Neo-Folk

Anthony D’Amato @ Vintage Pub, München 2018-11-04

Der Mann kommt rum: Tags zuvor noch beim Take-Root-Festival im niederländischen Groningen auf der Bühne, am vergangenen Sonntag dann 800 Kilometer südlich im schönen Giesing on stage, der letzten Münchner Bastion gegen die voranschreitende Gentrifizierung, im wunderbaren Vintage Pub von Gastgeber, Konzertorganisator und Mundschenk Mike Nagl – New West Recording Artist Anthony D’Amato aus Blairstown/New Jersey, bereits zum zweiten Mal in München und erneut in Untergiesing zu Gast, von der Fachpresse bisweilen mit „Boss“ Bruce aus der Garden-State-Nachbarschaft oder dem frühen Dylan verglichen, das mag zu Teilen hinkommen, beim ersten das brauchbare „Nebraska“-DIY-Solo-Album als Referenzgröße, bei letzterem das offensive Bluesharp-Gebläse und unkomplizierte Gitarrenspiel seiner frühen Aufnahmen, mit allem anderen aus den Werken des Stadien-Pathos-Schmalzers Springsteen und vom krächzenden Sinatra-Interpreten mit dem Warum-auch-immer-Nobelpreis würde man dem jungen Mann von der amerikanischen Ostküste nicht gerecht werden, dafür ist seine eigene Interpretation von Independent-Folk und Americana dann doch bei Weitem zu eigenständig.
Überaus passend zum Trauermonat November und zum trüben, Nebel-verhangenen Herbst-Wetter intonierte Anthony D’Amato seine nachdenklichen Balladen über schlechte Laune, die Vergänglichkeit und zerbrochene Beziehungen, durchaus schwer verdaulicher Stoff aus der Feder eines gerade mal Dreißigjährigen, der in seinem Vortrag Gottlob das jugendliche Feuer nicht zum Erlöschen bringt, Selbstmitleid und Weltschmerz weitestgehend hintenanstellt und das Konzert-Publikum neben feinem Liedgut mit launigen Geschichten über Jeff-Goldblum-Doubles, die unüberwindbaren Sprachbarrieren eines amerikanischen Musikers im englischsprachigen London und die Anekdote über die Folgen der Unpünktlichkeit beim Besuch des finalen Paul-Simon-Konzerts mit der Angebeteten in Queens/New York unterhält.
Sich selbst an akustischer Gitarre und sporadischem Mundharmonika-Spiel begleitend, zauberte D’Amato Lagerfeuer- und Hobo-Atmosphäre in den tristen Sonntag-Abend, ließ neben traurigen Songs und getragenen Tondichtungen zur eigenen Befindlichkeit auch den ein oder anderen schmissigeren Folk-Tune mit einhergehender Bluesharp-Dringlichkeit und viel Herzblut im lyrischen Anstimmen erklingen – beseelte, wohltuend zu Gemüte gehende Americana-Songs mit dezenten Querverweisen zum Alternative Country und zur Sixties-Protestsänger-Kultur, letzteres nicht weiter verwunderlich bei einem jungen Folk-Musiker, der sich aktuell von einem Berserker wie dem unsäglichen Donald in der Welt repräsentieren lassen muss: Bei einem wie dem irren Insassen im White House drängen sich die Song-Themen derzeit geradezu auf.
Anthony D’Amato offenbarte sich als Meister des feinen Pickings wie des beherzten Saiten-Anschlags auf seiner akustischen Wandergitarre, neben einer reichhaltigen Auswahl an Eigenkomponiertem inklusive Vorschau auf einen im kommenden Jahr erscheinenden neuen Tonträger lockerte er den konzertanten Abend mit ein paar Fremdwerken auf, „The Only Living Boy In New York“ vom bereits erwähnten Paul Simon kochte der Songwriter zum spartanischen und damit erträglichen Neofolk-Kleinod ein, ob’s die Mitsing-Schunkel-Nummer „I Shall Be Released“ vom Bob als letzte Zugabe zum viel umjubelten und mit reichlich Applaus bedachten Auftritt unbedingt gebraucht hätte, darf jede/r Anwesende zu diesem Abend für sich selbst entscheiden, immerhin kann der junge Mann weitaus schöner singen als der Zimmerman aus Duluth, soviel steht fest.
Vorm Bob-Genöle und dem musikalisch kaum mehr relevanten Mainstream-„Boss“ muss sich der mittlerweile in Brooklyn ansässige junge Barde in keinem Fall verstecken, wer beim Mike im Pub auftreten darf und daneben Unterstützung von Koryphäen wie Conor Oberst oder den hochgeschätzten Musikanten von Megafaun beim Einspielen seiner Longplayer erfährt, hat im zeitgenössischen amerikanischen Folk-Songwriter-Geschäft durchaus ein eigenes, beachtliches Wörtchen mitzureden.
Als „nice little spot“ lobte Anthony D’Amato das Vintage Pub von Mike Nagl, eine weithin dezente Untertreibung – die mit viel Liebe, Sachverstand und Sammler-Leidenschaft eingerichtete irische Bar glänzte einmal mehr als familiärer Hort exorbitant gepflegter Americana-Unterhaltung und geschätzter Gastlichkeit in Form handverlesener, im Eintrittspreis inbegriffener lokaler Brauerei-Produkte und geschmeidiger irischer John-Power-Spirituosen, Veranstalter Mike kann erneut nicht genug gelobt werden für diese seltenen, handverlesenen Abende in seinem Refugium.

Die letzten Termine der Europa-Tour von Anthony D’Amato sind die beiden Gigs in Italien:

08.11.Piacenza – Dubliners Club
10.11.Verona – Cohen Club

Als nächste Konzerte im Vintage Pub präsentiert Mike Nagl zwei Veranstaltungen mit seiner Hausband, der US-amerikanischen Bluegrass-Institution The Henhouse Prowlers aus Chicago, das Doppelpack steigt am 11. bzw. 12. November. Das Konzert am kommenden Sonntag ist so gut wie ausverkauft, für den Auftritt am folgenden Montag sind noch Plätze verfügbar, Beginn jeweils 18.00 Uhr, Teilnahme und Adresse auf Anfrage.

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The Almost Boheme @ Bergschmiede, München, 2017-12-02

Letztes Konzert im dahinschwindenden Jahr in der Sendlinger Bergschmiede, der Münchner Songwriter k.ill konnte das eigene Equipment mit seinem Indie-Projekt The Almost Boheme endlich final selber im Künstler-Atelier an der Pfeuferstraße bespielen, nachdem er seine Technik dankenswerterweise etliche Male für durchreisende Musikanten aus Übersee wie Chris Brokaw oder das Alternative-Country-Duo Wayne Graham zur Verfügung gestellt hatte.
Bevor es an die Präsentation der Nummern des neuen TAB-Albums „Consecrations“ ging, eröffnete der Musiker mit einer würdigen wie anrührenden Verneigung vor dem kürzlich verstorbenen Fred Cole, ohne große Vorrede brachte er die Dead-Moon-Ballade „Out In The Blue“ formvollendet nahe am Original zum Vortrag, der Abend war für die Verehrer des Kult-Garagentrash-Trios aus Portland/Oregon bereits zu dem Zeitpunkt gerettet.
The Almost Boheme gestaltete das erste Set als One-Man-Band mit einer Auswahl an alten Songs vom Erstwerk „Loss. man, woman, men & women“ und neuem Stoff, im Stile eines abgeklärten Desert-Blues-Crooners, völlig entschleunigt, unsentimental und unaufgeregt erzählte k.ill seine leisen LoFi-/Neofolk-Geschichten über die Wendungen des Lebens und der Liebschaften, den Solo-Teil des Abends präsentierte er der kalten, finsteren Winternacht entsprechend in einer erhabenen Getragenheit, in einem Innehalten auf den Kern der Songs reduziert, man möchte fast von elegischer München-Americana sprechen, aber dafür hat dann doch weitestgehend jegliche Spur von Kitsch im vom Moll geprägten Gitarrenanschlag wie sonoren Grummeln gefehlt.
Nach einer kurzen Pause formierte sich The Almost Boheme zum Duo, die Sendlinger Sängerin Patricia Schmid, die auch das neue Werk mit ihren Vokal-Künsten bereichert, gestaltete den Vortrag durch eine wohl tönende Portion Soul wie Blues im ausgeprägten Stimmvolumen mit, neben etlichen weiteren Almost-Boheme-Originalen im ureigenen Anschlag wurden konzertant bewährte Fremdwerke wie der englische Folk-Klassiker „Dirty Old Town“ und die Southern-Ballade „Simple Man“ angestimmt, ehe es nach einer Zugabe und dem wohlverdient langanhaltenden Applaus an den improvisierten Imbiss-Stand zur Verköstigung, zum Umtrunk und zur Nachbetrachtung oder direktemang heimwärts hinaus in die frostige Nacht der bettelarmen Dirty Old Town Munich ging, die sich bei gut 50 – 60 Besuchern nicht mehr Hutspende als mäßige 150 EUR für musikalische Beschallung inklusive freiem Catering leisten kann… Kultur-Wüste, wir kommen, den Desert Blues haben wir schon im Gepäck…
(*****)

„Consecrations“ ist seit einigen Tagen auch als Vinyl in edlem Königsblau erhältlich → guckst Du auf der TAB-Homepage.

The Almost Boheme spielen das nächste Konzert am 21. Dezember im Münchner Club Rote Sonne im Rahmen der „Munich Again“-Reihe, zusammen mit dem Albert-Pöschl-Pseudonym Jason Arigato und der Münchner Postpunk-Band Dark Number. Begleitet werden die Konzerte von einem DJ-Set des The-Grexits-Musikers Nikos Papadopoulos.

Das nächste Konzert in der Sendlinger Bergschmiede findet am 9. Februar 2018 statt, es wird der US-amerikanische Folk-Songwriter Jaye Bartell auftreten.

Reingehört (387): Christopher Pellnat

Christopher Pellnat – Honey Venom Wings (2017, Bandcamp)

Der Songwriter Christopher Pellnat aus Hudson/New York ist hier bereits das ein oder andere Mal in Erscheinung getreten, als Kollaborateur der wunderbaren Sängerin Mercy Weiss etwa, auch als Gitarrist der Psychedelic-Folkrock-Band The Warp/The Weft. Mit dem dieser Tage erschienenen Album „Honey Venom Wings“ beschreitet der Musiker Solopfade und präsentiert eine ausgewogene Songsammlung als klassischer Geschichtenerzähler mittels Kammer-, Alternative-, Free- und Anti-Folk, angereichert mit Sixties-Psychedelia, wie sie David Lindley und Chris Darrow vor fünfzig Jahren mit der kalifornischen Formation Kaleidoscope erklingen ließen, und einem zeitlosen Talking Blues zur zeitgemäßen Fragestellung, warum man sich zwecks Tierschutz und Klimaverbesserung dem Vegetarismus zuwenden sollte – der von den Reglementierungs-Grünen angeregte Veggie-Day als Veggie-Life in Ohren-schmeichelnder Überzeugungsarbeit. Vielfarbig instrumentiert zwischen spartanischem, streng konzipiertem Dulzimer-Spiritual und freier, reichhaltigerer Folklore-Pracht erzählt Pellnat albernes Zeug wie bierernste, nachdenkliche Erkenntnisse über das grausame wie gleichsam wunderbare Leben in klarer Ansage, unverstellt, geerdet und unkompliziert, so, wie sich der gesamte Tonträger im harmonischen Bild präsentiert.
Rettet den Planeten, rettet die auf dem Platten-Cover abgebildete Biene, und rettet Folk-Songwriter-Unikate wie den geschätzten Christopher Pellnat, die das Genre mit herzensergreifenden Kleinoden wie „Honey Venom Wings“ nicht ohne Gegenwehr dem nichtsnutzigen Kroppzeug aus der Ecke Mumford & Sons (of a Bitch), Decemberists, The Head And The Heart und anderen marktschreierischen Mainstream-Scharlatanen überlassen.
(**** ½ – *****)

Konzert-Vormerker: The Almost Boheme

Der Münchner Indie-Songwriter k.ill aka The Almost Boheme stellt nächsten Samstag zusammen mit der Sängerin Patricia Schmid in der Sendlinger Bergschmiede sein neues, höchst hörenswertes Neofolk-/Indie-Pop-/LoFi-Balladen-Album „Consecrations“ vor, die pressfrische blaue Vinyl-Ausgabe wird es bei der Gelegenheit am Merch dann auch zu erwerben geben.
Und ich selber stelle bei der Gelegenheit ein sehr altes und ein paar sehr neue Gemälde aus, das bereichert zwar höchstwahrscheinlich den konzertanten Vortrag nicht, macht ihn hoffentlich aber auch nicht schlechter…

The Almost Boheme – 2. Dezember 2017, Bergschmiede, München-Sendling, Pfeuferstraße 38, 20.00 Uhr.

Reingehört (355): The Almost Boheme

The Almost Boheme – Consecrations (2017, Der Präsident Geht Fremd)

My very good friend k.ill hat nach Monaten des Feilens, Mit-sich-Ringens, Neu- und Umarrangierens den Weg aus dem Studio raus gefunden und veröffentlicht dieser Tage den von Fans, Groupies, Friends and Neighbours sehnlichst erwarteten zweiten Longplayer in Nachfolge zum Debütwerk aus dem Jahr 2013.
Der Münchner Songwriter trägt auf „Consecrations“ seine beseelten, bereits bei zahlreichen LiveAuftritten in der Vergangenheit bewährten Neofolk- und LoFi-Indie-Pop-Kleinode in geerdeter Entspanntheit vor, mit einem Schuss Melancholie dem dahinschwindenden Sommer und vergangenen Zeiten nachspürend, in abgeklärter Nonchalance und gebührender Distanz das sinnentleerte Leben von „Mrs. Farmlife“ bedauernd, nachdenklich und mit Empathie das Dilemma des „Girl From Palestine“ reflektierend, in den latent beschwingteren Werken mit einem charakteristischen, charmanten Augenzwinkern, bar jeglicher Arroganz den ganzen Grattlern und Britschen in seinen aus dem Leben gegriffenen Kurzgeschichten signalisierend, dass er sie in ihrem Agieren und in ihrem Bemühen völlig durchschaut hat.
Das bereits auf dem Almost-Boheme-Erstwerk „Loss. man, woman, men & women“ enthaltene „Veneer Of Love“ erstrahlt im neuen Glanz, der Münchner Songwriter brilliert in der aktuellen „Hill“-Version als Alternative-Country-Crooner und verbeugt sich gekonnt wie würdig vor hochgeschätzten, altgedienten Genre-Vertretern vom Schlage Kris Kristofferson oder Willie Nelson, eine Handvoll weitere Songs vom 2013er-Debüt bekommen ebenfalls einen neuen, frischen Anstrich, warum auch nicht, selbst ein Lowell George hat sich auf dem Little-Feat-Debüt und dem „Sailin‘ Shoes“-Nachfolgewerk die Freiheit genommen, seine Trucker-Hymne „Willin'“ in zwei alternativen Versionen zu präsentieren, der alte Teufel Fritz hätte hierzu vermutlich völlig richtig angemerkt: „Wenn’s der Wahrheitsfindung dient…“
Das konzertant bereits des öfteren zu Gehör getragene, handverlesene Fremdwerk ergänzt die wunderbare Songsammlung formvollendet, „Dirty Old Town“ aus der Feder des nordenglischen Labour-Aktivisten, Folk-Songwriters und Dichters Ewan MacColl geht als abgespeckte und sich auf das Wesentliche konzentrierende Standard-Version im Geiste der Pogues durch und wird bei jedem erneuten Durchlauf und mit jedem Pint oder 4cl-Hochprozenter besser, beim Lynyrd-Skynyrd-Klassiker „Simple Man“ hingegen geht die Reise weit fort vom hergebrachten 70er-Southern-Blues-Rock, hin zur erhabenen, eindringlichen Pastorale.
Die durch Talent und Stimmvolumen zu Janis-Joplin-hafter Wucht befähigte Sendlinger Ausnahmesängerin Patricia Schmid nimmt sich im Duett-Gesang und in den Background-Vocals bewusst zurück und harmoniert damit umso stimmiger mit der entspannt-entschleunigten Balladen-Klangwelt und der sonor-grummeligen, inzwischen weit mehr an Leonard Cohen als an Lou Reed gemahnenden Sangeskunst k.ills, so auch der sporadisch beigesteuerte filigrane Bass von Produzent Christian Höck und die dezenten Besen und Rhythmen von Session-Drummer David Junior, der in der Vergangenheit bereits die Trommelstöcke für Größen wie Rod Stewart oder den englischen Indie-Folker John Smith schwang.
„Consecrations“: 13 großartige Meditationen in Moll über das Leben, die Liebe und das Cruisen mit der neuen Karre durch die wilden Nächte von Paris. Eine Platte wie ein guter Freund, so wie Musikant k.ill himself für einige, die das Glück haben, ihm bei den Streifzügen durch die Münchner Nacht über den Weg zu laufen…
„Consecrations“ erscheint am kommenden Freitag beim Münchner Label Der Präsident Geht Fremd und ist ab November auch als Sonderpressung im blauen Vinyl zu haben.
(*****)