Michaela Dietl

Sendling – Wo man leben könnte

SENDLING_Titel_mail

Mein ehemaliger Nachbar, der Dokumentar-Filmer und Vorstand des Vereins ‚Kunst in Sendling‘ Reinhold Rühl hat einen wunderschönen, höchst sehenswerten Dokumentarfilm über mein Münchner Viertel Sendling gedreht, von dem viele alteingesessene Einwohner behaupten, der vier U-Bahn-Stationen vom Marienplatz entfernte ehemalige, wesentlich ältere Vorort wäre nicht mehr München, so, wie beispielsweise viele Bewohner von Stadtamhof auf der nördlichen Seite der „Steinernen Brücke“ behaupten, sie wären keine Regensburger.

Die Gentrifizierung des Viertels ist eines der großen Themen des Films, exemplarisch dargestellt am Kampf um den letzten, von Investoren bedrohten Biergarten im Viertel, am Verschwinden des letzten Kunstschmieds Christian Heinecker, der seine Schmiede inzwischen im Landkreis Fürstenfeldbruck betreibt, und an der neuen Nutzung des Stemmerhofs, des letzten Bauernhofs in City-Nähe, der noch bis zur Betriebsaufgabe 1992 quasi mitten in der Stadt Milchwirtschaft betrieb – heute ein Zentrum für Szene-Lokale und Bioläden.

Sendlinger Schmied 169 (1)

Der Historie wird selbstredend gebührend Rechnung getragen, war Sendling im Jahre 1705 mit der Sendlinger Mordweihnacht doch der Schauplatz der ersten europäischen Revolution, der alljährlich an Heiligabend durch einen Fackelzug der Oberländer Gebirgsschützen gedacht wird.
Die in München seltenen, in unserer Stadt nur auf privatem Grund erlaubten Stolpersteine erinnern an ehemalige, im „Dritten Reich“ ermordete jüdische Mitbürger, ihre Verlegung vor dem ehemaligen Kaufhaus Gutmann ist ebenso Thema des Films wie die Erinnerung an Resi Huber, nach der seit 2012 ein eigener Platz in der Nachbarschaft benannt ist, eine Gedenktafel zu Ehren der Widerstandskämpferin scheitert bisher jedoch am Veto der Stadt, da die 2000 verstorbene Nazi-Gegnerin überzeugte Kommunistin war.

Die Neugestaltung des „hässlichsten Platzes Sendlings“, des Harras, kommt in der hervorragenden Dokumentation ebenso zur Sprache wie das rauhe Alltagsleben in der Münchner Großmarkthalle, das Paradies aller Münchner Nackerten, der nahen „Flaucher“ an der Isar ebenso wie das älteste Straßenfest Münchens, das alljährlich in meiner Straße im Sommer stattfindende Daiserstraßen-Fest.

Strassenfest

Von den im Film zu Wort kommenden Zeitzeugen schließt der Zuschauer vor allem die 92-jährige Elisabeth Reichhardt ins Herz, sie lebte in Sendling zeitlebens in der Wohnung, in der sie geboren wurde, die hellwache Rentnerin konnte in ihrer humorigen Art viel zur Alltagsgeschichte des Viertels beitragen. Der Film ist ihrem Andenken gewidmet, 2014 ist Elisabeth Reichardt gestorben und hat somit die Uraufführung dieser dokumentarischen Meisterleistung leider nicht mehr erleben dürfen.

Luftbild Sendlinger Kirche 169

Der Film zeigt den Stadtteil auch aus einer völlig neuen Perspektive: Eine Kameradrohne fliegt über Häuserzeilen und Isarbrücken, zeigt beeindruckende Luftaufnahmen und enthüllt Strukturen dieses urbanen Mikrokosmos.

Die Filmmusik hat meine Nachbarin Michaela Dietl beigesteuert, die schönen Bilder werden mit stimmungsvoller Musik der renommierten Akkordeon-Virtuosin unterlegt. Auch Erwin Rehling, mein Mitkombattant bei „Münchner Künstler bekennen Farbe“ gegen die Flüchtlings-Not, kommt durch eine kurze Sequenz seines Auftritts in der ‚Sendlinger Kulturschmiede‚ mit seinem Spiel auf dem selbst entworfenen Stein-Xylophon zu musikalischen Ehren.    

Lassen wir zum Abschluss Regisseur Reinhold Rühl selbst zu Wort kommen: „Ein Film, der auch in anderen Großstädten gedreht werden könnte. Denn Stadtviertel „wo man leben könnte“ gibt es viele. Die Frage ist nur: Wie lange noch?“

Der Film läuft seit 14. Juni 2015 in ausgewählten Kinos.
Die DVD ist zum Preis von 15 € zzgl. Versand erhältlich bei info@dokumacher.de
Dokumacher Film & Medienproduktion, Thalkirchner Str. 143a, 81371 München
Tel. 089 7255849
www.dokumacher.de

P.S. – Die Knallschote darf natürlich auch nicht fehlen ;-))))))) :

Werbung

Münchner Künstler bekennen Farbe @ Pelkovenschlössl, München, 2015-02-27

Ein toller Abend war das, am Freitag! Wie bereits angekündigt, veranstaltete die Initiative „Münchner Künstler bekennen Farbe“ am vergangenen Wochenende eine Benefizveranstaltung im Moosacher Pelkovenschlössl zugunsten der Münchner Asylbewerber, der gesamte Erlös des Abends wurde jeweils zur Hälfte den beiden Hilfsorganisationen REFUGIO und Münchner Flüchtlingsrat zur Verfügung gestellt. Alle auftretenden Künstler spendeten ihre Gagen und ich konnte meinen Beitrag durch den Erlös eines versteigerten Bildes leisten.

Hervorragend moderiert wurde die sehr gelungene Veranstaltung von der Musikerin Andrea Pancur, die die Intitiative ins Leben rief und den Abend im Pelkovenschlössl organisierte, souverän und mit viel Herz und Witz führte sie durch den bunten Abend.

Andrea Pancur / Homepage

Den Reigen der Darbietungen eröffnete der Historiker, Dokumentarfilmer und Musiker Erwin Rehling mit in Mundart vorgetragenen, hintersinnigen Kurzgeschichten („Neues von Früher“), die die Zuhörer zum Nachdenken und oft auch zum Schmunzeln brachten sowie mit seinen Percussion-Aufführungen, unter anderem auf einem selbst entworfenen Steinspiel. Die rhythmischen, meditativen Stücke erinnerten entfernt an die minimalistischen Kompositionen des Amerikaners Moondog (circa „Elpmas“-Phase), was ich ausdrücklich als Kompliment verstanden wissen möchte. Rehling war unter anderem Mitglied der Gruppe „Die Interpreten“, die ihre Tonträger beim renommierten Trikont-Label veröffentlichten. Von 2006 bis 2012 arbeitete er mit dem Projekt „Hammerling“ mit meiner Sendlinger Nachbarin, der Akkordeon-Virtuosin Michaela Dietl, zusammen.

Erwin Rehling / Homepage

Die Jazzerin Stephanie Lottermoser begeisterte mit ihren Mitmusikern Christoph Müller, Alexander Haas und Magnus Dauner das Publikum, mit ihrem „Groove Jazz“ dürfte sie an dem Abend den ein oder anderen Jazz-Skeptiker überzeugt haben. Die Herren Haas und Dauner bildeten eine solide Rhythmus-Basis für das gefühlvolle Saxophonspiel von Stephanie Lottermoser, der Gitarrist Christoph Müller überzeugte durch versiertes Gitarrenspiel und erinnerte in dem für meine Begriffe leider viel zu kurzen Slide-Gitarren-Part an Größen wie Ry Cooder oder Bill Frisell. Stephanie Lottermoser glänzte auch mit Gesang, die wunderbare Interpretation des Cindy-Lauper-Hits „Time After Time“ dürfte den Hörern noch lange in guter Erinnerung bleiben.

Stephanie Lottermoser / Homepage

Der Liedermacher und Kabarettist Werner Meier hatte mit seinen hintersinnigen, bissigen und mitunter auch gefühlvollen Liedern über verliebte Pfarrer, Internet-Junkies und die Katastrophe des Handy-daheim-liegen-lassen den Saal sofort auf seiner Seite, das Publikum sang an den massenkompatiblen Stellen dankbar und lautstark mit. Werner Meier klärte über seine Vita auf, seine Beteiligung bei der „Brezenbeisserbande“ und ihrem Kinderhit über die Kuh, die ins Kino gehen wollte, führte bei dem ein oder anderen zu einem Aha-Erlebnis, bei den Besuchern mit Nachwuchs allemal, wie ich aus eigener Erfahrung bestätigen kann. Geneigte Kabarettgänger, die ein Faible für Martina Schwarzmann oder Fredl Fesl haben, empfehle ich dringend einen Konzert-Besuch bei Werner Meier.

Werner Meier / Homepage

Die beiden Musiker David Eschmann und Mathis Mayr mit ihrem Duo Canto Dei Sass wurden am Freitagabend von dem Bassisten Dine Doneff unterstützt, und was als Volksmusik aus dem Alpen- und Mittelmeer-Raum angekündigt wurde, entwickelte schnell eine ganz besondere experimentelle Kraft durch die für meine Begriffe höchst hörenswerten und ergreifenden Improvisationen an Cello, Querflöte und Kontrabass, die durch den in vielen Dialekten geschulten, wunderbaren Gesang von David Eschmann zusammengehalten wurden. Ganz starker Auftritt!

Canto Dei Sass / Homepage

Die Gerner Zipfeklatscher begeisterten an dem Abend nicht nur in gewohnter Qualität mit ihrer gewitzten bayerischen Wirtshausmusik und einer gelungenen Adaption der Violent-Femmes-Nummer „Please Do Not Go“, nein, sie hatten auch noch einen ganz besonderen Coup auf Lager: bei einem Weihnachtskonzert im Dezember 2014 lernten sie einige junge afghanische Asylbewerber kennen, einer der jungen Männer trat mit ihnen am Freitag auf und sang ein wunderschönes afghanisches Volkslied, dass das Publikum im Saal dahinschmelzen lies. Ein tolles Beispiel aus der Praxis, nur so kann Integration gelingen: lasst unsere Gäste ihre Talente entfalten und kaserniert sie nicht! Am multikulturellen Wesen soll Deutschland genesen! Bildmaterial des begnadeten Sängers kann ich leider nicht veröffentlichen, das Jugendamt ist verständlicherweise gegen Namensnennung und Fotoveröffentlichung, immerhin sind die Afghanen aus ihrer Heimat geflohen, weil sie verfolgt werden, und ich denke, das haben wir zu respektieren.

Gerner Zipfeklatscher / Facebook

Den musikalischen Darbietungen aller Auftretenden hätte das Publikum gerne noch länger gelauscht, die kurzen Auftritte der Musiker machten in jedem Fall Lust auf mehr und den Bands und Solointerpreten, die an dem Abend alle auf ihre Gage verzichteten, bleibt nur zu wünschen, dass sie am Freitag den ein oder anderen Fan dazugewonnen haben.

Neben dem wunderbaren musikalischen Part war die Spendenbilanz besonders erfreulich, für die Flüchtlingshilfe konnten 1.280 Euro zur Verfügung gestellt werden, davon hat der Erlös der Versteigerung meines Bildes „Schutz/Shelter“ immerhin auch 235 Euro beigetragen.

Herzlichen Dank von meiner Seite an alle Musikerinnen und Musiker und nicht zuletzt an Andrea Pancur für die wunderbare Moderation sowie Organisation des Abends und an alle Helfer/Innen im Pelkovenschlössl, hier auch im Besonderen an Julia für die Gelegenheit zur Ausstellung meiner Bilder, es hat riesigen Spaß gemacht mit Euch !! Vielen Dank auch an Renate, Machtkrampf und Alfred und seine Familie für Euren Besuch.
Und natürlich ein riesengroßes Dankeschön an alle Besucherinnen und Besucher, vornehmlich aus Moosach, wie ich annehme, für ihr zahlreiches Erscheinen und ihre Spendenbereitschaft. Ihr wart klasse – und so gut, dass Ihr glatt als Sendlinger durchgehen könntet… ;-)))

Gerhard Emmer Kunst / Homepage