Murat Ertel

Reingehört (418): Dirtmusic

Dirtmusic – Bu Bir Ruya (2018, Glitterbeat)

Die Karawane zieht weiter: Während das Bandprojekt Dirtmusic auf den letzten Alben mit westafrikanischen Musikern aus dem Umfeld der Tuareg-Band Tamikrest und des malischen Afrobeat-Musikers Ben Zabo die Möglichkeiten von Desert-Blues und Folk-Feldaufnahmen im Crossover mit Trance-Electronica und Dub-Elementen auslotete, schmieden ex-Walkabouts-Vorsteher Chris Eckman und der australische Düster-Blueser Hugo Race auf „Bu Bir Ruya“ neue Allianzen, Mitmusikant Chris Brokaw ist schon eine Weile nicht mehr mit von der Partie, für das neue Album arbeiteten die beiden renommierten Indie-Musiker mit dem türkischen Sänger und Saz-Spieler Murat Ertel zusammen, Ertel ist Bandleader der Istanbuler Oriental-Dub-Band Baba Zula, die geneigten Cineasten aus der Musikdokumentation „Crossing The Bridge – The Sound of Istanbul“ des Hamburger Regisseurs Fatih Akin geläufig sein dürfte.
Das dem Seattle-Folkrocker Eckman nichts fremd ist an experimentellem Space-, Kraut-Rock und Ambient, ist seit seinem obskuren Glitterhouse-„I“-Projekt, der „Höst“-Kollaboration mit dem norwegischen Midnight-Choir-Musiker Al DeLoner und der „L/O/N/G“-Zusammenarbeit mit dem österreichischen Tosca-Elektroniker Rupert Huber hinlänglich bekannt, Desert-Blues-Finsterling Hugo Race war auf seinen Soloalben – wie auch zuletzt bei den Gemeinschaftsproduktionen mit der belgischen Experimental-Musikerin Catherine Graindorge und der John-Lee-Hooker-Huldigung mit seinem True-Spirit-Weggefährten Michelangelo Russo – dem Einsatz von atmosphärischen Drones und anderweitigen Trance-Beigaben nie abgeneigt, und so transformieren die beiden das in der Vergangenheit Erforschte und Erarbeitete an Experimentellem zusammen mit dem herübergeretteten hypnotischen Groove aus der westafrikanischen Wüste hinein in den Kulturaustausch mit der türkischen Underground- und Popularmusik, in dem sich Ertel, Eckman und Race mit partieller Unterstützung durch die osmanische Songwriterin Gaye Su Akyol und die kanadische Ukulele-Folkerin Brenna MacCrimmon inhaltlich mit den Verwerfungen der aktuellen Politik am Bosporus beschäftigen, wie explizit auch mit der täglich präsenten Thematik der Migration, zu der neben dem türkischen Musiker der inzwischen in Slowenien ansässige Eckman als auch der Australier Race in Bezug auf die restriktive Flüchtlingspolitik seines Heimatlandes ihre Gedanken beisteuern, intensivst aufbereitet und eingefangen in einer zum Aufnahmestudio umgebauten Werkstatt in einem Vorort von Istanbul.
Das musikalische Flow/Rhythmik/Loop-Gebräu erweitern die Klangkünstler naheliegend um orientalische Soundentwürfe aus türkischer Balkan-Volksmusik und Klassik, psychedelischen Siebziger-Retro- und Postpunk-Funk, Anlehnungen an den Afrobeat der mittleren Talking-Heads-Phase und dunkel-düstere Abstrakt-Ton-Kollagen – ein opulenter Klangfluss, der das Nachdenken wie den Bewegungsdrang gleichermaßen stimuliert und nichts weniger ist als die gelungenste und ausgefeilteste Dirtmusic-Arbeit bis dato.
„Bu Bir Ruya“ ist am 26. Januar beim Global-Sounds-Ableger Glitterbeat des Beverunger Indie-Labels Glitterhouse erschienen.
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