„München ist nicht Berlin oder Hamburg oder meinetwegen Köln. Braucht’s auch gar nicht, die anderen sind schließlich auch nicht München.“
(Christian Ertl, Macht’s den Krach leiser!)
Christian Ertl – Macht’s den Krach leiser! – Popkultur in München von 1945 bis heute (2010, Allitera Verlag)
My favourite Cheese-Dealer Christian Ertl, Münchner Käsestand-Betreiber und im richtigen Leben Disk-Jockey und kenntnisreicher Musik-Experte, hat im Rahmen der Münchner-STATTreisen-Reihe des Allitera Verlags ein informatives Buch für den Ortsansässigen wie für den „Zuagroastn“ und den temporären Besucher gleichermaßen zur Erkundung der Musikgeschichte nebst thematischer Nebenstränge in der Isar-Metropole geschrieben, gespickt mit zahlreichen Anekdoten, Tonträger-Tipps und Empfehlungen für das Eintauchen in das Musikgeschehen der Stadt, letztere nicht immer auf dem neuesten Stand, wie das Pop-Business itself sind die entsprechenden Kneipen, Hallen, Clubs und Tonträger-Läden in ihrer Existenz einem permanenten Wandel unterworfen, der das gedruckte Wort an mancher Stelle schnell zur historischen Quelle macht.
Der München-Pop nahm, wie an vielen anderen Orten Deutschlands auch, so richtig Fahrt nach Ende des 2. Weltkriegs auf, bedingt durch den Jazz, Swing und Rock and Roll der frühen Tage, den die amerikanischen Besatzer im Süden der jungen Republik bekannt machten. Musiker wie der jüngst verstorbene Saxophonist Max Greger oder die Rock’n’Roller Peter Kraus und Paul Würges prägten die damalige Szene.
In späteren Jahren war vor allem der Stadteil Schwabing im Fokus des Interesses, die legendäre Ranz-Kneipe „Schwabinger 7“, der „Schwabinger Bräu“, in dem die Ramones, die Clash und AC/DC in ihren Anfangstagen in München Halt machten, oder das „Blow Up“, das psychedelische Pink-Floyd-Auftritte sah, sind heute leider längst Geschichte. Die über die Grenzen der Landeshauptstadt hinaus bekannten „Schwabinger Krawalle“, an denen auch der damals noch unpolitische, spätere RAF-Terrorist Andreas Baader beteiligt war, dürfen im Pop-historischen Kontext der Stadt nicht fehlen, wurden sie doch durch ein Straßenmusiker-Verbot ausgelöst.
Amon Düül, die Spider Murphy Gang, Deep Purple, Queen und viele andere internationale Größen im Musicland-Studio, Uschi Obermaier und Jimi Hendrix im „Big Apple“, welcher hier angeblich erstmals sein Arbeitsgerät zerlegte (aber das behaupten wahrscheinlich alle Clubs, die der Meister vor Start der Weltkarriere beehrte), der „Munich Disco Sound“, Fun-Punks wie die United Balls und die lokalen Ska-Heroen von Bluekilla, Größen aus der Münchner Peripherie wie die Weilheim-Connection um die großartigen Notwist-/Acher-Brüder, Isarindianer Willy Michl, die Freaky Fuckin‘ Weirdoz und die Sportfreunde Stiller, Gerner Zipfeklatscher, G. Rag, Elektrik Kezy Mezy und Jonathan Fischer, das alles und noch viel mehr packt Christian Ertl an Erwähnenswertem in lesenswerte Geschichten und versehen mit launig-treffenden Kommentaren zwischen die beiden Buchdeckel.
Sehr schön auch die Schilderungen über das sagenhafte alte X-Cess, damals in der Jahn-/Ecke Kolosseumstraße beheimatet, genau so hat es sich seinerzeit zugetragen, Nacht für Nacht, in dem stets bis Anschlag überfüllten Club vom Isi Yilmaz, permanent mit musikalischen Überraschungen auftrumpfend, hat eh jeden Abend ein anderer aufgelegt, und total entspannt-stressfrei, obwohl Dir der Vordermann praktisch permanent auf den Vorderfüßen stand, schneller bist Du nirgends mit wildfremden Leuten ins Gespräch gekommen, ja was glaubst Du denn…
Bei den Substanz-Geschichten hat es bei der Recherche etwas gehackt, zur Nummer, nach der Angus Young in seinem Musik-Club am Tresen saß, meint Wirt Jürgen Frank lakonisch „Ja, wär schon toll gewesen, wenn der mal da gewesen wäre, aber das wüsste ich…“
So ähnlich, wie die Geschichte im Buch beschrieben wird, hat sie sich mehr oder weniger aber tatsächlich zugetragen, statt dem AC/DC-Angus war allerdings die Proto-Punk-Ikone Iggy Pop der Hauptdarsteller des Abends, der sich später beim Wirt bedankte, dass er in der Isarvorstadt in Ruhe ein paar Bier trinken konnte. Und Nick Cave gab auch nie ein Konzert im Substanz, aber mit der Strech-Limo ist er vor einigen Jahren vorgefahren und hat ein Geschenk am Tresen abgegeben, aber das ist eine andere Geschichte…
Auch Thomas Diener vom „59:1“-Fanzine wird gewürdigt, nach dem Blatt wurde in späteren Jahren ein feiner Musik-Club in der Sonnenstraße benannt (gibt’s leider auch nicht mehr), in dem unter anderem Gaslight Anthem ihre ersten München-Konzerte gaben, schade, dass Dieners größter Coup im Buch nicht Erwähnung findet, wäre auch eine Geschichte wert gewesen: 1987 hat er es in der Muffathalle beim 59:1-Festival zustande gebracht, dass sowohl das oberbayerische Post-Punk-Quartett Animal Crackers, die Berliner Lolitas mit der heutigen Stereo-Total-Sängerin Françoise Cactus als auch der grandiose John Cale das Eröffnungsprogramm für seine unsägliche Combo Tokyo Schwanstein bestritten, muss ihm auch erst mal einer nachmachen…
Kulturhistorisch Wichtiges aus Gesellschaft, Film- und Sport findet bei Ertl in Randnotizen gebührend anekdotenhafte Erwähnung wie die Dietl- und Fassbinder-Mischpoke, die Münchner Comic-Szene, die ewige Dauerfehde zwischen den 1860-Pleitegeiern und der roten Schmiergelder-/Steuerhinterzieher-Bande, in Sachen Münchner Fußball wird der von mir noch nie geschätzte DJ Hell als charakterloser Überläufer zu den Roten geoutet, er soll sich nach gut informierten Quellen in letzter Zeit des Öfteren bei meinem Sendlinger Lieblings-Libanesen rumtreiben, da wär mal ein Lokalverbot angezeigt… ;-))
Richtig rund machen das feine Büchlein Christian Ertls Tipps zu Platten-Läden, Musik-Kneipen, turnusmäßigen Veranstaltungen, und seinen zahlreichen Empfehlungen hinsichtlich Tonträgern von Münchner MusikerInnen kannst eh blind vertrauen, da spricht wie gesagt der Fachmann…