Die geschätzten Münchner Konzertveranstalter vom Clubzwei luden am Dienstagabend zur psychedelischen Volldröhnung in den Club-Saal des Import/Export, die kalifornischen Neo-Space-Rocker der Wooden Shjips entwickelten bereits mit ihrer konzertanten Ankündigung genügend Sog-artige Anziehungskraft und garantierten damit einen vollgepackten Saal. „Ausverkauft“ konnte zu Beginn des Gigs vermeldet werden, das freut Veranstalter, Musikanten und die Wirtsleute.
Die Holz-Schjiffe um Mastermind Erik „Ripley“ Johnson lieferten ein exzellentes Setting ins Sachen „Turn On, Tune In, Drop Out“, multimedial begleitet von einer an die drogenverseuchten Sechziger Jahre angelehnten Farbexplosion an buntem Gelichter auf der Bühnenwand und vermutlich von der ein oder anderen eingeschmissenen Substanz auf Betriebstemperatur gebracht, hoben die Musiker unvermittelt zum Höhenflug in entlegene Sphären und Galaxien an, von denen sie erst nach 80-minütigem Space-Trip wieder auf den Boden des Heimatplaneten zurückkehren sollten.
Mit Schwerpunkt auf das Material des aktuellen Albums „V.“ in der Setlist bot das Quartett aus San Francisco in einem atmosphärisch dichten Vortrag das Erwartete an Psychedelic-Preziosen in einer verschärften, hinsichtlich Intensität gesteigerten Live-Version.
Der geisterhafte, sporadische Sangesvortrag von Gitarrist Johnson blieb entrücktes und kaum verständliches Beiwerk, von weißem Rauschen und Verzerrungen verwaschene, diffuse Beschwörungen auf einem Level der tiefenentspannten Gleichgültigkeit. Die Band gab sich mit Genuss vor allem dem instrumentalen Exzess hin, ausladende Gitarren-Soli, aufheulend, dröhnend, nachhallend und durch Feedbacks gejagt, von Johnson virtuos und gleichsam technisch brillant mit kaum fassbarer, leuchtender Schönheit als zentrales Element in den hypnotischen Flow gestellt. Ein Klangfluss, der vom Grundrauschen der Weltraum-Orgel, den irrlichternden Synthie-Drones, Sound-Loops und der ganzen Vielfalt des Tasten-Spiels und Regler-Schraubens in Kraut-, Prog- und Space-Herrlichkeit begleitet und entsprechend in Szene gesetzt wurde, somit zweifellos erst seine ganze bewusstseinserweiternde Pracht entfaltete.
Im Rahmen einer stoischen, kaum variierenden Rhythmik kommt insbesondere Drummer Omar Ahsanuddin der nicht geringe Verdienst zu, mit seinem reduzierten, monoton antreibenden Uptempo-Klopfen auf Becken und Snare-Drum diese ausufernden, der Hippie-Ära entlehnten Cosmic-Improvisationen im Hier und Jetzt zu halten, ohne den unermüdlichen Drive des Trommlers würde die psychedelische Spielart der Shjips vermutlich rückwärts gewandt in der Vergangenheit haften bleiben, als Orchestrierung zu längst vergangenen Haight-Ashbury-Happenings oder den LSD-Versuchen und Acid Tests der Herren Leary, Kesey und Konsorten – so bleibt er zeitlos und für das Indie-Rock-Volk des 21. Jahrhunderts konsumierbar. Da tat kein Naschen und Inhalieren an verbotenen Rauschmitteln Not, selbst ohne zugekleisterte und verdichtete Hirnwindungen entfaltete der Sound der Band seinen unausweichlichen Hypnose-Sog und zog die Hörerschaft mit hinauf in den Orbit der entrückten Zustände.
„Ride On“ vom aktuellen Album verließ als Neo-Desert-Blues im Valium-gedämpften Zeitlupen-Downtempo kurzzeitig die experimentelle Umlaufbahn, und mit „What Goes On“ vor der Zugaben-Pause durften die längst in die Geschichte eingegangenen Velvet Underground für einen Coverversionen-Auftritt die eingelagerten Urnen der Gruft verlassen und in ausgedehntem Trip auf die Sternenfahrt gehen, Johnson und Co. bauten die bereits in Grundzügen vorhandenen Sixites-Psychedelic-Strukturen des Klassikers zu einem dichten Neo-Prog-Gewerk aus, der gute alte Lou Reed wurde selten rauschhafter gefeiert.
Wo Rauschebart Johnson mit seinem Nebenprojekt Moon Duo die Psychedelic in Richtung reduzierter Garagen-Punk dehnt, liefert das Mutter-Holzschjiff die schwergewichtige, überwältigende, nicht weniger extrem gut ins Ohr gehende Kost der harten, progressiven Indie-Rock-Spielart.
Kommunikation mit dem Publikum im konventionellen Sinn findet bei Wooden Shjips wenn überhaupt nur in homöopathischen Dosen statt. Kein „Good Evening“, kein „München ist die superste Stadt unserer Tour, so far“, kein „Wo ist der nächste Hanfzüchter Eures Vertrauens?“: Floskel-freies Konzentrieren auf das Wesentliche, so soll es sein. Zweimal ein ins Mikrophon genuscheltes, kaum vernehmbares „Thank You“, das soll’s an verbalem Austausch der Band aus der Fog City mit dem Münchner Konzertvolk an diesem Abend gewesen sein. Wooden Shjips korrespondieren mit dem Auditorium auf einer anderen Ebene, der Flow des Indie-Space-Sounds durchdringt den Raum und wird vom Publikum als Resonanzkörper mit sanftem Wogen und eingegroovtem Mitnicken als Antwort erwidert. Ein nonverbales Einverständnis auf anderem Bewusstseins-Level zwischen Musikern und Konsumenten, wenn man so will.
An den positiven Vibes, an parapsychologischer Gedankenkontrolle oder anderweitiger spiritueller Einflussnahme muss das hiesige Publikum indes noch schwerst arbeiten, zu mehr als zwei Zugaben-Nummern waren die Wooden Shjips trotz herzlich zugewandtem Applaus an dem Abend nicht mehr zu bewegen.
Kalifornien
Die virtuelle Reste-Schublade (5)
Stay at home, read a book:
Wolf Haas – Junger Mann (2018, Hoffmann und Campe)
„Nett ist der kleine Bruder von scheiße“ sagt ein derbes Sprichwort. Der Österreicher Wolf Haas hat mit „Junger Mann“ ein nettes Buch über eine Dreiecks-Beziehung geschrieben, vordergründig und unter anderem. Und in dem Fall geht es ohne den Fäkal-Zusatz, denn an dem dünnen 240-Seiten-Schmöker gibt’s einschränkend nichts zu mäkeln, punktum. Alles nett, mittels unaufgeregtem Dahinplätschern und hinsichtlich Banalität auf die Spitze getriebener Dialoge: Wortwitz meets Weltschmerz-Blues in einer Coming-Of-Age-Biografie, schwer vermutlich mit wie auch immer gewichteten Anteilen aus der Vita vom Herrn Haas selbst, dazu veritables Weight-Watchers-Drama, literarisches Roadmovie und eingehende Auseinandersetzung mit der Seelenpein der platonischen Liebe, der Tristesse an der Tankstelle und den Eigenheiten der österreichischen Psychiatrie.
„Im Gegenteil. Du wirst es mir nicht glauben, aber ich bin gern hier.“ Da ist er, exemplarisch auf Seite 93, ein typischer Haas-Satz. In seinen Brenner-Romanen hätte er ihn anders formuliert, direkte Anrede des Lesers Hilfsausdruck. Ansonsten: alles leiwand und lakonisch unterhaltsam. Falls Ihr keinen Bock oder keine Zeit zum selber lesen habt – was ein schweres Versäumnis wäre – der Autor übernimmt das gern für Euch, unter anderem nach überstandener Weihnachts-Völlerei am 28. und 29. Dezember im Münchner Volkstheater, jeweils 20.00 Uhr.
Reingehört, auf die Schnelle, zu spät, zu laut, zu leise, zu kurz, was auch immer:
The Bevis Frond – We’re Your Friends, Man (2018, Fire Records)
90 Minuten The Bevis Frond vom Feinsten, und das nach über dreißig Jahren on the road und unzähligen Tonträger-Veröffentlichungen, wer hätte gedacht, dass sich Nick Saloman und die Seinen nochmal zu solchen Höhen aufschwingen? Zu den Schlechten war die Londoner Indie-Psychedelic-Institution nie zu zählen, aber was hier an umfänglicher, erschöpfender Neo-Spacerock-Seligkeit, gewichtiger Progressive-Schwere und ausladender Psych-Folk-Melodik durch die Beschallungs-Anlagen gewuchtet wird, nötigt doch nochmal eine gehörige Portion mehr als üblich an Respekt ab. „Enjoy“ fällt als furioser Opener gefangen nehmend und rundum beglückend mit der Tür ins Haus und macht das Genießen zu einer der leichtesten Übungen, so wie in vergangenen Zeiten wunderbar erhebende Nummern vom Schlag eines „Coming Round“ oder „Johnny Kwango“ die Indie-Psychedelic-Messen eröffneten, und damit ist das qualitative Level der folgenden neunzehn Nummern an ausladenden Prog-Rockern und melancholischen Mid-Tempo-Folkrock-Balladen auf „We’re Your Friends, Man“ im Kern umrissen. Wer weiterhin dem Irrglauben aufsitzt, Dinosaur-Jr-Grunge-Grummler J Mascis hätte das exzessive Ausweiden von Weltschmerz, Melodie, Saiten-Gegniedel und Suhlen in süffigen, endlosen Moll-Akkorden in seinen beherzt-ausufernd dahinjaulenden Gitarren-Soli erfunden, lasse sich bitte von jeder beliebigen Bevis-Frond-Scheibe eines Besseren belehren, der aktuelle Tonträger bietet dahingehend beileibe nicht das schlechteste Anschauungs- oder vielmehr Anhörungs-Material zur nachhaltigen Korrektur.
(*****)
Ry Cooder – The Prodigal Son (2018, Caroline / Universal Music)
Klarer Fall von Schublade: Release zur Kenntnis genommen und dann postwendend in der Versenkung verschwinden lassen. Sowas geht heutzutage tatsächlich virtuell: Spotify-Download angeschmissen und dann monatelang nicht reingehört, schändlicher Weise und in dem Fall geradezu unverzeihlich. Dabei hat der alte Cooder im fortgeschrittenen Alter nichts verlernt und glänzt als profilierter Roots-Music-Veteran wie eh und je, weit entfernt von Geschmacks-beleidigenden Grausamkeiten seiner Rentner-Kohorte, den ungenießbaren Sinatra-Peinlichkeiten von der Nobelpreis-Bob-Müllhalde etwa, oder sterilem, glatt- und tot-produziertem Plastik-Ramsch, wie ihn der mittlerweile unsägliche Ungustl Van Morrison dieser Tage einmal mehr absondert.
„The Prodigal Son“ bietet alles, was die großartigen, ersten fünf Cooder-Alben aus den Siebzigern vom selbstbetitelten 1970er-Debüt bis zum fantastischen Americana/Tex-Mex/Blues-Crossover „Chicken Skin Music“ auszeichnete: Beseelten Swamp-Groove, zeitlosen Country-Blues, Appalachen-Bluegrass, Protest-Folk und spirituellen Gospel, Bottleneck-Trance, lässige Little-Village-Entspanntheit, kongeniales Fremd- wie Eigenwerk mit politischer Brisanz, sogar der verehrte, inzwischen leider im vergangenen Januar verstorbene Terry Evans ist als Gast-Sänger noch mit von der Partie, hier bleiben keine Wünsche für Cooder-Fans offen.
Schlechte Platten hat Ry Cooder sowieso seltenst abgeliefert, ein paar zu vernachlässigende Soundtracks mitunter, „The Prodigal Son“ dürfte mit zu seinen größten Würfen und rundum gelungensten Alben seit Jahrzehnten zählen. Schöner und gleichsam zeitgemäßer kann man den alten amerikanischen Volksmusik- und Protestsänger-Traditionen nicht nachspüren. Aber das wissen schätzungsweise mittlerweile eh schon alle, die es interessiert, die Scheibe gibt es bereits seit gut einem halben Jahr zu erwerben, und sie ist andernorts – shame on me! – nicht in der Schublade, sondern sofort und verdientermaßen im Soundsystem gelandet…
(*****)
Paulinchen Brennt – Wie Salz 7″ (2018, 30 Kilo Fieber Records / Different Records)
Paulinchen wird wohl eine Nette sein, oder gewesen sein, kommt drauf an, wie weit die Verbrennungsgrade fortgeschritten sind und ihre verheerende Wirkung taten. Jedenfalls eine Nette, sonst wäre ihr Name wohl kaum so putzig verniedlicht worden. Und dass sie dann wer anzündete, verstört schon ungemein. Befremdlich wie der Sound der gleichnamigen, dreiköpfigen Ost-West-Connection aus Leipzig und Nürnberg, im Mindesten für die Hörerschaft, die sich nicht ab und an eine gepflegte Prise Core, Metal und Noise reinpfeift.
Screamo meets Uptempo-Struktur, durchaus mit Anspruch und Provokations-Potential. Der als „Sänger“ agierende Brüller gibt in jedem Fall alles, was zu der Gelegenheit nicht wenig ist, knüppelhartes Core- und Metal-Gepolter, mit Verve, Herzblut und gezielten Breaks vorgetragen, und vor allem mit einer unverkennbaren eigenen Note gepfeffert. Schön auch der bluesige Unterton der längeren (nun gut, jedenfalls in diesem Kontext) Gitarren-Passagen.
(**** – **** ½)
Noise Raid – Trebellum EP (2018, Noise Raid)
Im Eigenverlag produzierte 3-Stücke-EP des Münchner Postmetal-Quartetts Noise Raid. Der Opener „Black Fog“ offenbart: Da ist Substanz in der musikalischen Vision der Instrumental-Combo. Druckvoller Losgeh-Indie mit dezenten Math-Rock-Einfärbungen inklusive nervöser, flirrender Gitarren-Breaks und vehement antreibender Rhythmik, not bad. Der Rest vom Schützenfest, sprich die beiden anderen Nummern: gefälliger State-of-the-Art-Postrock der härteren Gangart, schneidende Heavy-Riffs, die ganze gängige Palette des instrumentalen Polterns. „Würgegriff“ presst zuweilen den Achtziger-Hardrock aus den Verstärkern, Rainbow ohne Dio, quasi. Man könnte boshafter Weise fragen, wer braucht im fortgeschrittenen 21. Jahrhundert noch den Heavy-Sound der alten Garde, aber die fast ausverkaufte Münchner Olympiahallen-Show von Ritchie Blackmore und seiner Deep-Purple-Nachfolgeorganisation im Juni 2019 spricht da offensichtlich eine andere Sprache.
Unbrauchbare Vergleiche beiseite: Live sollen Noise Raid dem Vernehmen nach bereits auf sehr ordentlichem Intensiv-Niveau unterwegs sein, insofern: da kommt in Zukunft noch was angerauscht, aus heimischen Gefilden…
(**** – **** ½)
Reingehört (494): Common Eider, King Eider
Common Eider, King Eider – A Wound Of Earth (2018, Consouling Sounds)
Diffuse, finstere Albträume, in Tönen ausformuliert. Das Künstler/Musiker-Kollektiv Common Eider, King Eider ist in San Francisco ansässig und gibt auf seiner Bandcamp-Seite das kalte und unwirtliche Alaska als geistige Heimat an, wie überaus passend, nach Westcoast-Sonne kann man im Seelenpein-herauskehrenden Sound der Amerikaner in der Tat lange und vergebens suchen.
Unter anderem tummeln sich Musiker wie der ehemalige Deerhoof-Gitarrist Rob Fisk und Andee Connors von A Minor Forest in diesem sinisteren Verbund, der seit gut zehn Jahren mit Tonträger-Veröffentlichungen und sporadischen Auftritten in Erscheinung tritt.
Mit der demnächst zur Veröffentlichung angezeigten neuen Stoffsammlung „A Wound Of Earth“ drängt sich der Verdacht einmal mehr auf, dass sich die Musiker des Öfteren im dichten Nebel der kalifornischen Bay Area verlieren und ihren zwielichtigen Gedanken und Empfindungen nachhängen, das Werk schimmert schattenhaft und diffus in vier ausgedehnten Arbeiten mit Titeln wie „Starless Sky Turned Sanguine (A Hymn To Feral Spirits)“, die im gedehnten, getragenen Tempo faszinierende, gründlich ausgereifte und sich stetig weiterentwickelnde, beklemmende Klanglandschaften beschreiben. In „Wound Of Body“ ist neben dem dominierenden Drone-Flow aus der Ferne ein schwarzes Wehen zu vernehmen, weitaus mehr erahnt als tonal klar ausformuliert, mit dem sich dunkle Doom- und Postmetal-Orkane drohend von Weitem ankündigen und vor dem atonalen Entladen wieder in psychedelischer Ambient-Umnachtung verschwinden. Instrumental-Kompositionen, die sich stilistisch in einem Konglomerat aus neoklassischen Minimal-Elementen in tiefstem Moll, abstrakten, düsteren Samples und Horizont-erweiterndem Industrial-Ambient ergehen, durchdrungen vom Spirit experimenteller Progressive- und Postrock-Klangforschungen und unheilvollen, uralten Dämonen, die sich den Weg aus den verschütteten, schwärzesten Regionen des Unterbewussten bahnen.
Rituelle Drone-Metall-Sektierer wie Sunn O))) und das Industrial-Pendant der Pioniere von Throbbing Gristle/Psychic TV treffen in den mystisch durchwirkten Sound-Schleiern auf einen Slow-Motion-Ansatz der Neuen Musik von Komponisten wie Arvo Pärt oder Henryk Górecki, abstrahierter Postmetal in neoklassiches Gewand gehüllt und die dumpfe, verstörende Unruhe des Industrial als getragener, meditativer Trance getarnt, der sprichwörtliche Teufel steckt hier in den sich kaum offensichtlich offenbarenden Details, die es aufmerksam und konzentriert zu ergründen gilt, in diesen herausfordernden Dark-Ambient-Entwürfen.
Common Eider, King Eider liefern die orchestrale Beschallung zum Wandeln im dunklen Untergehölz, zur Steigerung der Dramaturgie des Moments, in dem Ihr die seit langem vermisste, halb verweste, von Pilzen und Flechten überwucherte Waldleiche findet. Prost Mahlzeit.
„A Wound Of Earth“ erscheint am 30. November beim belgischen Experimental-/Postrock-Label Consouling Sounds.
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