Marc Riley

Reingehört (450): Micah P. Hinson

„I believe his eventful life will one day be made into a bio-pic… but until that day this document of his radio sessions will serve to document the path of this great singer-songwriter from Abilene Texas.“
(Marc Riley)

Micah P. Hinson – At The British Broadcasting Corporation (2018, Full Time Hobby / Rough Trade)

Hinterhergeschobenes Archiv-Material nach der letztjährigen, etwas unausgegorenen Modern Folk Opera „Holy Strangers“, und in dem Fall gleich um einiges – vor allem durchgängig – ansprechenderes Zeug vom Hinson Micah. The Best Of aus im Laufe der letzten 14 Jahre eingespielten Unplugged-Sessions für das BBC-Radio-6-Programm von ex-The-Fall/ex-Creepers-Musikant und DJ Marc Riley. Der Brite hatte scheint’s wiederholte Male eine glückliche Hand beim Einfangen der berückenden Alternative-Folk-Momente des Texaners, zurück ist die Magie vieler älterer Aufnahmen des einstigen Americana-Wunderkinds, spartanisch instrumentiert mit Wandergitarre oder etwas LoFi-Banjo-Geschepper trägt Hinson seine Balladen und Weisen vor, in seiner ureigenen, Ergriffenheits-gebietenden Tonlage, die sich einmal mehr nicht zwischen bedeutungsschwangerem, das Pathos nur mit Not unterdrückendem Klagen und Gejammer, resignierter, lakonischer Selbstaufgabe oder distanzierter, abgeklärter Kommentierung der erzählten Geschichten entscheiden kann. So oder so, nach wie vor ist es nur wenigen gegeben, die „Junger Mann als alter Country-Hase“-Nummer mit entsprechend authentischen Schicksals-Schlägen im eigenen Lebenslauf in der Hinterhand derart formvollendet und überzeugend rüberzubringen. Die seit 2004 aufgezeichneten BBC-Aufnahmen bieten Material vom ersten bis zum bis dato jüngsten Album, selbst der Folk-Oper-Stoff funktioniert, aber das nimmt eigentlich nicht weiter Wunder, die Nummern „Oh, Spaceman“ und „Lover’s Lane“ waren bereits in den Studio-Versionen auf dem 2017er-Werk ein paar der dort eher selteneren Bringer. Noch ist Hoffnung für den Folk als probates Ausdrucksmittel, trotz Präsenz der Decemberists und anderer austauschbar-nichtssagend-belangloser Trällerkapellen, im Allgemeinen, und für Micah Paul Hinson im Besonderen, der Mann kann schon, nach wie vor, wenn er denn nur ab und an mit dem gefragten Ansatz wollen täte. Die neue Live-im-Studio-Sammlung ist Beweis genug.
(*****)

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Reingehört (258): Damien Jurado & Richard Swift, The Wedding Present

KULTURFORUM Winter www.gerhardemmerkunst.wordpress.com (16)

The Wedding Present – Marc Riley Sessions, Vol. 1 (2016, Hatch Records Limited)
Schändlicherweise festgestellt, dass die neue „Going, Going…“-Scheibe vom nordenglischen Hochzeitsgeschenk im vergangenen Herbst völlig unbeachtet und ungehört durchgerutscht ist, dabei geht die Combo um Songwriter, Sänger und Gitarrist David Gedge jederzeit und immerwährend gut ins Ohr, seit über 30 Jahren, wie auch diese schöne Radio-Sessions-Zusammenstellung eindrucksvoll unterstreicht. Aufgenommen zwischen 2007 und 2010 in der „BBC Radio 6 Music“-Sendung von Moderator/DJ Marc Riley, der in früheren Jahren selbst als Musikant zugange war, mit seiner eigenen Combo The Creepers und von 1978 bis 1983 als Bassist bei der Postpunk-Institution The Fall, bevor er dort einer der vielen Säuberungsaktionen von Band-Diktator Mark E. Smith zum Opfer fiel. Für den gelungenen Johnny-Cash-Tribute-Sampler „Til Things Are Brighter“ aus dem Jahr 1988 zeichnet er als Co-Produzent zusammen mit Mekons-Chefe Jon Langford im Übrigen auch verantwortlich.
The Wedding Present, die letzten ihrer Art in Sachen C86-Geschrammel, hat Riley hier formvollendet auf die Spur gebracht, die Band entfaltet live im Studio wie bewährt auf Bühne ihre unbändige Spielfreude, hinsichtlich High-Speed-Schepper-Gitarre und diesem einzigartigen Gespür für den großen Gitarren-Pop-Song kann David Gedge und den Seinen niemand auch nur annähernd das Wasser reichen in der weiten Welt der gepflegten Beschallung.
Die Titelauswahl hält zwar keine großen Überraschungen parat, das Präsentierte bietet nichtsdestotrotz eine schöne Übersicht über die Bandgeschichte mit einer Auswahl an feinen Momenten aus der langen WP-Geschichte, ein donnernd-ergreifendes „Palisades“ etwa, „Brassneck“ vom „Bizarro“-Meisterwerk, das unverwüstliche „Everyone Thinks He Looks Daft“ vom immer noch frisch und unverbraucht klingenden „George Best“-Debüt von 1987 oder „Heather“ aus dem auch sehr gelungenen „Seamonsters“-Werk, und wenn sich bei „Don’t Take Me Home Until I’m Drunk“ das Herz nicht allein schon beim begnadeten Songtitel weitet, ist wahrscheinlich die letzte Weihnachtsfeier noch nicht verdaut…
Ein perfekter Einstiegspunkt für Hörer, die bisher von den humorig-intelligenten, aus dem Leben gegriffenen Geschichten und dem einzigartig-zupackenden Prä-Brit-Pop-Gitarrenmelodien der Combo aus Leeds unberührt waren, für langgediente Fans eh ein Fest.
(*****)

Damien Jurado & Richard Swift – Other People’s Songs Vol.1 (2016, Secretly Canadian)
Gab’s schon mal zeitweise als freien Download im Jahr 2010: Seattle-Indie-/Folk-Spezi Damien Jurado und sein Kumpel Richard Swift, seines Zeichens Tastenmann bei der Ami-Indie-Combo The Shins, haben sich vor einigen Jahren für die individuelle Interpretation und Einspielung von Fremdkompositionen im Studio zusammengefunden, im Stil von LoFi-Geschwurbel, verhalltem Sixties-Folk-Pop und charmant angestaubter Uralt-Psychedelic inklusive Ära-typischem, verträumtem, athmosphärisch-schönem Nostalgie-Schmalz, in dem das Duo so weit auseinander liegende Pole wie John Denver, Bill Fay, Chubby Checker, die unsäglichen Bombast-Prog-Heinzen von Yes und die deutschen Elektronik-/Kraut-Pioniere Kraftwerk zusammenbringt, „Radioactivity“ der Letztgenannten gar partiell in holprigem Deutsch vorgetragen und folkloristisch üppig orchestriert, maximal weit entfernt von der technischen Kälte des Originals der Düsseldorfer. Der Easy-Listening-Soundtrack für die Feiertage oder die anstehende Sylvester-Sause.
(**** – **** ½)