Noise-Blues

James Leg @ Asta, Rosenheim, 2018-11-30

The incredible Reverend James Leg, der Hohepriester des Fender-Rhodes-Organ-Blues – über den Tastengott aus Rock City/Tennessee an dieser Stelle noch groß was Neues zu erzählen, heißt zunehmend mehr die sprichwörtlichen γλαῦκας εἰς Ἀθήνας κομίζειν, Ihr ahnt es, Eulen, griechische Hauptstadt und so.
Und doch, immer wieder, und ohne Abstriche, auch nach zahlreichen Wiederholungen einmal mehr dankbarst genossen: the Son of a Preacherman formerly known as John Wesley Myers, als solcher Leader der Black Diamond Heavies und ehemals Mittäter der Immortal Lee County Killers, in seiner Inkarnation als James Leg in der vergangenen, verregneten Freitagnacht in der heimeligen Rosenheimer Musik-Kneipe Asta, die wie geschaffen ist für derartige Auftritte.

Wenn „Have To Get It On“ vom 2011-Solo-Debüt „Solitary Pleasure“ als Opener in einer ultra-scharfen Version bereits Konzert-eröffnend durch die Verstärker gejagt wird und den Pegel vom Start weg Richtung High Voltage treibt, wirft sich zum wiederholten Mal die Frage auf, wie soll die Steigerung dieses Intensitäts-Levels im weiteren Konzertverlauf möglich sein? Und einmal mehr ist verwundert festzustellen: es ist. Wo andere Musiker mit einem derartigen Sound-Orkan bereits im Vorspiel zum anstehenden Taifun leichtfertig ihr Pulver verschießen würden, groovt sich der einzigartige James Leg in Hochdruck-Betankung ein und gedenkt für die nächsten neunzig Minuten den Bleifuß auch nicht mehr vom Gas zu nehmen.
Im Verbund mit dem französischen Drummer Marlon Saquet, der ihn zu der Gelegenheit kompromisslos und mit gleichsam unvermindertem Druck trommelnd auf seinen Blues-Punk-Pfaden durch die Nacht begleitete, gab der Reverend wie erwartet den mit nichts und niemandem zu vergleichenden Orgel-Berserker. In einer unnachahmlichen Performance, die so ziemlich alles Hergebrachte im Rock’n’Roll-Entertainment als laues Gelichter in den Schatten stellt, ließ Leg die Tasten dröhnen zwischen finsteren Bass-Keys und einer Schwarz-Blues-psychedelischen Melodik, die das gläubige Volk permanent beseelt abhotten und nach Absolution verlangen ließ.
Neben altgedienten Evergreens und Meisterwerken wie dem sagenhaften Cure-Cover „A Forest“, „Casa De Fuego“ oder „Octovber 3rd“ gedachte der Keyboard-Wizzard mit dem ausgeprägten kehligen Knurren im Lebensblues-, Zigaretten- und Drinks-gegerbten Sangesorgan exzessiv seiner Vergangenheit mit den Black Diamond Heavies und präsentierte eine Handvoll neuer Arbeiten mit deutlicher Schlagseite zum Boogie, der bei Leg selbstredend nichts beschwingt Leichtfüßiges auf das Parkett legt und in seiner morbiden Underground-Garagen-Version die harten Aspekte des Alkohol- und Schlechte-Laune-geschwängerten Alltags in Tennessee, Rosenheim or elsewhere reflektiert.
Mit welcher stilistischen Nuance auch immer ausgestaltet, der Deep Blues des James Leg wird stets ein ungekünstelter, unverstellter, roher bleiben, mit einer ordentlichen Portion an Garagen-Punk-Schmutz an den Tasten und Trommelstöcken klebend, dort hinzielend, wo’s wohlig weh tut, und dabei wie nur selten bei anderen Ausnahme-Musikern eine ureigene und unverkennbare Handschrift erkennen lassend, die schwerlich zu kopieren ist. Den Umstand unterstrich in der Freitag-Nacht nicht zuletzt auch die gefühlt fünfte und finale Zugabe – das Duo präsentierte sich in exzellenter Spiellaune vor einem kundigen, Tanz-wütigen  und zum Teil weit angereisten Publikum – selbst mit seiner Heavy-Drone-Blues-Interpretation eines abgewetzten, totgefegten, ausgepressten Putzlappens wie der Uralt-Stones-Nummer „Jumpin‘ Jack Flash“ wussten der Südstaaten-Prediger und sein elsässischer Kompagnon den Laden noch mit ein paar Hitzegraden obendrauf zum Bersten zu bringen. Extra-scharfer Swampland-Gumbo hat selten intensiver gebrodelt als hier (sonst halt meist nur zu anderen James-Leg-Konzerten, eh klar), mehr rohe Energie und überwältigende Druckwellen, die sich von der Bühne in das Auditorium ergießen, sind kaum mehr vorstellbar.

Am kommenden Freitag, 7. Dezember, tritt James Leg im Münchner Folks Club auf, Thalkirchner Straße 2, 21.00 Uhr. Ortsansässige und Volk aus dem näheren Umland: solltet Ihr Euch antun. Wird super. Versprochen. Größere Gala vor grandioser Open-Air-Naturkulisse dann im nächsten Jahr beim Raut Oak Fest 2019 am Riegsee, 28. bis 30. Juni, mit dem lebenslang Dauer-angestellten Reverend James, seiner Orgel und dem Trommler seiner Wahl, war ja auch noch nie ein Schlechter mit am Start, by the way…

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Raut-Oak Fest 2018 @ Riegsee, 2018-06-08

This is how we do things in the country: Drei Tage Muddy Roots, Raw Underground & Deep Blues in the Spirit of Chris Johnson nebst einer Handvoll artverwandter stilistischer Vertreter links und rechts von der einzig wahren Ur-Suppe: Das lang herbeigesehnte Raut-Oak-Wochenende im schönen Murnauer Voralpen-Land, endlich war es da: 3 Tage Open-Air-Rundum-Glücklich-Vollbedienung vor herrlichstem Bergpanorama im Grünen der sanften Hügellandschaft hinter der 1200-Seelen-Gemeinde Riegsee und dem gleichnamigen Gewässer aus der Würmeiszeit, mit einer handverlesenen und kaum mehr zu toppenden Musikanten-Schar aufwartend, organisiert und präsentiert from the one and only Christian Steidl, Son of Riegsee, Father of AWay Concerts, Holy Ghost of So-stellt-man-das-rundum-grandioseste-Open-Air-Festival-zwischen-Auer-Mühlbach-und-Mississippi-auf-die-Füsse.

Der Start konnte nicht besser gelingen, bei herrlichem Sonnenschein und sommerlichen Temperaturen unterstrichen Christian Berghoff und Sebastian Haas einmal mehr mit ihrem Duo Pretty Lightning, dass der psychedelische Desert Blues auch im Saarland seine Kakteen-Blüten treibt und sich zu einem berauschenden Mescal-Gebräu destilieren lässt. Verzerrte Gitarren und ein harter Rhythmus-Anschlag verdichten sich bei Pretty Lightning zu diffus lichternder, gespenstischer Drone-Blues-Mystik und einem ureigenen, Spannungs-geladenenen Delta-Flow, der neben den experimentellen Halluzinationen die uralte Blues-Tradition nicht zu kurz kommen lässt. Der Soundtrack für die Schamanen-Beschwörung zu mitternächtlicher Stunde am Lagerfeuer am Rande der Wüste, am helllichten Tag im üppigen oberbayerischen Grün, und damit ungewollt irgendwelche Wettergötter oder andere bösen Geister wachgerufen und/oder geschmäht, denn dann kamen sie, die Unwetterwolken, so offensichtlich unausweichlich zu der Gelegenheit wie der noch anstehende jährliche Raut-Oak-Auftritt vom großartigen James Leg. Nimmt man den furiosen Sound-Orkan des ehemaligen Black-Diamond-Heavies-Musikers immer wieder gerne mit Kusshand, hätte man auf das aufziehende Gewitter am Freitagnachmittag wie auf alle anderen Sintfluten bei den vorangegangenen Riegsee-Festivals getrost verzichten können. Der Anglizismus vom „Showstopper“ dürfte selten treffender gewesen sein, heftigste Hagelschauer, Windböen, Dauerregen, Sturzbäche und überflutetes Geläuf brachten den Festival-Betrieb für die nächsten vier Stunden völlig zum Erliegen, Bühne und Beschallungs-Anlage wurden schwer in Mitleidenschaft gezogen, zwischenzeitlich musste mit komplettem Abbruch der Konzerte des verbleibenden Freitags-Programms gerechnet werden.

Viele helfende Hände brachten die Nummer nach etlichen Reparatur- und Entwässerungs-Aktionen dann doch wieder in trockene Tücher, das US-Trio Shotgun Sawyer aus Auburn/California konnte mit Verspätung den abrupt abgebrochenen Soundcheck fortsetzen, sodann das durchweichte Publikum mit ihrem lärmenden Uptempo-Blues beglücken und Howlin‘ Wolf mit dem Led Zeppelin fliegen lassen – roher und intensiver Krach-Blues, der ab und an etwas verschämt in Richtung Hippie-Psychedelic spechtete wie im Großen und Ganzen mit einer soliden Hart-und-Heftig-Show nichts anbrennen ließ, wenn auch der ein oder andere kritische Zeitgenosse mit wenig schmeichelhaften Vergleichen wie „Lynyrd Skynyrd auf Metal“ ums Eck kam, die jungen Westcoast-Burschen konnten es nicht jedem recht machen, auch unsereins sollte noch ein paar Gelegenheiten zum Naserümpfen finden, wie sich sogleich zeigen wird.

„This is Avalanche Party and nobody comes from where we come from“ – nach dem Raut-Oak-Auftritt der Engländer drängt sich die Vermutung auf, dass der Menschheit nicht allzu viel verlustig geht, wenn von der Sorte nicht mehr unterwegs sind. Ruppig-melodischer Brachial-Garagen-Rock’n’Roll/Blues im 70er-UK-Punk-Modus kredenzt, inklusive einem zur Dekade passenden, gehörig überdehnt-extrovertiertem Gepose, das die musikalische Substanz – sofern vorhanden – in die zweite Reihe drängte. Leidlich gefälliges Offensiv-Geschepper, das in der Form wenig bis nichts Neues zu bieten hatte und den Funken nicht zum Überspringen brachte, vielleicht wär’s mit ein paar Bieren mehr im Gesicht zur besten Showtime geschmeidiger reingelaufen. Zu der Gelegenheit schmerzte es wenig, dass der vorangegangene heftige Regenguss den Zeitplan straffte und für die ursprünglich nachmittags angesetzten Gigs die Konzertdauer auf eine halbe Stunde eindampfte, das abtanzende und abfeiernde Publikum vor der Bühne hat’s gleichwohl zweifellos anders empfunden, und so soll es auch sein – Hauptsache, Ihr habt Spaß! ;-))

Nach den jungen Briten wären die Landsmänner vom Garagen-Blues/Psychedlic/Punk-Duo Green Fuzz geplant gewesen, Gitarrist/Sänger Timothy Oxnard (ex-High Plane Drifters/Magick Godmothers/The Approved) hat alternativ vor ein paar Wochen das Trio The Oilbirds formiert und ist ersatzweise mit dieser Combo zum Raut Oak angetanzt, den Platz in der Garage füllte die jüngst aus der Taufe gehobene Band nicht minder einnehmend, der stoisch monoton treibende Trommelanschlag von Sophie Gatehouse, der Bass vom mindestens optisch aus der Zeit gefallenen Glam-Rocker Michael Cooper-Gers und Oxnards rauer Gesang wie trashiger Saitenanschlag formten sich zu zupackendem Blues-Psych-Punk, der zu gefallen wusste, seine ganze Pracht aber vermutlich noch weit mehr mit einem frischen Pint in der Hand zu vorgerückter Stunde im verrauchten Pub (verrauchte Pubs gibt’s nicht mehr, I know) entfaltet hätte.

Die drei Ladies von L.A. Witch aus – genau – Los Angeles hatten zu Beginn ihres Gigs mit der Technik zu kämpfen, der Gesang von Sade Sanchez wurde von ihrer eigenen, wunderschön verhallten Gitarre verdeckt, nach etlichen Nummern waren die Regler dann für ein rundum zufriedenstellendes Klangbild justiert und das Trio konnte ihren Versuch, mit dem Sex-Appeal von Susanna Hoffs und der unterschwelligen Erotik von Hope Sandoval den guten alten Gun Club in einer Kaschemme irgendwo in Downtown L.A. nach ein paar harten Drinks zu umgarnen, endlich vollumfänglich ausleben. Psychedelischer, atmosphärisch-dunkler Prärie-Blues-Punk auf Valium mit femininer Note, nachdem es hintenraus endlich funkte zwischen Bangles-Schönheit und Ramblin‘ Jeffrey Lee, war’s der kurz anberaumten Gig-Dauer geschuldet leider schon wieder vorbei mit den weiblichen Reizen und dem Wüsten-Spuk, und so müssen wir die Verifizierung oder Verwerfung dieses ganzen Presse-gestreuten Lynch/Manson-Family/City-Of-Broken-Dreams/Lost-Angels-Blablas auf ein andermal vertagen.

Mit Guadalupe Plata alte und gern gesehene Raut-Oak-Veteranen aus dem andalusischen Úbeda: Das Trio mit dem selbstgebauten Bass-Instrumentarium brachte den zähen Delta-Blues im steten Trance-Fluss zum Swingen. Mit hypnotischem Bottleneck-Sliden auf der Halbakustischen, steter, versierter Rhythmus-Arbeit und dem für die Band urtypisch charakteristischen, mit viel Hall vernebelten Spanier-Gejaule versetzten die iberischen Blues-Männer das Publikum in sanft wogende Glückseligkeit und sorgten so für ein erstes dickes Ausrufe-Zeichen im Festival-Line-Up. Tausende an Meilen von Clarksdale or elsewhere outside the Mississippi Delta entfernt spüren Guadalupe Plata wie nur wenige Europäer dem Geist der rohen, unbehandelten Blues-Energie der alten Tage nach und packen das Erbe in ein zeitloses Gewand, allein dafür eine Handvoll Robert-Johnson-Heiligenbilder zur Belobigung. Die Band war in der vergangenen Freitag-Nacht im Flow und musste in ihrer Spielfreude weit nach Mitternacht von Sound-Guru Jay Linhardt händeringend und flehend zum finalen Abgesang genötigt werden, man mag sich nicht ausmalen, was ohne nachmittäglicher Sintflut noch angestanden wäre an beherztem Blues-Groove aus südeuropäischen Gefilden mit entsprechender Zeit zum tonalen Auleben, hintenraus.

Da im fernen Russland demnächst die mediale Großereignis-Nummer angezeigt ist, bei der jeweils 22 Deppen vier Wochen lang einem Ball hinterherrennen, sei der Vergleich erlaubt: In Fußball-Ultra-Kreisen würde man den Frust mit einem beherzten „Wenn das Bayern-Blut auf die Kutte spritzt, ist alles wieder gut, ist alles wieder gut!“ wegwischen, spätestens mit dem grandiosen Raut-Oak-Auftritt von Slim Cessna’s Auto Club war der Unwetter-Spuk vom Nachmittag vergessen, wenn auch notgedrungen nicht mehr als eine gute Dreiviertelstunde blieben für Slim, Munly Munly und Co, um ihre Visionen von großartigem Bühnen-Entertainment, der Christianisierung des amerikanischen Hinterlands, so-called Alternative Country, Erweckungs-Predigten für ein Gott-gefälliges Leben und ihre morbiden Geschichten über Suff, Gewalt und kaputte Beziehungen im Geiste Faulkners und Pollocks mit dem Volk zu teilen. Dem knappen Zeitrahmen geschuldet hielt sich die Southern-Gothic-Institution aus Denver/Colorado nicht lange mit Vorgeplänkel und präliminarem Heranführen der Errettungs-würdigen Seelen an den Kern der Wahrheit auf und begann umgehend mit Taufe, Handauflegen und Seelen-Einsammeln mittels apokalyptischem Country Folk Gospel in intensivster Show auf und vor der Bühne in Interaktion mit der schwerst animierten und hingebungsvoll betenden Kirchengemeinde. Maximalst-Rampensau-Absolution im Geiste Roger Williams‘ und aller dahingeschiedenen Country- und Hillbilly-Heiligen. Die rasante Gangart an der frischen Luft zauberte selbst einem Munly Munly sowas wie einen Hauch von Farbe ins Gesicht, durchaus ein selten erlebter Umstand, Denver-Sound-Pionier Jay gleicht ansonsten kreidebleich dem sprichwörtlichen Tod von Altötting in seiner Duett-Darbietung mit Sanges-Partner Slim.
Gab es früher und gibt es – wie beim jüngsten Raut-Oak Fest erlebt – nachweislich auch noch heute, die Gelegenheiten, zu denen man Slim, Munly, Rebecca Vera, Lord Dwight Pentacost und die begleitenden Laienprediger mindestens unter Vollbedienungs-Entertainment-Aspekten schlichtweg für die beste Live-Band ever dieser und anderer Welten durchgehen lässt, Friday Very Late Night am Hügel unter der Eiche vorm Wettersteingebirge war ganz sicher so einer, und damit war das Schicksal der tatsächlich sehr guten, bereits im Vorjahr schwerst überzeugenden Psychedelic-Griechen von Screaming Dead Balloons besiegelt, keine Band dieser Welt kann nach einer derart überwältigenden Slim-Cessna-Show bestehen, in Sachen undankbarer Job haben die Hellenen dahingehend die sprichwörtliche A-Karte gezogen, zumal der Großteil der Festival-GängerInnen im Zweifel zu weit vorgerückter Stunde der Kräfte-regenerierenden Horizontalen den Vorzug gab.

Raut-Oak Fest 2018-06-09 / Tag 2 – coming soon…

Die virtuelle Reste-Schublade (2)

In der Arte-Mediathek letztens über diese brandaktuell am 20. Mai im Rahmen des mœrs festival 2018 aufgezeichnete konzertante Giganten-Kooperation gestolpert: Free-Jazz-Großmeister Peter Brötzmann trifft auf Eugene S. Robinson und den großartigen experimentellen Noise-Blues seiner Formation Oxbowdo yourself a favour und guckst Du hier.