Jeff Zeigler

Reingehört (530): Chris Forsyth

„a near-perfect balance between 70s rock tradition and present day experimentation“
(Pitchfork)

Chris Forsyth – All Time Present (2019, No Quarter)

Hochamt für die Freunde der psychedelischen Rockgitarre, aus der faszinierenden Welt des Chris Forsyth: Der Ausnahmemusiker aus Philadelphia hat zusammen mit Mitgliedern seiner Solar Motel Band und weiteren Gästen mit „All Time Present“ das nächste Glanzstück im Zusammenspiel zwischen Verhaften in der amerikanischen Musikhistorie und experimentellem Trance-Flow aus dem Hut gezaubert. Wo die vorangegangene Arbeit „Dreaming In The Non-Dream“ unter anderem mit Verweisen in den Krautrock und die englische Progressive-Schule der Früh-Siebziger aufwartete, konzentriert sich das neue Werk weit mehr auf die Interpretation und Einbindung klassischer Formen der US-Rockmusik im Kontext freier Experimental-Exerzitien. Forsyth präsentiert sich auf den acht neuen, zum Teil ausladend langen Nummern in glänzender Spiellaune, vor Ideen sprühend, technisch versiert wie stets und dabei weitgehend losgelöst von beengenden Konventionen. Die Form ist gewahrt, der Geist darf sich darin völlig ungehemmt und gedeihlich entfalten.
Die mancherorts eingewertete Postrock-Kategorisierung ist allenfalls durch die ausgedehnt langen Instrumental-Passagen gerechtfertigt, der Gitarrist lässt das Fundament aus klassischem Roots-, Desert- und Psychedelic-Rock zu freien Cosmic-American-Jams, Jazzrock-verwandten Improvisationen und hypnotischen Halluzinationen auswachsen.
Die Eröffnungsnummer „Tomorrow Might As Well Be Today“ ist ein beschwingtes Folk/Indie-Rock-Instrumental im Radio-Format als eingängige Lockerungsübung an der Grenze zum Jangle-Pop, mit „Mystic Mountain“ geht es dann erstmals auf ausgedehnten Trip in die heißen und trockenen Wüstenregionen, durchdrungen von psychedelisch flimmernden Luft-Phänomenen, das gefährliche Lauern der Klapperschlangen und der Peyote-Rausch sind nicht fern. „The Man Who Knows Too Much“ als feine, von mystischen Sirenen-Klängen des Synthies umwehte Akustikgitarren-Miniatur ist dann bereits das letzte Stück in klassischer Drei-Minuten-Kürze, die restliche Stunde bietet fünf Kompositionen in erschöpfender Ausdehnung zwischen knapp neun und annähernd zwanzig Minuten. „Dream Song“ ist tatsächlich traumwandlerisch grandiose Desert-Psychedelia mit ausladenden, herrlich jaulenden, lichternden Gitarren-Soli/Riffs und gespenstisch entrücktem Gastgesang von Rosali Middleman.
In „New Paranoid Cat“ glänzt Forsyth eingangs noch einmal als versierter Musiker an der akustischen Gitarre, der repetitive, wenig variierende Charakter der Nummer erinnert im Vorspann an Werke der American Primitive Guitar und wächst sich später zu einem bunt funkelnden Spektrum an opulenten, halluzinogenen Klangfarben aus.
Der über neun-minütige minimalistische Gitarren-Trance-Flow in „(Livin‘ In) Cubist Time“ nimmt sich aus wie eine Anmerkung und Fortführung zu den „Plunderphonics“-Samples und Sound-Layern, mit denen der kanadische Komponist John Oswald Mitte der Neunziger über hundert Aufnahmen der frei improvisierten Space-Jam-Nummer „Dark Star“ der Grateful Dead auf dem Album „Greyfolded“ zu den beiden abstrakt-surrealen Psychedelic-Kompositionen „Transitive Axis“ und „Mirror Ashes“ verdichtete. Überhaupt „Dark Star“ als Referenzwerk: Auch „The Past Ain’t Passed“ atmet diesen Improvisations-Spirit und geht als dezent vom indischen Raga durchwirkte, aktuelle Interpretation des Live-Klassikers von Garcia, Weir und Co. ohne Beanstandungen seitens der Deadhead-Fraktion durch. Das fast zwanzig-minütige „Techno Top“ ist ein schier endlos driftender Gitarren-Rave mit dezenten Electronica-Beigaben im funky Rhythmus zum finalen Tanz ins entrückte Nirvana, Forsyth selbst nennt das seine „nihilistic disco accountant“ Vibes.
Manche Musiker sind heilfroh, wenn sie auf ihren Alben dann und wann den ein oder anderen Ohrwurm zuwege bringen, Chris Forsyth hat mit „All Time Present“ eine ausgewachsene Riesenschlange als über 70-minütiges Komplettwerk im Doppel-LP-Format in die Welt und in die Gehörgänge gesetzt. Das feine Teil ist seit einer Woche im gut sortierten Plattenhandel und im Stream/Download-Netz zu haben.
(***** – ***** ½)

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Reingehört (372): Chris Forsyth & The Solar Motel Band

Chris Forsyth & The Solar Motel Band – Dreaming In The Non-Dream (2017, No Quarter)

Tolles Post-irgendwas-/Psychedelic-Rock-Konglomerat von Chris Forsyth und seiner Solar Motel Band: der Musiker aus Philadelphia versteht es meisterhaft, US-amerikanische, durch jeweils charakteristisch-stilbildende Gitarristen geprägte Institutionen wie Grateful Dead, Crazy Horse, Dream Syndicate oder Television mit englisch geprägtem Früh-Siebziger Prog-/Kunst-Rock, instrumentalem Postrock-Ansatz und Space-/Krautrock-Anleihen in Einklang zu bringen, ohne irgendwelche schmerzhaften Brüche im Sound-Fluss wie in der Titelzusammenstellung zu offenbaren.
In den beiden zentralen Werken des aktuellen Albums nehmen sich Forsyth und seine Mitmusiker ergiebig Zeit zur Ausformulierung der musikalischen Vision, der Opener „History & Science Fiction“ lässt den ersten Teil des instrumentalen, von konterkarierender Rhythmusgitarre begleiteten, melodisch dominierten Indie-Rock-Flow in Van-Der-Graaf-/Roxy-Music-Frühphasen-angelehnte Art-Rock-Klangopulenz englischer Provenienz inklusive David-Jackson-/Andy-Mackay-verwandtem Gebläse übergleiten, eine 11-minütige, eindrückliche Demonstration des Zitierens wie individuellen Arrangierens ausgesuchter Blüten der progressiven Rockmusik.
„Have We Mistaken The Bottle For The Whiskey Inside?“ vermengt reduziert-trashigen, stoischen Garagenrock mit dem neo-psychedelischen Paisley-Underground-Ansatz in dessen gespenstischster Ausprägung und versieht den ausgedehnten Gitarrenrocker mit einer dezenten, dunklen Blues-Note, im Folgenden frönt die Band im über 15-minütigen Instrumental-Titelstück ausgiebigst dem Space-Rock, inklusive gedehnt repetitiven Elementen, monotonen Bassläufen und entsprechendem, Effekt-heischendem Sci-Fi-Gefiepe, Wurlitzer-Gezirpe, Electronica-Gepfeife und Kraut-artigem Improvisations-Theater, Philadelphia-Ortsnachbar Jeff Zeigler besorgte die Schrauberei an den Synthie-Gerätschaften. „Two Minutes Love“ zum entspannten Ausklang ist in etwa das, was der Titel verspricht, auch hinsichtlich knapp bemessener Song-Länge, hingehauchte, verträumte wie völlig entschlackte Gitarren-Farbtupfer als unaufgeregte Instrumental-Balladenkunst.
Chris Forsyth und die Solar Motel Band offenbaren auf dem aktuellen Album ein exzellentes Gespür für die Rock-Historie und geben mit Deutungsansatz wie Fortschreibung Hoffnung und Anregung für den psychedelischen, Gitarren-dominierten Indie-Sektor.
(*****)

Chris Forsyth Live mit der Solar Motel Band, dem Nick Millevoi Duo und Loren Connors  nyctaper.com.

Steve Gunn Band + Mary Lattimore & Jeff Zeigler @ Glockenbachwerkstatt, München, 2015-05-31

Ganz was Feines hat da unser beloved Munich Konzertveranstalter CLUBZWEI an Land gezogen, einen Gitarren-Gottesdienst von einem der Besten seines Fachs überhaupt, dem hochgeschätzten Steve Gunn, und als Kontrastprogramm Experimentelles vom Duo Mary Lattimore & Jeff Zeigler, das den an Angenehmheit schwer zu überbietenden Abend mit einer knapp vierzigminütigen, hypnotischen Ambient-Meditation, dargeboten auf elektrisch verzerrter Harfe und hochinteressantem Drone-Elektrogerätchen-Geschraube, eröffneten. Die aus North Carolina stammende Mary Lattimore, die die klassische Harfe unter anderem in Wien studierte, entlockte ihrem Instrument Töne, die an japanische Zen-Tempel denken ließen, ihr kongenialer, in Philadelphia beheimateter Partner Jeff Zeigler unterfütterte das tiefen-entspannte Musizieren mit dezenten maschinellen Tönen aus dem Korg-Synthesizer und anderen Gerätschaften, gegen Ende der Darbietung setzte er die Melodica ein und gab der hörenswerten Soundlandschaft eine melancholische Note, die Erinnerungen an lange Strandspaziergänge an der rauhen bretonischen Küste heraufbeschwor. Ein inspirierender Konzert-Auftakt, der in der Form auch in die lose Frameless-/Frameworks-Reihe über experimentelle Musik, über die ich hier ab und an bereits berichtet habe, gepasst hätte.
(**** ½)


Mary Lattimore & Jeff Zeigler / Thrill Jockey Records

Den Hauptteil des Abends bestritt der aus Pennsylvania stammende und in Brooklyn ansässige Ausnahmegitarrist Steve Gunn mit seinen beiden jungen Mitstreitern an Bass und Schlagwerk, der Amerikaner weckte erstmals mit seiner grandiosen Instrumental-Platte ‚Sand City‘ mein Interesse, die er zusammen mit dem ebenfalls hochtalentierten Gitarren-Könner John Truscinski einspielte (2010, Three Lobed Recordings), sporadisch unterstützte Gunn in früheren Jahren Kurt Vile’s Combo The Violaters als Tour-Gitarrist.
Der nach eigenen Angaben unter anderem von indianischer Musik, John Fahey, Robbie Basho, Jack Rose und La Monte Young beeinflusste Musiker gab am Sonntagabend mithilfe seiner Rhythmus-Abteilung ein sehr Song-orientiertes Konzert in der ‚Glocke‘, das refrainlose Liedgut wurde in formidable Saiten-Wunderwerke gepackt, die ein faszinierendes Konglomerat aus Blues-Rock-orientiertem Indiesound, No Wave, Southern-Rock-Einsprengsel und Enthusiasmus-fördernder Psychedelic bot, das in den ausufernden Teilen mit seinen zusätzlichen Cosmic-American-Music-Zitaten auch absoluten Ausnahmekönnern wie Jerry Garcia und seinen Grateful Dead vollumfassend zur Ehre gereicht hätte. Wie eingangs erwähnt, der Saiten-Artist Steve Gunn ist ein ganz Großer seines Fachs, der den Schrammel-Kollegen am Sonntagabend in einer knapp zweistündigen Papst-Messe hinsichtlich gleichermaßen perfektem wie inspiriertem Gitarren-Spiel zeigte, wo der Bartel den Most holt. Ein Auftritt, von dem ich viel erwartet und alles bekommen habe. Schade, dass sich zu diesem Konzert-Highlight nur verhältnismäßig wenige Besucher in das Bürgerhaus verirrt hatten, können doch nicht alle bei Metallica und dem KISS-Kasperltheater im Olympiastadion gewesen sein. In the US of A demnächst mit Wilco auf Tournee und dort dann garantiert vor wesentlich größerem Publikum…
(***** ½)







Steve Gunn / Homepage