Muddy Roots

Willy Tea Taylor @ Mark Icediggers Home, Out Of Rosenheim, 2019-11-20

Love, Life, Death, And Baseball.

Privataudienz am vergangenen Mittwochabend in den Rosenheimer Suburbs: Willy Tea Taylor, kalifornischer Folk-Songwriter, Farmer, Sozial-Aktivist, Muddy-Roots-Urgestein, ehemaliger Baseball-Spieler und Co-Star in M. A. Littlers herausragender Dokumentation „The Kingdom Of Survival“ über radikale Gesellschaftsmodelle und Gegenwürfe zum American Way Of Life war auf Einladung von Mark Icedigger im heimischen Wohnzimmer des Konzert-Veranstalters für einen privaten Auftritt zu Gast.
Folk-Musik dokumentierte in ihren besten Momenten seit je die prekären Lebensumstände des sozialen Umfelds, legte authentische biografische Zeugnisse ab oder wusste die Zeichen der Zeit aus der Perspektive der sogenannten einfachen Leute zu deuten, und diese Momente findet man in der Musik und den aus dem Leben gegriffenen Texten von Willy Tea Taylor zuhauf. Getragene Balladen in Moll, mit viersaitiger Gitarre begleitet, in denen das vollbärtige Original seine Geschichten vom harten Alltag einer Krankenschwester, aus der Perspektive der vom Staat Abgehängten und Vergessenen, dem Leben seiner permanent alkoholisierten Großmutter und dem unsteten Musiker-Dasein seines Grandpas erzählt, von seiner Liebe zum Baseball und dem einfachen Leben im ländlichen Amerika. Taylors Songs sind in ihrer Erhabenheit herzergreifend, regen gleichsam Gemüt wie Verstand an und wollen doch nie predigen oder beklommene Betroffenheit heraufbeschwören, vor zuviel Moralinsäure bewahrt der ein oder andere Powerchord-Schrammler, die humorige Ansprache des in sich ruhenden Barden, der sich völlig uneitel über sein von einem skandinavischen Fan attestiertes Aussehen als schwedischer Troll amüsiert, über Kinderschnitzel auf deutschen Speisekarten feixt und sich mit erratischen Tanzeinlagen zu einer eigenen Uptempo-Nummer selbst nicht allzu ernst nimmt – und sollte die Tragik doch die Oberhand gewinnen, hilft immer noch ein kräftiger Schluck aus der „Writers Tears“-Flasche.
Der Akustikvortrag geriet bisweilen musikalisch höchst ansprechend, immer dann, wenn der mitgereiste, mittlerweile zwecks der Liebe in Hamburg ansässige Gitarrist Chandler Pratt im Duett sein filigranes und virtuoses Saitenspiel einbrachte – im Verbund zwei exzellent aufeinander eingespielte Folkies, die in der Vergangenheit gemeinsam auch in der Americana/Country-Band The Good Luck Thrift Store Outfit zugange waren.
Das eigene Songmaterial des rothaarigen Songwriters mit dem freien Geist und dem großen Herzen war in den beiden längeren Sets über jeden Zweifel erhaben, die Interpretation der Dylan-Nummer „Not Dark Yet“ ein gelungenes Unterfangen, das dem Original an Intensität in nichts nachstand, einzig der Griff in den Tom-Petty-Fundus war einer, der die Veranstaltung nicht weiter bereicherte.
Die essentielle, soziale Verwerfungen reflektierende wie musikalisch heute mehr denn je relevante, reine Lehre des Akustik-Folk kommt dieser Tage von Musikern wie Charlie Parr, Possessed By Paul James oder eben dem großartigen Willy Tea Taylor: Wer Ohren hat, der höre, alle anderen machen es sich in ihrer privaten Scheinwelt gemütlich und schmeißen den guten Geschmack mit dem Konsum von synthetischen Folk-Derivaten aus den Häusern Decemberists, Mumford und Söhne oder diesem unsäglichen Country-Swing-Genöle vom Nobelpreis-Faktotum über Bord.
God bless the Icedigger House und alle, die da gehen ein und aus: Ansässige, Konzertbetreiber, Gäste und Musikanten. Wie heißt es immer so schön zu derart erhebenden Anlässen: Thanks for having us, an diesem rundum gelungenen Privatkonzert-Abend.

Willy Tea Taylor tritt heute im Quarterdeck in Basel auf, in den folgenden Tagen spielt er seine exzellenten Folksongs zu diesen Gelegenheiten – do yourself a favour:

25.11.Zürich – Gotthard Bar
26.11.Dillenburg – Erbse
28.11.Husum – Speicher
30.11.Bremen – Schule 21
01.12.Hamburg – Monkeys

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The Dad Horse Experience @ KAP37, München, 2019-10-24

Viele Schiffe treiben über deinen Ozean
und werden einst das Land sein,
unter dem du liegst.
(D. H. Ottn, Viele Schiffe)

Gepriesen sei der Herr, dafür, dass er alljährlich seinen unermüdlichen Keller-Gospler Dirk Otten gen Süden schickt zur Erbauung und Errettung der Seelen, gepriesen sei die Andachtskapelle des KAP37 an den Gestaden des Münchner Westermühlbach, dass sie dem landauf, landab als wanderpredigende One-Man-Band The Dad Horse Experience bekannten Barden Kanzel und Herberge in ihren heiligen Hallen gewährt für seine aus den holprigen Tiefen und modrigen Sümpfen des Lebens gegriffenen Predigten. Und gepriesen seien die Messdiener des KAP fürderhin für das Reichen des göttlichen Mannas in Form von erlesenen Spirituosen an die nach Trost und Wahrheit dürstenden Gläubigen.
Gelobt sei der Musikant selbst, der alljährlich den Hort seiner „Schule 21“ verlässt und den beschwerlichen, steinigen Weg vom fernen Bremen in den Sündenpfuhl des Isar-Dorfs auf sich nimmt zur Vertreibung der herbstlichen Schwermut, gelobt sei er für altbewährte, Gemüts-schüttelnde Gospel-Klagen über die windschiefen Abzweigungen, Plagereien und Unbilden des irdischen Daseins, über die inwendigen Tätowierungen, die so manche schmerzhafte Erfahrung auf das Seelengeflecht zeichnet. Gebenedeit sei die Dad Horse Experience für ihre Lieder über – Gottlob – gescheiterte Selbstmordversuche, über das eigene Unperfekte, über die Liebe, die im schlimmsten Fall keine Schmetterlinge im Bauch fliegen lässt, vielmehr als zermürbender Fleischwolf die Grundfeste der Existenz zerrüttet – Lieder, die uns immer wieder daran erinnern, dass traurig nirgendwo anders so lustig ist als in den gelesenen und gesungenen Messen des geläuterten Predigers aus Kirchweyhe, wie ein schreibender Ministrant einst andernorts so treffend anmerkte.
Gesegnet sei der Sänger mit dem scheppernden Banjo für den neuen Weg, den er in diesen finsteren Tagen zwecks unzweideutiger Botschaft im landessprachlichen Idiom beschreitet: Wo der Gospel und seine Souterrain-Ausgabe nur im amerikanischen Slang funktionieren, bereichert The DHE nun mit brandneuem, bis dato noch nicht veröffentlichtem Songschreiben das deutsche Liedgut, in dem sich scheinbar unzusammenbringbare Charaktere wie Peter Kraus und Aleister Crowley in einer schlaflosen Nacht am Landungssteg von Cuxhafen treffen, darauf ein mehrstimmiges Hallelujah.
Mit Fürbitten bedacht sei der Herr, um international renommierte Auszeichnungen für die Kurz-Gedichte, die Dad Horse dieser Tage zur geistigen Labsal zwischen seinen Songs einstreut. Bevor sowas wieder an politisch zweifelhafte Langweiler aus Österreich vergeben wird, oder einen kauzigen Bänkelsänger aus Duluth/Minnesota für sein kryptisch-unverständliches Gekrächze, sollte diese selbst nicht unbescholtenen Kopeiken von der Schwedischen Akademie vor dem nächsten Fehlgriff einen Blick in die diversen Ausgaben des Sargasso-Breviers werfen oder – noch weitaus besser – den konzertanten Vorträgen des Walking Dad mit gebührend offenem Herz und Verstand lauschen. Aber nachdem dieses irdische Jammertal ein ungerechtes, stolprig-holpriges und mit Knüppel-schmeißen zwischen die Beine kaum zurückhaltendes Theater ist, wird’s wohl eher auf den belanglosen, vielfach seit Jahren geforderten Japaner rauslaufen, demnächst.
Nebst dem Flehen nach Erlösung, der Abwendung des bösen Blicks und der Verschonung vor schlecht gebrauten Bieren sei der Allmächtige gebeten, das er die Wege seines treuen Dieners im Geiste Dad Horse Ottn auch im kommenden Kirchenjahr zwecks Läuterung und Innehalten vor dem Unausweichlichen einmal mehr in unsere Gefilde lenken möge.
Amen.

20 Watt Tombstone @ Mark Icediggers Home, Out Of Rosenheim, 2019-06-26

If the White Stripes, the Black Keys, and Left Lane Cruiser had an illegitimate love child with Lemmy while Hunter S. Thompson documented the whole torrid thing… you might get 20 Watt Tombstone.

Tom Jordan & Mitch Du’Quan Ostrowski aka Grand Master Oh To The Zee & Yellin‘ Reverend Meantooth rocked the house: Der Rosenheimer Konzert-Veranstalter Mark Icedigger bat am vergangenen Mittwochabend in die eigene Heimstatt zur Privat-Show des Heavy-Blues-Duos 20 Watt Tombstone aus Wasau/Wisconsin, zwecks gebotenem Einschwingen und mentalem Hochfahren auf Betriebstemperatur zum ab heute nachmittag anstehenden Raut-Oak-Fest wurde die Einladung vom handverlesenen Publikum mit Kusshand angenommen.
Einheizen musste an diesem brütend heißen Sommertag allerdings niemand mehr, bei abendlichen Außentemperaturen um die 30 Grad Celsius bot auch das ehemalige Wohnzimmer der Icedigger-Oma als Hauskonzert-Bühne keine wesentliche Abkühlung, zumal die beiden Musikanten mit ihrem brodelnden Gewerk nichts zur Entschärfung der klimatischen Situation beitrugen.
20 Watt Tombstone sind der geneigten Hörerschaft spätestens seit ihrer exzellenten „Death Blues vs. The Dirty Spliff“-Split-EP bekannt, die sie 2016 zusammen mit den beiden geistesverwandten Trailerpark-Trashern von Left Lane Cruiser veröffentlichten, und damit war die Marschrichtung der konzertanten Beschallung für die Veranstaltung im Groben abgesteckt: Hart angeschlagene Blues-Riffs, von Gitarrist Jordan mit Bottleneck-Slide scharf angerissen und Fuzz-dröhnend durch die Lautsprecher gepresst, vom plattgewalzten Pfad der reinen Bluesrock-Lehre wahlweise nach links und rechts ausscherend, mit vollem Einsatz hinein in zentnerschwere Stoner-Breitseiten, in zäh geronnene Noise- und Black-Metal-Zitate und schwungvolle Boogie-Moves, ein berstender, lärmender Kessel unter Hochdruck, vom Trommler Ostrowski stramm nach vorne gegroovt. Massiv eingekochter, dickflüssiger Hardblues mit der brachialen Schwere des Doom Metal und der zornigen Energie der amerikanischen DIY-Punk-Szene, unverstellt, unbehandelt und direkt auf den Rüssel geknallt, the real stuff aus den Tiefen des Raw Underground und des Deep Blues, schmutzig und mit abgeschrammten Kanten – wie das pralle Leben selbst: in den Songtexten kurze und prägnante Geschichten über hochprozentige Drinks, verschlampte Weiber und die Trottel und fiesen Arschgeigen aus dem näheren und weiteren Umfeld. American heavy trash at its best.
Wo die seit einem halben Jahrhundert abrockenden Jubilare von ZZ Top ihre Seele längst an den Kommerz, die Mainstream-Chart-Platzierungen und einen politischen Deppen wie den republikanischen US-Ex-Präsidenten George Walker Bush verkauft haben, geben 20 Watt Tombstone in rudimentärer Besetzung und mit einfachsten Mitteln den wahren Jakob für die Freunde der lauten und dreckigen, Blues-lastigen Gitarre, und selbst in Sachen Bart-Tracht müssen die Kameraden aus dem Mittleren Westen vor Billy Gibbons und seiner Texas-Bagage nicht zurückstecken.
Zu bedauern gab es am Mittwoch nur den Umstand, dass nach einer überschaubaren Handvoll an energischen Eigenkompositionen und einer nicht weniger intensiven wie beinharten Coverversion des Howlin-Wolf-Klassikers „Killing Floor“ bereits wieder Schluss war – zu einem Zeitpunkt, zu dem das Publikum unter den subtropischen Gegebenheiten den Blues in seiner erdrückenden, sumpfigen Südstaaten-Spielart genoss und auf weiteres Schwitzen und Biertrinken mit entsprechender Beschallung eingestellt war, beendete die Band das viel zu kurze Set, der schwergewichtige Gitarrist Tom Jordan war aufgrund seiner angeschlagenen Verfassung nach einer kürzlich überstandenen Gallenblasen-OP zu keiner einzigen weiteren Zugabe zu bewegen – die Auswirkungen der üppigen Ernährung der Amis und das marode Gesundheitswesen dieser großartigen Nation strahlten an dem Abend bis in die Suburbs von Rosenheim aus, ein Hoch auf die Globalisierung! Als verdiente Strafaktion für mangelnde Leistungsbereitschaft und Ausgleich zum exzessiven Burger- und Meatball-Genuss kündigte Veranstalter Icedigger reduzierte, spartanische Schonkost in Form von Kamillentee und einer Scheibe Knäckebrot zum kommenden Frühstück an, hoffentlich hat er seinen Worten Taten folgen lassen…

Den Nachschlag zum zeitlich etwas knapp bemessenen Haus-Gig von 20 Watt Tombstone gibt es bereits heute zu bester Show-Time gegen 20.00 Uhr beim bereits ausverkauften Raut-Oak Fest am Riegsee: wer Glück (und ein Ticket) hat, kommt, sagt Martina Schwarzmann, und für Gitarrist Jordan heißt es am Riemen reißen, Arschbacken zusammengepresst und durch, die Konkurrenz ist groß, und wer ROF-Geschichte schreiben will, muss liefern. Man sieht sich immer zweimal im Leben, so in ein paar Stunden vor großartiger Murnauer Berg-Kulisse im Blauen Land.

Konzert-Vormerker: James Leg

The great John Wesley Myers aka James Leg, Bluesman extraordinaire, Son of a preacherman, Fender Rhodes Keyboard Grandmaster from Rock City/Tennessee, lebenslang Dauerangestellter beim großartigen, sommerlichen Raut Oak Fest: Zur genehmen Überbrückung der Wartezeit auf das nächste Deep Blues Festival am schönen Riegsee derzeit auf Herbsttournee in Europa.
James Leg ist nach einer frühen Karriere als Kirchenmusiker erst Ende der Adoleszenz mit dem Rock’n‘Roll in Berührung gekommen, huldigt ihm seitdem aber umso heftiger. Einerlei, ob bei den Black Diamond Heavies oder The Immortal Lee Country Killers, mit seinem Gastspiel bei der Cut In The Hill Gang, bei seiner Kollaboration mit den Trailerpark-Blues-Trashern von Left Lane Cruiser oder auf seinen solistische Höhenflügen, Mr. Leg bringt die Tasten seiner Orgel zum Glühen, die Konzertgänger-Massen in Verzückung und den Saal zum Schweben.
Wandeln auf der intensiv dröhnenden Seite des Blues, Satisfaction guaranteed.

James Leg, Asta Rosenheim, Hubertusstraße 1, Rosenheim, 30. November 2018. 20.00 Uhr. Vorverkauf: guckst Du hier. Weitere Termine: hier.

The Bones Of J.R. Jones + Sebastian Dega @ Unter Deck, München, 2018-10-16

Blood is pumping
Hundred miles an hour
(The Bones Of J.R. Jones, Hearts Racing)

Dichtes Gedränge am Dienstagabend im Münchner Innenstadt-Club Unter Deck, Hut ab vor Veranstalter Jörg Dahl, der Mann und seine helfenden Hände vom Event-Büro Still Or Sparkling? haben da mehr als ordentliche Arbeit geleistet zur Bewerbung und Präsentation der München-Premiere von Jonathon Linaberry aka The Bones Of J.R. Jones, voller Saal für die großartige One-Man-Band aus Brooklyn, so muss es sein.
Löblich hervorzuheben in dem Zusammenhang auch das zusätzlich installierte, erhöhte Podest zum Bühnenaufbau, so dürften auch die hinteren Reihen im ausverkauften Auditorium noch in den optischen Konzert-Genuss gekommen sein, die Haltungsnoten für die Organisation könnten somit zu der Veranstaltung nicht besser ausfallen.

Bevor der Hauptact die Bühne enterte, eröffnete der Berliner Songwriter Sebastian Dega den Abend mit einem kurzen und prägnanten solistischen Set, mit einer überschaubaren Handvoll an Nummern wusste der sympathische Akustik-Gitarrist schnell und zeitlich knapp bemessen für seinen Vortrag einzunehmen. Eine mild-rauchige Stimme, ausgewiesene Picker- und anderweitige ausgeprägte technische Fertigkeiten auf den sechs Saiten zeichneten das geerdete Musizieren des Barden aus. Mit einer stilistischen Bandbreite an klassischem, drängendem Folk, stimmungsvollen Alternative-Country-Anleihen und einer Old-Time-Rückschau auf relaxten Western-Swing und Ragtime-Blues zeigte sich Dega in bester Spiellaune, die auch vom lauten Geschwätz des schändlich unaufmerksamen Besucher-Anteils nicht getrübt werden konnte. Angenehmer erster Eindruck vom Schaffen des Berliner Nachwuchs-Roots-Musikers, gerne bei Gelegenheit wieder, auch in ausgedehnterer Form zur umfänglicheren Würdigung.

Beim Privatkonzert von The Bones Of J.R. Jones somewhere out of Rosenheim Anfang 2017 hat seinerzeit schwer vermutlich die obstinate Nachbarin dafür gesorgt, dass der Gig im Wohnzimmer der Oma von Gastgeber Mark Icedigger zu einem beseelten Folk-Konzert der tendenziell eher leiseren und filigranen Töne geriet, was der herausragenden Qualität des Vortrags bei einem Könner wie Jonathon Linaberry selbstredend keinen Abbruch tat, am Dienstag im Unter Deck präsentierte sich der New Yorker dann in full flight bei seinem allerersten Münchner Gastspiel, die Zuhörerschaft im proppenvollen Souterrain-Club ging von Minute eins an nicht mehr von Bord resp. von der Leine beim beherzten Aufspielen der One-Man-Kapelle von Jones/Linaberry, der Americana-Spezialist zeigte zu der Gelegenheit im zuforderst rohen, intensiven Stomp-Blues-Anschlag eindrucksvoll, dass er sich vor herausragenden Ausnahme-KünstlerInnen des Deep-Blues-/Muddy-Roots-Genres wie der geschätzten Molly Gene und ihrer One Whoaman Band oder dem ebenso hochverehrten Reverend Deadeye keinesfalls verstecken muss, die noch jungen Knochen des J.R. Jones barsten an diesem Abend vor Energie, wirbelten über Basstrommel und Hi-Hat des rudimentären Schlagwerks und ließen den Bottleneck scharf über die Saiten der halbakustischen Resonator-Gitarre schrammen, dazu loopte Linaberry die Riffs und stimmte seine erschüttenden Klagelaute im Gedenken uralter Blues-Howler an. Das Publikum fand sich zuweilen unvermittelt in der Trash-Garage wieder, in der sich zahllose Geister und Dämonen der endlosen amerikanischen Highways und Prärien tummelten, ihre unheimlichen Southern-Gothic-Geschichten von verblassten Hoffnungen, finsteren Geheimnissen und unwirtlichen (Seelen-)Landschaften erzählten und sich den Träumen von längst verfallenen Whiskey-Kaschemmen und Blues-Scheunen aus Zeiten der Prohibition hingaben. The Bones Of J.R. Jones wusste mit dieser rohen Gangart – die sich auf Stücken wie „The Drop“ vom aktuellen Tonträger „Ones To Keep Close“ bereits andeutete – zu überzeugen wie auch durchaus zu überraschen, wer das ureigene, von den ersten Tonträgern gewohnte Downtempo-Crossover aus Alternative-Country-Grübeln, Appalachen-Bluegrass-Finessen und inbrünstiger, kantiger Gospel-/Roots-Blues-Emotion erwartete, fand sich nur punktuell wieder im sporadisch angespielten, Herz- und Gemüts-anrührenden Liedgut und in den leiseren Tönen, etwa mit der nachdenklichen Ausnahme-Ballade „Hearts Racing“, der glänzend gelaunte Linaberry wollte an diesem Abend in erster Linie den mitreißenden Publikums-Anheizer geben, und das ist ihm – den euphorischen Reaktionen auf der Tanzfläche und dem überschwänglichen Applaudieren nach zu schließen – auch bestens geglückt.
Der amerikanische Indie-Songwriter spielte am Dienstagabend neben seinen nachweislich herausragenden musikalischen und kompositorischen Talenten einmal mehr alle seine Trümpfe als fescher und schwer für sich einnehmender Entertainer aus, auf der Bühne wie später beim individuellen Austausch am Merch-Stand, das dürfte auch den überdurchschnittlichen Anteil an schönen Frauen im Publikum an diesem Abend erklären, man mag sich das Bild gar nicht ausmalen, in dem sich der Mann in einer anderen Welt als Mainstream-Crooner vor ein-zweideutigen Angeboten nicht mehr retten kann, Gottlob ist er mit seinem Musizieren nach wie vor unbeirrbar auf der richtigen Seite des East River unterwegs, vom Meister selbst in der letzten Zugabe mit einer Verneigung vor dem großen Delta-Blues-Urahnen Son House unterstrichen.
Jonathon Linaberry hat in den vergangenen zwei Jahren vom Wohnzimmer der Icedigger-Oma einen Riesen-Sprung auf das Podium mit dem Anker im Unter Deck in Sachen Bühnenpräsenz und offensiver, extrovertierter Garagen-Blues-Vehemenz getan, und sollten ihn seine Wege dereinst doch noch auf die großen Konzerthallen- und Stadien-Bühnen führen, so bleibt uns zwar nicht immer Paris, so wie einst Frau Bergman und Herrn Bogart, aber doch diese jeweils auf ihre eigene Art großartigen Oberbayern-Abstecher nach München und Rosenheim in der noch jungen Karriere von The Bones Of J.R. Jones…

Jonathon Linaberry / The Bones Of J.R. Jones ist im näheren und weiteren Umland im Rahmen seiner Europa-Tournee noch zu folgenden Gelegenheiten live zu genießen, do yourself a favour:

23.10.Luxembourg – De Gudde Wëllen
24.10.Stuttgart – Merlin Kulturzentrum
25.10.Köln – Bumann & Sohn
26.10.Amsterdam – Q-Factory
27.10.Bremen – Karton
28.10.Copenhagen – Ideal Bar
29.10.Berlin – Monarch

Still Or Sparkling? präsentieren in den kommenden Monaten folgende Veranstaltungen, auch sehr knorke:

21.11.Molly Burch – München – Unter Deck
04.12.Lera Lynn – Köln – Blue Shell
06.12.Lera Lynn – München – Unter Deck
03.02.Jimi Tenor & Band – München – Rote Sonne
07.02.Daniel Knox – München – Heppel & Ettlich