Nick Cave

Reingehört (363): Shilpa Ray

Shilpa Ray – Door Girl (2017, Northern Spy Records)

Im Jahr des Herrn 2013 war’s, an einem kalt-regnerischen Novemberabend, Nick Cave und seine Bad Seeds haben die treue Gefolgschaft nebst Münchner Kulturschickeria zum Aufgalopp zwecks Präsentation ihrer „Push The Sky Away“-Perle ins unkommode Zenith geladen. Das sich notorisch in dieser Halle durch schlechten Sound und schlechte Sicht einstellende Unwohlsein wurde bereits mit dem Vorprogramm nachhaltig gelindert durch den Auftritt der seinerzeit weithin noch unbeschriebenen Ton-Künstlerin Shilpa Ray. Die aus einer indisch-amerikanischen Migrantenfamilie stammende Ausnahmesängerin und zeitweilige musikalische Cave-Weggefährtin spaltete das Publikum mit ihrem sich selbst nur am indischen Harmonium begleitenden Nico-Gedächtniskonzert in zwei Lager, den einen war der reduzierte Vortrag auf Dauer schlicht zu eintönig, während sich der andere Teil der meditativen Kraft der beschwörenden Töne und den Reminiszenzen an bizarre Auftritte der ehemaligen Velvet-Underground-Chanteuse Christa Päffgen hingab.
Mit dem aktuellen, vor wenigen Tagen erschienenen Ray-Album „Door Girl“ gibt es hinsichtlich stilistischer Vielfalt und Blumenstrauß-artiger Klangfarben-Explosionen hingegen nichts zu knurren, die junge Lady aus Brooklyn legt ihre schmeichelnden wie beizeiten mit beherztem Geschrei vorgetragenen „big-voiced blues-rock howler“ im stimmlichen, voluminösen Querschnitt aus Ella Fitzgerald und Debbie Harry über nostalgische, an die „Copy Cat“-Kollaboration von Punk-Legende Johnny Thunders mit der ex-Flying-Lizards-Sängerin Patti Palladin erinnernde Fifties-Doo-Wop-Schunkler, flotte Uptempo-Pop-Punk-Rocker, einen organischen Rap im wunderbaren „Revelations Of A Stamp Monkey“ und etliche zeitlose, eindringlich-laszive, von Keyboard-Georgel oder Piano begleitete Bar-Blues-Crooner, exemplarisch sei hier auf den Album-beschließenden, getragenen Schmachtfetzen „My World Shatters By The BQE“ verwiesen. Gekrönt wird die Messe vom formvollendeten Punk-Gebrüll im zweiten Teil von „EMT Police And The Fire Department“ und von „Shilpa Ray’s Got A Heart Full Of Dirt“, der besten Blondie-Nummer, die die inzwischen schwer abgewrackte, ehemalige CBGSs-Combo selber nie eingespielt hat, dabei hatte die Truppe seinerzeit in den Siebzigern neben den optischen Reizen der Frontfrau und Karriere-fördernden Verbindungen zu Szene-Größen wie den Herren Reed, Cale, Frau Smith und der happy Ramones-Family durchaus Schmissiges im permanent nach den Chart-Platzierungen schielenden Pop-Punk-Angebot.
Shilpa Ray hat in vergangenen Zeiten tatsächlich mal als Türsteherin für einen Club in der Lower East Side gejobbt, bei dieser Platte ist der Albumtitel genauso wenig Fake wie der emotionale Ausbruch, der Humor und das beherzte Zupacken bei der Präsentation von Siebziger-NY-Punk-Kompromisslosigkeit, Neo-Vaudeville-Blues-Schwere, entfesselter Rock’n’Roll-Frische, der Auseinandersetzung mit den Herausforderungen und Verlockungen der Großstadt.
Anders halt, aber nicht weniger Ohren-schmeichelnd als die Harmonium-Drones, seinerzeit. Und um etliches heller, positiver, schwungvoller als das latent düstere Vorgängerwerk „Last Year’s Savage“ von 2015.
(**** ½ – *****)

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Reingehört (216): Okkervil River, Wilco, Nick Cave & The Bad Seeds

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Okkervil River – Away (2016, ATO)
Mitte der Nuller-Jahre haben sie nach einigen sehr passablen Frühwerken mit dem hervorragenden, von Tim Hardin inspirierten Indie-Folk-Rock-Album „Black Sheep Boy“ (2005) und noch viel mehr mit dem persönlichen All-Time-Favourite „The Stage Names“ (2007, beide Jagjaguar) und der dort enthaltenen Hymne mit dem genialen Titel „Our Life Is Not A Movie Or Maybe“ für wahre Begeisterungsstürme bei Presse und Hörerschaft gesorgt, seitdem arbeitet sich die Band um Songwriter Will Sheff mit den nachfolgenden Veröffentlichungen mal mehr, mal weniger erfolgreich an dem Vorhaben ab, an frühere musikalische Glanztaten anzuknüpfen. Zwischendurch gab es eine gedeihlich-gelungene Zusammenarbeit mit der texanischen Psychedelic-Rock-Legende Roky Erickson auf dem Gemeinschaftswerk „True Love Cast Out All Evil“ (2010, ANTI-), seit dem zuletzt veröffentlichen Konzept-Album „The Silver Gymnasium“ (2013, ATO) verstetigte sich die Formkurve der Band aus Austin/Texas wieder auf annehmbarem Level, auf „Away“ bieten Sheff und Co. unter Mithilfe von Folk-Lady Marissa Nadler und dem früheren Mitmusikanten und aktuellen Shearwater-Bandleader Jonathan Meiburg einen homogenen Stilmix aus gefälligen Indie-Folkrockern, melancholisch-nachdenklichen Balladen, die hinsichtlich musikalischem Gehalt uneingeschränkt zu überzeugen wissen, und psychedelisch gefärbten Indie-Pop-Klangbildern, letztere oft schwer Streicher-dominiert, im Geiste der Spät-Sechziger verhaftet und ab und an gefährlich in belangloser Easy-Listening-Nähe und/oder in zuviel opulentem Wohlklang-Schmalz getaucht.
Sheff verarbeitet in den Songtexten – mal wieder – persönliche Schicksalsschläge und Befindlichkeiten, insofern mehr Solo- als tatsächliche Band-Produktion der runderneuerten Combo-Besetzung, bereits der Titel des Openers „Okkervil River R.I.P.“ deutet schwer darauf hin, selber wird der Meister hierzu mit folgenden Worten zitiert: “It’s not really an Okkervil River album and it’s also my favorite Okkervil River album“ – ein zweites „Stage Names“ ist so oder so auch da nicht drin.
(****)

Nick Cave & The Bad Seeds – Skeleton Tree (2016, Bad Seed Ltd)
Die Begleitumstände zur Entstehung des Albums sind hinlänglich in der Presse dokumentiert worden: zur Zeit der Aufnahmesessions stürzt Nick Cave’s Sohn Arthur im Sommer 2015 unter LSD-Einfluss von einer Klippe in der Nähe des südenglischen Küstenorts Brighton und stirbt an seinen Verletzungen, ein trostloser Albtraum für Eltern und Angehörige, erwartet spartanisch-düster ist die Grundstimmung der aktuell veröffentlichten Arbeit des Australiers und seiner Bad Seeds, die auf „Skeleton Tree“ in der Besetzung Ellis/Casey/Wydler/Sclavunos/Vjestica vertreten sind. Die Wucht früherer Aufnahmen sucht man hier vergebens, der Großteil der Songs besticht durch finstere, Ambient-artige Klanggebilde und verstörende Drones, über die Cave seine lyrischen Betrachtungen/Gedanken/Meditationen über Verlust und Tod schweifen lässt. Der Hörer ist dankbar und verwundert, dass in diesem Kontext noch sporadisch-punktuelle Dur-Töne und Melodien erklingen, die so etwas wie schwache Hoffnung aufkeimen lassen. Die ergreifende Ballade „Distant Sky“, im Gesang von der dänischen Klassik-Sopranistin Else Torp begleitet, berührt emotional schwerst, ein Song wie etwa „Mercy Of Maria“ vom hervorragenden „Amsterdam Stranded“-Album der norwegischen Slowcore-/Alternative-Folk-Band Midnight Choir, über den der veröffentlichende Glitterhouse-Label-Chef Reinhard Holstein einst kund tat, er möchte ihn gerne auf seiner eigenen Beerdigung gespielt bekommen, damit wenigstens irgendwer weint.
Man hängt sich kaum zu weit aus dem Fenster, wenn man „Skeleton Tree“ im Nick-Cave-Kanon im Rang seiner besten Arbeiten wie „The Firstborn Is Dead“ (1985), „Your Funeral, My Trial“ (1986), „Tender Prey“ (1988, alle: Mute), dem zuletzt veröffentlichten „Push The Sky Away“ (2013, Bad Seed Ltd) oder dem zweiten Grinderman-Album (2010, Mute) einordnet.
Entfaltet im Winter dann seine ganze finster-morbide Pracht (Drohung und Versprechen).
(*****)

Wilco – Schmilco (2016, ANTI-/Epitaph)
Nö, irgendwie mag’s diesmal bei Wilco nicht funken. Geht schon mit der wenig originellen Anspielung im Titel auf Harry Nilssons schräges 1971er-Werk „Nilsson Schmilsson“ (RCA) los und wird im Inhalt nur unwesentlich lustiger. Jeff Tweedy und seine Mannen frickeln auf dem neuesten Werk im besten Fall gefällig entspannt vor sich hin, die beiden Auftaktnummern „Normal American Kids“ und „If I Ever Was a Child“ plus „We Aren’t the World (Safety Girl)“ gegen Ende des 36-Minuten-Gedudels kann man dahingehend auf die Positiv-Liste setzen, der Rest ist ein für diese verdiente Indie-/Alternative-Country-Band seltsam anmutendes, belanglos-uninspiriertes Geplätscher, in den schlimmsten Auswüchsen wie etwa „Someone To Lose“ befremdlich angelehnt an psychedelisch-verschwurbeltes Fab-Four-Geseier (das Album mit den vier Faschingsprinzen, William Burroughs, Marilyn Monroe, Bob Dylan, Lenny Bruce und vielen anderen Promis auf dem Plattencover und dem Fuß-einschläfernden Songmaterial, Ihr wisst schon… ;-)))
Was treibt eigentlich Tweedys ex-Uncle-Tupelo-Kumpel Jay Farrar derzeit? – Selten war für ihn die Gelegenheit günstiger, um mit einem halbwegs anständigen Album ein sauberes Konter-Tor zu erzielen.
(** 1/2 – ***)

Alles Gute nachträglich…

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„Yeah, ich werde mir eine große Kanone besorgen, wenn es zur Revolution kommt. Dann setz ich mich da oben auf mein Studio drauf, mit meinem materiellen Wohlstand, den ich mir bis dahin erworben habe, und werde, äh, mir Gedanken über die Zukunft machen…“
(Neil Young, Rolling-Stone-Interview 1970-04-30)

Neil Young ist vor ein paar Tagen 70 Jahre jung geworden. Da gratulieren wir nachträglich ganz herzlich, wünschen noch viele gesunde Jahre und ein paar zusätzliche großartige Tonträger für das eh schon grandiose Lebenswerk.

Der amerikanische Filmemacher Jim Jarmusch hat 1997 mit „Year Of The Horse“ einen schöne Konzert-Dokumentation über den Kanadier und seine Band Crazy Horse gedreht und der diesjährige Preisträger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels Navid Kermani hat in seinem Werk „Das Buch der von Neil Young Getöteten“ thematisch die Liebe zu den Songs des Ausnahmemusikers, islamische Mystik und die praktische Lebenshilfe zur Beruhigung seiner schreienden Tochter im Säuglingsalter mittels Beschallung durch Neil-Young-Musik zusammengeführt, eine nicht genug zu lobende Leistung, zumal das Buch auch noch extrem lesenswert ist und für manchen gar jede Neil-Young-Biografie obsolet macht (Aktuellste Ausgabe als Suhrkamp Taschenbuch, 2013).

1989 hat Caroline Records mit ‚The Bridge: A Tribute To Neil Young‚ ein tolles Benefiz-Album für die von Neil Young und seiner Frau Pegi initiierte Bridge School veröffentlicht, viele erstklassige Independent-Musiker zollten dem Vorbild Tribut, neben zum Teil sehr guten Interpretationen von unter anderem Nikki Sudden, Psychic TV, Dinosaur Jr und den Pixies ragen vor allem die Sonic-Youth-Bearbeitung von „Computer Age“ und die zum Niederknien grandiose „Helpless“-Version von Nick Cave heraus.

Die Originale des Meisters schweben selbstredend über allem, in seiner über 50-jährigen Karriere hat er eine ganze Menge an Tonträgern veröffentlicht, die jeder Plattensammlung zur Ehre gereichen:

Einen schönen Überblick über seine Zeit mit Buffalo Springfield gibt die Zusammenstellung ‚Retrospective: The Best Of Buffalo Springfield‚ (1969, Atco) mit den auch später von Young immer wieder konzertant gespielten Klassikern „Mr. Soul“ und „I Am A Child“.

Das von Ry Cooder und Jack Nitzsche begleitete Solodebüt ‚Neil Young‚ (1968, Reprise) ist eine Art Fortführung seiner Arbeiten bei Buffalo Springfield und allein schon wegen „The Loner“ und der wunderbaren Ballade „The Old Laughing Lady“ die Anschaffung wert, bereits 6 Monate später haben Neil Young und Crazy Horse mit ‚Everybody Knows This Is Nowhere‚ (1969, Reprise) und den darauf enthaltenen Meisterwerken „Down By The River“ und „Cowgirl In The Sand“ den ersten unverzichtbaren Meilenstein der Karriere veröffentlicht.

„Der Beat von „Down By The River“ trägt weit. Mein halbes Leben trägt er schon und hat sich noch längst nicht erschöpft. Ich meine das ganz konkret. Wer sich auf das Tempo des Stücks einläßt und sein Leben danach richtet, dem geht so schnell die Puste nicht aus, sobald vergeblich angebetete Frauen oder andere Ungetüme (kreischende Babys zum Beispiel) sich als Berge vor einem auftürmen.“
(Navid Kermani, Das Buch der von Neil Young Getöteten)

In den 70ern hat er einen guten Start mit der düster-getragenen, apokalyptischen ‚After The Goldrush‚-LP (1970) und dem Hit-Album ‚Harvest‚ (1972, beide Reprise) erwischt, letzteres mit seinem Evergreen „Heart Of Gold“ und der Anti-Drogen-Nummer „The Needle And The Damage Done“.

„Time Fades Away. No songs from this album are included here. It was recorded on my biggest tour ever, 65 shows in 90 days. Money hassles among everyone concerned ruined this tour and record for me but I released it anyway so you folks could see what could happen if you lose it for a while.“
(Neil Young, Liner Notes zu ‚Decade‘)

1973 erschien das von Neil Young gehasste, bis heute nicht auf CD veröffentlichte, nichtsdestotrotz sehr respektable erste Live-Album ‚Time Fades Away‚ auf Reprise und ein Jahr darauf folgte der hochgelobte, rauhe, verzweifelte Garagen-/Blues-Rock-Bastard ‚On The Beach‚ beim gleichen Label.
1975 erwies er dem Crazy-Horse-Gitarristen Danny Whitten und seinem Roadie Bruce Berry auf ‚Tonight’s The Night‚ (Reprise) die letzte Ehre, beide an einer Überdosis dahingeschieden, entsprechend bedrückend-düster in der Grundstimmung präsentiert sich dieses hochgelobte Werk. Im gleichen Jahr gelang ihm mit ‚Zuma‚ (Reprise) trotz Beteiligung der Hippie-Heuler Crosby, Stills und Nash ein weiterer großer Wurf, der zentnerschwere Rock-Brocken „Cortez The Killer“ zählt heute noch zum Standard-Live-Programm.

„…waren wir bereits bei „Cortez The Killer“ angelangt, einem echten Knaller also, der herrlichsten Ballade der Rockgeschichte. Sie enthält alles, was Neil Young ausmacht, die zarten Berührungen und den Grimm, die Ton gewordene Hilflosigkeit im Gesang und trotzig aufheulende Gitarren, das Thema des verlorenen Paradieses und die Suche danach, die Schönheit und die Erhabenheit, den Schrecken, die Lust und das sich abzeichnende Nichts. Mit „Cortez The Killer“ beginnt die Mystik Neil Youngs.“
(Navid Kermani, Das Buch der von Neil Young Getöteten)

Zwei Jahre später veröffentlichte Neil Young mit ‚American Stars ’n Bars‚ (Reprise) ein eher durchwachsenes Album, dass wegen seinem All-Time-Klassiker „Like A Hurricane“ trotzdem in den Kanon der guten Young-Alben gehört.
Mit ‚Comes A Time‚ (Reprise) folgte 1978 ein schönes Country/Folkrock-Album, das zu damaligen Punk-Zeiten maximalst unzeitgemäß war und eigentlich erst heute im Zug des Folk-Revivals in seiner ganzen Pracht geschätzt wird.
1979 war ein ganz großes Young-Jahr, mit ‚Rust Never Sleeps‚ und seiner mit Klassikern wie „Powderfinger“, „Pocahontas“, „Sedan Delivery“ oder „Hey Hey, My My (Into The Black)“ gespickten Track-Liste und dem dazugehörigen Konzert-Album/-Film ‚Live Rust‚ (alle Reprise) mit der darauf enthaltenen ultimativen „Like A Hurricane“-Version setzte sich Old Neil Young selbst ein Denkmal für die Ewigkeit. Mit „Out Of The Blue“/“Into The Black“ war er – neben Pete Townshend – der einzige „Boring Old Fart“, der Punk ernst nahm.

„The King is gone, but he’s not forgotten, is this the Story of Johnny Rotten?“
(Neil Young, Hey Hey My My (Into The Black))

Im Anschluss daran dann leider eine lange, finstere Periode im Schaffen des kanadischen Musikers: Mit ‚Hawks & Doves‚ und ‚Re-ac-tor‚ veröffentlichte er bei Reprise noch zwei völlig belanglose Alben, ehe er 1982 zu Geffen Records wechselte, dort in den nächsten 5 Jahren mit Ausnahme des 1985-Country-Albums ‚Old Ways‚ nur Müll produzierte, um dann nach kommerziellen Misserfolgen und juristischen Auseinandersetzungen mit der Plattenfirma zu seinem alten Label Reprise zurückzukehren, wo 1988 mit ‚This Note’s For You‚ nach vielen Jahren ein erstes Hoffnung-spendendes Werk und im Jahr darauf mit ‚Freedom‚ und der dort enthaltenen sozialkritischen Hymne „Rockin‘ In The Free World“ endlich wieder eine über die Maßen exzellente Young-Scheibe erschien.
Sollte Euch das Swingin‘-Pig-Bootleg ‚Amsterdam ’89‚ (TSP 076) über den Weg laufen: unbedingt verhaften, der Meister spielt solo/akustisch in hervorragender Aufnahmequalität den ‚Freedom‚-Stoff komplett inklusive einiger zusätzlicher Klassiker.

Der Aufwärtstrend sollte sich in den folgenden Jahren mit den hochgelobten, hart rockenden Alben ‚Ragged Glory‚ (1990, Reprise) und ‚Weld‚ inklusive der Sonic-Youth-geschuldeten Feedback-Noise-Rock-Orgie ‚Arc‚ (beides Live-Aufnahmen, 1991, beide Reprise) fortsetzen.
Harvest Moon‚ (1992, Reprise) war in meinen Augen zu vernachlässigen, die 1993er-MTV-Live-Aufnahme ‚Unplugged‚ war inklusive einer eigenwilligen, aber höchst hörenswerten ‚Like A Hurricane‘-Orgel-Version ordentlich und im Jahr darauf folgte mit ‚Sleeps With Angels‚ ein hochgelobtes, zwischen hartem Rock und Gitarren-Psychedelic wanderndes, weiteres Garagenrock-Gusto-Stück.
1995 dann eine Zusammenarbeit, die sich aufdrängte: Die Grunge-Heroen von Pearl Jam haben bei ihren Konzerten permanent Stücke von Neil Young gecovert, allen voran „F*!#in‘ Up“ vom ‚Ragged Glory‚-Album, die Zusammenarbeit mit dem Meister auf ‚Mirror Ball‚ (Reprise) war die logische Konsequenz, und Stücke wie „I’m The Ocean“ oder „Throw Your Hatred Down“ zeigen, dass die Kooperation herrliche Früchte trug.

Das Jahr 1996 sah die Veröffentlichung des Soundtracks ‚Dead Man‚ zum Film von Jim Jarmusch, die Filmmusik entfaltet ähnliche Qualitäten wie das hervorragende ‚Paris, Texas‘-Album, das Ry Cooder 1985 zusammen mit James Luther Dickinson und David Lindley für den gleichnamigen Wim-Wenders-Film einspielte. Im 96er-Sommer erschien mit ‚Broken Arrow‚ der Auftakt zu einer ganzen Reihe von ziemlich belanglosen Young-Alben, die erst 10 Jahre später mit dem sehr brauchbaren Anti-Bush-Protest-/Konzept-Album ‚Living With War‚ endete.
Ich habe Neil Young zusammen mit Crazy Horse 1996 in der Münchner Olympiahalle erstmals live gesehen, vom ‚Broken Arrow‚-Material war er offensichtlich selbst nicht überzeugt, das Album wurde mit 2 oder 3 Stücken konzertant gewürdigt, ehe Young mit seiner kongenialen Begleit-Combo ein 2-stündiges Best-Of-Feuerwerk abbrannte, das keine Wünsche offen lies.
Der Output der vergangenen 10 Jahre war qualitativ durchwachsen, neben einigem nicht weiter Erwähnenswertem war ein von Daniel Lanois produziertes Experiment wie ‚Le Noise‚ (2010) darunter, die völlig verunglückte Fremdmaterial-Sammlung ‚Americana‚ (2012) und das späte Meisterwerk ‚Psychedelic Pill‚ mit ellenlangen Krachern wie „Ramada Inn“ und „Walk Like A Giant“, die auch live hervorragend funktionierten, wovon wir uns 2013 beim Konzert in der Stuttgarter Schleyerhalle überzeugen konnten.

Sein bis dato letztes Album ‚The Monsanto Years‚ fand nicht nur positives Echo in der Presse, die schnörkellose Rock-Produktion, die Neil Young mit der Sons-of-Willie-Nelson-Band Promise Of The Real einspielte, bietet nichtsdestotrotz durchweg Hörenswertes.

Im Rahmen der ‚Archives Performance Series‚ hat Neil Young in den letzten Jahren diverse Konzertmitschnitte veröffentlicht, vor allem das Material aus seiner Frühphase wie ‚Live At Massey Hall 1971‚, ‚Live At The Cellar Door‚ oder ‚Live At The Fillmore East‚ sei jedem Freund des Kanadiers schwerstens empfohlen.

Ob man die Kollaborationen mit David Crosby, Graham Nash und seinem Buffalo-Springfield-Kumpel Stephen Stills braucht, muss jeder für sich entscheiden, die Young-Kompositionen „Helpless“ und „Ohio“ sind exzellent, zeigen aber umso deutlicher, wie nichtssagend-schwach das Songmaterial der anderen drei Herrschaften über weite Strecken ist.

„Old Neil Young and Crazy Horse
A victim of a bad divorce
Take a little from the source“
(Steve Wynn, Nothing But The Shell)

Photo „Neil Young Oslo, Norway 2009“ (c) Per Ole Hagen / Wikipedia