King Crimson

King Crimson @ Philharmonie, München, 2018-07-16

In The Court Of The Crimson King oder: Eine Zeitreise durch ein halbes Jahrhundert essenzielle Musik-Historie mit der neben Van Der Graaf Generator besten und wichtigsten Band aus der Ursuppe des britischen Progressive Rock – King Crimson am Montagabend im Rahmen ihrer europäischen „Uncertain Times Tour 2018“ für 160 Minuten in der Philharmonie des Münchner Gasteigs, dort, wo sich sonst ortsansässige Kultur-Schickeria und ewig-gestrige Joan-Baez-Mitheuler die Klinke in die Hand geben, mit einem Quasi-Greatest-Hits-Programm aus dem umfangreichen Band-Fundus, das ihresgleichen sucht. Aufgeführt in ebenjener heiligen Halle der Hochkultur des Isar-Millionendorfs, die speziell beim feinhörigen Klassik-Publikum wegen individuell wahrgenommener schlechter Akustik nicht unumstritten ist und dementsprechende Forderungen nach Sanierung oder gar sündhaft teurem Neubau laut werden lässt, zum – auf die Minute pünktlichen! – Konzertbeginn mochte man den Unkenrufen in der Tat zähneknirschend beipflichten, das Eröffnungs-Intro „Drumsons“ wie die ersten Nummern „Larks‘ Tongues In Aspic“ und „Peace: An End“ drohten wiederholt von komplexem Sound in undifferenzierten Klang-Brei zu kippen, zur Ehrenrettung des Technikers am Mischpult sei angemerkt, dass eine achtköpfige Prog-Rock-Bigband mit sage und schreibe drei Drummern, zwei Gitarren, Blasinstrumenten, Bass und Keyboard keine geringe Herausforderung hinsichtlich klarer, differenzierter Akustik darstellt, die löblicherweise mit fortlaufender Konzertdauer zusehends besser vom Mann an den Reglern bewältigt wurde.
Über Mastermind, Komponist, Soundtüftler, Gitarrist und einziges seit 1968 konstantes KC-Mitglied Robert Fripp muss in der Welt des Progressive Rock kaum mehr ein Wort verloren werden, der Mann hat in den vergangenen fünfzig Jahren neben Erschaffen eines gewichtigen Eigenwerks mit nahezu allen herausragenden Größen der avantgardistischen Rockmusik von Bowie über Eno bis Peter Gabriel, David Sylvian, Van Der Graaf Generator oder den Talking Heads zusammengearbeitet und das Genre maßgeblich wie kaum ein Zweiter mitgeprägt, am Montagabend wurde in den weit über 2 Stunden einmal mehr als deutlich, warum die innovative und unvergleichliche Klangsprache der Londoner Institution über Dekaden nachgeborene Legionen von Experimental-, Progressive-, Ambient-Musikern wie Math-, Post-, Art-, Hard-, Jazz-, Noise-Rockern und Post-Metallern nachhaltig beeinflusst hat.
Dass Fripp auch mit größeren Ensembles kann, hat er bereits ab den Achtzigern mit der aus zahlreichen, aus mit unterschiedlichsten Reifegraden des Könnens ausgestatteten Gitarristen zusammengesetzten League Of Crafty Guitarists eindrucksvoll zelebriert. Und Aufmerksamkeits-fordernd, verschachtelt und ver-THRAK-t war der Tempi-wechselnde, komplexe, mitunter komplizierte King-Crimson-Sound bereits seit Veröffentlichung des 1969er-Debütalbums, somit war es für den am hintern Bühnenrand dezent agierenden Progressive-Großmeister ein unaufgeregtes wie über die Jahrzehnte perfektioniertes Unterfangen, den Stab seiner Mitmusiker als Spiritus Rector und Primus inter Pares mit unsichtbarer Hand zu dirigieren. Leichtes Bedauern machte sich bei beinharten Fans breit über die nur selten dominierende, unverkennbare Gitarrenarbeit Fripps, gerade im opulenten Improvisations-Flow hätte man gerne weitaus öfter diese singende, wundersam artifiziell swingende Saiten-Kunst des Ausnahmemusikers vernommen, wie er sie an dem Abend etwa exemplarisch grandios in den ausgewählten Titeln des 1981er Post-Prog/Art-Wave-Großwurfs „Discipline“ anklingen ließ. King Crimson wären nicht King Crimson, würden die Mitmusiker des Band-Mitbegründers zur reinen Begleitcombo degradiert werden, und so wurde die mitunter vermisste Dominanz der stilbildenden Experimental-Rock-Gitarre aufgewogen durch die herausragende Könnerschaft und das inspirierte Agieren einer exzellent aufeinander abgestimmten Formation, die mit dem seit 1981 in der Band engagierten amerikanischen Chapman-Stick-Virtuosen und Weltklasse-Bassisten Tony Levin wie dem bereits in den frühen Siebzigern bei King Crimson involvierten Saxophon-, Flöten- und Klarinetten-Spieler Mel Collins zwei altgediente Fripp-Weggefährten in ihren Reihen hatte. Dass der Begriff der Polyrhythmik eine neue, erweiterte Bedeutung/Dimension erreichte, lag beim miteinander, gegenläufigen, voneinander losgelösten, frei auseinander- und wieder zusammenfließenden Trommeln und perkussiven Geräusche-Erzeugen der drei renommierten Schlagwerker Gavin Harrison, Jeremy Stacey und Pat Mastelotto auf der Hand. Mit Gitarrist und Schauspieler Jakko Jakszyk hatte die Band einen Sänger am Start, der hinsichtlich Stimmlage und Gespür für die alten Meisterwerke vor allem den frühen King-Crimson-Vokalisten Greg Lake und John Wetton jederzeit das Wasser reichen konnte, nahe liegend kamen vor allem Nummern der ersten großen Ära der Band, die Mitte der Siebziger ihre Zäsur erlebte, zum Vortrag: nahezu das komplette Debüt-Album mit Keyboarder Bill Rieflin und Fripp himself am Melotron beim Titel-Track „In The Court Of The Crimson King“, mit einer Ausnahme komplett auch das fantastische 1974er-Glanzwerk „Red“, weiteres Ausgewähltes aus den Frühsiebzigern wie „Lizard“, „Cirkus“, „Pictures Of A City“ und „Easy Money“, zudem Punktuelles aus der späteren Fripp/Belew/Levin/Bruford-Phase.
Die Band feierte ohne das Blendwerk von großspurigen Show-Einlagen und mit minimalem Variieren der Bühnenbeleuchtung vor hochkonzentrierter und andächtig lauschender Hörerschaft ein Hochamt großer Improvisations-Kunst aus Progressive/Experimental-, Fusion-, Neoklassik-, Jazz-/Hard-Rock und Ambient-Elementen inklusive Würdigung der ausgeprägten solistischen Fertigkeiten der agierenden Musikanten, einhergehend mit immer wieder elegant, wie aus dem Nichts zu Struktur und Form findendem, zeitlosem Vortrag der zahlreichen Klassiker der englischen Prog-Rock-Hochphase.
„Ich mag das!“ rief ein offensichtlich des Deutschen mächtiger King-Crimson-Sänger Jakko Jakszyk zum Ende von „Indiscipline“ in die Menge. Wie sagt Kabarettistin Martina Schwarzmann zu solchen Gelegenheiten gerne selbstironisch-schlaumeiernd: Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.
Langanhaltender Begrüßungsapplaus für die Band vorab beim Entern der Bühne noch vor Erklingen der ersten Töne, Standing Ovations bereits nach dem insgesamt sehr passablen ersten Teil vor der kurzen Pause, langanhaltende Standing Ovations und frenetischer Jubel nach den letzen Tönen der Zugabe „21st Century Schizoid Man“ ob eines grandiosen, herausragenden zweiten Konzert-Abschnitts, so muss es sein.
Bleibt nur noch in grammatikalischer Verrenkung, den BesucherInnen der Zusatzveranstaltung Tags darauf an selbem Ort zu wünschen, einen ähnlich erfüllten und überwältigenden Konzertabend gehabt zu haben – mit einer der letzten ernst zu nehmenden, heute musikalisch noch relevanten und in Würde gealterten Ikonen der Rockmusik aus den legendären Aufbruch-Jahren der Sechziger.

Eine Kerze für John Wetton

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Foto © Mike Inns / Wikipedia

Der englische Bassist und Sänger John Wetton ist heute morgen im Alter von 67 Jahren an den Folgen einer Krebserkrankung gestorben.
Wetton war Anfang der siebziger Jahre als Bassist in der englischen Progressive-Rock-Band Family um den charismatischen Sänger Roger Chapman aktiv, 1973 und 1974 war er an den drei herausragenden King-Crimson-Progressive-/Experimental-Meilensteinen „Larks‘ Tongues In Aspic“, „Starless And Bible Black“ und „Red“ maßgeblich als Autor, Musiker und Sänger beteiligt, nach seinem Ausscheiden aus der Band um Robert Fripp Mitte der siebziger Jahre spielte Wetton mit Größen wie Brian Eno, Bill Bruford, Phil Manzanera und Bryan Ferry und gründete 1981 zusammen mit den Yes-Musikern Steve Howe und Geoff Downes und dem ELP-Drummer Carl Palmer die Prog-Rock-Supergroup Asia, die sich mit Nummern wie „Heat Of The Moment“ auch im Mainstream-Radio großer Beliebtheit erfreute.

Eine Kerze für Greg Lake

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Foto © Flickr/Wikipedia

Der Sänger und Bassist Greg Lake ist am vergangenen Dienstag im Alter von 69 Jahren an den Folgen seiner Krebserkrankung verstorben. Der 1947 in Bournemouth/England geborene Musiker war eine der zentralen Figuren des englischen Progressive Rock der späten sechziger und frühen siebziger Jahre. Nennenswert sind vor allem seine Beiträge in den King-Crimson-Anfangsjahren zu den ersten Alben und Auftritten der von Robert Fripp gegründeten britischen Progressive- und Art-Rock-Institution, zuvorderst zum Debüt-Meilenstein „In The Court Of The Crimson King“ (1969, Island).
Nach seinem Gastspiel bei King Crimson gründete er zusammen mit Carl Palmer und Keith Emerson im Jahr 1970 die Prog-Rock-Supergroup Emerson, Lake & Palmer, die mit Hits wie „Lucky Man“, dem Album „Tarkus“ oder der Bearbeitung der Mussorgsky-Komposition „Pictures At An Exhibition“ in den Frühsiebzigern auch kommerziell äußerst erfolgreich war. Die Band war berühmt für ihre Kombination aus hartem Rock mit Einflüssen aus der klassischen Musik. Nach dem ELP-Ende ersetzte der ex-Rainbow-Drummer Cozy Powell Mitte der Achtziger kurzzeitig Carl Palmer in der Neuauflage der Triobesetzung.
„The greatest music is made for love, not for money“ soll Greg Lake zum Besten gegeben haben, wenn’s wie in seinem Fall auch noch ein paar Taler nebenher abgeworfen hat, wird es ihn vermutlich auch kaum gestört haben.

Reingehört (33)

KC
King Crimson – Live At The Orpheum (2015, Discipline Global Mobile)
Die Live-Comeback-Scheibe der innovativen britischen Progressive-Rock-Institution um Gitarrenmeister Robert Fripp, der im Verlauf der jahrzehntelangen Bandgeschichte die einzige personelle Konstante der Gruppe darstellt. Mitgeschnitten wurde das vorliegende Werk bei zwei Konzerten der Band Ende September bzw. Anfang Oktober 2014 im Orpheum Theatre in Los Angeles, Kalifornien. Das KC-Line-Up für diese „The Elements of King Crimson US Tour“ setzte sich neben Robert Fripp aus drei Percussionisten (Gavin Harrison, Pat Mastelotto, Bill Rieflin), dem Gitarristen Michael Jakszyk, dem langjährigen King-Crimson-Bassisten Tony Levin sowie Mel Collins an Saxophon und Flöte zusammen. Letztgenannter war bereits auf diversen 70er-Jahre-Alben der Band beteiligt.
Auf dem vierzig-minütigen Mitschnitt ragen vor allem die Band-Klassiker „One More Red Nightmare“, „The ConstruKction of Light“ und „Starless“ heraus, wobei mir bei „Red Nightmare“ das Saxophon zu sehr dominiert, auch „The Letters“ bekommt der exzessive Tröteneinsatz für meine Begriffe nicht gut, dreht es doch das grundsätzlich hochinteressante Klanggebilde unangenehm in Richtung Jazz-Fusion-Gedudel, womit ich persönlich überhaupt nichts anfangen kann. Greift Mel Collins an diversen Stellen zur Flöte, unterstützt das den Charakter des jeweiligen Titels jedoch perfekt.
Eine vor allem perkussiv und in den Tempi-Wechseln überzeugende Einspielung, der ein reduzierter Einsatz des Saxophons gut zu Gesicht gestanden hätte. Dem Vernehmen nach plant die Band für 2015 weitere Auftritte und so besteht die Hoffnung, dass sich die Combo auch mal wieder in unseren Breitengraden blicken lässt.
(****)