Los Angeles

Raut-Oak Fest 2018 @ Riegsee, 2018-06-08

This is how we do things in the country: Drei Tage Muddy Roots, Raw Underground & Deep Blues in the Spirit of Chris Johnson nebst einer Handvoll artverwandter stilistischer Vertreter links und rechts von der einzig wahren Ur-Suppe: Das lang herbeigesehnte Raut-Oak-Wochenende im schönen Murnauer Voralpen-Land, endlich war es da: 3 Tage Open-Air-Rundum-Glücklich-Vollbedienung vor herrlichstem Bergpanorama im Grünen der sanften Hügellandschaft hinter der 1200-Seelen-Gemeinde Riegsee und dem gleichnamigen Gewässer aus der Würmeiszeit, mit einer handverlesenen und kaum mehr zu toppenden Musikanten-Schar aufwartend, organisiert und präsentiert from the one and only Christian Steidl, Son of Riegsee, Father of AWay Concerts, Holy Ghost of So-stellt-man-das-rundum-grandioseste-Open-Air-Festival-zwischen-Auer-Mühlbach-und-Mississippi-auf-die-Füsse.

Der Start konnte nicht besser gelingen, bei herrlichem Sonnenschein und sommerlichen Temperaturen unterstrichen Christian Berghoff und Sebastian Haas einmal mehr mit ihrem Duo Pretty Lightning, dass der psychedelische Desert Blues auch im Saarland seine Kakteen-Blüten treibt und sich zu einem berauschenden Mescal-Gebräu destilieren lässt. Verzerrte Gitarren und ein harter Rhythmus-Anschlag verdichten sich bei Pretty Lightning zu diffus lichternder, gespenstischer Drone-Blues-Mystik und einem ureigenen, Spannungs-geladenenen Delta-Flow, der neben den experimentellen Halluzinationen die uralte Blues-Tradition nicht zu kurz kommen lässt. Der Soundtrack für die Schamanen-Beschwörung zu mitternächtlicher Stunde am Lagerfeuer am Rande der Wüste, am helllichten Tag im üppigen oberbayerischen Grün, und damit ungewollt irgendwelche Wettergötter oder andere bösen Geister wachgerufen und/oder geschmäht, denn dann kamen sie, die Unwetterwolken, so offensichtlich unausweichlich zu der Gelegenheit wie der noch anstehende jährliche Raut-Oak-Auftritt vom großartigen James Leg. Nimmt man den furiosen Sound-Orkan des ehemaligen Black-Diamond-Heavies-Musikers immer wieder gerne mit Kusshand, hätte man auf das aufziehende Gewitter am Freitagnachmittag wie auf alle anderen Sintfluten bei den vorangegangenen Riegsee-Festivals getrost verzichten können. Der Anglizismus vom „Showstopper“ dürfte selten treffender gewesen sein, heftigste Hagelschauer, Windböen, Dauerregen, Sturzbäche und überflutetes Geläuf brachten den Festival-Betrieb für die nächsten vier Stunden völlig zum Erliegen, Bühne und Beschallungs-Anlage wurden schwer in Mitleidenschaft gezogen, zwischenzeitlich musste mit komplettem Abbruch der Konzerte des verbleibenden Freitags-Programms gerechnet werden.

Viele helfende Hände brachten die Nummer nach etlichen Reparatur- und Entwässerungs-Aktionen dann doch wieder in trockene Tücher, das US-Trio Shotgun Sawyer aus Auburn/California konnte mit Verspätung den abrupt abgebrochenen Soundcheck fortsetzen, sodann das durchweichte Publikum mit ihrem lärmenden Uptempo-Blues beglücken und Howlin‘ Wolf mit dem Led Zeppelin fliegen lassen – roher und intensiver Krach-Blues, der ab und an etwas verschämt in Richtung Hippie-Psychedelic spechtete wie im Großen und Ganzen mit einer soliden Hart-und-Heftig-Show nichts anbrennen ließ, wenn auch der ein oder andere kritische Zeitgenosse mit wenig schmeichelhaften Vergleichen wie „Lynyrd Skynyrd auf Metal“ ums Eck kam, die jungen Westcoast-Burschen konnten es nicht jedem recht machen, auch unsereins sollte noch ein paar Gelegenheiten zum Naserümpfen finden, wie sich sogleich zeigen wird.

„This is Avalanche Party and nobody comes from where we come from“ – nach dem Raut-Oak-Auftritt der Engländer drängt sich die Vermutung auf, dass der Menschheit nicht allzu viel verlustig geht, wenn von der Sorte nicht mehr unterwegs sind. Ruppig-melodischer Brachial-Garagen-Rock’n’Roll/Blues im 70er-UK-Punk-Modus kredenzt, inklusive einem zur Dekade passenden, gehörig überdehnt-extrovertiertem Gepose, das die musikalische Substanz – sofern vorhanden – in die zweite Reihe drängte. Leidlich gefälliges Offensiv-Geschepper, das in der Form wenig bis nichts Neues zu bieten hatte und den Funken nicht zum Überspringen brachte, vielleicht wär’s mit ein paar Bieren mehr im Gesicht zur besten Showtime geschmeidiger reingelaufen. Zu der Gelegenheit schmerzte es wenig, dass der vorangegangene heftige Regenguss den Zeitplan straffte und für die ursprünglich nachmittags angesetzten Gigs die Konzertdauer auf eine halbe Stunde eindampfte, das abtanzende und abfeiernde Publikum vor der Bühne hat’s gleichwohl zweifellos anders empfunden, und so soll es auch sein – Hauptsache, Ihr habt Spaß! ;-))

Nach den jungen Briten wären die Landsmänner vom Garagen-Blues/Psychedlic/Punk-Duo Green Fuzz geplant gewesen, Gitarrist/Sänger Timothy Oxnard (ex-High Plane Drifters/Magick Godmothers/The Approved) hat alternativ vor ein paar Wochen das Trio The Oilbirds formiert und ist ersatzweise mit dieser Combo zum Raut Oak angetanzt, den Platz in der Garage füllte die jüngst aus der Taufe gehobene Band nicht minder einnehmend, der stoisch monoton treibende Trommelanschlag von Sophie Gatehouse, der Bass vom mindestens optisch aus der Zeit gefallenen Glam-Rocker Michael Cooper-Gers und Oxnards rauer Gesang wie trashiger Saitenanschlag formten sich zu zupackendem Blues-Psych-Punk, der zu gefallen wusste, seine ganze Pracht aber vermutlich noch weit mehr mit einem frischen Pint in der Hand zu vorgerückter Stunde im verrauchten Pub (verrauchte Pubs gibt’s nicht mehr, I know) entfaltet hätte.

Die drei Ladies von L.A. Witch aus – genau – Los Angeles hatten zu Beginn ihres Gigs mit der Technik zu kämpfen, der Gesang von Sade Sanchez wurde von ihrer eigenen, wunderschön verhallten Gitarre verdeckt, nach etlichen Nummern waren die Regler dann für ein rundum zufriedenstellendes Klangbild justiert und das Trio konnte ihren Versuch, mit dem Sex-Appeal von Susanna Hoffs und der unterschwelligen Erotik von Hope Sandoval den guten alten Gun Club in einer Kaschemme irgendwo in Downtown L.A. nach ein paar harten Drinks zu umgarnen, endlich vollumfänglich ausleben. Psychedelischer, atmosphärisch-dunkler Prärie-Blues-Punk auf Valium mit femininer Note, nachdem es hintenraus endlich funkte zwischen Bangles-Schönheit und Ramblin‘ Jeffrey Lee, war’s der kurz anberaumten Gig-Dauer geschuldet leider schon wieder vorbei mit den weiblichen Reizen und dem Wüsten-Spuk, und so müssen wir die Verifizierung oder Verwerfung dieses ganzen Presse-gestreuten Lynch/Manson-Family/City-Of-Broken-Dreams/Lost-Angels-Blablas auf ein andermal vertagen.

Mit Guadalupe Plata alte und gern gesehene Raut-Oak-Veteranen aus dem andalusischen Úbeda: Das Trio mit dem selbstgebauten Bass-Instrumentarium brachte den zähen Delta-Blues im steten Trance-Fluss zum Swingen. Mit hypnotischem Bottleneck-Sliden auf der Halbakustischen, steter, versierter Rhythmus-Arbeit und dem für die Band urtypisch charakteristischen, mit viel Hall vernebelten Spanier-Gejaule versetzten die iberischen Blues-Männer das Publikum in sanft wogende Glückseligkeit und sorgten so für ein erstes dickes Ausrufe-Zeichen im Festival-Line-Up. Tausende an Meilen von Clarksdale or elsewhere outside the Mississippi Delta entfernt spüren Guadalupe Plata wie nur wenige Europäer dem Geist der rohen, unbehandelten Blues-Energie der alten Tage nach und packen das Erbe in ein zeitloses Gewand, allein dafür eine Handvoll Robert-Johnson-Heiligenbilder zur Belobigung. Die Band war in der vergangenen Freitag-Nacht im Flow und musste in ihrer Spielfreude weit nach Mitternacht von Sound-Guru Jay Linhardt händeringend und flehend zum finalen Abgesang genötigt werden, man mag sich nicht ausmalen, was ohne nachmittäglicher Sintflut noch angestanden wäre an beherztem Blues-Groove aus südeuropäischen Gefilden mit entsprechender Zeit zum tonalen Auleben, hintenraus.

Da im fernen Russland demnächst die mediale Großereignis-Nummer angezeigt ist, bei der jeweils 22 Deppen vier Wochen lang einem Ball hinterherrennen, sei der Vergleich erlaubt: In Fußball-Ultra-Kreisen würde man den Frust mit einem beherzten „Wenn das Bayern-Blut auf die Kutte spritzt, ist alles wieder gut, ist alles wieder gut!“ wegwischen, spätestens mit dem grandiosen Raut-Oak-Auftritt von Slim Cessna’s Auto Club war der Unwetter-Spuk vom Nachmittag vergessen, wenn auch notgedrungen nicht mehr als eine gute Dreiviertelstunde blieben für Slim, Munly Munly und Co, um ihre Visionen von großartigem Bühnen-Entertainment, der Christianisierung des amerikanischen Hinterlands, so-called Alternative Country, Erweckungs-Predigten für ein Gott-gefälliges Leben und ihre morbiden Geschichten über Suff, Gewalt und kaputte Beziehungen im Geiste Faulkners und Pollocks mit dem Volk zu teilen. Dem knappen Zeitrahmen geschuldet hielt sich die Southern-Gothic-Institution aus Denver/Colorado nicht lange mit Vorgeplänkel und präliminarem Heranführen der Errettungs-würdigen Seelen an den Kern der Wahrheit auf und begann umgehend mit Taufe, Handauflegen und Seelen-Einsammeln mittels apokalyptischem Country Folk Gospel in intensivster Show auf und vor der Bühne in Interaktion mit der schwerst animierten und hingebungsvoll betenden Kirchengemeinde. Maximalst-Rampensau-Absolution im Geiste Roger Williams‘ und aller dahingeschiedenen Country- und Hillbilly-Heiligen. Die rasante Gangart an der frischen Luft zauberte selbst einem Munly Munly sowas wie einen Hauch von Farbe ins Gesicht, durchaus ein selten erlebter Umstand, Denver-Sound-Pionier Jay gleicht ansonsten kreidebleich dem sprichwörtlichen Tod von Altötting in seiner Duett-Darbietung mit Sanges-Partner Slim.
Gab es früher und gibt es – wie beim jüngsten Raut-Oak Fest erlebt – nachweislich auch noch heute, die Gelegenheiten, zu denen man Slim, Munly, Rebecca Vera, Lord Dwight Pentacost und die begleitenden Laienprediger mindestens unter Vollbedienungs-Entertainment-Aspekten schlichtweg für die beste Live-Band ever dieser und anderer Welten durchgehen lässt, Friday Very Late Night am Hügel unter der Eiche vorm Wettersteingebirge war ganz sicher so einer, und damit war das Schicksal der tatsächlich sehr guten, bereits im Vorjahr schwerst überzeugenden Psychedelic-Griechen von Screaming Dead Balloons besiegelt, keine Band dieser Welt kann nach einer derart überwältigenden Slim-Cessna-Show bestehen, in Sachen undankbarer Job haben die Hellenen dahingehend die sprichwörtliche A-Karte gezogen, zumal der Großteil der Festival-GängerInnen im Zweifel zu weit vorgerückter Stunde der Kräfte-regenerierenden Horizontalen den Vorzug gab.

Raut-Oak Fest 2018-06-09 / Tag 2 – coming soon…

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Soul Family Tree (48): Cypress Hill

„Die Revolution hat gesiegt, es lebe die Routine! Hip Hop in ’93 befindet sich in einer Phase der Verfeinerung einmal erreichter Standards, die Szene ist geprägt von brillanten Technikern ohne Charisma. Allein Cypress Hill haben noch einmal das Kunststück geschafft, auf breiter Ebene einen neuen Stil durchzuboxen.“
(Oliver von Felbert, Spex, September 1993)

Bandjubiläum: Drei Dekaden Cypress Hill. Und in diesem Jahr soll der lange angekündigte Longplayer „Elephants On Acid“ erscheinen, es wäre das erste Studio-Album seit acht Jahren, indes: nichts genaues weiß man hierzu nach wie vor nicht.
Grund genug jedenfalls, an die frühen Jahre der Formation zu erinnern, in der sie mit ihren ersten Alben dicke Ausrufezeichen im amerikanischen Westcoast-Rap und Hip Hop setzten.

Die Hispanic-American-Formation Cypress Hill wurde 1988 von den beiden in Kuba geborenen Brüdern Senen „Sen Dog“ und Ulpiano „Mellow Man Ace“ Reyes, dem aus Queens/NYC stammenden Lawrence „DJ Muggs“ Muggerud und dem Rapper Louis „B-Real“ Freese in South Gate/Los Angeles gegründet, ursprünglich unter dem Namen DVX (Devastating Vocal Excellence). Mellow Man Ace verließ kurz darauf das Quartett für eine Solo-Karriere, worauf sich die verbleibenden Band-Mitglieder nach einer Straße in South Gate umbenannten.

Cypress Hill unterschrieben kurz nach Gründung einen Platten-Deal mit dem auf R&B- und Hip-Hop-Acts spezialisierten Columbia-Joint-Venture Ruffhouse Records, bereits das 1991 veröffentlichte, selbstbetitelte Debüt-Album „Cypress Hill“ ging kommerziell durch die Decke, das Erstwerk verkaufte sich über zwei Millionen Mal, vor allem bedingt durch das massive Airplay der Single „The Phuncky Feel One / How I Could Just Kill A Man“ im College-Radio wie auch bei großen Sendern, dabei war das Material des ersten Longplayers mit den experimentellen Loops, eingestreuten Gitarren-Riffs, einem nervenden Saxophon-Getröte und vor allem diesem für Cypress Hill typisch unfreundlich-quengelnden, hohen Vokal-Geleier alles andere als Hip-Hop-Mainstream.

Der frühe Cypress-Hill-Sound ist geprägt von B-Reals übertrieben nasalem Sprechgesang, einem schleppenden, oft in den Blues neigenden, düsteren Doom- und Down-Tempo-Groove, der in späteren Arbeiten durch das Sampling aus Melodien und Sounds von Prog-/Psychedelic-/Kraut-Rock- bis zu Filmmusik-Originalen noch verstärkt wurde. Die Band spielte von Anfang an bewusst mit finsteren Metal-Symbolen wie Totenschädeln, martialischen Tattoos und ähnlichem Firlefanz, wie man ihn sonst aus der Black-Sabbath-Ecke und Artverwandtem kennt. Seit jeher bekennen sich die Rapper zum Gras-Rauchen, die Forderung nach Marihuana-Legalisierung mündet bis heute in ihrer Befürwortung von Cannabis-Einsatz in der medizinischen Therapie. Das alles mag neben dem expliziten Sound zu einem Gutteil erklären, warum Cypress Hill auch bei Hörern anderen Indie-/Underground-Spielarten stets wohlgelitten waren und selbst bei beinharten Hardcore- und Grunge-Fans auf offene Ohren stießen. Ein bewusst vor sich her getragener Alles-egal-es-geht-eh-den-Bach-runter-Fatalismus und ein paar Deadhead-artige Rauschebärte reichten darüber hinaus völlig aus, um die Band Genre-übergreifend in der Outlaw-Subkultur zu etablieren, da brauchte es keine Körperverletzungs- und Totschlag-Delikte wie bei anderen Rap-Kollegas in jenen Tagen, und die paar Meilen von South Gate zum L.A.-Brennpunkt South Central spielten dabei wenn überhaupt auch nur eine untergeordnete Rolle.

„Black Sunday“, das zweite Album von 1993, toppte die Verkaufszahlen des Debüts um knapp eineinhalb Millionen Exemplare, der Tonträger stieg bereits in der ersten Verkaufswoche auf Platz 1 der Billboard-Charts ein und trug wesentlich dazu bei, dass Cypress Hill zu den ersten Latino-Hip-Hop-Superstars mit Multi-Platin-Seller-Status avancierten. Vor allem die erste Single des Albums, die Crossover-Nummer „Insane In The Brain“, erfreute sich auch beim klassischen Rock-Publikum großer Beliebtheit. Das Stück verwendet unter anderem Samples von James Brown, Sly & The Family Stone und den Youngbloods.

Die Band tourte in der Zeit mit Hardcore-/Punk-Bands wie Rage Against The Machine, 7 Year Bitch und den weißen Hip-Hop-Nachbarn von House Of Pain. 1993 nahmen sie auch zwei Stücke für den Rap/Metal/Grunge-Crossover-Soundtrack des Action-Thrillers „Judgment Night“ auf, „Real Thing“ zusammen mit Pearl Jam, und „I Love You Mary Jane“, einer Kollaboration mit der New Yorker Noise-Kult-Combo Sonic Youth, das Konzept des Filmmusik-Samplers war klar definiert: Jede Nummer wurde exklusiv von einem Hip-Hop-Act zusammen mit einer Formation aus der alternativen Rockmusik  aufgenommen. Der Kino-Streifen war laut Kritiken weit von einem cineastischen Meisterwerk entfernt, die Soundtrack-Beschallung erntete dagegen allseits wohlwollendes Lob, der amerikanische Rolling Stone merkte etwa an: „Judgment Night’s bracing rap rock is like the wedding of hillbilly and ‚race‘ music that started the whole thing in the first place….It’s an aspiring re-birth“.

Zwei Jahre später erschien mit „Cypress Hill III: Temples Of Boom“ Mitte der Neunziger das dritte Album, die Verkaufszahlen lagen wieder ordentlich im Millionenbereich, die Kritiken waren hingegen erstmals durchwachsen, obwohl die Band ihren Sound runderneuerte und auf ein tiefenentspanntes, nahezu Trance-artiges, dunkles Klangbild setzte, asiatisch-psychedelische Elemente in den Vordergrund stellte und bei den Samples tief in die Trickkiste griff, von Ravi-Shankar-Ragas über Ausschnitte aus Arbeiten der kalifornischen Acid-Rocker Iron Butterfly, Henry-Mancini-Filmmusik und Reggae-Tunes aus der Feder von Jackie Mittoo bis hin zur berühmten Ezekiel-25:17-Ansage von Samuel L. Jackson aus dem „Pulp Fiction“-Streifen wurde quer durch den Pop-kulturellen Gemüsegarten zitiert, daneben mischten bei einigen Stücken RZA und U-God vom New Yorker Wu-Tang Clan mit.
Etliche Fachblätter und Radiostationen konnten sich aber durchaus zu positiven Wertungen durchringen, und das wird diesem exzellenten Album mit All-Time-Favourites wie „Illusions“, „Boom Biddy Bye Bye“ und „Throw Your Set In The Air“ auch weitaus mehr gerecht.

Cypress Hill – „Throw Your Set In The Air“ → youtube-Link

Nach dem dritten Album beschäftigten sich DJ Muggs und der Rapper Sen Dog jahrelang mit eigenen Projekten wie dem losen Underground-Hip-Hop-Kollektiv Soul Assassins und der Rap-Metal-Combo SX-10, mit „IV“ veröffentlichten Cypress Hill 1998 nach 3 Jahren ein neues Werk, das qualitativ wie die weiter sporadisch bis 2010 veröffentlichten Longplayer nicht mehr an das Niveau der ersten drei Würfe heranreichte, die Band experimentierte in späteren Jahren mit zeitgenössischer Rockmusik, Punk und Reggae und entfernte sich damit von ihrem klassischen Sound, die Verkaufszahlen ließen entsprechend zu wünschen übrig, was 2010 zum Verlassen des Sony-Labels führte. Cypress Hill sind nach wie vor auf Sendung, vielleicht kommt irgendwann das lange angekündigte neue Album, ob es nochmal für einen großen Wurf reicht, wird sich dann zeigen. Bis dahin stehen die ersten drei Alben als Meilensteine des Rap im Black-Music-Kanon, und daneben seltsame Cover-Versionen von Cypress-Hill-Songs wie etwa die der britischen Indie-Rocker Kasabian…

Kaspian – „Insane In The Brain“ → youtube-Link

Reingehört (449): Stony Sugarskull

Foto Stony Sugarskull © by Jean de Oliveira

Stony Sugarskull – Butterflies 7″ (2018, Self Release)

Begabt, klug, optisch ein Hingucker, augenscheinlich in der Pop-Sozialisation die richtigen Sachen gehört und zur Krönung auch noch selber mit exzellenter Musik am Start: Frau Dr. Monika Demmler hat die von der Schöpfung mitgegebenen Talente alles andere als verschwendet und das Optimale daraus gemacht, obviously. Die Lady mit der betörenden Aura ist kosmopolitisch in Los Angeles wie in Berlin beheimatet, hat in London in Philosophie über das Thema „The Healing Functions Of Music In Literature“ promoviert und bezaubert seit Anfang 2016 unter dem Alias Stony Sugarskull konzertant wie mit regelmäßigen Tonträger-Veröffentlichungen das geneigte Publikum.
Das tut Frau Doktor auch unvermindert mit ihrer jüngst erschienenen, mit Produzent Guido Wolter in der Bundeshauptstadt eingespielten neuen Self-Release-Single „Butterflies“: Schmetterlinge im Bauch mögen schon mal ihre Flügel schwingen ob den unterschwellig semi-erotischen Sirenengesängen, die Stony Sugarskull in Stimmlage und Gestus zwischen abgeklärt-verruchter/verrauchter Chanteusen-Kunst in der zweifelhaft beleumundeten imaginären Vaudeville-Bar und entwaffnender, Lolita-hafter Unschuld in das Mikro haucht, ähnlich berückend, wie es auch die ein oder andere Grande Dame der ausdrucksstarken weiblichen Sangeskunst von Nico/Christa Päffgen über Marianne Faithfull bis Hope Sandoval und Anita Lane zu pflegen weiß.
Gekleidet wird der ausgeprägte Vortrag in hypnotischen Neo-Desert-Blues, psychedelischen Shoegazer-Indie und dezent eingeworfene Gothic-/Postpunk-Zitate, mit einem untrüglichen Gespür für die originäre, bahnbrechende LoFi-Kunst des feinen Proto-Indie/Punk-Geschrammels vom Velvet-Underground-Debütalbum, das hier einmal mehr das Brian Eno zugeschriebene Statement „Everyone who bought one of those 30.000 copies started a band“ über den immensen, nachhaltigen und bis heute ungebrochenen Einfluss trotz kommerziellen Flops des vermutlich wichtigsten Pop-Albums mindestens der Musik-revolutionären Sixties unterstreicht – bei den 29.999 anderen reiht sich PhD Stony in allen Belangen bereichernd weit vorne mit ein. Verzauberter, gespenstisch schöner Indie-Wohlklang in Chanson-artiger Eleganz und traumwandlerischer Souveränität.
Die „Butterflies“-Single ist seit Anfang März bei allen bekannten Online-Streamern als Download erhältlich, guckst Du z.B. bei Bandcamp, wo sich auch die früheren tonalen Glanztaten von Stony Sugarskull finden.
Die Künstlerin arbeitet derzeit in L.A. an einem für Herbst geplanten Album, ausgedehnte US-/Europa-Tour soll folgen. Die Daumen sind für den Zwischenstopp München fest gedrückt.
(*****)

Reingehört (443): Anenon

„I wanted to make music that can live inside of anywhere one finds themselves: city or country. It’s a series of shifting moods and melodies that through the heart, mind, hands, throat, and tongue sing an outpouring of metaphysical, nuanced psychedelic passing truth.“
(Brian Allen Simon)

Anenon – Tongue (2018, Friends Of Friends)

Saxophon-Gebläse, unter anderem, die Ohren-schmeichelnde Variante. File under Ambient-Jazz, irgendwo in dem Schubladen.
Es muss nicht immer unzusammenhängendes, erratisches Krakeelen und Gelärme im Freigeist-Ansatz sein, oder Nerven-antestendes, ins Nirvana – also quasi zu nichts – führendes Endlos-vor-sich-hindudeln, wie es eben so oft erklingt beim Gejazze – jeder spielt, was er gerade lustig ist, da es sich um Improvisationsgemucke handelt, wird es schon irgendwie passen, selbst wenn der gestressten Nachbarschaft beim Tonleiter-rauf-und-runter-blasen im Übungsmodus irgendwann der Kragen platzt. Das es auch anders geht, hat unter anderem prominent bereits ein Schöngeist wie der norwegische Musiker Jan Garbarek unter Beweis gestellt, am eindrücklichsten wohl in seinen Kollaborationen mit dem klassischen Hilliard Ensemble ab Mitte der Neunziger beim Münchner ECM-Label. Crossover inklusive melodischem, extremst dem Wohlklang frönendem Sax-Spiel zelebriert auch der Kalifornier Brian Allen Simon unter seinem Pseudonym Anenon auf seinem Anfang Februar erschienenen Album „Tongue“, das eingängige, an den skandinavischen Jazz angelehnte Holzgebläse bindet der junge amerikanische Multiinstrumentalist, Tondichter, Produzent und Non-Projects-Labelgründer geschickt wie über die Maßen gelungen ein in sein Geflecht mit weiteren stilistischen Elementen aus dezenter Ambient-Electronica und eleganten, repetitiven Minimal-Music- und neoklassizistischen Kompositionen, die neben dem Blasinstrument vor allem von Orgel, Piano und Cembalo maßgeblich charakterisiert werden.
Fern der Heimat Los Angeles mit all seinen verstörenden Ausprägungen des Megacity-Molochs in einer italienischen Kleinstadt, zwischen Florenz und Livorno gelegen, im Dachboden-Studio einer Villa aus dem 16. Jahrhundert innerhalb weniger Wochen in einem Guss eingespielt, atmet das Werk neben exzellent umgesetzten experimentellen Trance-/Minimal-/Ambient-Ideen aus der Ecke Eno/Reich/Glass den erhabenen Geist der jahrhundertealten, europäisch geprägten Klassik wie das Wogen der sanften toskanischen Hügellandschaften, die unterschwellig den kompositorischen Ansatz des Musikers beflügelt haben mögen. Ein Abtauchen und Dahindriften im steten Klangfluss, ohne böses Erwachen, ansprechend, substanziell, Ambient in seiner berauschendsten Ausprägung, euphorisierend ob seiner klanglichen Schönheit, wie gleichsam melancholisch und nachdenklich im Grundtenor, im besten Sinne zeitlos.
Nach so viel entrücktem Gesäusel zurück zu den harten wie relevanten Fakten: Brunello di Montalcino, Chianti Classico wie auch andere Gallo-Nero-zertifizierte Tropfen süffeln sich zu diesem Sound in jedem Fall weitaus entspannter und vollmundiger als zu jedwedem Hardbop/Bebop/Irgendwas-Endlos-Gewichse. In diesem Sinne: sehr zum Wohle…
(*****)

Reingehört (440): Moodie Black

„Brilliant and formidable.“
(Noisey)

„Less Rap and more something else.“
(Last.FM)

Moodie Black – Lucas Acid (2018, Fake Four Inc.)

Lassen wir die Künstler zur Beschreibung ihrer Crossover-Ton-Kunst eingangs selbst zu Wort kommen, auch wenn’s letztendlich nur für das Rauspoltern eines gern verwendeten Kraftausdrucks gut ist: „Nu rap from the drippings of whatever the fuck you want to call it“. Haut einen auch nicht unbedingt vorwärts in der Taxierung des „Rap Gaze“ von Transgender-Musiker Chris Martinez/K.death und dessen Gitarristen-Kompagnon Sean Lindahl, deren Verbindung seit der gemeinsam verbrachten Kindheit in der Wüste Arizonas besteht und 2012 in Los Angeles im Anstarten des gemeinschaftlichen Duo-Betriebs Moodie Black mündete.
Mit „Lucas Aid“ veröffentlichen die beiden Outsider-Künstler Anfang April ihr erstes Volle-Länge-Album seit vier Jahren, und damit wird um einiges deutlicher, wo im expliziten Rap der US-amerikanischen Soundpioniere der Bartel den Most holt.
Der Spoken Word Flow der beiden Wahl-Kalifornier zieht seine Spannkraft aus einem weitaus größeren Fundus an unorthodoxen Einflüssen als den herkömmlichen dumpfen, monotonen Beats und der Rhythmik des Hip-Hop-Sprechgesangs, die längst ausgetretenen Pfade der schwarzen Ghetto-Subkultur verlassen Martinez und Lindahl von einem experimentellen Impetus getrieben hinein in ein weites Feld aus Noise- und Industrial-Drones, artifizieller Triphop-, Ambient-, Trance- und Abstrakt-Electronica und fieser, dunkler Gitarren-Riffs. Der mitunter latent bedrohliche, von einer schwer zu greifenden, kaum konkret festzumachenden Endzeitstimmung geprägte, diffuse Grundton erfährt Milderung, Erweiterung, Kontra-Punkt durch eine durch die digitale Mühle gedrehte, gebrochen-melodische Shoegazer-Ästhetik, hypnotische, verzerrte Synthie-Flows, geloopte Wiederholungs-Schleifen und Spoken-Word-/Field-Recording-Samplings, ein faszinierendes wie unkonventionelles Konglomerat, das den schwarzen Groove in Richtung Elektro-Trash, weirde Freak-Kunst, kompromissloses Underground-Statement treibt.
So, wie die Sleaford Mods vor einiger Zeit dem britischen Punk-Rock neues Leben mithilfe digitaler Samplings und wütendem, Stakkato-artigem Working-Class-Schwadronieren gegen Krone, Kirche, Konservative einhauchten, befreien Moodie Black den Rap durch ihren erratischen, mit den Elementen des Atonalen spielenden, in jedem Fall ansprechend-faszinierenden Hip-Hop/Electronica/Noise-Hybrid aus einem starren, festgezurrten Korsett und geben so der Spoken-Word-Kunst aus den Brennpunkten der amerikanischen Metropolen einen breiteren tonalen Rahmen zum Ausformulieren der Gedanken zur eigenen Identität und Paranoia.
„Lucas Aid“ erscheint am 6. April beim US-Indie-Label Fake Four Inc.
(*****)