Philip Bradatsch

Philip Bradatsch @ Tollwood, München, 2018-11-28

Wohlig-wärmender Americana-Sound für Herz und Gemüt bei frostigen Außentemperaturen, von Trikont Recording Artist Philip Bradatsch und seiner Band beim Winter-Tollwood präsentiert, am vergangenen Mittwoch-Spätnachmittag. Die alternative Weihnachtsmarkt-Zeltstadt an der Münchner Theresienwiese war in vergangenen Zeiten nicht unbedingt der place to be, wenn’s um anregendes konzertantes Entertainment ging, dahingehend hat sich auch in der 2018er-Ausgabe nicht allzu viel geändert, umso schöner, dass mit Bradatsch – und der Donkeyhonk Company am 17. Dezember – zwei sehens- und hörenswerte Ausnahme-Acts auf dem heurigen Programm-Zettel des „Hexenkessel“-Zelts zu finden sind, wenn auch die Anstoß-Zeit mit 16.30 Uhr eine gewöhnungsbedürftige bleibt und vermutlich den ein oder anderen Interessenten vom Besuch zwecks anderweitiger Verpflichtungen abhält.
Den Musikern war’s offensichtlich einerlei, das Quartett war vom Start weg bereits zur Nachmittags-Matinee auf Betriebstemperatur beim gelungenen Opener mit dem finster dräuenden Desert-Rocker „Shadowland“, mit dem sich vorneweg andeutete, dass Philip Bradatsch zu der Gelegenheit bestens aufgelegt war hinsichtlich Fingerfertigkeit am Griffbrett seines Instruments und damit eine verbindliche Dringlichkeit in seiner Interpretation von süffigen, satten Southern-Rock-Ergüssen und den ausladenden, schwerst beseelten und inspirierten Gitarren-Soli im klassischen Folk-Rock-Geist an den Tag legte. Eingebettet in das begleitende Sound-Gerüst seiner grundsolide arbeitenden Band widmete sich der vielbeschäftigte Roots-Musiker aus dem Allgäu vor allem dem Material seiner jüngst beim Münchner Trikont-Label erschienenen Song-Sammlung „Ghost On A String“, in gedehnten, opulenten Versionen, die den exzellenten Studio-Einspielungen im Live-Vortrag noch ein gehöriges Maß an Intensität hinzuzufügen wussten. Wo der Tonträger bereits in feinster Americana-Songwriter-Kunst ohne Abstriche zu überzeugen weiß, ist die konzertante Umsetzung der Werke schlichtweg grandios, die Band nutzte am Mittwoch-Nachmittag das komfortable Zeitfenster zur gründlichen wie massiv abrockenden Ausformulierung ihrer aktuellen Nummern.
Im kurzen Intermezzo erinnerte sich Bradatsch solistisch seiner Bluegrass-/Country-Folk-Wurzeln und begleitete sich an der Wandergitarre zu seelenvollen Balladen in der Titelnummer seines Debüt-Albums „When I’m Cruel“ und dem dort enthaltenen Paradestück „This Time Around“, trotz reduzierter Instrumentierung gelingt es dem Musiker völlig unangestrengt, die Songs dank seiner ausgewiesenen Fähigkeiten als Gitarren-Virtuose vollmundig und fern jeglichen herkömmlichen folkloristischen Lagerfeuer-Geschrammels zum Vortrag zu bringen.
Die flockige, wunderbar leichtfüßig dahingleitende Folk-Psychedelic in „Supernova“ konnte das Konzert-Publikum nicht verstören, wie es Bradatsch in einer seiner lakonischen Song-Ankündigungen als Absicht formulierte, eine schwer für sich einnehmende Free-Flow-Nummer, die zu gefallen wusste, wie auch einmal mehr seine deutsche Bearbeitung des Dylan-Frühwerks „The Lonesome Death Of Hattie Carroll“, hier ist Philip Bradatsch ganz Protestsänger im ureigenen Sinn, „Der einsame Tod des Ben Ahmad“ ist aufgrund der herrschenden Abschiebe-Praktiken von Asyl-Suchenden, die ein schändlicherweise immer noch in seinem Amt sitzender, untragbarer Bundesinnenminister zu verantworten hat, von einer aktuellen Brisanz, die der Songwriter in seiner Eindringlichkeit ungefiltert zu vermitteln weiß. Song des Jahres, keine Frage, und das mit einer Nummer, die bis dato noch nicht offiziell auf Tonträger erschienen ist.
Um irgendwelche Vergleiche mit Dylan, Old Neil Young oder anderen Granden des US-amerikanischen Folk- und Country-Rock muss sich Bradatsch nicht mehr kümmern, die hat er alle unüberhörbar irgendwann im Laufe des dahinschwindenden Jahres irgendwo auf einem imaginären Highway mit zügiger Überholung links liegen gelassen, und der bessere Sänger war er im Zweifel sowieso schon immer.
Sollte sich mal zufällig die Gelegenheit ergeben, kann man sich ja wie einst Steve Earle auf den Kaffeetisch vom Literaturnobelpreis-Bob stellen und der Welt verkünden, dass man da einen weitaus talentierteren Songwriter als den alten Nöler aus Duluth/Minnesota kennt.

Reingehört (498): Philip Bradatsch

„Trying to make these words fit for the song“
(Philip Bradatsch, Down Down Down)

Philip Bradatsch – Ghost On A String (2018, Trikont)

Der Mann ist in Sachen Live-Präsenz breit aufgestellt, ob beim international besetzten Muddy Roots Europe im fernen Belgien oder beim lokalen Münchner Stadtteil-Fest im schönen Giesing, ob als Frontmann der Allgäuer Indie-Folk-Kapelle The Dinosaur Truckers, als Picker des Bluegrass-Quintetts Munich String Band, als musikalischer Begleiter literarischer Lesungen oder solistisch auf eigene Rechnung, und auch auf seinem aktuellen Longplayer „Ghost On A String“ dehnt der Wahl-Münchner Philip Bradatsch stilistisch den Spagat, ohne im Entferntesten beliebig oder austauschbar zu erscheinen. Beim Solo-Erstwurf „When I’m Cruel“ aus dem Jahr 2015 steckten virtuoser Banjo-Bluegrass und seelenvolle Alternative-Country-Balladen einen stringenten Rahmen ab für die sensibel gepflegte Americana des begnadeten bayerischen Gitarristen, auf dem Folgewerk darf es dann auch zuweilen die Reminiszenz an die Pop-musikalischen Sechziger, eine Prise gewichtiger Heartland-Rock und die Anlehnung an die große amerikanische Songwriter-Tradition sein, fernab der Appalachen, der Lagerfeuer an staubigen Landstraßen und des Bierdunsts der rustikalen Fernfahrer-Kneipen.
Das über sechsminütige Titelstück liefert im Jahr des Herrn 2018 vermutlich mit die dramaturgisch spannendste und musikalisch ergreifendste Mutation vom akustischen Desert-/Alternative-Country hin zu elektrischem Southern-/Folk-Rock inklusive wunderschön singender Gitarren, in einem gleichsam völlig aus der Zeit gefallenen, zeitlosen wie dieser Tage seltenen Gewand, und damit in der aufgezeigten Inbrunst wertvoll wie kaum sonst was in unserer schnelllebigen Ära, inklusive Platten-beschließendem, kurzem Reprise als Crazy-Horse-Verneigung mittels jaulender, entfesselter Strom-Saiten. Wegen solchen Ausnahme-Nummern hat man sich früher die Alben ins Regal gestellt, selbst wenn der Rest der Platte qualitativ weit abfiel – was hier nicht der Fall ist. Schwergewichtige Fuzz-Gitarren hallen und lichtern auch im düsteren Downtempo-„Shadowland“ durch die Klanglandschaft und machen das Archaische, Finstere, unterschwellig drängend Bedrohliche in dieser Schattenwelt nahezu greifbar. Schade, dass David Lynch bis dato kein Faible für fundierte Folkrock-Psychedelic erkennen ließ, hier wäre die entsprechende Beschallung für seine diffus verstörenden, cineastischen Geistertänze zu haben.
„You’re Gonna Be OK“ ist trotz vordergründig ruhigem Fluss nicht zuletzt durch die orchestral wirkende, in Schichten aufgetragene Gitarren- und Orgel-Melodik und das beschwingte Klavierspiel von erstaunlichem Tiefgang und offenbart sich so völlig unaufdringlich, dafür umso nachhaltiger als großer Song.
Daneben legt Bradatsch auf dem Album Songwriter-Qualitäten auf dem Level von Größen wie Tom Waits oder Randy Newman an den Tag, am augenscheinlichsten bereits im Opener mit der nachdenklichen Piano-Ballade „Down Down Down“, mit dem feinen, zweifellos Güte-steigernden Unterschied, dass der Songwriter aus dem Allgäu anders als die berühmten US-Kollegen im Vortrag nicht mit ruinierter Krächz-Stimme den Bar-Blues krakeelt oder sprechsingend pseudo-intellektuell vor sich hin nuschelt zu seinem Klavierspiel, weit mehr der empathischen, beseelten und wohlklingenden Sangeskunst huldigt, so wie in allen anderen Songperlen des Tonträgers eben auch.
Gab mal eine Zeit, da hat ein fragwürdiger Literaturnobelpreisträger großartige Folkrock-Platten abgeliefert – mit „John Wesley Harding“ mindestens eine – und eine berühmte Combo aus Liverpool neben ihrem zu Teilen völlig überschätzten Material auf einem weißen Album, einem stinklangweiligen Konzept-Werk über einen Pfeffer-Sergeant und diversen anderen Belanglosigkeiten aus dem Mainstream-Kanon des schlechten Geschmacks auch eine Handvoll gepflegte Sixties-Psychedelic-Perlen und höchst selten sogar großes Pop-Songwriting für die Ewigkeit produziert, diese Ansätze rettet Bradatsch nebst vielen eigenen Ideen und Anmerkungen in zeitloser Form in das Hier und Jetzt und drückt ihnen gekonnt und inspiriert in seinen Geschichten über abgehängte Outsider, wärmende Radiatoren, die Liebe und das Leben in einer hoffentlich besseren Zukunft seinen eigenen Stempel auf.
Diese alljährliche Kohle-aus-der-Tasche-zieh-Nummer zum Weihnachtsgeschäft aus dem Hause Beatles und Erben ist einmal mehr eine höchst überflüssige, anstelle der aktuell angeleierten White-Album-Restmüllverwertung reichen die circa eineinhalb Songs mit den Fab-Four-Reminiszenzen auf dem jüngsten Bradatsch-Tonträger völlig aus zum Schwelgen in den Sixties.
Bei weniger versierten Musikern und Songwritern kann diese Bezugnahme auf die Pop- und Folk-Historie durchaus schiefgehen, falsche Herkunft, falsche Dekade, dieses letztendlich sinnlose Authen­ti­zi­täts-Blabla, die ausgetretenen Pfade des Folk und Rock, man kennt diese Einwände und Vorbehalte zur Genüge, speziell hinsichtlich Nicht-Angloamerikanern. Ist aber nicht schiefgegangen, ganz im Gegenteil, Philip Bradatsch zelebriert seine musikalische Prägung und Weiterentwicklung auf „Ghost On A String“ mit seiner ureigenen Roots-Spielart großartig, auf einem der besten Songwriter-Rock-Alben des Jahres, und das bereits seit vergangenem Frühjahr, der Welt dargereicht über das geschätzte Münchner Indie-Label Trikont. Einziger Wermutstropfen: der jüngste Bradatsch-Wurf „Der einsame Tod des Ben Ahmad“, die exzellente, politisch hochaktuelle Interpretation der Dylan-Nummer „The Lonesome Death Of Hattie Carroll“, hat es leider nicht mehr auf das Album geschafft. Aber es ist ja noch nicht aller Tage Abend…
(***** – ***** ½)

Philip Bradatsch ist in den nächsten Wochen und Monaten zu folgenden Gelegenheiten live on stage:

16.11.München – Donisl
23.11.Regensburg – Buchhandlung Dombrowsky
28.11.München – Tollwood – 16.30 Uhr
23.12.Kaufbeuren – Roundhouse
26.12.Raalte – Taveerne Tivoli
28.12.Aachen – The Wild Rover Irish Pub
29.12.Aarschot – Winter Rumble
30.12.Meppel – Clouso
03.01.Herselt – Pallieter Cafe
04.01.Marburg – Q
05.01.Zürich – Gotthard Bar
12.01.Glonn – Schrottgalerie Glonn
24.01.München – Volkstheater
27.02.Schwabmünchen – Buchhandlung Schmid

Honkytonk Movement, Ippio Payo, Black Patti, The Grexits, Das Weiße Pferd, Philip Bradatsch @ Ois Giasing! 2018, München, 2018-09-08

Dass sie im schönsten Münchner Stadtteil Giesing Feste feiern können, weiß die Welt nicht erst seit dem 27. Mai, als die Fans der Münchner Löwen in den Straßen um das Grünwalder Stadion die Rückkehr in den Profi-Fußball nach gelungener Aufstiegs-Relegation bis weit in die Nacht hinein gebührend zelebrierten, und damit nebenbei auch den scheintoten rot-weißen Marienplatz-Jubelpersern vom Steuerhinterzieher-Syndikat eindrucksvoll demonstrierten, wie solche Gelegenheiten gebührend gewürdigt werden, am vergangenen Samstag mussten bei herrlichsten Sommerwetter zum Stadtteil-Fest Ois Giasing! rund um die Tegernseer Landstraße der Fußball und die Lokal-Rivalitäten hintenanstehen, Kultur in überbordender Vielfalt galt es zu genießen in einer der letzten noch verbleibenden Bastionen gegen die voranschreitende Münchner Gentrifizierung.

Organisiert vom Verein Real München e.V. in Kooperation mit dem Giesinger Stadtteilladen, gefördert aus Töpfen des Bezirksausschusses, der Stadt München und des Projekts Soziale Stadt Giesing, gab es in zahlreichen Lokalen, in öffentlichen Räumen, Gebäuden und auf diversen Open-Air-Bühnen neben kulinarischen Spezialitäten, Mitmach-Aktionen und Stadtteil-Führungen für nahezu jede kulturelle/musikalische Neigung viel Sehens- und Hörenswertes, von Worldbeat am Grünspitz, über folkloristische Konzerte der diversen Ethnien dieser Stadt, indischer Jazz-Fusion und jemenitischer Klassik in der Heilig-Kreuz-Kirche, zahlreichen Lesungen, unter anderem aus dem Werk von Oskar Maria Graf, bis hin zu bayerischem Folk-Jazz-Crossover vom großartigen Titus Waldenfels, und darüber hinaus so vieles mehr, das hier nicht einzeln aufgeführt werden kann, selbst mit Zwei- oder Drei-Teilen wäre bei weitem nicht alles Interessante zu bewältigen gewesen aus diesem Füllhorn an kultureller Vielfalt, und so kann dieser Bericht im Folgenden nur eine kleine und individuelle Auswahl an Schlaglichtern und Höhepunkten dieses über die Maßen gelungenen und sehr gut besuchten Stadtteil-Festes dokumentieren.

15 Uhr war hinsichtlich überschneidender und gern besuchter Veranstaltungen eine extrem kritische Uhrzeit, das Honkytonk Movement am Grünspitz oder Ippio Payo auf der Open-Air-Bühne im Biergarten des Café Schau Ma Moi? Schwere Entscheidung, die durch partielles Beiwohnen beider Konzerte gelöst wurde, letztendlich ein nicht befriedigendes Unterfangen, da die jeweils gesamte Aufführung so nicht gebührend gewürdigt werden konnte.
Das Honkytonk Movement ist ein noch junges Trio, dem man mit der Bezeichnung Seitenprojekt dreier MusikerInnen von diversen Münchner Formationen aus dem Dunstkreis der Labels Gutfeeling und Echokammer wohl nur partiell gerecht wird, zu eigenständig ist die „New Exotica“ von Theresa Loibl an der Tuba, Manu Rzytki an Keyboard und Gesang und dem vielbeschäftigten Trommler Tom Wu, der dem Projekt auch mit Ukulele und zweiter Stimme unterstützend beisteht. Die Formation weiß mit eigenwilliger und wunderbar beschwingter Elektro-Chanson-/Folklore-Trip-Pop-Crossover-Kunst zu überzeugen, mit der sie ausgesuchte Perlen der Rock-, Punk- und Blues-Musik der vergangenen Dekaden in ein völlig neues Gewand hüllt und damit weithin bekanntem und mitunter bereits tot-gespieltem Liedgut nicht nur neues Leben einhaucht, sondern noch weit mehr einen eigenen, individuellen Stempel aufdrückt. Herrschaften wie Jimi Hendrix oder Tom Waits würden sich wundern, was auf ihren abgehangenen Heulern basierend alles an klanglichen Schönheiten und einschmeichelnden Ohrwürmern gezaubert werden kann. Ausführliche Würdigung mit entsprechendem Konzertbesuch über die volle Distanz dann hoffentlich beizeiten demnächst.

Was beim Honkytonk Movement hintenraus fehlte an Konzert-Beiwohnen, musste zwecks Zeit-Überschneidung logischerweise bei der ersten Hälfte des Solo-Auftritts von Josip Pavlov unberücksichtigt bleiben, der auch an diesem Tag in vielen Münchner Bands engagierte Multiinstrumentalist und Veranstalter der regelmäßigen Maj-Musical-Monday-Reihe eröffnete mit seinem One-Man-Postrock-Projekt Ippio Payo den Reigen auf der Trikont/Echokammer-Bühne neben dem geliebten Giesinger Wohnzimmer Café Schau Ma Moi, die im weiteren Verlauf dieses Geschreibsels der Ort des berichteten Geschehens bleiben wird. Bei Ankunft befand sich der verehrte Josip bereits im Trance-Flow seiner geloopten Soundlandschaften, die in Schleifen gesampelten Wiederholungen seiner eingespielten Gitarren-Akkorde erzeugten eine ureigene Rhythmik, dem Sog des Trips durch die instrumentalen Soundlandschaften war nach wenigen Minuten einmal mehr kaum zu entkommen. Die intensive, experimentelle Postrock-/Prog-Psychedelic fand ihren entschleunigten Schlusspunkt im sanften Gezeiten-Wogen der Nummer „Fisherman“ vom 2017er-Album „All Depends On Nature“, für die wohl wegen ihrer sommerlichen Leichtigkeit der Begriff des Surf-Postrock ins Feld geführt werden müsste. Ippio Payo: immer eine Bank, und beim nächsten Mal dann auch wieder das volle Programm, versprochen.

Wunderbaren Oldtime-Blues boten im Anschluss die Blues-Brothers von Black Patti, der Münchner Gitarrist und Mundharmonikaspieler Peter Crow C. und Kompagnon Ferdinand ‚Jelly Roll‘ Kraemer an Gesang, Gitarre und Mandoline wurden an diesem Nachmittag vom US-amerikanischen Kontrabassisten Ryan Donohue begleitet. Das Trio lieferte einen perfekten Soundtrack für einen entspannten Spätsommer-Nachmittag, mit einer Halben Giesinger Erhellung in der Hand ließ es sich gut mitwippen zu den Deltablues-Traditionals, Spirituals und Bluegrass-Ausflügen in die Inzucht-geprägten Appalachen, die Musiker glänzten einfühlsam mit Eigenkomponiertem wie ausgesuchtem Fremdwerk vom Kaliber „Bourgeois Blues“ aus der Feder von Huddie Ledbetter. Ein exzellentes, authentisches Gespür für den akustischen Südstaaten-Country-Blues der zwanziger und dreißiger Jahre, mit leichtem Ragtime-Touch wie ausgesuchte Fertigkeiten im Anschlag der National Steel, der Mandoline und im Losheulen der Bluesharp zeichnen die Münchner Formation aus, die seit 2011 filigran und gleichsam geerdet den Geist des uralten, seltsamen Amerika in ihrer Musik weiter trägt, und dafür bereits – offensichtlich völlig zurecht – mit dem Preis der deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet wurde. Get your Blues-Tunes and lift up your spirit: Black Patti demnächst wieder in München live und in Farbe, am 14. September im Hide Out und am 30.9. im Crönlein, sowie am 27. Oktober im Rahmen der Neuhauser Musiknacht im Cafe Sarcletti.

Bei der letzten Begegnung mit The Grexits war noch Daniel Murena mit von der Partie, inzwischen ist der Basser der Münchner Allstar-Combo von Simon Franke ersetzt worden, der Stimmung tut das keinen Abbruch beim Balkan-Punk-Crossover des Quartetts, der an dieser Stelle schon längst wieder mal für weitere konzertante Begutachtungen fällig war, Franke, Josip Pavlov in dem Verbund an den Drums, Echokammer-Labelchef Albert Pöschl an Gitarre und Frontmann/Sänger/Gitarrist Nikos Papadopoulos präsentierten eine Auswahl an Nummern aus ihrem letztjährigen Tonträger „Δε Γκρέξιτς“, der zuforderst im griechischen Idiom vorgetragene Rembetiko-Postpunk schallte druckvoll von der Schau-Ma-Moi-Bühne in die Kistlerstraße, die Band lieferte ein großartiges Konzert mit ihrer eigenkomponierten Mixtur aus dem Kaschemmen-Folk-Blues der griechischen Hafenkneipen, hart polternder Garagenrock-Kost und psychedelischen Prog- und Balkan-Elementen, die im ausgedehnteren instrumentalen Fluss dann und wann an die Hochzeiten des hypnotischen Krautrocks gemahnten.
Mit „A Hard Day’s Night“ verhackstückten sie einen alten Schlager dieser überregional bekannten, völlig überschätzten nordenglischen Sixties-Tanzkapelle zu einem sperrigen, stumpf leiernden No-Wave-Broken, best version ever, eh klar, und Albert Pöschl durfte sich vehement Punk-rockend zum Misfits-Klassiker „Attitude“ austoben. Die Grexits sind eine Kapelle, die es eigentlich viel öfter live zu genießen gilt, sie haben an diesem Samstag Nachmittag nicht viel Neues, aber alles richtig gemacht, und damit ein berauschendes und intensives Highlight dieser schönen Stadtteil-Sause abgeliefert.

Munich-Allstarig geht es auch bei Das Weiße Pferd und ihrem Anti-Rock über die Bühne, die Herren Wu, Pavlov, Pöschl und Franke hatten wir schon in diversen anderen Konstellationen, zum Septett gesellten sich Sänger Pico Be (Pacífico Boy), Drummer Martin Tagar (of Friends-Of-Gas-Fame) und Allrounder Basti Meyhöfer an Violine, Melodica und Marimba. Im großen Orchester lieferten die renommierten ortsansässigen Musikanten den Endlos-Sister-Ray-Drone-Flow, der mal krautig, mal funky, mal stumpf (Jazz-)rockend, mitunter schmissig poppig flackerte oder auch als Drop-Out-Bastard zu ehemaliger Kamerakino-Weirdness ausfranste. Das Weiße Pferd ist ein seltsamer Gaul, der im flotten Galopp versucht, alles Mögliche an Pop-historischen Sub-Kulturen der letzten ungefähr fünfzig Dekaden einzufangen, und dem das trotz offensichtlich gelebtem Chaos und musikalischer Anarchie auch erstaunlich oft gelingt. Sänger/Agitator Pico Be gab dazu den vehement in die Vollen gehenden Frontmann in einem Vortrags-Konglomerat aus latent schlecht gelauntem Klaus-Kinski-Gestus, den Ansagen/Aussagen eines Polit-Parolen-schwadronierenden Rio Reiser und improvisiertem, unkonventionellem Deutsch-Punk-Gebell aus den DIY-Aufbruch-Jahren der späten Siebziger. Man muss nicht alles per se für gut befinden, was Das Weiße Pferd an Stil-Gebräu zusammenpackt und aufsattelt, aber man muss es mal gehört und gesehen haben. Spontanität rules.

Zu bester abendlicher Showtime ein Highlight aus dem jüngsten Trikont-Veröffentlichungsprogramm: Dinosaur Trucker, Muddy-Roots-Veteran und Meister-Gitarrist Philip Bradatsch gab sich ein Stelldichein inklusive kompletter Band-Unterstützung und präsentierte das Material seines jüngst bei der Münchner Mutter aller Indie-Labels erschienenen Albums „Ghost On A String“. Wo Bradatsch solistisch mit Wandergitarre formvollendet den Bluegrass- und Alternative-Country-Picker gibt, zieht er mit entsprechender Bass/Drums/Orgel-Unterstützung in aktuellen Nummern wie „Outsiders“, „Down Down Down“ oder „Shadowland“ das Tempo an und überzeugt nicht minder mit melodischem, beherztem, elektrischem Folkrock, qualitativ und opulent sein Klangbild erweiternd in einem Quantensprung wie damals der gute alte Dylan 1966 im Verbund mit den Hawks (in einer Inkarnation weit vor seiner Zeit als schlechter Sinatra-Witz), in dem Fall hat niemand „Judas“ gerufen, und ein Pete Seeger lauerte auch nicht mit dem Hackebeil zum Durchtrennen der Verstärker-Kabel hinter der Bühne, warum auch, viel zu einnehmend und erhebend war das Gebräu aus Country-Rock, eingewobener Sixties-Melodik, virtuosen Gitarren-Soli und Reminiszenzen an Größen wie eben Dylan, old Neil Young oder den Roots- und Swamp-Rock von Creedence Clearwater Revival, die bei Bradatsch nie zur Kopie verkommen, nur den Respekt für die Altvorderen aus seiner Liga zollen.
Der Bob-Klassiker „The Lonesome Death Of Hattie Carroll“ erklingt bei Philip Bradatsch aus gegebenem Anlass als erst kürzlich umgedichtet mit deutschem Text versehene, zeitlose, leider sehr aktuelle Interpretation unter dem Titel „Der einsame Tod des Ben Ahmad“, mit der der Songwriter seine Abscheu vor der Abschiebe-Politik des bedauerlicherweise immer noch im Sattel sitzenden Bundesinnenministers zum Ausdruck bringt. Wenn es stimmt, das finstere Zeiten große Songwriter und Protestsänger hervorbringen, dann müssen die Zeiten derzeit reichlich dunkel sein, der beseelte und herausragend grandiose, letztendlich viel zu kurze Auftritt von Philip Bradatsch würde sehr dafür sprechen.

Bleibt zu hoffen, dass alle anderen Ois-Giasing!-BesucherInnen genau so viel Spaß und exzellente musikalische Beschallung geboten bekamen wie Generationen-übergreifend die Omas und Opas, Weiblein und Männlein, Mädels und Buben vor der Trikont/Echokammer-Bühne neben the beloved Café Schau Ma Moi. War schätzungsweise ungefähr wie bei den Dead auf der Haight-Ashbury-Straßenbühne in den sagenumwobenen Sechzigern, hinsichtlich Vibes und Gutfeeling und Grooves und so, nur mit weniger Hippies und generell etwas weniger Leuten, dafür aber wohl mit abwechslungsreicherem Sound und besserem Bier ;-) Oder vielleicht auch ganz anders, in jedem Fall aber over the top gelungen und hoffentlich mit vielen Wiederholungen in den kommenden Jahren. Ois Giasing, Oida! Zur Not auch mit ein paar Rotbauern…