„Don’t expect any Miracles“ warnte die britische LoFi-Songwriterin Holly Golightly Smith zu Beginn ihres Konzerts am Dienstag vergangener Woche diejenigen aus der Zuhörerschaft in der Münchner Kranhalle, die an diesem Abend zum ersten Mal in den Genuss ihrer Show kamen. Alle anderen wussten: Vorweihnachtliche oder wie auch immer geartete Wunder, ausgefeilte Finessen oder gar experimentelles Feuerwerk gab’s sicher nicht zu erwarten, schmissig-gepflegtes Rock’n’Roll-Entertainment mit der ein oder anderen ruppigen Ecke und Kante aber allemal, und dahingehend sollte das gut gefüllte Auditorium der vom Clubzwei präsentierten Veranstaltung auch keineswegs enttäuscht werden.
Begleitet wurde die gewohnt kratzbürstig gelaunte Frontfrau mit dem sarkastischen Humor an diesem Abend vom solide und unaufgeregt aufspielenden Trommler Bruce Brand, bekannt vor allem durch sein Mitwirken am unüberschaubaren Tonträger-Output der nahezu gleichsam unüberschaubaren Inkarnationen des englischen Indie-Tausendsassas und früheren Goligthly-Weggefährten Wild Billy Childish, in Sachen verlässliches und unaufdringliches Rhythmus-Geben stand Matt Radford am Upright Double Bass in nichts nach, Akzente setzte vor allem Gitarrist Bradley Burgess mit seinen exzellenten, locker aus dem Ärmel geschüttelten Rhythm-and-Blues-Licks – nicht anders als beim letzten Münchner Golightly-Gig in diesem Verbund vor gut drei Jahren im restlos ausverkauften Substanz-Club.
Die mittlerweile im amerikanischen Bundesstaat Georgia angelandete Londoner Königin der Schrammelgitarre hat über die Jahre ihren Hang zur ureigenen, zeitlosen Spielart des US-Rock’n’Roll, zu schmissigem Rockabilly, Blues- und Country-Twang mit dezenten Anleihen bei Soul und Gospel kultiviert, ihr früheres Faible für Garagen-Trash jeglicher Couleur offenbart sich dieser Tage vor allem im atmosphärischen Hall ihrer windschiefen Desert-Blues-Balladen, die Holly Golightly und ihre Mannen im Mittelteil der launigen, ausgedehnten 100-Minuten-Sause ausgiebigst als gespenstisch-schaurige Prärie-Beschallung in die Münchner Nacht heulen. Hätten Herrschaften wie David Lynch oder die Coen-Brüder das cineastische Machwerk mit dem New Yorker 5th-Avenue-Juwelier im Titel auf Zelluloid gebannt, Holly Golightly hätte anstelle von Film-Komponist Henry Mancini und seinem „Moon River“ den passenden Soundtrack zum – gewiss weitaus schrägeren – Schauspielern ihrer namensgebenden Filmfigur beitragen können, wer weiß. Da das Showbusiness nicht nur Glamour pur ist, wie sie an diesem Abend selbst anmerkt, wird es zum großen Hollywood-Auftritt vermutlich in diesem Leben nicht mehr kommen, die Realität sind verlorene Autoschlüssel und damit ein verschlossener Van mit dem gesamten Merchandising im fernen Hamburg. Bandleaderin und Begleit-Combo nahmen es mit nonchalanter Selbstironie, streuten eine Handvoll bewährte, auf den Kern reduzierte Blues-Standards wie „Big Boss Man“ und ein den Klauen Claptons entrissenes „Further On Up The Road“ in die reichhaltige Werkschau eigener Kompositionen, die trotz schwindender Garagen-Ruppigkeit den ewigen und unverfälschten Geist des Rock’n’Roll atmeten, in geerdeter Schlichtheit und ungeschliffenem Rohzustand, und damit war bei gefälligem Mitwippen des Tanzbeins allemal für einen höchst vergnüglichen und hoch unterhaltsamen Abend gesorgt – die Entscheidung pro Holly an diesem Abend sollte der Schaden der Besucherschar nicht sein, trotz massiver, dem Vernehmen nach stark aufspielender Giant-Sand-Konkurrenz in der H39-Halle nebenan.
Kranhalle
Cog + sleepmakeswaves @ Kranhalle, München, 2019-03-28
Laut und heftig im Doppelpack from down under: Die australischen Bands sleepmakeswaves und Cog machten am vergangenen Donnerstagabend im Rahmen der gemeinsamen „Distant Lands Tour 2019“ zum letzten Termin ihrer Deutschland-Gigs in der Kranhalle des Feierwerks Halt. Während die Postrocker aus Sydney zum wiederholten Male als gern gesehene Gäste über Münchens Bühnenbrettern hinwegfegten, waren Cog seit ihrer Band-Gründung vor über 20 Jahren hierzulande zum ersten Mal auf Konzertreise unterwegs.
Die erste Halbzeit der zweistündigen Co-Headliner-Veranstaltung bespielten die vier Bewegungsdrang-Fanatiker von sleepmakeswaves mit ihrer vehement offensiven „Crescendo Core“-Spielart des instrumentalen Gitarren-Flows. Wie bereits einige Male zu früheren Gelegenheiten eindrucksvoll demonstriert, kennt das Quartett in seiner klassischen Postrock-Gangart nach wie vor nur eine Richtung: immer straight forward, permanent intensiv in vorderster Front aus der Masse der gängigen Laut-Leise-Klangmalereien ausbrechend. Zuweilen bedient sich die Band zur Erweiterung des Sound-Spektrums beim brachialen Post-Core/Metal und bei komplexeren Prog-Rock-Elementen, die für den Postrock typischen Kontemplations-Passagen, die Tempo-zurückgenommenen Intermezzi und Ambient-verwandten Ruhephasen zum Kräftesammeln und Anlauf-Nehmen für den nächsten Ausbruch sparen sleepmakeswaves in ihrer Bühnenpräsentation hingegen nach wie vor nahezu komplett aus. Downtempo: völlig überschätzt und in dem Kontext weitgehend obsolet. Ein vierköpfiger Unruheherd, eine sich permanent – physisch wie musikalisch – in Bewegung befindliche Formation, die den dröhnenden Bass-Druck von Frontmann Alex Wilson, die befreit und überschwänglich aufspielenden Gitarren von Otto Wicks-Green und dem seit mehreren Jahren Tour-begleitenden Lachlan Marks mit den losgelöst entfesselten, permanent antreibenden Uptempo-Rhythmen von Drum-Berserker Tim Adderley zu einem rasant donnernden Klang-Orkan bündelte. Den sporadisch von Alex Wilson platzierten Keyboard-Wohlklang in progressivem Kraut- und Space-Format konterkarierte der Schlagwerker kompromisslos, ein mittlerweile optisch wie in der ausgeübten Profession würdiger Nachfolger des Muppetshow-Animals wie dessen rabiat wütenden Motörhead-Widergängers Philthy Taylor.
Für das kurze Anbiedern beim Mitläufer-Volk des FCBää in der Anmoderation von Gitarrist Wicks-Green gibt’s ein paar Abzüge in den Haltungsnoten – das Auditorium reagierte indes erfreulich souverän auf diese befremdliche Anwandlung: hat eh niemand applaudiert, Charakter- und Geistesmenschen, ausnahmslos.
Mehr Laune machte da neben einer breiten Auswahl an eigenen Werken aus allen Schaffensphasen der Band die Coverversion der Nummer „Children“, im Original ein Electronica-Trance-Hit des 2017 verstorbenen Musikers, DJs und Produzenten Robert Miles, der sich in der Postrock-Bearbeitung nahtlos in den sleepmakeswaves-Kosmos einfügte.
Trotz intensiv enthemmter Gangart mit abrupten Breaks und lärmendem Grundtenor kommt das Melodische in den instrumentalen Kompositionen der Band aus Sydney nicht zu kurz, quasi ein Sound zum Schwelgen und Durchschütteln gleichermaßen, darin sind die Australier nach wie vor Meister in ihrer eigenen Liga, mit ihrer hyperaktiven, mitreißenden Bühnenshow im Postrock nur von wenigen Bands erreicht, die erst kürzlich vor Ort aufspielenden Madrilenen von Toundra mögen sich da noch am ehesten als Mitbewerber auf Augenhöhe hervortun.
Einmal mehr: Ein ordentliches Postrock/Prog-Crossover-Brett aus New South Wales, ohne Zweifel. Und das FC-Bayern-Geschmarre sparen wir uns beim nächsten Mal, dann gibt’s auch wieder die vollen hundert Punkte…
München-Premiere in Runde zwei der Aussi-Parade: Zum ersten Mal auf hiesiger Bühne präsentierte sich das wie sleepmakeswaves in Sydney beheimatete Trio Cog. Die Band wurde 1998 von Gitarrist/Sänger Flynn Gower und Drummer Lucius Borich aus der Taufe gehoben, zur Jahrtausendwende reihte sich Gowers jüngerer Bruder Luke zunächst als Tour-Bassist und später als festes Bandmitglied ein. Cog zählen zu den erfolgreichsten und exzessivst tourenden Indie-Bands des australischen Kontinents, 2016 nahmen die Musiker nach einer fünfjährigen Auszeit zwecks diversen Engagements in anderen Formationen den gemeinsamen Betrieb wieder auf, in der Heimat haben sie seitdem bereits wieder drei ausgedehntere Tourneen bespielt, in der Kranhalle waren nicht wenige erwartungsvolle Fans nur aus Anlass des hiesigen Premiere-Gigs zugegen. Enttäuscht sollte den Saal kaum jemand verlassen, Cog zündeten ein exzellentes wie ausnehmend individuelles Crossover-Feuerwerk in einer weit ausholenden Bandbreite an Spielarten des Progressive Rock. Die Band selbst benennt ihre Einflüsse mit dem Soul, Jazz und Blues der großen Nina Simone über den Reggae von Bob Marley und den artifiziellen Prog-Rock von Tool bis hin zur Postmetal-, Sludge- und Noise-Härte von Combos wie Isis und Helmet, Einflüsse, die in mancherlei Form auch Widerhall im fulminanten Sound des Trios finden, somit eine eindeutige Kategorisierung der Cog-Klangwelt schwierig bis unmöglich machen.
Flynn Gower als finster feixender Sänger könnte mit seinem in den Tonlagen kunstvoll variierenden, zunächst gewöhnungsbedürftig extrovertierten Gesang jeder hart groovenden Soul- und Funk-Combo vorstehen, dazu entlockt er schneidend scharfe, lärmend angeschlagene, mithin erratische Stoner- und Grunge-Riffs, die Drummer Borich mit seinem groß angelegten, reichhaltigen Instrumentarium virtuos, wuchtig wie filigran mit komplexer Mathrock- und Progressive-Polyrhythmik auszukontern und facettenreich zu ergänzen weiß. Zusätzliche Gitarren-Samples und das ein oder andere eingeflochtene Gelichter an Electronica-Space und -Beats treiben das vertrackte Crossover-Hardrocken an die Grenze der Reizüberflutung. Der dritte Mann im Bunde glänzt mit einer Kompetenz, die man ihm auf den ersten Blick nicht zutraut: Der hyperaktive Luke Gower kennt in der Stunde des konzertanten Vortrags scheint’s kein In-sich-Ruhen, hält aber das in viele Richtungen drängende Gewerk mit seinen stoischen, druckvoll antreibenden, dunklen Bass-Tönen zusammen, ein klar strukturiertes Erden, dass der oft kaum zu fassenden stilistischen Vielfalt Form und Rahmen gibt und für die Hörerschaft in eine konsumierbare Textur bringt.
Die Band beherrscht auch die Eleganz der einfachen Linien: Im mittleren Teil ergingen sich Cog mit einer ausladenden Instrumental-Jam-Passage in klar definierter, schnörkelloser Postrock-Hymnik, mit der sie die Brücke zum Konzert der Tour-begleitenden Landsmänner von sleepmakeswaves bauten – wenn auch der weitaus größte Teil ihrer imposanten, Genre-übergreifenden Progressive-Demonstration das spannungsgeladene Kontrast-Programm zum ersten Auftritt des Abends bot.
Durch permanente, Jahrzehnte-lange Abstinenz macht man jeder Gefolgschaft die Zähne lang, darum kaum verwunderlich, dass der Applaus für den ersten München-Gig der drei Cog-Musikanten besonders dankbar ausfiel.
Pontiak + So Low @ Kranhalle, München, 2019-03-17
Zwei Psychedlic-Spielarten in denkbar weit voneinander entfernten Extremen, am vergangenen Sonntagabend in der Kranhalle des Münchner Feierwerk. Irish-Folk-Vollbedienung und das ein oder andere Guinness am Nachmittag bei der großen St. Patick’s Parade der Irish Community in der Innenstadt oder das unwirtliche Regenwetter mögen größerem Besucherandrang im Wege gestanden sein, den auch diese Veranstaltung zweifellos verdient hätte.
Einen Schnaps vorneweg zur Brust genommen, „One for the Road“, quasi, und dann direktemang ohne viel Federlesens hinein ins Vergnügen: Die Brüder Jennings, Van und Lain Carney vom Neo-Pschedelic-Rock-Trio Pontiak aus der Blue-Ridge-Mountain-Gegend Virginias überwältigten ihr Publikum im Familienbetrieb am Sonntagabend zum letzten Termin ihrer Europa-Tournee mit einem entfesselten Set im Sturm, in den die drei bärtigen Zauseln von der amerikanischen Ostküste alles an Gewicht hinein warfen, was an groß auftrumpfender, lärmender Rockmusik seit Urzeiten gut, wahr und schön ist.
Als Power-Trio gab sich die Combo über knapp eineinhalb Stunden ihrer überbordenden Spielfreude hin, die vom Start weg in den Saal brandete und das Volk beherzt mitnicken ließ. Wo auf dem letzten Album „Dialectic Of Ignorance“ (2017, Thrill Jockey Records) die ein oder andere technische Spielerei an Keyboard-Sounds und psychedelisch verschleiernden, entschärfenden Synthetik-Elementen mitschwang, damit den Druck etliche Eichstriche unter der Siedepunkt-Marke kontrollierte, kaprizierte sich die Band bei ihrem München-Gig auf schwere Breitseiten in Sachen laute Strom-Gitarre plus Takt-gebende Dröhnung und ließ damit den berstenden Kessel ein ums andere Mal in entladenden Erschütterungen explodieren, Linderung der blutenden Ohren allenfalls mit einem Anstimmen melancholischer, klagender Psychedelic-Chöre gewährend. Der Wolfs-heulende und Höllenhund-knurrende Sangesbruder Van als Zentrum im Auge des Hurrikans, als permanenter Unruheherd in der heiligen Dreifaltigkeit setzte seinem beinhart angeschlagenen, überbordenden Gitarrenspiel keine Grenzen. Virtuose, gedehnte, jaulende Soli und staubtrockene, schroffe Heavy-Riffs in einem durch Mark und Bein fräsenden Midtempo durchdrangen die pulsierende Rhythmus-Arbeit seiner beiden Brüder, die mit grollendem, kraftvollem Bass und den machtvollen, befeuernden Drums das ihre zum brachialen wie rauschhaften Ausbruch beitrugen.
Zu großen Teilen mag das Pontiak-Donnern unüberhörbar in die Hochzeiten der hart und bleischwer rockenden Siebziger referenzieren, zum zähen wie gründlich erschütternden Malstrom der frühen Black Sabbath, zuweilen zum gewichtigen Proto-Garagenrock der MC5 und Stooges und den ausladenden Gitarren-Exzessen von Crazy Horse – und doch gelingt es der Carney-Verwandtschaft mit dringlicher Stoner-Wucht und einer aus Prog-, Acid- und Indie-Elementen gespeisten, zeitlosen Energie-Quelle, ihren Heavy-Psychedelic-Trip in gegenwärtiger Bodenhaftung zu verankern. Eine gepflegte Desert-Ballade im Zugabenblock, ein, zwei Tempo-zurückgenommene Nummern zum Innehalten, das soll es an gelasseneren Momenten im Pontiak-Vortrag an diesem Abend gewesen sein, der große Brocken war ein finster schimmernder Meteorit an Gitarren-dominierten, konzertanten Roh-Fassungen aus dem Œuvre des Trios.
Die Band bedient sich in der Inspiration ihrer Songs, in ihren bildhaften Beschreibungen zum desolaten Zustand der Welt unter anderem auch bei den Werken des derzeit schwer angesagten norwegischen Literaten Karl Ove Knausgård, dabei scheinen die drei Brüder in ihrem ungestümen Gebaren und ihrer unverstellten Erscheinung inklusive Anti-Frisuren und wallenden Rauschebärten weit mehr direkt dem hemdsärmeligen Personal von Ken Keseys Holzfäller-Epos „Sometimes A Great Notion“ entsprungen zu sein.
Dass die Carney-Brothers als Betreiber der eigenen Pen Druit Brewery der Schädel-spaltenden Münchner Augustiner-Brühe zusprachen, befremdete dann doch ein wenig, aber das soll’s auch schon an Naserümpfen zu diesem weithin schwerst gelungenen Konzertabend gewesen sein. Gegen eine Band, die dergestalt enthemmt aufspielt und nach dem Verhallen der letzten Zugaben-Akkorde direkt den Weg ins Auditorium sucht, um sich bei jedem Anwesenden persönlich per Handschlag für den Besuch zu bedanken, können keine seriösen Einwände geltend gemacht werden.
Den Abend eröffnete zuvor im halluzinogenen Kontrast das Ein-Mann-Projekt So Low aus Louisville/Kentucky, hinter dem Pseudonym verbirgt sich der OM-/Watter-Keyboarder Tyler Trotter. Wo Pontiak die hart abrockende Variante der angewandten Psychedelik pflegten, widmete sich der junge Electronica-Soundbastler für eine knappe halbe Stunde der digitalen Ambient- und Space-Variante. Aus eingangs monotonen Sphären-Klängen leitete er seine Kompositionen via gesampelter Cello-Drones im Minimal-Music-Intermezzo in einen ausgedehnten Hauptteil über, der sich an Früh-Siebziger-Spielarten des Krautrock anlehnte, vornehmlich an die ausgedehnten, gefällig und angenehmen ins Ohr gehenden Klangreisen von Formationen wie Tangerine Dream, Neu! oder Ash Ra Tempel: die deutschen Pioniere des Genres haben augenscheinlich ihre prägenden Einflüsse bei der nächsten und übernächsten Generation auch jenseits des großen Teichs hinterlassen. So Low loopte synthetische, treibende Club-Rhythmen, reicherte mit atmosphärischem Synthie-Trance durch Schrauben an den Knöpfen und Reglern an und streute sporadisch über analoges Musizieren simple Mellotron-Melodien ein. Die Frage, warum er über seinen gesamten Vortrag hinweg eine weiße Fender Stratocaster als überdimensionales Schmuckstück umhängen hatte, beantwortete er mit wenigen, sekunden-kurzen, von den Maschinen nachbehandelten und verfremdeten Riffs, die das Klangbild nur unwesentlich bereicherten und kaum das Risiko eines steifen Halses rechtfertigen.
Höflicher und verdienter Applaus für dieses Ohren-schmeichelnde Intro, das mit energetischem Ambient-Flow nicht geizte und mindestens den Freunden der alten bundesrepublikanischen Instrumental-Electronica das ein oder andere Schmunzeln des Wiedererkennens ins Gesicht zauberte.
Deafheaven + Inter Arma @ Kranhalle, München, 2018-10-09
Das Münchner Feierwerk hat am vergangenen Dienstagabend in Sachen lärmende Intensiv-Beschallung mit einem stimmigen Doppelpack ein extra dickes Brett gebohrt, mit zwei herausragenden US-Combos aus der Black-Metal-Ecke inklusive artverwandter Beigaben konnten die FreundInnen der lauten Rockmusik zu der Gelegenheit kaum fehlgehen.
Bereits das Opener-Programm machte bei diesem Double Feature mehr als ordentlich Laune, die sechs langhaarigen Rauschebärte der Band Inter Arma aus Richmond/Virginia offenbarten neben überschwänglicher Spielfreude in dunklen, extremen Fahrwassern vor allem ein ausgeprägtes Gespür für Spannungs-steigernde Dramatik. Bevor die Combo mit ihren zwischenzeitlichen Ausbrüchen an erschütternder Crossover-Brachial-Härte aus Doom/Sludge/Black/Death- und Sonstwas-Metal, Prog-Space, Beton-schwerer Stoner-Wucht und den vokalen Anwandlungen ihres zwischenzeitlich meditierenden Lautsprechers auf das Publikum im vollbesetzten Kranhallen-Saal mit größtmöglichem Nachdruck einwirkte, erging sich die Band eingangs und auch im weiteren Fortgang wiederholt zur zwischenzeitlichen eigenen Sammlung wie zur Erbauung und Wiederaufrichtung der Hörerschaft in Melodien-verliebten Postrock/Postmetal-Instrumentals und, für diese Verhältnisse, Ambient-artigen Psychedelic-Drones – überaus ansprechende Prä- und Interludien, die hinsichtlich Stilmitteln die Frage aufwarfen, ob es sowas wie Desert-, Neil-Young-/Crazy-Horse- oder Southern-/Allmans-Metal gibt. Falls bis dato nicht, sollten Inter Amra vielleicht beizeiten mit einem Patentanwalt Kontakt aufnehmen.
Das mehrdimensionale Wechselbad und die fünfzig-minütige, nahezu Headliner-verdächtige Präsentation hoben das Sextett weit aus der Masse der herkömmlichen Warm-Up-Kapellen heraus, und Progressive Metal, der mit sphärisch-gespenstischen Zusätzen durch erzeugte Sound-Schwingungen mit dem Theremin angereichert wird, hört und sieht man gewiss auch nicht zu jeder Gelegenheit. Schade nur, dass im Rahmen des massiveren Gepolters die Vorträge von „Sänger“ Mike Paparo im kreischenden Gebrüll inhaltlich weder als Kommentare zum desolaten Zustand dieser Welt noch als Ausdruck des eigenen, individuellen Irrsinns, der sich da möglicherweise Bahn brach, einzuordnen waren.
Eine tonale/atonale Vollbedienung, die sich pauschaler Kategorisierung entzieht, nicht in Schubladen passt und mit ihrem komplexen Geflecht die selbstironische Eigenauskunft der Combo – „The worst band from Richmond, VA …EVER“ – ad absurdum führt.
Ungeachtet des äußerst genehmen Auftakts zu diesem Konzertabend: die Mehrzahl der Konzertgänger dürfte den Weg in die Münchner Feierwerk-Gemäuer selbstredend vor allem zwecks des Hauptattraktions-Auftritts des kalifornischen Fünfer-Gestirns Deafheaven gefunden haben, das Bay-Area-Quintett um Frontmann George Clarke führte das kürzlich im Sommer erschienene vierte Album „Ordinary Corrupt Human Love“ mit im Reisegepäck, aus dem sich dann auch der weitaus größte Teil des Songmaterials zu dieser explosiven Show speiste.
Die Band nahm den Staffelstab der vorangegangen Landsmänner auf und hielt das Energielevel im Saal auf konstant hohem bis überbordendem Druck-Niveau, wo auf dem aktuellen Tonträger ab und an etwas zuviel an Indie-Rock-Glätte durchschimmert und sich die Band bisweilen dem ausgiebigen, gefälligen Shoegazern hingibt, erinnerten sich Deafheaven an diesem Abend weitaus mehr ihrer Black- und Post-Metal-Qualitäten, die sie in einem flächendeckenden Sound mit inbrünstiger Hingabe auslebten und das Auditorium mit dunklen Schall-Wellen fluteten, zur Platten-Rezension wurde die Vermutung geäußert, dass sich das konzertante Musizieren der Formation im Vergleich zur Tonkonserve um etliches intensiver gestalten würde, die Spekulation sollte sich an diesem Abend vollumfänglich bewahrheiten. Radikal lärmendes Blackgaze-Gelichter, Noise-Drones und metallene Gitarren-Wände steckten den Rahmen ab für die verzweifelten Ausbrüche des schreienden Sängers Clarke, der mit rasendem Zorn, tobsüchtigem Furor und exzessivem Headbanging als Schüttel-Dein-Haar-für-mich-Crooner den extrovertierten Bühnen-Gott gab, zwischen entfesseltem Bersekern und Beau-haftem Gegockel, spätestens bei seinen höflichen Ansagen offenbarte der junge Mann jedoch, dass er trotz massiv nach vorne drängender Bühnenpräsenz eigentlich ein ganz Netter ist…
Deafheaven wären nicht Deafheaven, wenn sie im dynamischen Stimmungswechsel des Klangbilds neben zersetzenden, destruktiven Songstrukturen nicht auch die schönen Seiten des Daseins in ihren Kompositionen zu würdigen wüssten, Gitarrist Kerry McCoy, neben Screamo-Kreischer George Clarke einziges verbleibendes Gründungsmitglied der Band und mit diesem bereits in vergangenen Tagen bei der Grindcore-Formation Rise Of Caligula zugange, offenbarte wiederholte Male auf seiner Gibson Les Paul ausgeprägte Qualitäten als exzellenter Postrock-Musiker, mit seinem überaus melodischen Spiel zauberte er federführend großartige Instrumental-Hymnen in den Saal und sorgte so im finster lärmenden Mahlstrom wiederholt für erhebende Lichtblicke und den berühmten Hoffnungsschimmer am Ende des dunklen Tunnels. Yin und Yang, Licht und Schatten, berstender Lärm und Momente unbefleckter Schönheit, Deafheaven zogen am Dienstagabend im Münchner Feierwerk alle Register ihrer expliziten Kunst und holten sich nach eineinhalb Stunden wie zuvor auch die Kollegen von Inter Arma den wohlverdienten und langanhaltenden Applaus beim bestens bedienten Publikum ab.
Wiegedood @ Kranhalle, München, 2018-05-30
„We didn’t write anything with the prospect of giving people hope, but it’s good that that’s what some people get out of it. It doesn’t matter to us what exactly people get out of it. We can only hope that they at least get something out of it.“
(Levy Seynaeve, ech(((o)))es and dust Interview, Matt Buttler, 2015)
Jetzt aber endgültig Deckel drauf auf den Konzertmonat Mai. In dem Fall sogar maximalst morbide: Sargdeckel. Wenige Stunden vor Anbruch des Fronleichnams-Feiertags bespielte das belgische Trio Wiegedood passend zum anstehenden kirchlichen Pranger- oder Blut-Tag die Kranhalle des Münchner Feierwerks mit einer Auswahl an erschütternden Arbeiten ihrer Alben-Trilogie „De Doden Hebben Het Goed“. Die Band aus dem Umfeld des Kollektivs Church Of Ra, deren Musiker bei den Postmetal-/Sludge-Formationen Oathbreaker, Rise And Fall und den großartigen Amenra involviert sind, entledigt sich im Dreier-Verbund dieser Wurzeln und zelebrierte überfallartig und schockierend wie der namensgebende plötzliche Kindstod ihre Interpretation von atmosphärischem Black Metal – einer Spielart, zu der die Fachpresse stilistische Parallelen zur US-amerikanischen Cascadian-Black-Metal-Schule zieht.
Mit Trockeneis-Nebeln umweht auf finsterer Bühne gaben Wiegedood auch optisch eine Vorstellung der mentalen Verfassungen ihrer Werke: Todes-schwangere Maximalst-Attacken, der schieren Verzweiflung Ausdruck gebend, mit nicht mehr steigerbarem Gebrüll und Hysterie fernab jeglicher Verständlichkeit der textlichen Inhalte vorgetragen, voluminös angetrieben von dunkel wie exorbitant rumpelndem Trommel-Poltern, das sich nur selten gängiger Heavy-Rhythmik besinnt, und gnadenlos auf die Spitze getrieben durch düsteren, extremen, doppelten Gitarren-Speed, der ohne Bass-Erdung auskommt und sich dem Postrock nicht unähnlich mit intensiven Crescendi zu einer wuchtigen Soundwand auftürmt, im Ansatz von Wiegedood selbstredend ein weitaus monströseres, atemberaubenderes wie verstörenderes Gebilde als im Melodie-durchwehten Instrumental-Indie-Rock. Gnade gewährte das Trio Infernale im jeweiligen Interludium zischen den „Songs“, entschleunigter, melancholischer Drone-Doom zum Stimmen der malträtierten Gitarren-Saiten, zwischenbilanzierendem Zählen der Toten, Kräftesammeln und Anlauf-Nehmen zur nächsten Frontal-Konfrontation mit den letzten Dingen des Lebens.
So könnte sie klingen, die (a)tonale Interpretation von Atom-Tod, finalem Seuchen-Ausbruch, entvölkerten Endzeit-Visionen, Hieronymus-Bosch-Fantasien, der Soundtrack für die finstersten Albträume, die Filmmusik für den Roadmovie der apokalyptischen Reiter bei ihrem Seelen-Einsammeln zum jüngsten Gericht. Wie Wiegedood im Titel ihrer Alben andeuten: Wohl denen, die es bereits hinter sich haben.
Aufgrund deutlich verspätetem Konzertbeginn und des zeitlich mit einer knappen Stunde schmal bemessenen Gigs ohne Zugaben-Block gab es im Auditorium nicht wenig verärgertes Knurren, das mochte hinsichtlich Spieldauer nicht von der Hand zu weisen sein, andererseits: Wer nach dieser maximalst schonungslosen Brachial-Messe nicht inwendig völlig aufgelöst, in den Grundfesten erschüttert wie bedient war und nach mehr verlangte, durfte sich selbst auf die Schultern klopfen und zu den Unverwüstlichen zählen.