„Er und Dudley Smith belauerten sich gegenseitig. Er und Dudley Smith gingen ausgesucht höflich miteinander um. Er und Dudley Smith dinierten einmal im Monat mit Erzbischof Cantwell. Nennt-mich-Jack gestattete Dudley, Drogen an die Neger der Southside zu verkaufen. Nennt-mich-Jack segnete Dudleys widerliche Theorien über den Einsatz von Rauschmitteln zur Beruhigung bestimmter Rassen ab. Dudley war ein Coughlin-Anhänger und ein America-Firster. Er war in Irland geboren. Er hasste die Engländer. Er freute sich klammheimlich über das Nazibombardement von London.“
(James Ellroy, Perfidia, 3. William H. Parker, Los Angeles / Samstag, 6. Dezember 1941)
James Ellroy – Perfidia (2015, Ullstein)
Der Großmeister des amerikanischen Hardboiled-Krimis hat nochmal zum ganz großen Wurf ausgeholt: nach dem ersten „L.A.-Quartett“ (The Black Dahlia, The Big Nowhere, L.A. Confidential, White Jazz) und der „Underworld USA“-Trilogie (American Tabloid, The Cold Six Thousand, Blood’s A Rover) sowie der Reihe um den L.A.-Cop Lloyd Hopkins und diverser Einzelwerke startet James Ellroy mit dem 960-Seiten-Wälzer „Perfidia“ sein zweites L.A.-Quartett, welches als Prequel zu den beiden erstgenannten Reihen konzipiert ist.
Während das erste Quartett zeitlich Ende der vierziger bis Ende der fünfziger Jahre in Los Angeles angesiedelt ist und in vier Novellen die Geschichte des LAPD in diesem Jahrzehnt erzählt und die „Underworld USA“-Trilogie in der Zeitspanne 1958 bis 1973 zentral die Kennedy- und Martin-Luther-King-Morde sowie die damit verbundene politische und kriminelle Korruption von Seiten der Mafia, der amerikanischen Parteien und des FBI thematisiert, setzt das neue Quartett zeitlich wesentlich früher während der Tage des japanischen Pearl-Harbour-Angriffs auf und beleuchtet die Zeit des Zweiten Weltkriegs aus Sicht der USA, dementsprechend treffen wir zahllose Protagonisten der beiden Reihen in wesentlich jüngeren Jahren in „Perfidia“ wieder.
„Littell blies Rauch in Satterlees Richtung. Bowron und Biscailuz kicherten. Dick Hood ergriff das Wort: „Das einzige Kriterium für die Festsetzung einer ausländischen Fünften Kolonne ist die gesicherte Tatsache, das die Scheiß-Japaner heute früh das Gebiet der Vereinigten Staaten bombardiert und mindestens zweitausend Amerikaner getötet haben, die Scheiß-Deutschen und Scheiß-Italiener hingegen nicht. Und wie ich gerade festgestellt habe, steckt L.A. rappelvoll mit Scheiß-Japanern, weswegen wir nicht lange um den Scheiß-Brei rumreden, sondern abklären sollen, wie potentieller Sabotage der Riegel vorgeschoben werden kann.“
(James Ellroy, Perfidia, 15. Los Angeles / Sonntag, 7. Dezember 1941)
Hauptakteure des opulenten und hochkomplexen Romans sind der japanischstämmige LAPD-Kriminaltechniker Hideo Ashida, die junge, promiskuitive Kay Lake, die später auch in der „Schwarzen Dahlie“ auftauschen wird, der tatsächliche spätere, von James Ellroy hoch geschätzte LAPD-Polizeichef William H. Parker sowie der in der Tat sehr perfide LAPD-Sergeant Dudley „Dudster“ Smith, der den Fans des ersten „Quartetts“ in seiner ganzen diabolischen Pracht hinlänglich bekannt sein dürfte.
Wie immer bei Ellroy, sind auch die vermeintlich Guten nicht ohne Schuld in diesem Panoptikum aus Korruption, Intrigen, sich wechselnden Allianzen und den aus dem Angriff auf Pearl Harbor resultierenden anti-japanischen Rassen-Ressentiments – in der sich im Verlauf der über dreiundzwanzig Tage erzählten Geschichte wird sich jeder erwähnte Vertreter des LAPD, der katholischen Kirche, der linksgerichteten Hollywood-Aktivisten, der korrupten Politiker-Gilde und diverser Mafia-Vertreter mehr als nur die Hände schmutzig machen.
Wie James Ellroy vor einigen Wochen im Rahmen seiner Lesung im Münchner Amerikahaus erwähnte, konzipierte er den komplexen Kriminal- und Historien-Roman auf einem knapp tausendseitigen, parallelen Arbeitsskript, um so die diversen Beziehungen der handelnden Personen und parallelen Handlungsstränge in eine geordnete und in sich geschlossene Form zu bringen.
„Eine Sackgasse, Sir. Ich werde tun, was ich kann, bin aber nicht optimistisch. Am Ende werden wir ermitteln, das der Vorgang auf eine Missetat im feudalen Japan zurückzuführen ist. Ein Japsen-Warlord hat die Ziege eines anderen Warlords gefickt, ohne vorher dessen Erlaubnis einzuholen. Eine üble Beleidigung mit jahrhundertelangen Auswirkungen. Bis das Geschehen auf der Avenue 45 seinen Abschluss fand, just an dem Tag, an dem die Japsen den folgenschweren Irrtum begingen, unsere prächtige Flotte in Pearl Harbor zu bombardieren.“
(James Ellroy, Perfidia, 19. Los Angeles / Montag, 8. Dezember 1941)
Stilistisch fährt der Roman zweigleisig: Während das sogenannte „Kay-Lake-Tagebuch“ im konventionellen Stil vorgetragen und gut lesbar ist, schrieb Ellroy die überwiegenden, restlichen Kapitel in dem mitunter etwas schwer verdaulichen, aber extrem rasant zu lesenden Stakkato-Stil, wie er ihn erstmals in „White Jazz“ praktizierte und über die Jahre in den Werken der „Underworld USA“-Trilogie verfeinerte. Wie auch immer: Das Werk ist für Ellroy-Junkies (as I am) ohne Einschränkungen ein Muss, Einsteiger greifen bitte zuerst zu Frühwerken des Meisters, spätestens nach Verschlingen der ersten „LAPD“-Serie werden sie ohnehin bei „Perfidia“ landen. Ein großartiger Auftakt zu einer neuen – da bin ich mir ganz sicher – Kultserie eines der größten lebenden Schriftsteller unserer Tage.
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