dunk!Festival 2019, the third and final report: Das Wetter präsentierte eitel Sonnenschein in Flanderns Auen und Fluren zum Start in den Juni und sorgte bereits vor den ersten Gigs für hochsommerliche Temperaturen, dafür war das gebotene Tagesprogramm beim Veranstaltungs-Finish umso durchwachsener. Den Weckruf zur letzten Runde bespielte das Trio Le Temps Du Loup aus Madrid mit ihrer Interpretation des melodischen Postmetal/Postrock-Crossover, mit ordentlichem Druck-Volumen und variantenreichen Tempi-Wechseln. Den instrumentalen Flow der Spanier hat man in der Form im großen Zelt sicher nicht zum ersten Mal gehört, zu überzeugen wusste die tonale Druckbetankung aufgrund grundsolide durchexerzierter Metal-Riffs, einem satten Klangbild und einhergehender, überwältigender Wucht nichtsdestotrotz.
Im Wald wartete als Opener für den finalen Reigen in der Natur mit Summit eine weitere spannende, noch weithin unbekannte belgische Instrumental-Band der jungen Generation, neben dunklen Postmetal-Riffs und energischen Gitarrenwänden glänzte das Quartett aus Gent in der Nummer „Icarus“ mit unerwartetem wie feinem Desert-Rock-Flow im Mittelteil des Stücks, das sich später zur euphorischen Postrock-Hymne aufschwingen sollte. Dem „Ethereal rock for body and soul“ der vier jungen Musiker bleibt für die Zukunft zu wünschen, dass er über die regionalen Grenzen Ostflanderns hinaus seine aufmerksame Hörerschaft findet.
In anderen Erdteilen, im asiatischen Raum bekannt sind bereits Paint The Sky Red, die Formation aus Singapur überzeugte im ersten Teil ihrer Aufführung mit angenehm gleitenden, tiefenentspanntem Gitarren-Flow, der zur repetitiven Ambient- und Trance-Hypnose neigte, mit Fortgang des Konzerts untermauerte die vierköpfige Combo eindrucksvoll, dass ihr die vehementere Gangart im Uptempo-Drive mindestens genauso leicht von der Hand geht. Sehr deutliche Ansage zum Thema Raubkopien im Übrigen auf der Bandcamp-Seite der Band, spread the word: „In a world of digital piracy which heavily affects independent bands like us, it speaks volumes if you choose to purchase our music in the best manner and to listen to it on vinyl which we guarantee will be the most immersive experience you can get from our music.“
Die belgische Avantgarde-Perkussionistin Karen Willems ist stets ein gern gesehener Gast auf der dunk!-Bühne, 2016 mit ihrem Projekt Inwolves, 2017 zusammen mit dem kanadischen Musiker Aidan Baker, und auch in diesem Jahr sollte mit ihrem Landsmann Jean D.L. ein unkonventioneller Gitarrist an ihrer Seite stehen. Kennern der belgischen Experimental-Szene war klar: Damit war freie Improvisation als Barriere-freies und Grenzen-sprengendes Motto des Auftritts angezeigt. Ulrich Stock zitierte in einem „Zeit“-Artikel über den legendären Gitarristen Fred Frith vor kurzem den amerikanischen Jazz-Saxophonisten Steve Lacy, der den Unterschied zwischen Komposition und Improvisation in 15 Sekunden erklären sollte und das Stakkato-schwadronierend auch schaffte: „Der-Unterschied-zwischen-Komposition-und-Improvisation-in-15-Sekunden-ist-wenn-man-eine-15-sekündige-Komposition-zu-schreiben-hat-kann-man-sich-dafür-so-viel-Zeit-nehmen-wie-man-möchte-und-wenn-man-eine-15-minütige-Improvisation-spielen-soll-hat-man-dafür-15-Sekunden“ – exakt derart spontan gestaltete sich auch das Zusammenspiel von E-Gitarren-Saiten und freiem Trommeln, Jean D.L. ließ seine abstrakten Gitarren-Drones völlig losgelöst von jeglicher gängigen Grifftechnik oder Noten-Lehre zum erratischen Takt von Karen Willems lichtern, die Perkussionistin wirbelte im freien Flow über Becken und Trommeln, schmetterte spontan tibetische Jodler in das Rund und untermalte mit Glocken, E-Bows und Klangschalen das freigeistige Musizieren. Der Vortrag des Duos forderte Aufmerksamkeit und belohnte reichlich mit neuen Hörerfahrungen und Horizonterweiterungen.
Der Auftritt des spanischen Prog/Post/Math-Rock-Quartetts Jardin De La Croix auf großer Bühne fiel notgedrungen dem Essenfassen zum Opfer, den folgenden Set im Wald bespielte die amerikanische Band Shy, Low aus Richmond/Virginia. Gitarrist Gregg Peterson war bereits im Jahr zuvor mit der US-Band Au Revoir beim Festival zugange, zusammen mit seiner Stammformation brachte er bei seiner Rückkehr frischen Wind in die Gitarren-dominierte Postrock-Landschaft. Im Bühnengebaren einer hart ackernden und extrovertiert agierenden Speed-Metal-Band drückten die Musiker schwer nach vorwärts gewandt ihre harten Riffs und brachialen Rhythmus-Anschläge durch die in der Lautstärke nach oben gefahrenen Boxen, die Postmetal-Wucht konterten sie selbst geschickt mit hymnischem, erhebendem Flow aus, heller Wohlklang und finsteres Dröhnen bedingten sich wie Licht und Schatten. Mit ihrem intensiven, emotional ausufernden Set und ihrem unverstellten, authentischen Auftreten bereicherte die Band die Riege der klassisch besetzten Postrock-Bands ungemein, es braucht nicht immer meterhoch aufgeschichtete Soundwände – Riff-dominiertes, straightes Abrocken kann so simpel, effektiv wie erfrischend sein im Postrock und weit aus der Masse herausragen lassen. Shy, Low lieferten mit dieser Rezeptur einen schwer begeisternden Auftritt und eines der unzweifelhaften Festival-Highlights.
Böse Zungen unkten im Vorfeld, dass zum Auftritt der französischen Band Silent Whale Becomes A Dream vermutlich große Teile des Publikums im Zelt einfach sanft entschlummern würden, ob das so stattfand, müssen die beurteilen, die dabei waren, von der Ferne vernommen war der entschleunigte Postrock-Sound mit sorgfältig getragener Langsamkeit und gedehnt anschwellender, entwickelter Intensität hin zum erlösenden Höhepunkt eine angenehme Nachmittags-Beschallung des Festival-Treibens und vor Ort erlebt vermutlich eine ergreifend emotionale Konzert-Erfahrung.
Das war ohne Zweifel auch der Auftritt der chinesischen Band Zhaoze 沼泽 auf der Waldbühne. Die Formation aus der südchinesischen Millionenstadt Guangzhou begeisterte bereits im Vorjahr im großen Zelt mit ihrer ureigenen Spielart des Postrock-Crossovers unter Verwendung traditioneller chinesischer Instrumente. Im Rahmen ihres Aufenthalts nahm das Quartett seinerzeit im Nachgang auf der Anlage der Waldbühne das aktuelle Album „Birds Contending 争鸣“ auf, ein 40-Minuten-Stück, das beim diesjährigen Gig in Gänze am Ort seiner Entstehung zum konzertanten Vortrag gebracht wurde. Die Band und allen voran Leader Hoyliang spielten sich in einen wahren Rausch, mit klassischer Postrock-Linie aus Bass/Gitarre/Drums und den einmal mehr faszinierenden Klängen der elektrisch verstärkten, traditionellen Griffbrett-Zither Guqin, die Meister Hoyliang neben konventionellem Spiel zuweilen mit dem Geigenbogen malträtierte. Daneben bezauberte er mit seinem Langflöten-Spiel in fernöstlichen Ambient-Folk-Variationen, einem wunderschönen, ergreifenden Soundflow, den er im Verbund mit der Band in die cineastische Breitband-Epik der instrumentalen, fernöstlich angehauchten Rockmusik ausufern ließ. Die Klangvielfalt der vier Chinesen kannte offensichtlich keine Grenzen, die Musiker scheuten sich nicht, selbst experimentelle Ausbrüche und Noise-Rock-artige Schlaglichter in den Wohlklang einzuflechten. Wo das Werk in der Studio-Aufnahme in getragener Euphorie zum Ende hin dem Licht in den Baumspitzen (und den dort nistenden Vögeln aus dem Album-Titel) entgegen strebt, trieben Zhaoze 沼泽 das Finale von „Birds Contending 争鸣“ live im minutenlangen Stakkato intensiv gesteigert der explodierenden Klimax entgegen. Mehr euphorisiertes Glücksgefühl ob des dargebotenen Auftritts war beim dunk! 2019 zu keiner Zeit, nirgends. Unzweifelhafte #dnk19-Kulturforums-#1 im diesjährigen Ranking. Hinsichtlich Intensität, Spielfreude, bunt lichternder, Ohren-schmeichelnder Klangvielfalt und experimenteller Wucht war der Auftritt allenfalls mit dem sensationellen Wald-Gig von Bart Desmet und seiner Postrock-Formation Barst beim dunk! 2017 vergleichbar, und so war es nur angezeigt, dass es für diesen herausragenden konzertanten Großwurf von Zhaoze 沼泽 minutenlange, hochverdiente Standing Ovations gab. Im Wald, da sind nicht nur die Räuber, da war beim #dnk19 auch die musikalische Exzellenz daheim…
Nach dem Auftritt von Zhaoze 沼泽 ging nicht mehr viel, da war die Luft hinsichtlich weiterem, aufmerksamem Konzert-Besuch einfach raus, die Nummer mit dem Aufhören, wenn’s am Schönsten ist, bewahrheitete sich einmal mehr. Was sollte nach einem derart überwältigenden Aufführung noch an Steigerung kommen?
Der Auftritt der wiedervereinigten US-Postrocker Gifts From Enola mit ihrer von scharfen Gitarrenriffs, in den Postmetal reichenden Spielart hätte unter anderen Umständen sicher mehr Aufmerksamkeit verdient, wie auch das bombastische, extrovertierte Experimentieren mit Progressive- und Noise-Sounds der australischen PR-Vertreter von Tangled Thoghts Of Leaving.
Freude kam noch einmal zum Auftritt der UK-Formation Bossk aus Kent auf, die Band präsentierte bei ihrem dunk!-Debüt eine facettenreiche Postrock-Mixtur aus nüchterner, wuchtiger Postmetal-Härte, herrlichen Trance-Elegien und psychedelischen Halluzinationen für die Freunde der Progressive- und Space-Trips. Damit entzog sich die Combo jeglicher Schubladen-Kategorisierung, wusste mit einem voluminösen, komplexen Klangbild völlig zu überzeugen und ließ damit die Bäume im Wald, das Publikum und die restliche Fauna ein letztes Mal erbeben.
Der Würdigung des allerletzten Konzerts vor Bandauflösung der britischen Formation Her Name Is Calla mögen sich andere in Ausführlichkeit hingeben, der saumselig-dick aufgetragene Weltschmerz-Postfolk beim finalen Gig im Wald mochte so wenig konvenieren wie der Shoegazer-Kitsch der Festival-beschließenden Headliner von Alcest, die Franzosen waren in der Funktion mindestens so diskussionswürdig wie die Hauptacts der Tage zuvor. Anyway, die Geschmäcker und Vorlieben sind bekanntlich verschieden, und selbst bei einigen Streich-Ergebnissen im Line-Up konnte sich in den drei Festival-Tagen niemand über mangelnde Vielfalt, exzellente Konzert-Beschallung, viele spannende Neuentdeckungen, die erwartet guten Auftritte alter Helden und die ein oder andere freudige Überraschung beschweren.
Sowenig, wie über die einmal mehr hervorragende Organisation, ein friedliches, angenehmes, fachkundiges und zumeist hochkonzentriertes Publikum, eine freundliche und zugewandte Festival-Crew, bestes Catering, einen grandiosen Job der Leute hinter den Soundboards und Lichtreglern – und selbst der Verantwortliche hinter den Wolken hat wieder mitgespielt, irgendeiner da oben muss ein Faible für dieses Festival haben, so soll es sein: Null Niederschlag, ein Traum.
Very special thanks an Joni Sadler von Constellation Records und Wout Lievens von der Festival-Organisation.
Eine Frage bleibt bis auf weiteres jedoch ungeklärt: Wo war Festival-Man? Sein Luftgitarren-Spiel wurde schmerzlich vermisst. War er auf einer anderen Veranstaltung zugange? Ist er hoffentlich wohlauf? Sachdienliche Hinweise nimmt jede Kulturforums-Diensstelle entgegen. Vielleicht ist er beim nächsten Mal wieder dabei, denn: Nach dem Festival ist vor dem Festival – das dunk! findet im kommenden Jahr von 21. bis 23. Mai 2020 an gewohnter Stelle statt, hinterm Vereinsgelände, in Ostflanderns grünen Auen und Fluren. Man darf schon gespannt sein. Wie die Luftgitarren-Saiten vom Festival-Man…