Nachruf

Eine Kerze für Achim Bergmann

Das Kulturforum trauert: Wie die facebook-Seite der Münchner Indie-Plattenfirma Trikont vermeldet, ist Labelchef Achim Bergmann gestern im Alter von 74 Jahren verstorben.

Das Platten-Label aus Obergiesing, die Münchner Musik-Szene und letztendlich die ganze Welt der Independent-Musik verlieren mit dem streitbaren Anarchisten und Sechzig-Fan einen aufrechten Kämpfer für das musikalisch Abseitige, Entdeckenswerte, Unkonventionelle und Verlorengegangene. Das Loblied auf Bergmann und sein Label wurde hier erst vor kurzem aus Anlass zur Besprechung der Meueler/Dobler-Festschrift zum fünfzigjährigen Label-Jubiläum „Die Trikont-Story: Musik, Krawall & andere schöne Künste“ gesungen.

Immerwährenden Dank für die Lieblings-Österreicher Attwenger, die herrlichen M.A.-Littler-DVDs „Hard Soil“ und „The Folk-Singer“, die schöne „Strange & Dangerous Times“-Compilation von Sebastian Weidenbach, alle Platten vom einzigartigen Eric Pfeil, „Texas Bohemia“, „Dead & Gone“ Vol. 1 & 2, Jörg Fauser Spoken Word, den Kraudn-Sepp, Bally Prell, die mehrteilige, sagenhafte Cajun/Zydeco-Sammlung, die auch zeimlich sagenhaften Schellack-Sampler, die exzellente „Herzkasperl“-Zusammenstellung vom hochverehrten Jörg Hube, nicht minder exzellente JonathanFischerSoul-Sampler, die ersten Ringsgwandl-Platten, zwei tolle Rembetiko-Dokumentationen, „Doyres“, „Shteygers“ und „Yikhes“, Coco Schumann, die Neigungsgruppe Sex, Gewalt & Gute Laune, Der Scheitel, finnischen Tango, die fantastische Daniel-Johnston-Live-CD, Textor & Renz, Embryo-Best-Of, „Beyond Addis“, zig-fach „La Paloma“, Russendisko und Johnny Cashs Frage (via Franz Dobler) „Wo ist zuhause Mama?“, vietnamesische  Straßenmusik, Coconami, Mrs. Zwirbl, Karl Valentin, Willy Michl, den Vertrieb der Rauschangriff-Ronnie-Biggs-Benefiz-Single und selbst den ein oder anderen brauchbaren Song von Hans Söllner.

Einem geerdeten Sozialisten wie Achim Bergmann war sicher stets bewusst, dass das letzte Hemd keine Taschen hat, insofern hat er seine Künstler_Innen immer gut und fair behandelt, auch was das Finanzielle anbelangt, und darum singt ihm hier der Ringsgwandl in diesem Sinn den letzten Gruß: „Nix mitnehma“ vom 1989er-Trikont-Album „Trulla! Trulla!“, eine Coverversion der Dylan-Nummer „Gotta Serve Somebody“.

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Eine Kerze für Coco Schumann

„Der Mensch ist eine merkwürdige Erfindung. Unberechenbar und gnadenlos. Die Bilder, die ich in jenen Tagen sah, waren nicht auszuhalten, und doch hielten wir sie aus. Wir spielten Musik dazu, ums nackte Überleben. Wir machten in der Hölle Musik.“
(Coco Schumann, Der Ghetto-Swinger, La Paloma)

Der Berliner Gitarrist Heinz Jakob „Coco“ Schumann ist gestern in seiner Heimatstadt im Alter von 93 Jahren gestorben.
Schumann tummelte sich bereits in den dreißiger Jahren in der Berliner Swing- und Jazz-Szene, im „Dritten Reich“ wurde er 1943 denunziert und als Halbjude in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert, wo er als Musiker und Bandmitglied der „Ghetto Swingers“ Konzerte für das Wachpersonal der SS spielen musste und in einem Propagandafilm als Schauspieler zu sehen war.
Coco Schumann überlebte nach seiner Verlegung 1944 das Vernichtungslager Auschwitz, das Dachau-Außenlager Kaufering und einen sogenannten Todesmarsch gegen Ende des 2. Weltkriegs.
In späteren Jahren unterstützte Schumann konzertant den Wahlkampf von Bundeskanzler Willy Brandt, lernte Jazz-Größen wie Ella Fitzgerald und Louis Armstrong kennen und musizierte mit bekannten Kollegen wie Bert Kaempfert und Helmut Zacharias.
Sein tragisches wie außergewöhnliches Leben ließ er in der lesenswerten wie von erstaunlichem Humor geprägten Erinnerung „Der Ghetto-Swinger. Eine Jazzlegende erzählt“ Revue passieren. Eine Auswahl seiner Aufnahmen ist nach wie vor beim Münchner Indie-Label Trikont erhältlich.

Eine Kerze für Mark E. Smith

A New Face In Hell: Der Thomas Bernhard der britischen Rockmusik ist tot. Mark E. Smith, Sänger, Songwriter, Zuchtmeister und einzige personelle Konstante der einflussreichen nordenglischen Postpunk-Band The Fall, ist gestern im Alter von 60 Jahren gestorben. Das Kettenrauchen und wohl auch der Alkohol dürften letztendlich ihren Tribut gefordert haben.
Smith gründete The Fall 1976 und veröffentlichte mit der Band ab Ende der Siebziger insgesamt 32 Alben, zuletzt im Sommer 2017 „New Facts Emerge“.
Der Fall-Sound war geprägt von stoischer Rhythmik, oft simplen, sich permanent wiederholenden Postpunk-Schleifen und vor allem dem Stakkato-artigen Vortrag des Sängers Smith, mit dem er weitaus mehr vor sich hinschwadronierend als singend seiner misanthropischen Weltsicht Ausdruck verlieh. Die Qualität von Fall-Konzerten war vor allem von der Tageslaune des notorischen Ungustls abhängig.
Das Frühwerk von The Fall wird von Fans, Kollegen wie Fachpresse – zurecht – hoch geschätzt. Alben wie „Hex Enduction Hour“ (1982) oder „This Nation’s Saving Grace“ (1985) beeinflussten zahlreiche namhafte Musiker und Bands wie Steve Albini, Sonic Youth oder Guided By Voices.

Eine Kerze für Terry Evans

Der amerikanische Musiker, Songwriter, Soul-, Gospel- und Blues-Sänger Terry Evans ist am vergangenen Samstag im Alter von 80 Jahren gestorben. Einen Tag zuvor gab es an dieser Stelle einen ausführlichen Beitrag über Evans in der Reihe Soul Family Tree, der jetzt bedauerlicherweise als Nachruf gelesen werden kann.

Eine Kerze für Christian Burchard

„Embryo – real Krautrock based in Germany, connected worldwide.“
(John Peel)

„Embryo’s Reise“ geht weiter, für Christian Burchard leider seit gestern in anderen Sphären, der Bandgründer und Multiinstrumentalist der legendären, weltweit vernetzten Kraut-/Jazzrock-/Worldbeat-Institution Embryo ist am Mittwoch im Alter von 71 Jahren zu seinem letzten Trip aufgebrochen.
Burchard gründete die Münchner Fusion-Band im Jahr 1969, seitdem haben Embryo zahlreiche Tonträger veröffentlicht, unter anderem in Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Jazz-Pianisten Mal Waldron, der Krautrock-Combo Amon Düül II, dem libanesischen Oud-Meister Rabih Abou-Khalil oder der experimentellen New Yorker No-Neck Blues Band.
Viele Embryo-Aufnahmen entstanden auf ausgedehnten Reisen etwa nach Indien oder in Nordafrika bei Sessions mit ortsansässigen Musikern.
Christian Burchard arbeitete mit zahlreichen bekannten Münchner Musikern zusammen wie Titus Waldenfels, Ulrich Bassenge, dem Embryo-Mitbegründer Lothar Meid oder dem zwischenzeitlich in der bayerischen Landeshauptstadt ansässigen späteren Franz-Ferdinand-Gitarristen Nick McCarthy, und engagierte unzählige internationale und örtliche Gastmusiker und Bands aus dem weiten Feld der experimentellen Musik für gemeinsame Konzerte, mit dem US-Jazz-Saxophonisten Charlie Mariano, der grandiosen Brooklyn-Psychedelic-Combo Rhyton oder der Münchner Express Brass Band seien hier nur einige wenige exemplarisch genannt.
Das Münchner Trikont-Label hat 2010 mit „Embryo 40“ eine umfangreiche Werkschau der einflussreichen Formation veröffentlicht, die seit dem Schlaganfall von Christian Burchard im Sommer 2016 von seiner Tochter Marja geleitet wird.