Musiker

Eine Kerze für Roky Erickson

Roky is both the most cursed and the most blessed person I’ve ever met. He suffered unimaginably and he’s lost some things that he will never get back. The fact that these things are lost forever is what makes the story so sad, and what makes you know the story is real.
(Will Sheff, True Love Cast Out All Evil Liner Notes 2010)

„I Have Always Been Here Before“ – dort, wo die anderen irgendwann ankamen, ist er tatsächlich längst schon gewesen: Roky Erickson, der „Syd Barrett von Texas“, hat im zarten Alter von 18 Jahren in den Drogen-verseuchten Sechzigern zusammen mit den 13th Floor Elevators in Austin/TX den Psychedelic- und Garagen-Rock quasi aus dem Nichts aus der Taufe gehoben und damit die Geschichte der populären Musik nachhaltig mitgeschrieben.
Nach zahlreichen Konzerten unter permanentem, schwerem Einfluss halluzinogener Substanzen wurde bei Erickson 1968 paranoide Schizophrenie diagnostiziert, worauf er für mehrere Jahre zur Therapie im Nirvana diverser psychiatrischer Anstalten verschwand.
In den Siebzigern besserte sich Ericksons mentale Verfassung nach seiner Entlassung aus dem Klinik-Betrieb nicht wesentlich, er faselte wirres Zeug über seine eigentliche Herkunft von einem fremden Planeten und über Ausserirdische, die sein Denken und Handeln kontrollieren würden – die von Journalisten und Freunden kolportierte TV-Dauerberieselung durch SciFi- und Horror-B-Movie-Trash auf mehreren parallel laufenden Bildschirmen mag da eine nicht unwesentliche Rolle gespielt haben. Bei aller Tragik war der angeschlagene Geisteszustand seinem exzellenten Songwriting offensichtlich alles andere als abträglich, einmal mehr bewahrheitet sich an der Vita Ericksons die Binsenweisheit der extremen Lebensumstände als Quell herausragender Kunst.
1972 gründete er als Reverend Roger Roky Kynard Erickson seine eigene Kirche, das hätte nicht weiter Not getan, die musizierenden Legionen seiner nachfolgenden Jünger, Messdiener und (Drogen)missbrauchs-Opfer bliebe auch ohne institutionellen Segen bis heute unüberschaubar. So unterschiedliche Sounds wie der Garagen-Punk-Trash von Dead Moon, der Psychopathen-Grunge der Butthole Surfers, der psychedelische Indie-Fuzz der Jesus And Mary Chain oder der frühe Texas-Hard-Blues von Erickson-Spezi Billy Gibbons und seinen ZZ Top wie zahlloser anderer Indie-, Punk-, Psychedelic-Blues- und Garagen-Formationen wären ohne das musikalische Vermächtnis von Roky Erickson schlicht und ergreifend undenkbar.
Sein sporadisch veröffentlichtes Solo-Material kam in den Siebzigern und Achtzigern fast ausschließlich über kleine, zum Teil obskure und von Fans betriebenen Indie-Labels auf den Markt, lediglich die mit vier weiteren Aliens eingespielte und von CCR-Basser Stu Cook produzierte LP „I Think Of Demons“ wurde 1980 vom Major CBS in den Orbit geschossen. Die in den Song-Texten von Horror-Fabelwesen und Manson-Mordphantasien heimgesuchten Nummern beeindruckten durch eine ureigene Dramatik, scharfe, harte Gitarren-Riffs und Ericksons Gespür für wunderschöne Melodien im Verbund mit einer psychedelischen Prärie-Mystik, die zeitlose Exzellenz seines Song-Materials fand nicht zuletzt ihre gebührende Würdigung im hier vor einiger Zeit vorgestellten Tribute „Where The Pyramid Meets The Eye“ aus dem Jahr 1990, das völlig zu Recht zu den herausragenden Exemplaren des Fan-Sampler-Genres zählt.
Die Gemeinde der Verehrer kümmerte sich auch in den folgenden Jahren um ihren alten Helden, Butthole-Surfers-Drummer King Coffey veröffentlichte 1995 auf seinem Label Trance Syndicate das feine Album „All That May Do My Rhyme“ mit zum Teil neu interpretierten Klassikern („recorded in Texas by Texans“), Henry Rollins publizierte in dieser Zeit das Erickson-Werk „Openers II“ im eigenen 2.13.61-Verlag, die schottischen Postrocker Mogwai nahmen ihn für die Sessions ihrer „Batcat“-EP mit ins Boot, und mit Unterstützung von Austin/Texas-Nachbar Will Sheff und seinen Indie-Folkern Okkervil River spielte Roky Erickson auf „True Love Cast Out All Evil“ 2010 erstmals nach nahezu fünfzehn Jahren neuen, von der Kritik hochgelobten Stoff ein. Diverse Tourneen und sporadische Auftritte folgten in den 2000ern, von der puren Energie und Spielfreude eines Erickson-Gigs zeugt exemplarisch der grandiose, dringlich empfohlene Konzert-Mitschnitt „Halloween“, der erstmals 2007 vom kleinen texanischen Label SteadyBoy Records der Welt kredenzt wurde.
Seit vergangenen Freitag ist der große Ausserirdische der amerikanischen Rockmusik, der mystische Vorbeter des „Red Temple Prayer“, the unparalleled, the transcendent, the one and only Roger Kynard Erickson in anderen Gefilden auf seinem Spaziergang mit dem Zombie unterwegs, in den kalten Nächten des Vampirs, mit dem blutigen Hammer in der Hand. Möge er seinen Frieden irgendwo da draußen im Outer Space finden, einen Frieden, der ihm in seinem turbulenten und nicht selten von verwirrten Momenten geprägten Leben lange verwehrt blieb. Wir zurückgebliebenen Verehrer seiner Tonkunst, wir vermissen ihn bereits schmerzlich, so, wie er es uns einst weissagte…

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Eine Kerze für Mark Hollis

Der englische Musiker und Songwriter Mark Hollis ist gestern im Alter von 64 Jahren in London gestorben. Zusammen mit dem Drummer Lee Harris und dem Bassisten Paul Webb gründete er 1981 die Synthie-Pop-Band Talk Talk, die in der Frühphase ihrer Karriere eine Handvoll Hits wie „Such A Shame“ und „It’s My Life“ in den Singles-Charts platzieren konnte. Nach dem Erfolg ihres dritten Albums „The Colour Of Spring“ setzte sich die Band mit experimentelleren Klängen auseinander, auf den letzten beiden regulären Tonträgern wandte sie sich in zeitlosen Kompositionen ab vom gängigen New-Wave-Pop der Achtziger, hin zu kammermusikalischer Neo-Klassik, Jazz, Progressive-/Krautrock-Elementen und einer frühen, von Talk Talk selbst geprägten Spielart des Postrock, mit der die Engländer den Sound nachfolgender Formationen des Genres wie Mogwai oder Godspeed You! Black Emperor maßgeblich beeinflussten.
Talk Talk lösten sich nach den Sessions zu ihrem exzellenten 1991er-Album „Laughing Stock“ auf. Mark Hollis veröffentlichte 1998 im Nachgang ein einziges Solo-Werk unter seinem Namen, ein Meisterwerk, das in den bisher erschienenen Nachrufen nur erstaunlich knappe Erwähnung findet. „Mark Hollis“ ist geprägt von einer grandiosen Mixtur aus akustischem Kammer-Pop und Folk, edlen Jazz-Elementen, dezenten Neu-Klassik-Zitaten und Ambient-artiger Entrücktheit, zu denen Hollis in melancholischer Empathie seine Lyrics oft mehr klagt als singt, ein von Ruhe und Erhabenheit durchwirktes Gesamtkunstwerk, das in seiner minimalistischen Entschleunigung völlig abgeklärt wirkt und zu Teilen nicht mehr im Diesseits verhaftet zu sein scheint. Das Album ist Hollis‘ eigentliches Vermächtnis an die Musikwelt, der er bereits vor zwanzig Jahren für immer den Rücken kehrte.

Eine Kerze für Coco Schumann

„Der Mensch ist eine merkwürdige Erfindung. Unberechenbar und gnadenlos. Die Bilder, die ich in jenen Tagen sah, waren nicht auszuhalten, und doch hielten wir sie aus. Wir spielten Musik dazu, ums nackte Überleben. Wir machten in der Hölle Musik.“
(Coco Schumann, Der Ghetto-Swinger, La Paloma)

Der Berliner Gitarrist Heinz Jakob „Coco“ Schumann ist gestern in seiner Heimatstadt im Alter von 93 Jahren gestorben.
Schumann tummelte sich bereits in den dreißiger Jahren in der Berliner Swing- und Jazz-Szene, im „Dritten Reich“ wurde er 1943 denunziert und als Halbjude in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert, wo er als Musiker und Bandmitglied der „Ghetto Swingers“ Konzerte für das Wachpersonal der SS spielen musste und in einem Propagandafilm als Schauspieler zu sehen war.
Coco Schumann überlebte nach seiner Verlegung 1944 das Vernichtungslager Auschwitz, das Dachau-Außenlager Kaufering und einen sogenannten Todesmarsch gegen Ende des 2. Weltkriegs.
In späteren Jahren unterstützte Schumann konzertant den Wahlkampf von Bundeskanzler Willy Brandt, lernte Jazz-Größen wie Ella Fitzgerald und Louis Armstrong kennen und musizierte mit bekannten Kollegen wie Bert Kaempfert und Helmut Zacharias.
Sein tragisches wie außergewöhnliches Leben ließ er in der lesenswerten wie von erstaunlichem Humor geprägten Erinnerung „Der Ghetto-Swinger. Eine Jazzlegende erzählt“ Revue passieren. Eine Auswahl seiner Aufnahmen ist nach wie vor beim Münchner Indie-Label Trikont erhältlich.

Eine Kerze für Mark E. Smith

A New Face In Hell: Der Thomas Bernhard der britischen Rockmusik ist tot. Mark E. Smith, Sänger, Songwriter, Zuchtmeister und einzige personelle Konstante der einflussreichen nordenglischen Postpunk-Band The Fall, ist gestern im Alter von 60 Jahren gestorben. Das Kettenrauchen und wohl auch der Alkohol dürften letztendlich ihren Tribut gefordert haben.
Smith gründete The Fall 1976 und veröffentlichte mit der Band ab Ende der Siebziger insgesamt 32 Alben, zuletzt im Sommer 2017 „New Facts Emerge“.
Der Fall-Sound war geprägt von stoischer Rhythmik, oft simplen, sich permanent wiederholenden Postpunk-Schleifen und vor allem dem Stakkato-artigen Vortrag des Sängers Smith, mit dem er weitaus mehr vor sich hinschwadronierend als singend seiner misanthropischen Weltsicht Ausdruck verlieh. Die Qualität von Fall-Konzerten war vor allem von der Tageslaune des notorischen Ungustls abhängig.
Das Frühwerk von The Fall wird von Fans, Kollegen wie Fachpresse – zurecht – hoch geschätzt. Alben wie „Hex Enduction Hour“ (1982) oder „This Nation’s Saving Grace“ (1985) beeinflussten zahlreiche namhafte Musiker und Bands wie Steve Albini, Sonic Youth oder Guided By Voices.

Eine Kerze für Terry Evans

Der amerikanische Musiker, Songwriter, Soul-, Gospel- und Blues-Sänger Terry Evans ist am vergangenen Samstag im Alter von 80 Jahren gestorben. Einen Tag zuvor gab es an dieser Stelle einen ausführlichen Beitrag über Evans in der Reihe Soul Family Tree, der jetzt bedauerlicherweise als Nachruf gelesen werden kann.