Im letzten Jahr umschifften sie im Rahmen ihrer Promo-Tour zum 2018er-Album „Vortex“ Münchens Gestade in einem großen Bogen, am vergangenen Mittwochabend war es dann knapp drei Jahre nach ihrem letzten Gig vor Ort in den Feierwerk-Gemäuern endlich wieder soweit: Die Compañeros der spanischen Postrock-Band Toundra machten dem Isardorf ihre Aufwartung zur nachträglichen Live-Präsentation des aktuellen Materials nebst einer Auswahl an älteren Instrumental-Perlen aus ihrem reichhaltigen Fundus.
Über den Kampf zum Spiel, ein passender Aufhänger für jeden dieser extrem engagierten Toundra-Auftritte, und damit wären die Madrilenen dann wohl eher Atlético als Real, um thematisch beim Fußball zu bleiben, wenn auch ihre Darbietung am Mittwoch gleichwohl königlich war und das Herz von Gitarrero Esteban Girón unübersehbar weit mehr für den FC St. Pauli schlägt, aber auch am Hamburger Millerntor ist die Tugend für beherzten Spiel-Einsatz ausgeprägt und geschätzt wie selten sonst wo im kickenden Liga-Betrieb. Die Leidenschaft und das Brennen für den eigenen Sound sind bei den Vieren von Toundra Qualitäten, die weder zu übersehen noch zu überhören sind, damit gestalten sich die Auftritte der Band in der Form bereits annähernd zu einzigartigen Ereignissen im weiten Feld des Postrock und seiner Metal-Abwandlungen.
Das Quartett war als Einheit wie stets von der ersten Sekunde an auf den Punkt präsent: wo andere Postrock-Bands introvertiert am Sound feilen, sich in endlosen Elegien verlieren und im langen Fluss mit der Intensität spielen, um irgendwann den „Wall Of Sound“ in den Raum zu stellen, lassen Toundra von den ersten Tönen an die massiv donnernden Springfluten über das Auditorium hinweg brechen und halten in ihrem gut achtzig-minütigen Set im weiteren Fortgang das Energie-Level auf beispiellos hohem Niveau, selbst in den spärlich vorgetragenen, Tempo-reduzierteren, kontemplativeren Momenten entfaltet die Formation aus der spanischen Hauptstadt weit mehr Druck als so manch artverwandte Combo in ihren vehementesten Ausbrüchen. Das unter Hochdruck arbeitende, Takt-gebende Duo mit Alberto Tocados am Bass und Álex Pérez an den Trommeln, Lead-Gitarrist David López, der mit filigranen wie gleichsam überwältigend dichten Soli den Toundra-Sound in erster Linie charakterisiert, und sein Pedant Esteban mit treibenden Rhythmus- und flirrenden Gitarren-Crescendi-Riffs kennen im Wesentlichen nur eine Richtung – die nach vorne drängende, weit raumgreifende, alles mitreißende. Bei Toundra geht es nie um das Postrock-typische, Ambient-affine meditative Versenken im Klangbild, die Band lebt den ungebändigten Geist des Rock’n’Roll und ist dementsprechend physisch aktiv im ruhelosen, von ungebremster Spielfreude getriebenen Ausleben der Emotionen, im Hineinschmeißen in die großen Rockstar-Posen und Punkrock-Gesten des Bühnen-Entertainments, im Anfixen des Publikums, das an dem Abend zu dieser extrovertierten Gangart Schritt hielt und für München-Verhältnisse geradezu enthusiastische Reaktionen auf das Anheizen der entfesselt aufspielenden Musikanten folgen ließ.
Hart zupackend im Anschlag, in hoher Schlagzahl die Tempi variierend, offenbaren die Vier aus Madrid daneben stets ein untrügliches Gespür für erbauende Melodien und auf die Spitze getriebene, ergreifende Hymnik, damit bleiben sie trotz nahezu völlig fehlender Melancholie- und Düster-Elemente doch weit mehr im klassischen Postrock-Lager verhaftet als in der Metal- und Hardcore-Variante des instrumentalen Genres, und damit werden sie im kommenden Sommer die zahlreichen Hard- und Heavy-Festivals nicht unwesentlich bereichern, zu denen die Band aufspielen wird.
Frenetischer Applaus war den Spaniern nach dieser tonalen Tour de Force gewiss, die gegenseitige Zuneigung zwischen Musikern und Publikum war förmlich greifbar, und einer stand da ganz besonders im Fokus: Nachdem er jetzt mit der Combo ganz dicke ist, findet das nächste München-Konzert bei Freund Anton im Wohnzimmer statt, Termin wird dann rechtzeitig für eine handverlesene Schar bekanntgegeben. In der Zwischenzeit wappnen wir uns schon mal vor dem Wehklagen der Nachbarschaft über das laute Sound-Gewitter und die bröckelnde Zimmerdecke in der Wohnung darunter, wenn Derwisch Estaban einmal mehr den doppelt eingesprungenen Townshend hinlegt… It’s only Postrock’n’Roll but we like it!