„Luciferian Towers“, endlich auch live in München errichtet: Nachdem Godspeed You! Black Emperor die 2018-Tour zur konzertanten Aufführung ihres jüngsten, bereits vor über zwei Jahren veröffentlichten Meisterwerks großräumig an hiesigen Gefilden vorbeilotsten, konnte das veranstaltende Feierwerk am vergangenen Sonntag im Münchner Technikum ausverkauftes Haus bei der Präsentation der kanadischen Experimental/Postrock-Institution vermelden. Verdientermaßen, darf man anmerken, alles andere wäre einem Affront gegenüber der großartigen Kunst des achtköpfigen Musiker-Kollektivs aus Montreal gleichgekommen. Gitarrist Efrim Menuck begeisterte bereits im vergangenen Sommer zusammen mit Electronica-Duo-Partner John Doria im gemeinsamen Projekt „are SING SINCK, SING“, in der großen Besetzung des Mutterschiffs reihte er sich mannschaftsdienlich ein in die vielstimmige und komplexe Sinfonik des ureigenen GY!BE-Sounds, der in den hundert Minuten des Münchner Auftritts einmal mehr mit doppelter Bass- und Drums-Orchestrierung, Violine und drei Gitarren seine Einzigartigkeit wie die Ausnahmestellung der Band in der weiten Welt des Postrock untermauerte.
Drone, Noise und abstrakte Trance-Rituale überlagerten sich vielschichtig mit vertrautem Progressive-, Experimental- und Kraut-Rock, minimalistischer Neo-Klassik und melodischen Filmmusik-Sequenzen, in einer hypnotischen Klang-Intensität, in der das getragene, traurig-melancholische Element der atmosphärisch-diffusen Klangnebel, experimentelle Ausbrüche, euphorisierende Postrock-Hymnik und treibender Indie-Drive Hand in Hand gehen, in einer tonalen Dichte, wie sie in den Spielarten der instrumentalen Rockmusik nach wie vor ihresgleichen sucht. Dieses Kollektiv braucht keine großen Bühnen-Gesten, keine Applaus-heischenden Ansagen oder solistisches Protzen, um das Publikum völlig in den Bann zu ziehen. Was vor einem Vierteljahrhundert in einer Lagerhalle in Montreal als improvisierte Trio-Nummer startete, ist längst zu einem der renommiertesten, ernsthaftesten, konzeptionell stringentesten, fundamental einzigartigsten Live-Acts des experimentellen Postrock-Genres gereift.
Wie im Jahr zuvor begleitete die norwegische Free-Jazz-Saxophonistin Mette Rasmussen einen Teil der ausladenden „Luciferian Towers“-Nummern, die Band ergänzte das Set mit altbewährten Klassikern wie „The Sad Mafioso“ oder dem eingangs in Überlänge zelebrierten „Hope Drone“. Diverse, zuweilen parallel projizierte Super-8-Filme mit bewegten Bildern von Friedhöfen, brennenden Fabriken und amerikanischen Massendemonstrationen unterstrichen wie in der Vergangenheit zu jedem GY!BE-Auftritt die Dringlichkeit und wortlose, politische Aussage der Kompositionen, gipfelnd in einem minutenlangen, Konzert-beschließenden Feedback-Fade-Out, ein anarchistisches Statement gegen Globalisierung, soziale Gräben, Imperialismus und den militärischen Apparat.
Vermutlich werden Godspeed You! Black Emperor einst in nicht allzu ferner Zukunft als einsamer, leuchtender Turm in der kahlen Wüste der instrumentalen Rockmusik stehen: Wenn alle anderen Bands das immer Gleiche der Laut/Leise-Kontraste bis zum Erbrechen zu Tode geritten haben, wird der Kosmos der Band aus Quebec weiter in einer dunkel funkelnden und faszinierenden Vielfalt erstrahlen, ohne Worte mahnend und warnend vor den finsteren politischen und gesellschaftlichen Verwerfungen der westlichen Zivilisation.
Eingangs galt es am Sonntagabend, das enervierende Solo-Programm von Mette Rasmussen zu überstehen. Die Norwegerin tobte sich für eine halbe Stunde mit ihrem Saxophon im improvisierten Free Jazz aus, abgehackte Töne in das Auditorium trötend, ein gnadenloses Gelärme, dem selbstredend keinerlei Melodik innewohnte, allenfalls bisweilen ein rudimentär erkennbarer Rhythmus im erratischen Radikalausbruch, Kakophonie, die zu keiner Sekunde nach Gefälligkeit heischen mochte. Dem Geplärr des Holzblasinstruments ließ die Musikerin beizeiten das kurze Geschrei der eigenen Stimme folgen – das Nerven-anspannende, Genuss-freie Gewerk ein bebender, explosiver, gleichwohl erschreckend monotoner Ausbruch und für viele die Art von Gejazze, die den christlichen Radfahrer zum absteigen zwingen, die Skeptiker gewiss nicht für experimentelles Musizieren einnehmen und den gemeinen Jazz-Verächter in all seinen ablehnenden Vorurteilen bestätigen. Weitaus ansprechender, voluminös druckvoller und mehrdimensionaler wurde der Vortrag erst zum Ende hin, als sich zum Noten-freien Gebläse von Mette Rasmussen die GY!BE-Musiker Thierry Amar und Timothy Herzog an Bass und Trommel mit wuchtiger Taktgebung für die letzte Nummer ihres Konzerts in das Klangbild einbrachten, aber da war das Kind bereits im Brunnen und die Trio-Besetzung somit nur noch Rettungsweste gegen das komplette Absaufen dieses höchst überflüssigen Support Acts. Schade, dabei kann die Frau so viel mehr, wie ihr Musizieren im Verbund mit GY!BE an diesem Abend wie auch exemplarisch ihre experimentellen Duo-Aufnahmen mit dem Gitarristen Tashi Dorji unterstreichen.