Oneida

Oneida @ Hansa39, München, 2019-03-14

Die New Yorker Experimental-Indie-Formation Oneida am vergangenen Donnerstagabend im Hansa39 des Münchner Feierwerks: Eine konzertante Klangreise, bei der nie vorhersehbar ist, was da an bunten Blüten, spontanen Auswüchsen und ungeahnten Mutationen auf die Hörerschaft zukommt. Bei ihrem letzten München-Auftritt im März 2013 hundert Meter weiter im Orangehouse verfranste sich die Band exzessiv ausufernd in rituellen Endlos-Schleifen-Wiederholungen und sprunghaftem, losgelöst lichterndem Improvisations-Gefrickel, feuerte damit das Atonal-Unkonventionelle zu großen Teilen in schwer verdaubaren Brocken in das Auditorium und warf für die Konsumenten mehr Fragen auf, als dass sie nachvollziehbare Antworten lieferte. Diese letzte, sechs Jahre zurückliegende Begegnung vor Ort oder das zeitgleich ab Donnerstag stattfindende, kostenfreie, dreitägige frameworks-Festival mit experimenteller Musik im Blitz-Club dürfte den ein oder anderen an tonaler/atonaler Avantgarde Interessierten (m/w/d) vom Besuch in der Feierwerks-Halle abgehalten haben. Sehr schade, das an diesem Abend von Oneida abgebrannte stilistische Sound-Feuerwerk hätte weitaus mehr Zulauf verdient als die überschaubare Schar an zugewandten Fans und Neugierigen mit offenem Geist und offenen Ohren.
Die nach einem Native-Americans-Volk der Iroquois Confederacy benannte Band gehört seit mittlerweile mehr als zwei Dekaden zum festen Stamm des experimentellen Brooklyn-Underground, wenn sie auch 2011 mit dem „The Ocropolis“-Aufnahmestudio ihre angestammte Homebase in Williamsburg an die fortschreitende Gentrifizierung des Hip-Viertels verlor. In München präsentierte die Band vorwiegend das Material des aktuellen, im März 2018 erschienenen Longplayers „Romance“, daraus mit „Economy Travel“ als Opener sofort vorneweg einen der ausuferndsten, erratisch am Nerv nagenden Titel des Abends zwischen psychedelischem Krautrock, bohrenden Keyboard-Drones als Heavy-Trance und Free-Jazz-lastigen Wendungen, mit den höheren Weihen vom interstellaren Cosmic-Gott Sun Ra gesegnet. Wer vermutete oder gar befürchtete, dies wäre dann für den weiteren Verlauf der Veranstaltung die dominierende, neue Sound-Galaxien erforschende Reise-Route in Sachen „Space Is The Place“, konnte sich entspannt dem weiteren Geschehen hingeben, die Band schaffte umgehend den Schwenk in vertrautere No-Wave- und Indie-Rock-Gefilde, in den unorthodoxen Alternative-Rock und Postpunk aus der New Yorker Nachbarschaft der Achtziger und Neunziger, mit für Oneida-Verhältnisse überwiegend griffigen und kurzen Songs, geradezu tanzbaren Grooves und wuchtigen Trance-Flows. Selbst das „The Way Of The World“-Cover vom Debüt der einflussreichen kalifornischen Achtziger-Jahre-Punk-Rocker Flipper als straighter Garagen-Trash-Stampfer fand hier seinen Platz. Oneida wären nicht bei sich, würden sie nicht sporadisch zu Progressive-Psychedelia-Exzessen in kaum zu fassender, losgelöster Form ausholen, in denen die verzerrt-schneidenden, hart rockenden und lärmenden Noise-Gitarren von Shahin „Showtime“ Motia und Hanoi Jane, das freie, virtuos überbordende, entfesselt antreibende Getrommel von Kid Millions mit dem lichternden Klangteppich der bewusstseinserweiternden Synthie-Drones, dem monotonen Maschinen-Rauschen und dem analogen Electronica-Schrauben Barry Londons wie mit Bobby Matadors intensiv-dröhnendem, aus der Zeit gefallenem Prog-, Kraut- und Jazzrock-Georgel eine unvergleichliche, höchst eigenwillige Symbiose eingingen.
Der Oneida-Klang-Kosmos ist ein sich permanent ausdehnender, wandelnder, in neue Parallel-Universen vorstoßender, Einschränkungen und strenge Fesseln im Sinne der Unendlichkeit negierender. Das nach wie vor Faszinierende am musikalischen Forschungsdrang der amerikanischen Ostküsten-Combo ist die Vielfalt der verwendeten Stilmittel in ihrer völlig unkonventionellen Umsetzung, die seltsamerweise trotz Driften in vielerlei Richtungen nie beliebig oder heterogen wirkt – ein permanentes Oszillieren zwischen mehr oder weniger vertrauten Song-Strukturen und losgelöstem Improvisations-Fortgang im ureigenen Spannungsfeld.
Ein Zehn-Stunden-Marathon – wie zu einer anderen Gelegenheit von der Band zelebriert – war’s am Donnerstagabend mit den dargebotenen achtzig Minuten beileibe nicht, aber auch in diesem knapp bemessenen zeitlichen Rahmen konnten die fünf über die Maßen sympathischen Weirdos aus der unabhängigen Künstler-Community Brooklyns ungebremst ihren sprudelnden Ideenreichtum ausleben, ihre tonalen Wundertüten aufreißen und mit bunten Konfetti-Explosionen den Saal herausfordernd wie anregend unterhalten.
Der 2019er-München-Auftritt von Oneida war mit ihrem vorangegangenen Gastspiel in der Stadt kaum zu vergleichen, damit in der Form schon fast Mainstream („fast“ ist natürlich ein dehnbarer Begriff und „Mainstream“ im Zusammenhang mit der New Yorker Experimental-Rock-Institution ein letztendlich flacher Witz), zweifellos komplexes, exzellentes Entertainment in einem korrespondierenden Austausch zwischen großer Indie-Kunst, Experiment und augenzwinkernd-durchgeknallter Spielfreude.

Reingehört (252): Oneida & Rhys Chatham

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Oneida & Rhys Chatham – What’s Your Sign? (2016, Northern Spy Records)
Gipfeltreffen im weiten Feld der amerikanischen Experimental-Musik: Die Psychedelic-, Kraut- und Noise-Kauze von Oneida und der New Yorker Gitarren-No-Wave-Minimalist Rhys Chatham haben mit „What’s Your Sign?“ sechs Übungen im Sinne des grenzerweiternden Musizierens eingespielt, das Quintett aus Brooklyn und der Glenn-Branca-/Thurston-Moore-Kompagnon Chatham ergehen sich in ausgedehnten Experimental-Klanggebilden – schwerer, wuchtiger Indie-Prog- und Kraut-Rock gibt sich die Hand mit chaotischem Keyboard-Gefrickel, das bereits so manchen Oneida-Konzertgänger an die Grenzen der eigenen Toleranz brachte, wüste Science-Fiction-Space-Elektronica findet seine Erlösung in treibenden Post-Rock-Dröhnungen, instrumentale Psychedelic-Epen treffen auf verstörende, unkategorisierbare Ambient-Meditationen im Sinne der freien Improvisation, angelehnt an den 60er-Jahre-Free-Jazz.
Die Aufnahmen stellen die jeweiligen Stärken der Beteiligten vorzüglich ins Rampenlicht, den repetitiven Drone des Keyboard-lastigen Oneida-Sounds wie den frei fließenden, expressionistischen Geist des Gitarren-Pioniers Chatham. Die exzellente Rhythmik Kid Millions und das schwere Getöse der analogen Synthie-Gerätschaften gehen eine stimmige Symbiose mit dem „triple guitar treatment“ im Sonic-Youth-Geist ein.
„Two genre-obliterating renegades who’ve made indelible marks in the experimental music pantheon.“
(**** ½)

Reingehört (99)

reingehoert_99

Peter Case – Hwy 62 (2015, Rykodisc)
Der amerikanische Songwriter Peter Case macht auf seinem neuen Album das, was er seit 30 Jahren am Besten kann: Geschichten erzählen und gehaltvollen, getragenen Country-Folk spielen, gerne auch mal gewürzt mit etwas Blues und schmissigerem Rock and Roll, wie man es von früheren Veröffentlichungen des Manns aus Buffalo/NY kennt und schätzt.
Der Großteil des dargebotenen Liedguts erreicht die Qualität früherer Glanztaten wie des selbstbenamsten 1986er-Debüts (Geffen Records) mit der wunderbaren Aussteiger-Hymne „Walk In The Woods“ oder den Vanguard-Folk-Bringern ‚Sings Like Hell‘ (1993) und ‚Full Service No Waiting‘ (1998).
Musikalisch liegt der Schwerpunkt auf der akustischen Gitarre, inhaltlich setzt sich der Barde mit der aktuellen US-amerikanischen Realität auseinander, mit Themen wie Strafvollzug, Kampf gegen die Windmühlen der Justiz und die ungleichen Einkommensverhältnisse, Peter Case gibt sich einmal mehr als zorniger Protestsänger im besten Sinn.
Bei der Besetzung der Studiomusiker wurde auch nicht gekleckert, unter anderem hören wir den Songwriter-Kollegen Ben Harper an Lead- und Slide-Gitarre.
Beim Fremdmaterial kommt Bob der Meister mit „Long Time Gone“ zu Ehren.
Nachdem das letzte Case-Werk ‚Wig!‘ (Yep Roc) auch schon wieder 5 Jahre auf dem Buckel hat, darf man wohl von einem gelungenen Comeback sprechen.
(**** ½)

HeCTA – The Diet (2015, City Slang)
Melodisch-tanzbarer Elektro-Groove und feiner Club-Ambient-Sound, House und Maschinen-Experimentelles, im Gesang angenehmst an Lambchop erinnernd, und das nimmt nicht weiter wunder, handelt es sich bei HeCTA doch um ein Seitenprojekt vom Kurtl und seinen Kumpels Scott Martin, Ryan Norris und Rodrigo Avendano sowie der wie immer geschätzten Cortney Tidwell, die mit ihrem Seitenprojekt HeCTA freudig-erregt/pulsierend für großen Hörspass sorgen.
“One of the things that I’ve noticed about a lot of dance music in general is that there really wasn’t a lot of humor going on there” sprach Meister Wagner in der LA Times und hat umgehend für Abhilfe gesorgt.
(**** ½ – *****)

Soldiers Of Fortune – Early Risers (2015, Mexican Summer / Alive)
Wer auf 70er-Jahre-Heavy-Rock inklusive ausladender Gitarren-Soli steht, liegt bei diesem wilden Mix aus Zeppelin-Bastarden, End-60er-Psychedelic und Slade-artigem Boogie-Rock goldrichtig.
Hinter dem Projekt versteckt sich nach Worten der Protagonisten eine „Anti-Band“, größtenteils bestehend aus Mitgliedern der New Yorker Experimental-Rock-Combo Oneida, Matt Sweeney von der Jersey-Combo Chavez mischt auch mit, dem interessierten Publikum dürfte er durch seine gelungene ‚Superwolf‘-Zusammenarbeit mit Bonnie ‚Prince‘ Billy aus dem Jahr 2005 (Drag City) bekannt sein, zwecks Gastgesang geben sich bei den Soldiers Of Fortune diverse Indie-Größen das Mikro in die Hand, Stephen Malkmus von Pavement und Cass McCombs zählen zu den prominentesten.
Für launige Biker-Träume in Kombi mit einem frischen Bierchen reicht das allemal.
(****)

You Am I – Porridge & Hotsauce (2015, Inertia)
Indie-Rock von einer Band aus Sydney/Australien, die – obwohl „erst“ seit 1989 aktiv – hier einer weiteren musikalischen Spielart der 70er Jahre frönt. Kommen die wieder, die Seventies? Und warum drängt sich bei der Beschäftigung mit der Scheibe permanent der Cheap-Trick-Vergleich auf? Ja, warum wohl… ?
Zur Ehrenrettung sei angemerkt: Sänger/Gitarrist Tim Rogers hat 2006 zusammen mit Beasts-Of-Bourbon-/Dark-Horses-/The-Cruel-Sea-/The-Butcher-Shop-Vorzeige-Crooner Tex Perkins das absolut brauchbare Projekt T’N’T (Liberation Music) auf die Beine gestellt.
(***)