Die Indie-Gitarristin Gussie Larkin aus Wellington/NZ und der in München ansässige, in zahlreichen Bands/Projekten engagierte Sound-Pionier Josip Pavlov sind bereits im vergangenen Oktober beim famosen Doppelkonzert des neuseeländischen Psychedelic-Doom/Acidrock-Duos Earth Tongue und Pavlovs Postrock-Outfit Ippio Payo im KAP37 aufeinander getroffen, am 20. Mai wird es zu einer weiteren Begegnung der beiden im Rahmen der 96. Ausgabe des Maj Musical Monday in der Münchner Glockenbachwerkstatt kommen: KiwiMusic-Konzertveranstalter Christian Strätz und MMM-Macher Chaspa Chaspo präsentieren ein weiteres Kapitel aus den Klangreise-Erzählungen der experimentellen Instrumental-One-Man-Band Ippio Payo. Im Anschluss zum Konzert des Münchner Tausendsassas Josip Pavlov wird Gussie Larkin mit ihrer Stammformation Mermaidens auftreten, neben der jungen Sängerin und Gitarristin sind ihre langjährigen Freunde Lily West und Abe Hollingsworth an Bass und Trommel im Power-Trio aus der neuseeländischen Hauptstadt involviert. Die Combo ist beim renommierten Flying-Nun-Label in Christchurch unter Vertrag, in der Heimat am anderen Ende der Welt eilt dem Dreigestirn ein Ruf als exzellente Live-Band voraus, sie durften neben zahlreichen Festival- und Headliner-Auftritten bereits für namhafte Acts wie Sleater-Kinney, Death Cab For Cutie oder The Veils das Support-Programm bespielen.
Die seit 2014 veröffentlichten, regelmäßig von der Kritik gefeierten Tonträger der Mermaidens begeistern mit einer neo-psychedelischen Spielart des dunklen Postpunk, die mit melancholischer Shoegazer-Seligkeit und ruppiger Grunge-Fuzz-Kratzbürstigkeit einhergeht und im konzertanten Vortrag wie seinerzeit beim Earth-Tongue-Auftritt schwer vermutlich noch etliches an Intensitäts-Graden und Noise-Ausbrüchen zuzusetzen weiß. Aktuell ist Anfang April die Split-Single „You Maintain The Stain/Cut It Open“ bei Flying Nun Records erschienen.
Pflichttermin, nothing else (matters), egal, wer oder was an dem Abend in München sonst noch so antanzt…
Neo-Psychedelic
Pontiak + So Low @ Kranhalle, München, 2019-03-17
Zwei Psychedlic-Spielarten in denkbar weit voneinander entfernten Extremen, am vergangenen Sonntagabend in der Kranhalle des Münchner Feierwerk. Irish-Folk-Vollbedienung und das ein oder andere Guinness am Nachmittag bei der großen St. Patick’s Parade der Irish Community in der Innenstadt oder das unwirtliche Regenwetter mögen größerem Besucherandrang im Wege gestanden sein, den auch diese Veranstaltung zweifellos verdient hätte.
Einen Schnaps vorneweg zur Brust genommen, „One for the Road“, quasi, und dann direktemang ohne viel Federlesens hinein ins Vergnügen: Die Brüder Jennings, Van und Lain Carney vom Neo-Pschedelic-Rock-Trio Pontiak aus der Blue-Ridge-Mountain-Gegend Virginias überwältigten ihr Publikum im Familienbetrieb am Sonntagabend zum letzten Termin ihrer Europa-Tournee mit einem entfesselten Set im Sturm, in den die drei bärtigen Zauseln von der amerikanischen Ostküste alles an Gewicht hinein warfen, was an groß auftrumpfender, lärmender Rockmusik seit Urzeiten gut, wahr und schön ist.
Als Power-Trio gab sich die Combo über knapp eineinhalb Stunden ihrer überbordenden Spielfreude hin, die vom Start weg in den Saal brandete und das Volk beherzt mitnicken ließ. Wo auf dem letzten Album „Dialectic Of Ignorance“ (2017, Thrill Jockey Records) die ein oder andere technische Spielerei an Keyboard-Sounds und psychedelisch verschleiernden, entschärfenden Synthetik-Elementen mitschwang, damit den Druck etliche Eichstriche unter der Siedepunkt-Marke kontrollierte, kaprizierte sich die Band bei ihrem München-Gig auf schwere Breitseiten in Sachen laute Strom-Gitarre plus Takt-gebende Dröhnung und ließ damit den berstenden Kessel ein ums andere Mal in entladenden Erschütterungen explodieren, Linderung der blutenden Ohren allenfalls mit einem Anstimmen melancholischer, klagender Psychedelic-Chöre gewährend. Der Wolfs-heulende und Höllenhund-knurrende Sangesbruder Van als Zentrum im Auge des Hurrikans, als permanenter Unruheherd in der heiligen Dreifaltigkeit setzte seinem beinhart angeschlagenen, überbordenden Gitarrenspiel keine Grenzen. Virtuose, gedehnte, jaulende Soli und staubtrockene, schroffe Heavy-Riffs in einem durch Mark und Bein fräsenden Midtempo durchdrangen die pulsierende Rhythmus-Arbeit seiner beiden Brüder, die mit grollendem, kraftvollem Bass und den machtvollen, befeuernden Drums das ihre zum brachialen wie rauschhaften Ausbruch beitrugen.
Zu großen Teilen mag das Pontiak-Donnern unüberhörbar in die Hochzeiten der hart und bleischwer rockenden Siebziger referenzieren, zum zähen wie gründlich erschütternden Malstrom der frühen Black Sabbath, zuweilen zum gewichtigen Proto-Garagenrock der MC5 und Stooges und den ausladenden Gitarren-Exzessen von Crazy Horse – und doch gelingt es der Carney-Verwandtschaft mit dringlicher Stoner-Wucht und einer aus Prog-, Acid- und Indie-Elementen gespeisten, zeitlosen Energie-Quelle, ihren Heavy-Psychedelic-Trip in gegenwärtiger Bodenhaftung zu verankern. Eine gepflegte Desert-Ballade im Zugabenblock, ein, zwei Tempo-zurückgenommene Nummern zum Innehalten, das soll es an gelasseneren Momenten im Pontiak-Vortrag an diesem Abend gewesen sein, der große Brocken war ein finster schimmernder Meteorit an Gitarren-dominierten, konzertanten Roh-Fassungen aus dem Œuvre des Trios.
Die Band bedient sich in der Inspiration ihrer Songs, in ihren bildhaften Beschreibungen zum desolaten Zustand der Welt unter anderem auch bei den Werken des derzeit schwer angesagten norwegischen Literaten Karl Ove Knausgård, dabei scheinen die drei Brüder in ihrem ungestümen Gebaren und ihrer unverstellten Erscheinung inklusive Anti-Frisuren und wallenden Rauschebärten weit mehr direkt dem hemdsärmeligen Personal von Ken Keseys Holzfäller-Epos „Sometimes A Great Notion“ entsprungen zu sein.
Dass die Carney-Brothers als Betreiber der eigenen Pen Druit Brewery der Schädel-spaltenden Münchner Augustiner-Brühe zusprachen, befremdete dann doch ein wenig, aber das soll’s auch schon an Naserümpfen zu diesem weithin schwerst gelungenen Konzertabend gewesen sein. Gegen eine Band, die dergestalt enthemmt aufspielt und nach dem Verhallen der letzten Zugaben-Akkorde direkt den Weg ins Auditorium sucht, um sich bei jedem Anwesenden persönlich per Handschlag für den Besuch zu bedanken, können keine seriösen Einwände geltend gemacht werden.
Den Abend eröffnete zuvor im halluzinogenen Kontrast das Ein-Mann-Projekt So Low aus Louisville/Kentucky, hinter dem Pseudonym verbirgt sich der OM-/Watter-Keyboarder Tyler Trotter. Wo Pontiak die hart abrockende Variante der angewandten Psychedelik pflegten, widmete sich der junge Electronica-Soundbastler für eine knappe halbe Stunde der digitalen Ambient- und Space-Variante. Aus eingangs monotonen Sphären-Klängen leitete er seine Kompositionen via gesampelter Cello-Drones im Minimal-Music-Intermezzo in einen ausgedehnten Hauptteil über, der sich an Früh-Siebziger-Spielarten des Krautrock anlehnte, vornehmlich an die ausgedehnten, gefällig und angenehmen ins Ohr gehenden Klangreisen von Formationen wie Tangerine Dream, Neu! oder Ash Ra Tempel: die deutschen Pioniere des Genres haben augenscheinlich ihre prägenden Einflüsse bei der nächsten und übernächsten Generation auch jenseits des großen Teichs hinterlassen. So Low loopte synthetische, treibende Club-Rhythmen, reicherte mit atmosphärischem Synthie-Trance durch Schrauben an den Knöpfen und Reglern an und streute sporadisch über analoges Musizieren simple Mellotron-Melodien ein. Die Frage, warum er über seinen gesamten Vortrag hinweg eine weiße Fender Stratocaster als überdimensionales Schmuckstück umhängen hatte, beantwortete er mit wenigen, sekunden-kurzen, von den Maschinen nachbehandelten und verfremdeten Riffs, die das Klangbild nur unwesentlich bereicherten und kaum das Risiko eines steifen Halses rechtfertigen.
Höflicher und verdienter Applaus für dieses Ohren-schmeichelnde Intro, das mit energetischem Ambient-Flow nicht geizte und mindestens den Freunden der alten bundesrepublikanischen Instrumental-Electronica das ein oder andere Schmunzeln des Wiedererkennens ins Gesicht zauberte.
Die virtuelle Reste-Schublade (5)
Stay at home, read a book:
Wolf Haas – Junger Mann (2018, Hoffmann und Campe)
„Nett ist der kleine Bruder von scheiße“ sagt ein derbes Sprichwort. Der Österreicher Wolf Haas hat mit „Junger Mann“ ein nettes Buch über eine Dreiecks-Beziehung geschrieben, vordergründig und unter anderem. Und in dem Fall geht es ohne den Fäkal-Zusatz, denn an dem dünnen 240-Seiten-Schmöker gibt’s einschränkend nichts zu mäkeln, punktum. Alles nett, mittels unaufgeregtem Dahinplätschern und hinsichtlich Banalität auf die Spitze getriebener Dialoge: Wortwitz meets Weltschmerz-Blues in einer Coming-Of-Age-Biografie, schwer vermutlich mit wie auch immer gewichteten Anteilen aus der Vita vom Herrn Haas selbst, dazu veritables Weight-Watchers-Drama, literarisches Roadmovie und eingehende Auseinandersetzung mit der Seelenpein der platonischen Liebe, der Tristesse an der Tankstelle und den Eigenheiten der österreichischen Psychiatrie.
„Im Gegenteil. Du wirst es mir nicht glauben, aber ich bin gern hier.“ Da ist er, exemplarisch auf Seite 93, ein typischer Haas-Satz. In seinen Brenner-Romanen hätte er ihn anders formuliert, direkte Anrede des Lesers Hilfsausdruck. Ansonsten: alles leiwand und lakonisch unterhaltsam. Falls Ihr keinen Bock oder keine Zeit zum selber lesen habt – was ein schweres Versäumnis wäre – der Autor übernimmt das gern für Euch, unter anderem nach überstandener Weihnachts-Völlerei am 28. und 29. Dezember im Münchner Volkstheater, jeweils 20.00 Uhr.
Reingehört, auf die Schnelle, zu spät, zu laut, zu leise, zu kurz, was auch immer:
The Bevis Frond – We’re Your Friends, Man (2018, Fire Records)
90 Minuten The Bevis Frond vom Feinsten, und das nach über dreißig Jahren on the road und unzähligen Tonträger-Veröffentlichungen, wer hätte gedacht, dass sich Nick Saloman und die Seinen nochmal zu solchen Höhen aufschwingen? Zu den Schlechten war die Londoner Indie-Psychedelic-Institution nie zu zählen, aber was hier an umfänglicher, erschöpfender Neo-Spacerock-Seligkeit, gewichtiger Progressive-Schwere und ausladender Psych-Folk-Melodik durch die Beschallungs-Anlagen gewuchtet wird, nötigt doch nochmal eine gehörige Portion mehr als üblich an Respekt ab. „Enjoy“ fällt als furioser Opener gefangen nehmend und rundum beglückend mit der Tür ins Haus und macht das Genießen zu einer der leichtesten Übungen, so wie in vergangenen Zeiten wunderbar erhebende Nummern vom Schlag eines „Coming Round“ oder „Johnny Kwango“ die Indie-Psychedelic-Messen eröffneten, und damit ist das qualitative Level der folgenden neunzehn Nummern an ausladenden Prog-Rockern und melancholischen Mid-Tempo-Folkrock-Balladen auf „We’re Your Friends, Man“ im Kern umrissen. Wer weiterhin dem Irrglauben aufsitzt, Dinosaur-Jr-Grunge-Grummler J Mascis hätte das exzessive Ausweiden von Weltschmerz, Melodie, Saiten-Gegniedel und Suhlen in süffigen, endlosen Moll-Akkorden in seinen beherzt-ausufernd dahinjaulenden Gitarren-Soli erfunden, lasse sich bitte von jeder beliebigen Bevis-Frond-Scheibe eines Besseren belehren, der aktuelle Tonträger bietet dahingehend beileibe nicht das schlechteste Anschauungs- oder vielmehr Anhörungs-Material zur nachhaltigen Korrektur.
(*****)
Ry Cooder – The Prodigal Son (2018, Caroline / Universal Music)
Klarer Fall von Schublade: Release zur Kenntnis genommen und dann postwendend in der Versenkung verschwinden lassen. Sowas geht heutzutage tatsächlich virtuell: Spotify-Download angeschmissen und dann monatelang nicht reingehört, schändlicher Weise und in dem Fall geradezu unverzeihlich. Dabei hat der alte Cooder im fortgeschrittenen Alter nichts verlernt und glänzt als profilierter Roots-Music-Veteran wie eh und je, weit entfernt von Geschmacks-beleidigenden Grausamkeiten seiner Rentner-Kohorte, den ungenießbaren Sinatra-Peinlichkeiten von der Nobelpreis-Bob-Müllhalde etwa, oder sterilem, glatt- und tot-produziertem Plastik-Ramsch, wie ihn der mittlerweile unsägliche Ungustl Van Morrison dieser Tage einmal mehr absondert.
„The Prodigal Son“ bietet alles, was die großartigen, ersten fünf Cooder-Alben aus den Siebzigern vom selbstbetitelten 1970er-Debüt bis zum fantastischen Americana/Tex-Mex/Blues-Crossover „Chicken Skin Music“ auszeichnete: Beseelten Swamp-Groove, zeitlosen Country-Blues, Appalachen-Bluegrass, Protest-Folk und spirituellen Gospel, Bottleneck-Trance, lässige Little-Village-Entspanntheit, kongeniales Fremd- wie Eigenwerk mit politischer Brisanz, sogar der verehrte, inzwischen leider im vergangenen Januar verstorbene Terry Evans ist als Gast-Sänger noch mit von der Partie, hier bleiben keine Wünsche für Cooder-Fans offen.
Schlechte Platten hat Ry Cooder sowieso seltenst abgeliefert, ein paar zu vernachlässigende Soundtracks mitunter, „The Prodigal Son“ dürfte mit zu seinen größten Würfen und rundum gelungensten Alben seit Jahrzehnten zählen. Schöner und gleichsam zeitgemäßer kann man den alten amerikanischen Volksmusik- und Protestsänger-Traditionen nicht nachspüren. Aber das wissen schätzungsweise mittlerweile eh schon alle, die es interessiert, die Scheibe gibt es bereits seit gut einem halben Jahr zu erwerben, und sie ist andernorts – shame on me! – nicht in der Schublade, sondern sofort und verdientermaßen im Soundsystem gelandet…
(*****)
Paulinchen Brennt – Wie Salz 7″ (2018, 30 Kilo Fieber Records / Different Records)
Paulinchen wird wohl eine Nette sein, oder gewesen sein, kommt drauf an, wie weit die Verbrennungsgrade fortgeschritten sind und ihre verheerende Wirkung taten. Jedenfalls eine Nette, sonst wäre ihr Name wohl kaum so putzig verniedlicht worden. Und dass sie dann wer anzündete, verstört schon ungemein. Befremdlich wie der Sound der gleichnamigen, dreiköpfigen Ost-West-Connection aus Leipzig und Nürnberg, im Mindesten für die Hörerschaft, die sich nicht ab und an eine gepflegte Prise Core, Metal und Noise reinpfeift.
Screamo meets Uptempo-Struktur, durchaus mit Anspruch und Provokations-Potential. Der als „Sänger“ agierende Brüller gibt in jedem Fall alles, was zu der Gelegenheit nicht wenig ist, knüppelhartes Core- und Metal-Gepolter, mit Verve, Herzblut und gezielten Breaks vorgetragen, und vor allem mit einer unverkennbaren eigenen Note gepfeffert. Schön auch der bluesige Unterton der längeren (nun gut, jedenfalls in diesem Kontext) Gitarren-Passagen.
(**** – **** ½)
Noise Raid – Trebellum EP (2018, Noise Raid)
Im Eigenverlag produzierte 3-Stücke-EP des Münchner Postmetal-Quartetts Noise Raid. Der Opener „Black Fog“ offenbart: Da ist Substanz in der musikalischen Vision der Instrumental-Combo. Druckvoller Losgeh-Indie mit dezenten Math-Rock-Einfärbungen inklusive nervöser, flirrender Gitarren-Breaks und vehement antreibender Rhythmik, not bad. Der Rest vom Schützenfest, sprich die beiden anderen Nummern: gefälliger State-of-the-Art-Postrock der härteren Gangart, schneidende Heavy-Riffs, die ganze gängige Palette des instrumentalen Polterns. „Würgegriff“ presst zuweilen den Achtziger-Hardrock aus den Verstärkern, Rainbow ohne Dio, quasi. Man könnte boshafter Weise fragen, wer braucht im fortgeschrittenen 21. Jahrhundert noch den Heavy-Sound der alten Garde, aber die fast ausverkaufte Münchner Olympiahallen-Show von Ritchie Blackmore und seiner Deep-Purple-Nachfolgeorganisation im Juni 2019 spricht da offensichtlich eine andere Sprache.
Unbrauchbare Vergleiche beiseite: Live sollen Noise Raid dem Vernehmen nach bereits auf sehr ordentlichem Intensiv-Niveau unterwegs sein, insofern: da kommt in Zukunft noch was angerauscht, aus heimischen Gefilden…
(**** – **** ½)