Kama Aina

Kama Aina + Hochzeitskapelle @ Lothringer13, München, 2018-07-27

Die gelungene Live-Probe während des Entstehungsprozesses fand bereits im vergangenen November im Rahmen der frameless15-Ausgabe der Reihe zur experimentellen Musik im digitalen Zeitalter im Einstein Kultur statt, am vergangenen Freitagabend nun in den städtischen Kunsthallen des Lothringer13 das offizielle Release-Konzert zur demnächst anstehenden Tonträger-Veröffentlichung „Wayfaring Suite“ der gemeinsamen Kollaboration des japanischen Musikers/Komponisten Takuji Aoyagi aka Kama Aina und der begnadeten Weilheim/München-Connection Hochzeitskapelle: Was vor einiger Zeit mit der Interpretation des Instrumentals „Wedding Song“ aus der Feder des Minimal-Music-Tondichters aus Tokio auf dem Debüt-Album der Hochzeitskapelle begann, hat sich mittlerweile zu einer gedeihlichen Zusammenarbeit ausgewachsen, der japanische „Native Underground“-Musiker hat im vergangenen Jahr eine Reihe weiterer Stücke exklusiv für die bayerische „Supergroup“ komponiert, gemeinsam mit ihr konzertant erprobt und im Studio eingespielt.
Kama Aina eröffnete den musikalischen Teil des Freitag-Abends mit solistischen Solo-Übungen, in denen er in drei kurzen Instrumental-Miniaturen seine Fertigkeiten auf der akustischen Gitarre angelehnt an Alternative Country, Acoustic Folk und American Primitive Guitar im freien Fluss zelebrierte und bei einer spontanen Mitklatsch-Nummer das trotz hochsommerlicher Außentemperaturen und anstehendem Mond-Verdunklungs-Naturspektakel zahlreich erschienene Münchner Publikum sofort auf seiner Seite hatte.
Unaufgeregt wie der Komponist selbst im knapp gehaltenen Vorspiel stiegen die in München lebende japanische Pianistin Sachiko Hara und die fünf Multi-Instrumentalisten der Hochzeitskapelle unmittelbar folgend in die Aufführung von Prolog, Epilog und der dazwischenliegenden acht Teile der „Wayfaring Suite“ ein, eine fernöstlich-bajuwarische Klangreise, die kosmopolitischen Ansprüchen im besten Sinne der „Welt“-Musik gerecht wird, die sich in keinem Ton auf regionale folkloristische Elemente aus Bierzelt/Heimatministerium/Sonstwo-Bayern oder aus dem fernen Kaiserreich Nippon reduzieren lässt, und die zu der Gelegenheit wenig bis kaum vom gewohnten, herrlich anarchisch-spontanen, improvisierten Polka-Rumpeljazz-Ska-Walzer-Crossover der Hochzeitskapelle durchdrungen ist, vielmehr einem strengeren kompositorischen Ansatz folgt, der wundersamer Weise durch das beschwingte, wie locker aus dem Ärmel geschüttelte, soulful Instrumente-Beherrschen dieses sich aus Mitgliedern zahlreicher anderer Formationen zusammensetzenden Orchesters nie diese Strenge in den Vordergrund stellt, vielmehr wie aus dem Nichts als angenehm entspannte, zuweilen melancholische, fast schon als easy listening konsumierbare Geschmeidigkeit im immerwährenden Dienst der wunderschönen Melodik ihre Wirkung entfaltet und trotz vordergründig luftiger Leichtigkeit nie das musikalisch Gewichtige und den Tiefgang mangeln lässt.
Zehn erlesene Instrumental-Kleinode, gleichwohl nicht Gesangs-frei dank Geigenbogen-Ziehen über die große Fuchsschwanz-Säge, zwischen würdevoller, semi-klassischer Kammermusik und auf Ambient-Minimalismus reduzierte Folklore-Harmonie, mit opulenter Individual-Könnerschaft an diversen Saiten-, Schlag-, Blas-, Handzug- und Streich-Instrumenten einmal mehr uneitel, elegisch und mit gefühlvoller Perfektion von Evi Keglmaier, Alex Haas, Mathias Götz, den Acher-Brüdern und ihren japanischen Begleitern Sachiko Hara und Kama Aina dem geneigten Konzert-Volk zu Gehör gebracht.
Frenetischer, lange anhaltender Applaus und Standing Ovations wurde den Musikern durch das Publikum zuteil – dem andächtig lauschenden, ex permanent um die Musikanten schwänzelnde und auf Dauer latent nervende Fotografen-/Film-Armada plus doch noch etwas Anarchie reinbringende Zappel-Gören (die dürfen das selbstredend!).
Im Zugabenteil gab’s nahe liegend nebst einer weiteren Perle den eingangs erwähnten „Wedding Song“, laut Begleittext zum wunderbaren Weltkulturerbe-Hochzeitskapellen-Debüt „The World Is Full Of Songs“ das vielleicht schönste, global bekannte Musikstück, vor allem Mathias Götz konnte hier in Sachen ausdrucksstarker Posaunen-Groove final sein ganzes versiertes Können in die Waagschale schmeißen, der selige Rico Rodriguez dürfte irgendwo auf der Wolke sitzend begeistert mitgelauscht und anerkennend mit der Zunge geschnalzt haben.
Die Umschlag-Gestaltung zum neuen Tonträger stammt im Übrigen vom japanischen Künstler Tomoya Kato, seine Bilder und komplementäre Installationen von Martin Fengel sind bis 16. September 2018 im Rahmen der Ausstellung „Die Insel der Dachhasen“ in der Kunsthalle der Lothringer13 zu sehen (Sommerpause 6. bis 15. August).
Die „Wayfaring Suite“ erscheint offiziell am 21. September auf diversen Tonträger-Formaten als gemeinsame Veröffentlichung von Gutfeeling Records und Alien Transistor, also: Urlaubsgeld in diesem Sommer nicht komplett verblitzen, etwas Pulver trocken halten und im Frühherbst die großartige (***** – ***** ½)-Pracht ordern.
Das kurz nach Konzertende in freier Wildbahn stattfindende Blutmond/Mondfinsternis-Gewese war im Nachgang zu diesem wunderschönen und erhebenden Musik-Abend dann doch ein vergleichsweise fades Kracherl…

Kama Aina & Hochzeitskapelle – Wayfaring Suite Part 2 → Youtube-Link

frameless15: Kama Aina + Hochzeitskapelle, John Chantler, Qubibi @ Einstein Kultur, München, 2017-11-14

Die Münchner frameless-Reihe zur experimentellen Musik im digitalen Zeitalter hatte in der letzten Ausgabe in 2017 neben australischem Electronica-Experiment und japanischer Videokunst mit dem gemeinsamen Auftritt von Kama Aina und der ortsansässigen Hochzeitskapelle ein besonderes tonales Gustostück zu bieten, eingangs erfreute Moderator Dr. Daniel Bürkner die treuen frameless-Fans mit der Nachricht, dass die finanzielle Förderung der von Karin Zwack veranstalteten Konzert-/Medien-Reihe durch das Kulturreferat der Landeshauptstadt München für das kommende Jahr gesichert ist.

Den ersten Teil des Abends bespielte der in Australien geborene und in Schweden arbeitende Klang-Tüftler John Chantler mit seiner Electronica-Komposition „Logic Being The Lowest Form Of Magic“, die sich in einem weiten wie erratischen Klangraum bewegte zwischen sporadischen, isolierten Noise-/Interferenz-Drones, digitalen Samplings, in denen er unter anderem Aufnahmen von der Orgel der neuen Hamburger Elbphilharmonie verarbeitete, und einem feinen, konträren Synthie-/Ambient-Flow, der ein artifiziell-digitales, entspanntes Unterwasser-Rauschen simulierte.
Intensive Brachial-Lautmalereien gaben sich die Hand mit schönen Sphärenklängen, organisch erzeugte Töne aus analogem Instrumentarium in Form von Field Recordings wurden durch digitale Strukturen verzerrt, ein spannungsgeladener Ansatz, der in den Ohren-schmeichelnden Passagen sehr zu gefallen wusste, im losgelösten Kunst-Lärmen jedoch mitunter die ausgereifte Finesse vermissen ließ.
(*** ½ – ****)

Die Münchner Hochzeitskapelle hat im vergangenen Jahr auf ihrer exzellenten CD/LP „The World Is Full Of Songs“ (Gutfeeling Records) das Stück „Wedding Song“ des japanischen Komponisten Takuji Aoyagi aka Kama Aina interpretiert und im Nachgang ein Exemplar des Tonträgers nach Okinawa an die Adresse des „Native Underground“-Musikers geschickt. Im März war der Hochzeitskapelle-Drummer (und Notwist-Gitarrist/Sänger) Markus Acher mit der Band Tenniscoats in Tokio für einen Auftritt zu Gast, er traf bei der Gelegenheit Kama Aina und fragte ihn, ob er für die Hochzeitskapelle neue Stücke komponieren könne, dieser konnte, und so kam es am vergangenen Dienstag Abend zur gemeinsamen konzertanten Premieren-Aufführung von zehn neuen Aoyagi-Werken durch die München-/Weilheim-Rumpeljazz-Institution mit dem japanischen Indie-Musiker Kama Aina im bis auf den letzten Platz besetzten Keller des Einstein Kultur.
Der zierliche asiatische Komponist begleitete die fünf bayerischen Ausnahme-Musiker_Innen an Gitarre, Banjo und Akkordeon, Evi Keglmaier, die Acher-Brüder, Mathias Götz und Alex Haas glänzten wie nicht anders zu erwarten an diversen Instrumenten wie Schlagwerk, Kontrabass, Posaune, singender Säge, Violine, indischem Harmonium oder Sousaphon und verzüchten so gemeinsam die Zuhörerschaft mit einer stringent durchkomponierten Mixtur aus melancholischer Schwere in herbstlichen Klangfarben und luftiger Leichtigkeit, die Erinnerungen an den verschwundenen Sommer weckte. Die Stücke bewegten sich stilistisch in einem Spannungsfeld aus kammermusikalischer Eleganz, bewusst simpel gehaltenem japanischem Minimalismus und Filmmusik-verwandten Klängen, eine einnehmende Aufführung, die durchgehend auf den gemeinsamen Nenner der musikalischen Brillanz gebracht wurde.
Das bewährte, bekannte, hochgeschätzte, geradezu spontan anarchistisch-freie Spiel der Hochzeitskapelle mit entsprechendem Raum für Improvisationen und Soli der begnadeten Klangkünstler_Innen und einhergehender Ausdehnung in viele stilistische Richtungen musste an dem Abend selbstredend hintanstehen, der Vortrag der neuen Stücke nach Notenblatt steckte einen strengeren formalen Rahmen ab, für die Aufführenden des Abends kein Hindernis für versiertes Glänzen.
Das begeisterte Publikum bedachte die konzertante Premiere der japanisch-bayerischen Kollaboration mit gebührend langanhaltendem Applaus und wurde dafür mit einer Version des „Wedding Song“ und einer Wiederholung aus dem neuen Instrumental-Zyklus im Zugabenteil belohnt. Würdiger konnte das frameless-Jahr 2017 vermutlich nicht zu Ende gehen.
(***** – ***** ½)

Die Hochzeitskapelle unterstützt heute Takuji Aoyagi/Kama Aina bei seinem Gesangs-Projekt „Circle Voice“ im Innenhof der Kunsthalle Lothringer13, Beginn 16.00 Uhr, der Eintritt ist frei. Adresse: München/Haidhausen, Lothringer Straße 13.
Ohne japanische Unterstützung spielt die Hochzeitskapelle morgen, am 17. November, in der Münchner Gaststätte Goldmarie den Soundtrack zum Abendessen, München/Ludwigvorstadt, Schmellerstraße 23.

Die Medienkunst im separaten Nebenraum des Einstein-Kultur-Kellers stammte an dem Abend vom japanischen Künstler Kazumasa Teshigawara/Qubibi, der sich in seinen Arbeiten mit der Frage auseinandersetzt, ob Maschinen Gefühle zeigen können. In München präsentierte er die minimalistische Videoarbeit „Kokuhaku“ mit Musik der japanischen Band Asa-Chang & Junray, der Film wird mit Hilfe binärer Codes durch ein Endlosschleifen-Programm generiert, er zeigt immer neue Formen zwischen rein digitalen Strukturen und kurzen, animierten Momenten der Kindheit.