Open Air

G.Rag und die Landlergschwister @ Braunauer Eisenbahnbrücke, München, 2019-07-15

„Down By The River“ hat der alte Neil Young einst seine Liebste erschossen, wie er das mal vor Unzeiten in eben jenem Song beichtete, am Montag beim Auftritt von Chefdirigent G.Rag und seinen Landlergschwistern am Ufer der Isar an der Braunauer Eisenbahnbrücke hingegen null Stress, kein zwischenmenschlicher und auch kein anderer, alles Friede, Freude und – falls im Picknickkorb eingepackt – vielleicht sogar der ein oder andere Eierkuchen. Dabei hätte die Freiluftveranstaltung aus dem Hause Gutfeeling im schlimmsten Fall selbst den ein oder anderen Mord verkraftet, Kapellmeister Staebler und seine Musikanten wären neben vielen anderen Inkarnationen auch als Funeral Band für „a scheene Leich“ sofort parat gestanden, See-Bestattung am nahen Gewässer inklusive. Die am lauschigen Sommerabend personell von Mathias Götz und Micha Acher (Hochzeitskapelle, Notwist, unzählige andere Formationen) ergänzte und instrumental bereicherte Zusammenkunft kann sowas spontan aus der Hüfte geschossen liefern, und noch so vieles mehr: Das Verbraten des Honkytonk eines Hank Williams mit der Volksmusik des „Kraudn Sepp“ Josef Bauer, die Transformation von Landler, Polka und Cajun in zeitlosen Bavarian No Wave – wo bei anderen Combos gecoverte Elektro- und Punk-Hits als Rumpel-Swing und windschief scheppernde Bajuwaren-Volksmusik peinlich berührtes Befremden auslösen würden, klingt das bei den Landlergschwistern so, als wären diese Nummern genau für dieses Format komponiert worden. Der Spirit der Songs will eben erkannt und angemessen interpretiert werden, deppertes und stumpfes Nachspielen ist woanders.
Die Welt ist ein Dorf, München sowieso, und damit darf es niemanden verwundern, wenn der schräge Big-Band-Sound aus New Orleans und der schrammelnde Country aus Texas nach oberbayerischer Dorffest-Anarchie im Geiste von Achternbusch, Graf und Polt klingen und die Isar ihr uraltes Lied dazu singt. G.Rag und die Seinen sind aus gutem Grund die Band, die dem alljährlichen, weltberühmten Massen-Besäufnis auf der Münchner Theresienwiese mit ihrem wunderbaren, seltsamen und verhauten Volksmusik-Kosmos im Herzkasperl-Zelt noch irgendeine Art von Sinn stiften. Zum Oktoberfest dann noch weitaus hitziger, Tanzwut befeuernder und bierselig aufgeladener, am Montagabend hingegen tiefenentspannt, mit improvisiertem Groove und Flow an den Muddy Banks of the River, ohne stilistische Berührungsängste und vor allem mit viel Spielfreude der zahlreich erschienenen Gefolgschaft den lauen Sommerabend orchestriert. Unkompliziert, spontan und beschwingt im Grünen wie immer, und musikalisch einnehmend wie eh und je. Und damit fängt die Woch‘ schon gut an, wie ein anderer bayerischer Volksheld vor über hundert Jahren kurz vor seiner Hinrichtung verlauten ließ…

Und weil’s so schön war und die sommerlichen Auftritte aus der Gutfeeling-Welt im Freiraum der Isar-Auen mittlerweile sowieso schon gute Tradition haben wie das Stimm-verzerrende Megaphon zum polternden Sound, gibt es am 6. September an gleicher Stelle ab 18.00 Uhr eine weitere Runde G.Rag-Herrlichkeiten, dann im reduzierten Format als „NoWave Sundown Show“ mit der Zelig Implosion Deluxxe. Nach den großen Ferien, vor dem kollektiven Münchner Volksrausch.

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Raut-Oak Fest 2019 @ Riegsee, 2019-06-30

Letzte Runde in freier Wildbahn am Riegsee zum 3. Raut-Oak-Festivaltag: Der Sonntag des „Underground Music Fest“ im Murnauer Hinterland eröffnete traditionell mit deftigem bayerischem Frühstück, zu dem die Weißwürscht viel zu schnell ausverkauft waren, für die Hunger-Darbenden mochte vermutlich auch die lokale Blues-Combo Williams Wetsox im Folgenden wenig Trost spenden. Das Kulturforum klinkte sich nach heimischer Erholungspause zum Auftritt der Maness Brothers wieder ein ins bunte Treiben, die beiden Brüdern David und Jake genießen mit ihrem „Heavy Blues Rock from St. Louis/Missouri“ einen exzellenter Ruf bei Fans und befreundeten Musiker-Kollegen wie den bereits am Vortag in höchsten Tönen lobenden Left Lane Cruiser. Wie die Combo von Joe Evans IV treten die Maness-Brüder im klassischen Duo-Outfit mit Drums und Gitarre an, der Sound der Band ist schwer vom Blues-Rock der guten alten Southern-Schule infiziert und besticht mit zentnerschwerem Swamp-Doom und drängendem Rock’n’Roll-Drive. Die intensiv einwirkenden Prediger entfesselten mit ihrem manisch treibenden, psychedelisch funkelnden Deep-Blues-Monolithen einen ureigenen Southern-Gothic-Sog und zeigten gegen Ende im zurückgenommenen Tempo, dass auch bekannte Balladen-Nummern von Siebziger-Jahre-Größen wie den Allmans oder Lynyrd Skynyrd bei ihrer musikalischen Prägung eine Rolle gespielt haben. Engagierter Auftritt vom Hardblues-Nachwuchs unter verschärften Hitze-Bedingungen, der sich in der Form im ROF-Line-Up förmlich aufdrängt.

Wesentlich entspannter ging es Margaret Garrett vom Garagen-Duo Mr. Airplane Man in ihrer „SoLow“-Show an. Ohne Drummerin Tara schrammelte die Musikerin aus Boston auf der Halbakustischen entschleunigte Desert-Blues-Meditationen zwischen Improvisation, Ambient und Drone, in hypnotischer Endlos-Schleife mit diffus-gespenstischem, dräuendem Unterton. Dem LoFi-Stil ihres Gitarrensounds mit Hang zum monotonen Leiern blieb Margaret Garrett auch im Gesang treu, ein entrücktes, völlig unaufgeregtes Vortragen, das kaum Variationen zwischen den einzelnen Nummern erkennen ließ. Zum Runterfahren der Betriebsamkeit in der sonntäglichen Sommerhitze taugte der Tranquilizer-Akustik-Flow perfekt, und wenn dann wie angekündigt im kommenden Jahr die Trommlerin mit an Bord ist, nimmt der Airplane Man auch wieder mehr Schwung zur Unterhaltung des Konzertvolks auf.

Das Festival blieb mit dem Auftritt von Pelo Mono im gedehnten und tiefenentspannten Modus, wie am ROF-Sonntag im Jahr zuvor beglückten die beiden Vermummten aus Andalusien die Zuhörer mit instrumentalem Midtempo-Crossover aus fieberndem Desert-Blues, lässigem Surf-Swing und experimentellem Drone-Ausbruch aus der Geräte-Manipulation. Guadalupe-Plata-Gitarrist Pedro de Dios ließ in der grünen Bankräuber-Maskierung bei seinem ersten Auftritt des Festival-Tages in bewährter Manier die Gitarre hallen, gespenstisch flimmernd und psychedelisch im Trance-Flow, zwischen schrägen Country-Holzhütten, Freak-Shows und Horror-Kinos im „Transylvania Country“ umher lichternd und improvisierend, von Gorilla Antonio Pelomono an den Drums stoisch-monoton zum nimmermüden Wandern zwischen den fremden und seltsamen Welten angetrieben. Hypnose und Halluzination gehen auch spannend, das haben Pelo Mono mit ihrem ROF-2019-Gig unter der sengenden Sonne der Sierra Riegsee erneut bewiesen.

Vorfreude pur in den vorangegangenen Tagen und Wochen zum Konzert des aktuell in London ansässigen US-Trios Lonesome Shack: Der schwedische One-Man-Band-Kracher Bror Gunnar Jannson ehrt die Band mittlerweile mit einem gleichnamigen Song, und das völlig zu recht, in den vergangenen Jahren gab es reichlich Anlass zum Lobpreisen der Formation um Sänger und Gitarist Ben Todd – ein exzellenter Solo-Auftritt im Geiste des Country- und Delta-Blues beim Raut Oak 2017, ein überwältigender Trance-Blues-Flow in voller Band-Besetzung im Vorjahr, vor wenigen Monaten die Veröffentlichung des neuen, grandiosen Albums „Desert Dreams“ beim Alive-Naturalsound-Label. Das Material des aktuellen Tonträgers sollte auch den Großteil des Sets vom Sonntag liefern, Meister-Gitarrist Ben Todd als klagender Erzähler und seine hervorragend eingespielte Rhythmus-Sektion Luke Bergman und Kristian Garrard begaben sich auf Wanderschaft durch die kargen amerikanischen wie afrikanischen Wüsten-Landschaften, mit ihrem unverwechselbaren, hypnotisch-mystischen Desert-Flow-Crossover aus uraltem US-Post-War-Blues, der ureigenen Schöpfung des „Haunted Boogie“ und den artverwandten Spielarten der nordafrikanischen Tuareg-Musiker. Die Band nahm wie erwartet neben handwerklichem Können und inspiriertem wie hochkonzentriertem Vortrag einmal mehr mit ihrem bescheidenen und freundlichen Wesen ein, ein angenehmer und willkommener Kontrast zum Blues-Rabauken der musizierenden Kollegen-Schar. Lonesome Shack live: Das Rundum-Glücklich-Paket für den entspannten Sonntag-Nachmittag auf der Raut-Oak-Wiese, für eine Stunde ohne die alltäglichen Sorgen im Kreuz, von der Band mittels Blues-Trance in andere Sphären entführt, so war die Vorstellung zum Konzert der drei sympathischen Musikanten aus Seattle, und so sollte es auch kommen. „I wish we could take this moment and freeze it, to come back again and again and again“ haben David Thomas und seine Experimental-Punk-Institution Pere Ubu in einem ihrer Songs in den Achtzigern zum Besten gegeben – in diesem Sinne…

Wo Pelo Mono am Start sind, sind Guadalupe Plata nicht weit, und so durfte Gitarrist Pedro de Dios knapp zwei Stunden nach seinem ersten Gig am Sonntag mit seiner Stammformation gleich nochmal in den Ring – und in dem Fall auch sein nölendes, sich tief in die Gehörgänge und Nervenstränge bohrendes Wolfs-Heulen und Klage-Lamentieren anstimmen. Große Abweichungen zum Vorjahres-Gig gibt es nicht zu vermelden, das wäre bei den beinharten Fans der Band vermutlich auch nicht auf viel Gegenliebe gestoßen. Das Trio spielte sich in den erwarteten Trance-Rausch, in den umwägbaren Tiefen ihres rohen, halluzinierend nachhallenden Delta-Blues-Flows, mit exzessivem Bottleneck-Slide, stoischem Rhythmus-Swing der Trommeln und den selbst zusammengezimmerten Bass-Gerätschaften. Andalusia goes Swampland, mitten in Oberbayern.

The Son of a Preacherman formerly known as John Wesley Myers, der mittlerweile kultisch verehrte James Leg, nicht mehr wegzudenkender Lifetime-Attendee beim Raut Oak, bereits zum fünften Mal zum Festival geladen: Erstmals am helllichten Tag mit seinem schweren Orgel-Dröhnen auf der Bühne, konnte das funktionieren mit diesem finster röhrenden Dark-Blues, mit einem Sound, der förmlich nach dunklen Kaschemmen und verrauchten Club-Kellern schreit? Es konnte, selbstredend. Der Mann ist mit seinem regelmäßigen Ausbruch an schierer Energie und seiner überbordenden Spielfreude als geborener Live-Entertainer längst über jeden Zweifel erhaben und könnte vermutlich selbst noch das scheintoteste Priester-Seminar zum Abrocken bringen. An dieser Stelle wie den altgedienten Raut-Oak-Besuchern im Besonderen noch Neues über die Qualitäten des Lonely Wolf aus Rock City/Tennessee zu erzählen macht ungefähr so viel Sinn wie eine Schlachtplatte für Vegetarier. Wie zu allen Gelegenheiten zuvor brachte der grollende Tasten-Berseker am Fender Rhodes zusammen mit dem energisch anschlagenden Drummer Marlon Saquet die Hügellandschaft unter der Eiche von der ersten Sekunde an zum Beben und entfesselte trotz weiterhin bester Wetterprognosen doch noch den obligatorischen Raut-Oak-Orkan im Murnauer Land, zu dem bei dieser schweißtreibenden Angelegenheit dann letztendlich doch wieder fast alle nass waren. Alte Gassenhauer im vehementen Heavy-Punk-Blues, ein paar entspanntere, bekannte Boogie-Grooves zur Kühlung der Gemüter und eine Handvoll neue Nummern in einer guten Stunde intensiver Vollbedienung inklusive obligatorischer „A Forest“-Zugabe unterstrichen einmal mehr, dass der ehemalige Kirchenmusiker in Sachen schier berstender, explodierender Energie, sich verausgabender Bühnenpräsenz und singulärer Weiterentwicklung des Blues nach wie vor zu den großartigsten Live-Acts dieses Planeten zu zählen ist.

Großes Entertainment fernab jeglicher bierernster Blues-Schwere zum Finale mit Reverend Peyton’s Big Damn Band aus Bean Blossom/Indiana – „You are the survivors“ rief ROF-Moderator Jay Linhardt dem verbleibenden Rest des Auditoriums zu. Viele, vor allem von Weitem angereiste Besucher waren bereits auf dem Heimweg, die bis zum Schluss Ausharrenden sollten noch einmal reichhaltig belohnt werden mit einer fulminanten Präsentation, zu der Slide-Gitarrist Josh „The Reverend“ Peyton, seine Waschbrett-spielende und -anzündende Frau Breezy aka „The Miss Elizabeth of Country Blues“ und Drummer Max Senteney alle Register ihrer Straßen-erprobten, durch permanentes Touren bewährten Bühnenshow zogen. Der „High Energy Country Blues“ des Trios verfing wie zu früheren Gelegenheiten sofort beim euphorisch mitgehenden Publikum, Interaktions-Nummern wurden bereitwillig durch Mitsingen und Klatschen begleitet, das ausgelassene Treiben rettete einstweilen über den Umstand des nahen Festival-Endes hinweg. Mit den drei Performern standen gestandene Profis auf der Bühne, die jede Party zu schmeißen wissen, neben humorigen Ansagen und feixenden Grimassen glänzte die Band vor allem durch exzellentes Bespielen der Instrumente, allen voran selbstredend der Reverend selbst mit seiner herausragenden Gitarren-Kunst, in technischer Brillanz, die nie zu seelenloser Protzerei verkam, im Slide-Flow wie als versierter Picker. Die altvorderen, legendären Delta- und Country-Blues-Männer versteht Peyton kenntnisreich zu zitieren, der Mann ist nicht nur Gaudi-Bursch, er ist darüber hinaus ein versierter Feldforscher zu alten Blues-Mythen und Bewahrer der Erinnerung an die von der Geschichte sträflich vergessenen Musiker. Der Spaß-Faktor war auch im Zugaben-Block groß geschrieben, und so ging ein rundum gelungenes Raut-Oak Fest 2019 fröhlich beschwingt am Sonntag-Abend in die Annalen ein, wenn auch so manchem aufgrund der viel zu schnell vergangenen drei Tage etwas wehmütig und schwer ums Herz wurde, aber das gehört selbstredend zwingend zum Deep Blues wie das Amen in der Kirche.

Thanks For The Water, Thanks For The Wine
Thanks For Showing Me A Real Good Time
(The Beasts Of Bourbon, Thanks)

Alright, ROF-2019-Schlussakkord, Thänx & Praises galore: Ein großes Dankeschön an den famosen Festival-Veranstalter Christian Steidlthe one and only – und all seinen freiwilligen Helfern hinterm Tresen, an der Technik, beim Auf- und Abbau, sonstwo: für exzellente und reibungslose Organisation, ein herausragendes, stimmiges, mit Verstand und Herzblut für die Sache zusammengestelltes Konzert-Programm, und nicht zuletzt für jahrelanges Durchhaltevermögen – erstmals ausverkauft, so muss es sein beim schönsten Open Air der Welt.
Dickes Lob an Götz Schulte-Coerne für perfekten Sound und Jay Linhardt für charmantes Anmoderieren und vermutlich vieles mehr im Hintergrund der Organisation.
Gepriesen sei der Wettergott: endlich ein Regen- und Sturm-freies Raut Oak, was gibt es Schöneres? Gelobt seien selbstredend alle Musikerinnen und Musiker, die unter verschärften Hitze-Bedingungen nicht weniger als alles gaben.
Tausend Dank an alle Freunde und Bekannten aus Nah und Fern, die vor Ort waren und sich anständig aufgeführt haben, aufmerksam den Konzerten beiwohnten und angeregt diskutierten, im Besonderen Annette, Xaver, Anton und Klaus für Begleitung, Lift, Nachtasyl für den Junior & last not least the legendary Tiki-Bar out of the Almost Boheme Mobile. Very special thanks an Kai K. für das herzerhebende Sechzig-Amateure-Shirt, you are the man!
Ob’s nochmal eine Steigerung gab zu den Vorjahren? Wer weiß, schlechter war’s ganz sicher nicht, dafür stand allein schon ein international besetztes, exzellentes Line-Up, das keine Wünsche offen ließ. Und über die paar Kasperlköpfe, die das gute Benehmen zwischenzeitlich scheint’s im Riegsee versenkten, breiten wir den Mantel des Schweigens – dafür ist die Vorfreude auf #ROF2020 bereits schon wieder viel zu groß, als dass da noch Platz fürs Nach-Tarocken wäre.
That’s it, Folks, for now – Trinkt mäßig, aber regelmäßig, und bleibt gesund, auf dass sich wieder alle versammeln, nächstes Jahr im Sommer, auf der Wiese unter der Eiche vor dem Gebirge…

Raut-Oak Fest 2019 @ Riegsee, 2019-06-28

„Wenn einem soviel Gutes wird beschert, ist das einen Asbach Uralt wert“ hieß es in längst vergangenen Zeiten in der TV-Werbung zur Anpreisung eines Weinbrand-Gesöffs, dabei wäre es aufgrund der subtropischen Temperaturen ein nahezu tödlicher Fehler gewesen, die dreitägigen Raut-Oak-Festspiele über Gebühr mit Hochprozentigem zu feiern: Organisator Christian Steidl wie seine Helfer und die Besucher-Schar des lange herbeigesehnten, seit Wochen ausverkauften Festivals am Riegsee bei Murnau durften sich nach etlichen verregneten und von Hagelstürmen schwer geprüften Veranstaltungen in den Vorjahren über exzellentes Hochsommer-Wetter freuen – optimale Bedingungen für die handverlesene Open-Air-Präsentation einer imposanten Auswahl an internationalen Top-Acts aus dem weiten Feld des Raw Underground Blues, Heavy Trash, Psychedelic-Rock, Garagen-Punk und artverwandter Spielarten am vergangenen Wochenende vor herrlicher Berg-Kulisse im oberbayerischen Alpenvorland.
Die Reisestrapazen zur zeitgleich stattfindenden Europa-Ausgabe des Muddy Roots Festivals im fernen belgischen Oostkamp konnte man sich auch heuer getrost sparen, das wesentlich stringenter, konzeptionell stimmiger und schlicht besser besetzte Line-Up zum Thema fand sich zum wiederholten Male vor heimischer Haustür im Blauen Land. Am Hügel auf der grünen Wiese unter der Eiche in Sichtnähe zu Herzogstand, Heimgarten und Zugspitze dürften nach den drei Tagen konzertanter Intensiv-Bedienung keine Wünsche mehr offen geblieben sein.

Bereits in die Vollen ging es mit dem ersten Auftritt, den flotten Reigen eröffneten am Freitag Nachmittag The Yawpers aus Denver/Colorado mit einem schmissigen Set, der das Festival-Publikum sofort auf den Raut-Oak-Modus einstellte und die grobe Marschrichtung für die kommenden drei Konzert-Tage vorgab. Beherzter, angerauter Rock ’n‘ Roll der alten Schule, beseelte, grobe Blues-Heuler, Reminiszenzen an den alternativen Country-Rock wie den tiefen Herzschmerz des Sixties-Deep-Soul, angelegentlich mit einem funky Unterton präsentiert, damit konnte die Band nicht fehlgehen zum sofortigen Hochfahren des Stimmungspegels beim bereits anwesenden ROF-Volk. Wo das Trio auf ihren Tonträgern wie dem jüngst bei Blooodshot Records veröffentlichten Werk „Human Question“ instrumental weitaus differenzierter unterwegs ist, damit die ein oder andere Kante ihrer geerdeten Americana-Interpretationen abschleift und von den gröbsten Splittern und Widerhaken befreit, reduziert die Band ihren Live-Sound mittels zweier Gitarren und einem Drum-Set auf die wesentlichen Elemente im rohen, unbehandelten Anschlag und konterkariert damit ihre seltsam intellektuell verbrämten Texte mit thematischen Exkursionen zu „German Realpolitik“ und Sigmund Freud.
Frontmann Nate Cook brillierte in seinen Rollen zwischen manischem Blues-Preacher und Liebeslieder-singendem Herz-Schmerz-Crooner, und spätestens daran war festzumachen, dass The Yawpers als erste Band und damit Anheizer bei noch geringem Besuch des Freiluft-Auditoriums eigentlich fast verschenkt waren, aber irgendwer muss die Nummer anstoßen, und für die Band wartete bereits the open road zwecks weiterer anstehender Gigs ihrer Europa-Tour in den kommenden Tagen. Ein Festival-Kick-off, wie er nicht schöner erhofft werden kann.

Das Raut-Oak-Fest ist mittlerweile bekannt dafür, dass es nicht alljährlich komplett die Besetzungsliste der auftretenden Musikanten durchwechselt, und so standen mit Christian Berghoff und Sebastian Haas vom saarländischen Duo Pretty Ligthning zwei alte Bekannte auf der Bühne, die bereits im Vorjahr das Freitags-Programm vor dem großen, stundenlangen Hagel-Sturm eröffneten. Die hypnotischen Beschwörungen der beiden Psychedelic-Experten vermochten im aktuellen ROF-Reigen – anders als vor zwölf Monden – den Wettergott und seine bösen Unwetter-Geister vom Austragungsort fernzuhalten, das Pantheon wie das Volk auf der Wiese lauschte entrückt der massiv einwirkenden, Hall-verwehten und durch den Verzerrer gejagten Gitarren-Psychedelia, dem Trance-artigen Desert-Drone-Flow und dem stoisch vorwärts drängenden Monoton-Drive der Drums, die atmosphärisch auch weitaus stimmiger zu verwirrenden Halluzinationen und gespenstischen Trugbildern in schweißtreibender, flirrender Prärie-Hitze als zu einem durchnässten Festival-Gelände passten. In andere Sphären einladender Sound-Trip, irgendwo zwischen den scharfen Klingen riesiger Wüsten-Kakteen und dem ausgedehnten Orbit im Outer Space schwebend.

The Dee Vees aus Manchester sind kurzfristig für ihre unpässlichen britischen Landsmänner von Demob Happy eingesprungen, was immer die ursprünglich angedachte Kapelle an Live-Entertainment aufzubieten hätte, es müsste ein gewichtiges Pfund sein, um mit dem Auftritt des Ersatz-Quartetts mitzuhalten. Opulenter Trash-Rock’n’Roll und finsterer Blues-Punk, wie ihn die Hörerschaft der Birthday Party, der Cramps und der Blues Explosion von Jon Spencer seit jeher zu schätzen wissen – laut scheppernd, roh und morbide, der wahre Stoff aus der dreckigen Blues-Punk-Garage als Soundtrack für den B-Horror-Streifen mit dem mordenden Psychopathen und das illusionslose Versumpfen am angeranzten Tresen der verschütteten Schnäpse und zahllos weggerauchten Kippen. Vorgetragen von einer vehement abrockenden Combo mit manischem, schwer zum Extrovertierten und damit zur großen Unterhaltungskunst neigenden Frontmann. Man kann es auch einfacher auf den Punkt bringen: dem Mann ging die eigene Reputation und die Contenance am Allerwertesten vorbei, er hat einfach die Sau raus gelassen und damit ein erstes, dickes Ausrufezeichen an Festival-Highlight in die Landschaft gestellt. Gitarrist/Sänger David Brennan aka DB sollte am folgenden Samstag in Sachen Bühnenpräsenz mit seiner anderen Combo namens Bones Shake – kaum vorstellbar, aber tatsächlich so geschehen – dahingehend noch eine gehörige Ladung drauflegen, dazu später mehr.

Den Heavy-Stoner-Blues von 20 Watt Tombstone gab’s bereits tags zuvor im trauten Heim von Mark Icedigger in den Suburbs von Rosenheim zum mentalen Einschwingen in die Raut-Oak-Welt, mit einem indisponierten, maulfaulen und hinsichtlich Zugaben-Block höchst unwilligen Gitarristen Tom Jordan, vom zahlreich erschienenen Publikum durchaus missbilligend zur Kenntnis genommen. 55 Minuten für einen gut bezahlten Haus-Gig inklusive exzellenter Verpflegung und Herberge für die Musiker waren schlicht und einfach zu wenig. Umso erstaunlicher, wie die Band und speziell der schwergewichtige Frontmann bei entsprechend größerer Zuhörerschaft und großartig abgemischtem Equipment zum lauteren Lärmen kaum 24 Stunden später aufblühte und zu Hochform auflief, im beseelten Spielwitz wie in der angeregten Kommunikation mit dem versammelten Auditorium vor der Bühne. Die große bayerische Volksschauspielerin Ida Schumacher drängt sich da förmlich auf mit einem Zitat, in schöner Analogie zu den Münchner Markt-Preisen für Eier und der Lege-Bereitschaft der liefernden Hühner im Winter in den fünfziger Jahren: „Mit 21 Pfennig, da ist es ihnen zu kalt, und mit 26, da leint ihnen der Hintern wieder auf“.
Den Klassiker „Killing Floor“ aus der Feder des großen Chester Burnett, jeweils eine Fremd-Komposition von Kyuss und den mit der Band befreundeten Left Lane Cruiser, der massige Rest der eigene Heavy Shit from Grunge to Blues and back out of Wasau/Wisconsin, laut und mit Rasiermesser-scharfen Slide-Riffs der Hörerschaft vehement um die Ohren geblasen – bis auf das exzessive, enervierende Handy-Gefilme des Tour-Managers auf der Bühne für sich besehen keine größeren Beanstandungen zum Raut-Oak-Gig des Rauschebart-Duos, im Kontext der aufeinander folgenden oberbayerischen Gigs von allen Besucher_Innen beider Veranstaltungen indes gebührend kritisch gewürdigt und eingeordnet.

Alte Bekannte in der Raut-Oak-Historie auch mit Freight Train Rabbit Killer am Abend zu bester Konzert-Stunde und etwas entspannteren Außentemperaturen, was der rituellen Tanzwut und den beschwörenden Gesten der verkleideten Hasen-Fans vor der Bühne nur förderlich war. Kris „Freight Train“ Bruders und Mark „Rabbit Killer“ Smeltzer aus Kansas City ignorierten wie im Vorjahr an selber Stelle das Vermummungsverbot und zelebrierten ihren Burka-Blues mit hart angeschlagenen Stahl-Saiten im Flusse stoischer Monotonie. Der Schamane vom Hügel und sein Outlaw-Kompagnon prangerten als verstaubte und abgehalfterte Reiter der drohenden Apokalypse und Rufer in der unwirtlichen Wüste die menschlichen Verfehlungen und seelischen Abgründe an: Southern Gothic im Roh/Ur-Zustand, Doom Blues im sinister dräuenden Trance-Flow, „Pictures From Life’s Other Side“, wie unser liebster Möbelpacker Johnny Dowd unheilvoll anmerken würde. Religiös verbrämte, ewige aktuelle Blues-Gospel, Moritaten vom Totschlag, von der Rache und vom Suff, dazu ergreifende Beschwörungen des Satans, der heimkommen soll ins Königreich der Engel, um diesem irdischen Elend endlich ein Ende zu bereiten.
Bei Bands vom Kaliber der Freight Train Rabbit Killer darf sich Veranstalter Christian Steidl mit dem Engagement wie ein notorisch in unendlicher Repetitiv-Schleife gegriffener Blues-Riff gerne und oft wiederholen, die „Band that will play the party after the world ends“ hat auch dieses Mal die Feierlichkeiten trotz schwerem und morbidem Inhalts-Stoff geschmissen, bevor aller Tage Abend war und das letzte Stoßgebet gefleht…

Den Hauptact des Freitag-Abend mit 70 Minuten „Destruction & Melody“-Vollbedienung plus zugestandener Zugaben in Abweichung vom Plan lieferten die beiden Ladies vom kanadischen Power-Duo The Pack A. D. aus Vancouver, auch sie keine Unbekannten am Riegsee für altgediente Festival-Gänger. Becky Black und Maya Miller eilt im Falle sich einstellender Spiel-Laune und entsprechender Motivation der Ruf einer exzellenten Live-Band voraus, und dem wurden die beiden jungen Musikerinnen zu fortgeschrittener Stunde bei ihrem jüngsten Gastspiel im Alpen-Vorland auch umfänglich gerecht. Der satt abgemischte Sound tat das Seine zum vehementen Gig, zu dem die Band neben einer Auswahl vom aktuellsten Album „Dollhouse“ auch aus dem reichhaltigen Fundus älterer Aufnahmen schöpfte. One of „Canada’s must-see bands“ untermauerte eindrücklich, dass Indie im Jahr 2019 noch uneingeschränkt Spaß machen kann. Sängerin/Gitarristin Becky Black legte die ganze emotionale Bandbreite ihrer fordernden wie schmeichelnden Sirenen-Gesänge in das von Trommlerin May Miller stramm wie humorig begleitete Gewerk aus polterndem Garagen-Blues, direkt zupackendem Punk-Trash, verspielten Psychedelic-Einwürfen und großen Ramones-Pop. Exzellentes Entertainment aus krachigem Lärm und melodischen Harmonien kann so einfach wie effektiv sein und sich damit völlig unkompliziert zu einem herausragenden Konzert auswachsen. Der guten Stimmung bei Band wie Publikum tat selbst die Nummer mit dem Strohhut keinen Abbruch: wäre man nicht der völligen Verblödung anheim gefallen, hätte man bereits beim ersten Versuch zur Kenntnis nehmen können, dass Gitarristin Becky keinen gesteigerten Wert auf das Tragen dieser Läusefalle hatte, aber Penetranz ist ein ausgeprägter und weithin verbreiteter Charakterzug so mancher Idioten, und bei einem ausverkauften, mit wesentlich mehr Zuschauer-Zulauf als in der Vergangenheit bedachten Festival kann es wohl zwangsläufig nicht ausbleiben, dass sich ein paar Deppen auf dem Gelände und speziell vor der Bühne tummeln. Anyway, großer Auftritt von The Pack A. D. – und damit eine hoch gelegte Messlatte für den finalen Gig des Abends.

Den ersten, rundum gelungenen Festival-Tag des ROF 2019 beschloss das neuseeländische Duo Earth Tongue. Sängerin/Gitarristin Gussie Larkin ist mit diesem Nebenprojekt wie mit ihrer Stammformation Mermaidens in jüngster Vergangenheit auf Initiative von KiwiMusic-Veranstalter Christian Strätz, den Machern des Maj Musical Monday und nicht zuletzt KAP37-Organisator Christian Solleder zu diversen Gelegenheiten im Münchner Konzert-Betrieb in Erscheinung getreten, was unter anderem zur prompten, für das gängige Linup untypischen Verpflichtung von Earth Tongue zum diesjährigen Raut Oak führte. Gussie Larkin und Trommler Ezra Simons schwangen sich mit dem Material des wenige Tage zuvor erschienenen, brandaktuellen Tonträgers „Floating Being“ kurz nach Mitternacht in neopsychedelische Indie-Space-Höhen auf, in unvermittelten Tempi-Wechseln, mit progressiver Wucht und im weiteren Verlauf mit einer aufgrund der verhaltenen wie verspielten Eröffnung von vielen nicht erwarteten, schweren Doom- und Stoner-Härte, die Gitarristin Larkin mit brachialen, vibrierenden Metal-Riffs auskleidete und vom jugendlichen Drummer Simons als vollmundigen Black/Sludge-Brüller auf die Spitze getrieben wurde.
Earth Tongue bereicherten das Festival nicht unwesentlich mit ihrer dröhnenden, stilistisch breit aufgestellten Spielart des Indie/Trance/Progressive-Crossover, mit einem Genre-übergreifenden Ausbruch, der durch leiernde Klage-Gesänge, brachiale Attacken wie Melodien-verliebtes Driften im Hypnose-Flow eine eigene Note im Blues- und Trash-dominierten Raw Underground Setup des weltbesten aller Open Air Festivals setzte.

ROF 2019 / Day 2 – coming soon…

Hochzeitskapelle @ Abgesägter Baum an der Isar, München, 2018-09-20

„When It Rains In Texas (It Snows On The Rhine)“ heißt ein Stück vom ersten Hochzeitskapellen-Album „The World Is Full Of Songs“, die München/Weilheim-Connection covert sich dort durch eine Instrumental-Version eines im Original von David Lowery besungenen FSK-Country-Schunklers – auch wenn die Tage kürzer und die Nächte kühler werden, stand am vergangenen Donnerstag-Spätnachmittag hinsichtlich Regen und Schnee nichts zu befürchten, und so bot bei herrlicher Altweibersommer-Witterung das weitläufige Isar-Ufer in zentralster Münchner Stadtlage einmal mehr den optimalen Rahmen für ein spontan anberaumtes Freiluft-Konzert der sich zusehends zum Erfolgsmodell auswachsenden Zusammenkunft fünf individueller und hochtalentierter Musikanten, die sich einst aus einer Laune heraus zur musikalischen Begleitung der Vermählung eines befreundeten Paares zusammenfanden, und zu feiern gibt es auch dieser Tage nicht zu knapp für die Hochzeitskapelle: Am Tag des Konzerts kam der „Wackersdorf“-Film von Oliver Haffner in die Kinos, zu dem die begnadete Instrumental-Combo den Soundtrack beisteuern durfte zur Geschichte über den Widerstand in den Achtzigern gegen die geplante Atom-Wiederaufbereitungsanlage in der Oberpfalz, ein trotz Jahrzehnte zurückliegender Ereignisse erschreckend aktueller Film vor dem Hintergrund der derzeitigen Auseinandersetzungen um den Hambacher Forst und der anstehenden Landtagswahlen in Bayern mit einem Brech- und Juckreiz-befördernden FJS-Jünger als MP-Titelverteidiger der regierenden Cryptisch-Sakralen Union.
Damit nicht genug an erwähnenswerten Festivitäten, die es bekanntlich zu feiern gilt, wie sie fallen: am Tag nach dem Isar-Open-Air (also Hilfsausdruck: aktuell heute) steht auch noch die offizielle Veröffentlichung des neuen Hochzeitskapelle-Tonträgers „Wayfaring Suite“ als gemeinschaftliche Produktion mit dem japanischen Musiker und Komponisten Kama Aina über die Labels Gutfeeling Records und Alien Transistor an, Würdigung der konzertanten Plattentaufe seinerzeit → hier.
Mit derart gewichtigen Trümpfen in der Hinterhand ließ es sich selbstredend entsprechend Tiefen-entspannt musizieren, vornehmlich mit dem live bereits vielfach bewährten Material des grandiosen Debüt-Longplayers aus dem Jahr 2016 – wie der ein paar Meter vom Ort des Geschehens fließende Münchner Mississippi sein ewig wahres Isar-Märchen erzählt und das berühmte Flimmern entfaltet, genau so bezaubern die instrumentalen Perlen von Kegemaier/Götz/Haas/Acher/Acher zu jeder Tages-, Nacht- und Jahreszeit an jedem Ort dieser Welt mit ihrem unnachahmlichen, relaxten Crossover-Groove aus Polka, New-Orleans-Blues, Funeral- und Brass-Band-Sound, Gypsy-Swing, Bluegrass, Chanson-Pop und nicht zuletzt dem selbst so titulierten Rumpel-Jazz, Fremdwerk gleichermaßen wie Eigenkomponiertes, man kann immer wieder nur staunen und genießen, was diese Formation scheinbar ohne jegliche Anstrengung völlig unaufgeregt an herausragender Melodik, beschwingten Rhythmusfiguren und solistischen Finessen aus dem Ärmel schüttelt. Das Konzert der Hochzeitskapelle an der frischen Luft im Grün der Flusslandschaft war große Improvisationskunst, gelebte Inklusion, geplante wie ungeplante Einbindung von diversen Gastmusikern, unter anderem zwecks Vortrag alter japanischer Walzer, oder ganz einfach die schönste, reichhaltigste, bunteste und gehaltvollste Musik dieser Stadt und damit der zeitlose Klang, um einen Jahrhundert-Sommer würdig in einen hoffentlich goldenen Herbst zu geleiten.
„The World Is Full Of Songs“, wie wahr, man muss nur hinhören. Am vergangenen Donnerstag in den Isar-Auen, und sonst sowieso auch zu jeder Gelegenheit, wenn die Hochzeitskapelle aufspielt, etwa wieder am 1. Oktober, um 14.00 Uhr, im Herzkasperl-Zelt auf der Traditions-Wiesn des Münchner Oktoberfestes – wie schrieb letztens so ein Hamperer großmaulig auf einem dieser Soziale-Netzwerke-Foren: be there or be scheintot… ;-))

Wellbrüder aus’m Biermoos @ Sommerabend am Sendlinger Kirchplatz, München, 2018-06-30

„De AfD in Bayern, de braucha mia nia, sogt da Dobrindt, denn rechts und radikal warn oiwei scho mia!“
(CSU-Mantra zur anstehenden Landtagswahl)

Nach dem nahezu in jedem Sommer wiederkehrenden Jazz-Gedudel, das zu der Gelegenheit meist obstinat zu Hause bleiben oder das Abend-Entertainment woanders suchen ließ, präsentierte die Sendlinger Kulturschmiede in der 2018er-Ausgabe ihrer seit 28 Jahren stattfindenden Open-Air-Veranstaltung „Sommerabend am Sendlinger Kirchplatz“ am wunderschönen, Denkmal-geschützten Ensemble am Fuße der alten Sendlinger Kirche zur Abwechslung was Handfestes, Ohren-verträgliches und höchst Amüsantes, oder, um es im hier angebrachten Bairisch zu sagen: endlich moi wos G’scheids! Mit den Well-Brüdern aus dem oberbayerischen Hausen lud der Stadtteil-Kulturverein von schräg gegenüber jahrzehntelange Erfahrung in Sachen Musik-Kabarett, Satire, instrumentale Vielfalt wie handwerkliche Exzellenz auf die Bühne. Die ehemalige Biermösl Blosn, die sich 2012 – durch den Ausstieg von Hans Well bedingt – nach 36 Jahren auflöste und unter neuem Namen mit Bruder Karl und den verbleibenden Wells Stofferl und Michael im folgenden Jahr neu formierte, ließ dankenswerter Weise am Samstagabend die mitunter gern begleitende tote Hose Campino seine als Deutsch-Punk getarnten peinlichen Schlager-Liedlein woanders trällern und den in letzter Zeit auch kaum mehr zu Hochform auflaufenden Well-Intimus Gerhard Polt andernorts seinen zusehends immergleichen Krampf verzapfen, und so konnte sich das Publikum freuen auf einen ausgedehnten Abend mit Nummer 12, 13 und 14 der Well-Geschwisterfolge, in der die vielseitig ausgebildeten Musikanten wieder einmal ihre Brillanz auf unterschiedlichster Spiel-Gerätschaft wie Bach-Trompete, Dudelsack, Gitarre, Tuba, Akkordeon bis hin zu Drehleiher und Alphorn unter Beweis stellten, das inspirierte Können ist bei den Wells weithin bekannt in eigenen Dimensionen angesiedelt, selten beherrscht jemand eine Vielfalt an Instrumentarium derart professionell, virtuos und scheinbar völlig locker aus dem Handgelenk geschüttelt wie die drei Brüder, wie im übrigen auch ihre Schwestern von den Wellküren oder der abtrünnige Hans, inzwischen mit seinem eigenen Nachwuchs aufspielend. Identitäts-stiftend, wie es immer so schön heißt, für uns Bajuwaren allemal, Musik um der Musik willen, als kollektives Erlebnis und Brauchtums-Pflege im Geiste des Kraudn-Sepp fernab des sich wie auch immer verrenkenden „Neuen Heimat-Sounds“.
Und dann glänzen’s neben dem schwungvollen Vortragen in bayerischer Volksmusik inklusive Versatzstücken aus irischem Folk und der Hochkultur der Klassik – Stofferl Well war nicht ohne Grund beim Celibidache zugange – ja auch noch als ausgewiesene Gaudiburschen, neben den bereits obligatorischen Kalauern über die Hausener Feuerwehr, den neuen Kreisverkehr am Ortseingang, den darüberbretternden SUV und die neuesten Erkenntnisse vom Drexler Toni, seines Zeichens Kreisheimatpfleger in fraglicher Gemeinde, drängten sich im schönen Sendling die Themen Gentrifizierung, Wohnraum-Verdichtung, Veganer-Overkill und voranschreitende Veränderung des Stadtteil-Charakters förmlich auf, dem ein oder anderen kürzlich Zugezogenen – the so-called „Zuagroasten“ oder „Reigschmeckten“ – mag da das Lachen im Hals stecken geblieben sein, und den Alteingesessenen vergeht es zu dem Thema ohnehin zusehends mehr.
Stofferl Well führte ins Feld, dass Humor nichtsdestotrotz das Einzige wäre, was das Unvermeidliche etwas erträglicher gestaltet, ob es das unausweichliche eigene Dahinscheiden ist, die nächste Deutsche Meisterschaft vom Steuerhinterzieher-Verein oder die allmächtige Existenz in Bayern der – man ahnt es – CSU. Dass sich die drei Vollblut-Musiker und -Kabarettisten mit etlichen bayerischen Gstanzln, boshaften Ausführungen und Liedtexten auf ihre jahrzehntelangen Lieblings-Spott-Opfer von den „Christ-Sozialen“ einschossen, liegt bei einem Konzert der Well-Brüder auf der Hand und gehört seit etlichen Dekaden zum unumstößlichen Standard-Programm, zumal in Zeiten, in der die momentan völlig irrlichternde bayerische Volks-Partei mit Vereinnahmung rechts-populistischer Themen, dem Aufhängen von Islamisten-, AfDler- und Sozi-vertreibenden Kruzifixen in freistaatlichen Amtsstuben, einer gelinde gesagt erratischen Bildungspolitik, kulturellem Größenwahn in Form des in Regensburg und andernorts bereits vor Eröffnung nicht unumstrittenen Museums der Bayerischen Geschichte und nicht zuletzt unsäglichem Personal wie dem Bundesinnenminister-Vollhorst, Maut-Spezi Doofbrindt und dem dauergrinsenden Franken-Schmieranten auf dem MP-Sessel keine Gelegenheit auslässt, um Zielscheibe und maximalste Angriffsfläche zu bieten für die kritischen Geister aus dem Beerenmoos im Fürstenfeldbrucker Umland.
Um dem Proporz Genüge zu tun, durfte der ein oder andere Seitenhieb auf SPD-OB Reiter, die Volksverhetzer von der AfD und grüne Spießbürgerlichkeit nicht fehlen, so konnte sich so ziemlich jede/r im musikalischen Polit- und Gesellschafts-Rundumschlag der Well-Brüder wiederfinden, und so haben’s auch alle was zum Lachen und zum lang anhaltend Applaudieren gehabt, die Haufen Leute am gesteckt vollen Sendlinger Kirchplatz, schee war’s, und schod war’s, wia’s gor war – und das Jazz-Getröte, der Polt und der Campino sind sowieso niemandem abgegangen, eh klar…