) und noch viel mehr mit dem persönlichen All-Time-Favourite „The Stage Names“ (2007, beide Jagjaguar) und der dort enthaltenen Hymne mit dem genialen Titel „Our Life Is Not A Movie Or Maybe“ für wahre Begeisterungsstürme bei Presse und Hörerschaft gesorgt, seitdem arbeitet sich die Band um Songwriter Will Sheff mit den nachfolgenden Veröffentlichungen mal mehr, mal weniger erfolgreich an dem Vorhaben ab, an frühere musikalische Glanztaten anzuknüpfen. Zwischendurch gab es eine gedeihlich-gelungene Zusammenarbeit mit der texanischen Psychedelic-Rock-Legende Roky Erickson auf dem Gemeinschaftswerk „True Love Cast Out All Evil“ (2010, ANTI-), seit dem zuletzt veröffentlichen Konzept-Album „The Silver Gymnasium“ (2013, ATO) verstetigte sich die Formkurve der Band aus Austin/Texas wieder auf annehmbarem Level, auf „Away“ bieten Sheff und Co. unter Mithilfe von Folk-Lady Marissa Nadler und dem früheren Mitmusikanten und aktuellen Shearwater-Bandleader Jonathan Meiburg einen homogenen Stilmix aus gefälligen Indie-Folkrockern, melancholisch-nachdenklichen Balladen, die hinsichtlich musikalischem Gehalt uneingeschränkt zu überzeugen wissen, und psychedelisch gefärbten Indie-Pop-Klangbildern, letztere oft schwer Streicher-dominiert, im Geiste der Spät-Sechziger verhaftet und ab und an gefährlich in belangloser Easy-Listening-Nähe und/oder in zuviel opulentem Wohlklang-Schmalz getaucht.
Sheff verarbeitet in den Songtexten – mal wieder – persönliche Schicksalsschläge und Befindlichkeiten, insofern mehr Solo- als tatsächliche Band-Produktion der runderneuerten Combo-Besetzung, bereits der Titel des Openers „Okkervil River R.I.P.“ deutet schwer darauf hin, selber wird der Meister hierzu mit folgenden Worten zitiert: “It’s not really an Okkervil River album and it’s also my favorite Okkervil River album“ – ein zweites „Stage Names“ ist so oder so auch da nicht drin.
(****)

Nick Cave & The Bad Seeds – Skeleton Tree (2016, Bad Seed Ltd)
Die Begleitumstände zur Entstehung des Albums sind hinlänglich in der Presse dokumentiert worden: zur Zeit der Aufnahmesessions stürzt Nick Cave’s Sohn Arthur im Sommer 2015 unter LSD-Einfluss von einer Klippe in der Nähe des südenglischen Küstenorts Brighton und stirbt an seinen Verletzungen, ein trostloser Albtraum für Eltern und Angehörige, erwartet spartanisch-düster ist die Grundstimmung der aktuell veröffentlichten Arbeit des Australiers und seiner Bad Seeds, die auf „Skeleton Tree“ in der Besetzung Ellis/Casey/Wydler/Sclavunos/Vjestica vertreten sind. Die Wucht früherer Aufnahmen sucht man hier vergebens, der Großteil der Songs besticht durch finstere, Ambient-artige Klanggebilde und verstörende Drones, über die Cave seine lyrischen Betrachtungen/Gedanken/Meditationen über Verlust und Tod schweifen lässt. Der Hörer ist dankbar und verwundert, dass in diesem Kontext noch sporadisch-punktuelle Dur-Töne und Melodien erklingen, die so etwas wie schwache Hoffnung aufkeimen lassen. Die ergreifende Ballade „Distant Sky“, im Gesang von der dänischen Klassik-Sopranistin Else Torp begleitet, berührt emotional schwerst, ein Song wie etwa „Mercy Of Maria“ vom hervorragenden „Amsterdam Stranded“-Album der norwegischen Slowcore-/Alternative-Folk-Band Midnight Choir, über den der veröffentlichende Glitterhouse-Label-Chef Reinhard Holstein einst kund tat, er möchte ihn gerne auf seiner eigenen Beerdigung gespielt bekommen, damit wenigstens irgendwer weint.
Man hängt sich kaum zu weit aus dem Fenster, wenn man „Skeleton Tree“ im Nick-Cave-Kanon im Rang seiner besten Arbeiten wie „The Firstborn Is Dead“ (1985), „Your Funeral, My Trial“ (1986), „Tender Prey“ (1988, alle: Mute), dem zuletzt veröffentlichten „Push The Sky Away“ (2013, Bad Seed Ltd) oder dem zweiten Grinderman-Album (2010, Mute) einordnet.
Entfaltet im Winter dann seine ganze finster-morbide Pracht (Drohung und Versprechen).
(*****)

Wilco – Schmilco (2016, ANTI-/Epitaph)
Nö, irgendwie mag’s diesmal bei Wilco nicht funken. Geht schon mit der wenig originellen Anspielung im Titel auf Harry Nilssons schräges 1971er-Werk „Nilsson Schmilsson“ (RCA) los und wird im Inhalt nur unwesentlich lustiger. Jeff Tweedy und seine Mannen frickeln auf dem neuesten Werk im besten Fall gefällig entspannt vor sich hin, die beiden Auftaktnummern „Normal American Kids“ und „If I Ever Was a Child“ plus „We Aren’t the World (Safety Girl)“ gegen Ende des 36-Minuten-Gedudels kann man dahingehend auf die Positiv-Liste setzen, der Rest ist ein für diese verdiente Indie-/Alternative-Country-Band seltsam anmutendes, belanglos-uninspiriertes Geplätscher, in den schlimmsten Auswüchsen wie etwa „Someone To Lose“ befremdlich angelehnt an psychedelisch-verschwurbeltes Fab-Four-Geseier (das Album mit den vier Faschingsprinzen, William Burroughs, Marilyn Monroe, Bob Dylan, Lenny Bruce und vielen anderen Promis auf dem Plattencover und dem Fuß-einschläfernden Songmaterial, Ihr wisst schon… ;-)))
Was treibt eigentlich Tweedys ex-Uncle-Tupelo-Kumpel Jay Farrar derzeit? – Selten war für ihn die Gelegenheit günstiger, um mit einem halbwegs anständigen Album ein sauberes Konter-Tor zu erzielen.
(** 1/2 – ***)

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Reingehört (49)

Pops-Staples

Pops Staples – Don’t Lose This (2015, Anti)
Pops Staples, der im Dezember 2000 verstorbene Leader der legendären Gospel- und Soul-Formation The Staple Singers, hat vor seinem Gang in die ewigen Jagdgründe eine Sammlung unvollendeter Songs für sein geplantes letztes Album hinterlassen, die von seiner Tochter Mavis Staples, die auf dem vorliegenden Werk ab und an formvollendet den Lead-Gesang übernimmt, und Wilco-Chef Jeff Tweedy – unter Mithilfe von dessen Sohn Spencer an den Drums – behutsam bearbeitet und vollendet wurden und vor Kurzem beim verdienten Anti-Label erschienen sind.
Wo Tweedy seine Finger im Spiel hat, brennt in der Regel nichts an, und so kann man sich auch hier über eine äußerst gelungene Veröffentlichung von zehn Soul- und Blues-Perlen freuen, die die emotionale, durch ein langes Leben gegerbte Deep-Soul-Stimme Pops Staples‘ optimal in Szene setzen. Völlig entspannt, geerdet, auf das Wesentliche reduziert, getragen von feinem, von jeglicher Effekthascherei völlig befreitem Gitarrenspiel und nur dezent begleitet von Drums und Bass, entfaltet diese Stimme eine Kraft, eine Tiefe und ein Feuer, dass wohl selbst Eisbären zum Schwitzen bringen dürfte. Neben dem erwarteten Soul klingen wiederholt die Gospel-Wurzeln der Staple Singers auf das Allerangenehmste durch, und dass er das Blues-Handwerk ebenso perfekt beherrscht, beweist Staples mit einer Interpretation von „Nobody’s Fault But Mine“, jener Led-Zep-Nummer vom doch eher durchwachsenen „Presence“-Album (1976, Swan Song), dass die britischen Blues-Rock-Monster vom guten alten Blind Willie Johnson geklaut haben dürften, aber das ist eine andere Geschichte…
Hinsichtlich Coverversionen begeistert das reife Werk zum Ausklang des weiteren mit einer gelungenen Adaption des Country-Klassikers „Will The Circle Be Unbroken“ und einer neuen Fassung der Dylan-Nummer „Gotta Serve Somebody“ aus der „Wiedergeborener-Christ“-Phase des Bob, die im Original nie so recht überzeugen konnte, die aber hier in einer absolut gelungenen, relaxten Soulfassung auf das Wunderbarste funktioniert, ein nicht genug zu preisendes Album zum Abschluss bringt und beispielsweise auch vom großen Country-Barden Townes Van Zandt oder unserem Wahl-Sendlinger Georg Ringsgwandl in einer bayerischen Version („Nix mitnehma“, 1989, Trulla! Trulla!, Trikont) kongenial umgesetzt wurde.
„Don’t Lose This“ – ein wunderschönes Abschiedsgeschenk eines grandiosen Musikers und eine Platte, die sich einreiht in die großen Alterswerke von Künstlern wie Johnny Cash, Guy Clark oder Solomon Burke und eine der Scheiben, die Van Morrison seit ungefähr fünfzehn Jahren um’s Verrecken nicht mehr hinkriegt…
(***** ½)

Soundtrack des Tages (32)

Tweedy – NPR Music Tiny Desk Concert


 
Bonnie Prince Billy – Just To See My Holly Home


 
The Vaselines – Son Of A Gun / Molly’s Lips (Live)


 
Lucinda Williams – Angels Laid Him Away

Reingehört (19)

KULTURFORUM Reingehört Jeff Tweedy Chelsea Market NYC www.gerhardemmerkunst.wordpress.com
 
Bonnie Prince Billy – Singer’s Grave A Sea Of Tongues (2014, Domino)
Die beste Bonnie-Prince-Billy-Scheibe aller Zeiten seit der letzten Veröffentlichung von 2013, die seinerzeit auch die beste Bonnie-Prince-Billy-Scheibe aller Zeiten war. Im Ernst: ein tolles Alternative-Country-/Folk-Gebräu mit beseelten Background-Chorgesängen und die Platte, auf die ich seit seinem Wunderwerk „Ease Down The Road“ von 2001 gewartet habe (wobei ich nicht behaupten möchte, dass er seitdem was Schlechtes veröffentlichte, weit davon entfernt).
(*****)

Lucinda Williams – Down Where The Spirit Meets The Bone (2014, Highway 20 Records)
Die große Dame des Alternative Country mit einer neuen Doppel-CD, die mich etwas ratlos zurücklässt. Ich werde den Verdacht nicht los, dass sie langsam in Richtung Mainstream abdriftet. Ob ein Gitarrist wie Bill Frisell dem Sound gut tut, ist zu diskutieren, die Grenzen zwischen sauberer Produktion und sterilem Klang sind fließend. Für mich ist das neue Werk weit weg von früheren Glanztaten wie „Car Wheels On A Gravel Road“ oder „World Without Tears“.
(*** ½)

Tweedy – Sukierae (2014, dBpm Records)
Wilco-Boss Jeff Tweedy, mit seinem Sohn Spencer am Schlagzeug. Alles, was bei Wilco gut und schön ist, findet sich in der ein oder anderen Form auch auf dieser Platte. Experimentelles wechselt sich mit reinem Folk ab, der Geist der Beatles erscheint ein ums andere Mal und zur Abwechslung gibt es ein paar Uptempo-Rockstücke, damit es nicht zu gemütlich wird. Wilco-Fans werden an der Platte nicht vorbeikommen. Einziges Manko: Nels Cline ist nicht mit dabei.
(**** ½)

The Vaselines – V For Vaselines (2014, Rosary Music)
Das Duo aus Glasgow glänzt unter Mithilfe weiterer Musikanten aus dem Mogwai- und Teenage-Fanclub-Umfeld mit Ramones-Pop-Punk und charmantem Damengesang a la Shop Assistants und Chumbawamba. Wer es bei Veronica Falls an der ein oder anderen Stelle gerne etwas flotter hätte: bitteschön.
(**** ½)