Die regelmäßig im Münchner Stadtteil-Treff Glockenbachwerkstatt stattfindende Veranstaltungsreihe Maj Musical Monday präsentierte zum Wochenauftakt ein mehr als ansprechendes Paket aus Post- und Noise-Rock, den Auftakt zu dieser über die Maßen beglückenden Veranstaltung bespielten die vier Mannen von Pictures From Nadira, die Münchner Postrock-Band präsentierte in intensiven 45 Minuten das Material des vor kurzem erschienenen Debüt-Albums „Nadira“, im vehementen Instrumental-Vortrag zog die Band alle Register des klassischen Postrock und stellte erneut eindrucksvoll unter Beweis, das sie die feine Klinge des Genres in den kontemplativen Passagen ihrer Klangreisen ebenso beherrschen wie die brachiale Streitaxt in Form rauschhafter Gitarrenattacken und druckvoll treibender Rhythmik. Hinsichtlich brachialer Wucht, entrückter Atmosphäre und orkanartiger Beschallung muss sich die Band aus München vor vergleichbaren internationalen Vertretern des Postrock weiß Gott nicht verstecken, Pictures From Nadira sind musikalisch längst in Sphären unterwegs, die sie über den Status einer lokalen Größe weit hinausheben.
Zudem: welche international renommierte Band aus der wunderbaren Welt des Postrock hat Vergleichbares wie den „Pictures From Nadira Imkerhonig aus Bogenhausen“ am Merchandising-Stand anzubieten?
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Pictures From Nadira spielen morgen Abend im Rahmen der „Bergfest“-Veranstaltung im Münchner 8Below, weitere anstehende Konzerte der Band:
21. April – Wien – Venster 99 22. April – Dachau – Freiraum
Als Headliner des Abends standen mit Paul Christensen und Matt Cronk vom kalifornischen Noiserock-Duo Qui zwei Legenden des amerikanischen Indie-Rock im Saal der Glocke, die Herrschaften aus L.A. musizierten bereits mit Größen wie Mike Watt, Alexander Hacke und Melvins-Drummer Dale Crover, ab 2006 hatten sie für einige Jahre keinen Geringeren als den begnadeten ex-Scratch-Acid/-Jesus-Lizard-Brüller David Yow als Sänger und festes Bandmitglied am Start, auch in Duo-Besetzung ließen Qui zu fortgeschrittener Stunde am Montagabend nichts anbrennen hinsichtlich beseeltem Noise, schwergewichtigem Experimental-Rock und beherzt-erratischem Punk, Drummer/Keyboarder Christensen und (Bass-)Gitarrist Cronk loteten die Möglichkeiten des Gesangs in jeglicher Schräglage von polterndem Gebrüll bis zu Falsett-artigem Pop-Gesang aus, das in der gebotenen Härte präsentierte Klangbild wanderte von Beefheart- und Zappa-Exzentrik über den Dead-Kennedys-Punk und sprödes No-Wave-Gitarren-Gehacke bis hin zu Outsider-Experimenten, wie man sie von Originalen wie den Flying Luttenbachers oder Clint Ruin/Foetus kennt, und doch lassen sich die Referenzen zu entsprechenden Underground-Größen nur erahnen, zu eigen ist die Noise-Welt von Qui, als das sie sich eins zu eins in irgendwelche Schablonen pressen ließe.
Dabei verstand es das Duo geschickt, die brachialen Attacken immer wieder mit dem uramerikanischen Schmalz des Piano-Bar-Jazz, schrägem Indie-Pop in Reminiszenz an die beiden Vögel von They Might Be Giants und bizarrem Burlesque-Getänzel aufzulockern, in Abwandlung zu einem Schiller-Spruch gilt für die Kalifornier: Ernst ist die Tondichtung, heiter die Darbietung. Qui haben an dem Abend alle Erwartungen weit übertroffen und eindrucksvoll unter Beweis gestellt, das unkonventionelles Gebaren, Laut-sprechen, Weirdness und sprunghafte Performance nicht automatisch ins Weiße Haus führen müssen und im günstigsten Fall auch maximalen Unterhaltungswert ohne peinliches Berührtsein bieten können…
(***** ½ – ******)
Very special thanks an Josip Pavlov.
Die Veranstaltung Maj Musical Monday findet jeden dritten Montag im Monat in der Münchner Glockenbachwerkstatt statt und wird von Musikern und Künstlern aus dem Umfeld der ortsansässigen Postrock-Band Majmoon präsentiert: „Supporting development of a solidarity event like this has made possible to host many European artists, create artistic exchange, and improve quality in logistic and technical conditions for independent music production.“ Maj Musical Monday #78 findet am 20. März statt, auftreten wird das aus dem Schlagzeuger Jörg A. Schneider und dem Gitarristen Jens Berger zusammengesetzte Jealousy Mountain Duo.
„That’s fantastic that you’re passionate about cardboard and listening to music on multi colored plastic You’re a collector of rare vinyl, a total fanatic, that’s completely absolutely hip, motherfucking fantastic But I’m more concerned with how I feel“ (Jesu/Sun Kil Moon, Good Morning My Love)
Tonträger-Ranking 2016. Eine rein subjektive Zusammenstellung, die keinerlei Anspruch auf Allgemeingültigkeit erhebt und selbstredend viele Lücken aufweist, man kann bei weitem nicht alles hören und gebührend würdigen, was von Interesse wäre.
Weg von der klassischen Songstruktur, hin zu instrumentalen Klang-Epen, so die individuelle Hörer-Tendenz im dahinscheidenden Jahr. Viele alte Helden haben sich reihenweise mit im besten Fall uninspirierter Durchschnittsware in die Belanglosigkeit verabschiedet, eine der wenigen rühmlichen Ausnahmen war Leonard Cohen mit seinem finalen „You Want It Darker“-Werk, aber der hat sich dann leider postwendend nach Veröffentlichung endgültig ganz woanders hin verabschiedet.
Kulturforum-Top-100 2016, ein paar Scheiben auch noch aus 2015, aufgeteilt in die Sparten Reguläre, Sampler, Bergungskommando, here we go:
(09) Russian Circles – Guidance (2016, Sargent House)
Das Postmetal-Trio aus Chicago bleibt eine verlässliche Größe des Genres und liefert mit „Guidance“ eine ihrer bis dato besten Arbeiten ab.
Das war’s für 2016. Kein schlechtes Musikjahr. Der schmutzige Rest in der realen Welt: Für die Zukunft viel Luft nach oben, keine Frage. Gerhard Polt würde sagen: „Wir stehen vor schwierigen Herausforderungen, die sehr schwierig sind.“
Kommt gut rüber ins neue Jahr, ich wünsche Euch für 2017 nur das Beste, bleibt auf Sendung, habt Glück und bleibt vor allem gesund. Danke an alle, die hier mitgelesen haben, danke für die Rückmeldungen, Anmerkungen, Kritik und Ergänzungen in den Kommentaren. Highly appreciated. Und jetzt hoch die Tassen…
Pictures From Nadira – Nadira (2016, Bandcamp)
München ist vermutlich nicht die Welthauptstadt des Postrock, aber mit Formationen wie Majmoon, Nasmyth oder Waves hat die Isarstadt bereits seit geraumer Zeit eine Handvoll an erstklassigen Vertretern der instrumentalen Intensiv-Beschallung am Start, mit Pictures From Nadira schließt eine weitere Band zu dieser illustren Gesellschaft auf, die den internationalen Vergleich in Sachen ergreifender Tondichtung und prächtiger Klanglandschaften nicht zu scheuen braucht. Bereits im vergangenen Sommer bei ihrem Auftritt im Vorprogramm der Neuseeländer Kerretta äußerst angenehm ins Blickfeld geraten, legt das Quartett auf Tonträger dieser Tage via Bandcamp mit acht zum Teil ausgedehnten Postrock-Perlen in exzellent produzierter Güte nach.
Pictures From Nadira bestechen in einem rauschhaften Flow mittels ineinandergreifender Stücke mit getragenen, dunklen Passagen, die sich in den Momenten der Sammlung in Ambient-artiger Kontemplation ergehen, sie wissen zu beeindrucken durch das Postrock-typische Aufschichten der Gitarrenwände und das wuchtige, euphorisch-heftige Entladen der aufgestauten Instrumental-Gewitter, gepaart mit der bezwingenden Intensität des Prog- und Indie-Rock. Das Quartett setzt seine Kompositionen in cineastischer Breitband-Klangwucht in Szene, berückende, mystische Landschafts-Panoramen drängen sich als optische Assoziation genauso auf wie etwa meditative, Zeitlupen-artige Bilder von fallendem Schnee, beim Stück „Kaventsmann“ in der Lesart der Seemanns-Sprache spürt man die anrollenden, tonalen Wellen in ihrer geballten archaischen Macht förmlich hoch schlagen. Individuell herausragen lässt den Sound der Münchner ein sphärischer, raumgreifender Grundton, der von Synthesizer und Keyboard getragene Klang sorgt auch in den offensiven Ausbrüchen für ein ausgewogenes und stimmiges Gesamtbild. Alle Postrock-Freunde, die noch händeringend nach einem Präsent für das anstehende Weihnachtsfest suchen: hier wäre die Gelegenheit…
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Pictures From Nadira spielen heute live, zusammen mit den Bands Stepfather Fred und Stereo.Drama im Münchner Backstage-Club, und am 20. Februar in der Glockenbachwerkstatt.
„with the wish of giving awesome bands a place to play, while keeping all on a level of non profit“ ist das Motto der Münchner Konzertveranstalter LEARN TO sWIM, der Vorsatz mit den „awesome bands“ wurde vergangenen Mittwoch bestens in die Tat umgesetzt, mit den ortsansässigen Postrockern von Pictures From Nadira und den sehr verehrten Kerretta aus Neuseeland haben sie ein wunderbares Instrumental-Rock-Paket geschnürt, das keine Wünsche offen ließ.
Die Münchner Stefan Schön und Uli Traut an den Gitarren, Christian Hartinger an den Drums und Kai Metzner an Bass und Synthie eröffneten den Abend mit ihrer Interpretation des Postrock, in der sie in einem einzigen Flow alles unterbrachten, was im Genre groß, spannend und eindringlich ist. Bei Pictures From Nadira mangelt es nicht an entsprechenden Spannungsbögen, atmosphärischen Emotionen, aufgetürmten Gitarren-Gewittern und der introvertierten Kontemplation nach dem rauschhaften Entladen der aufgestauten Energie, es ist alles präsent, was der geneigte Konzertgänger in Punkto instrumentaler, Gitarren-lastiger Intensiv-Beschallung erwartet. Zu Waves, Majmoon und den dankenswerter Weise demnächst wohl wieder aktiven Nasmyth gesellt sich mit Pictures From Nadira eine weitere Münchner Postrock-Formation, für die das alte Sprichwort gilt, nach dem das In-die-Ferne-schweifen nicht Not tut, weil das Gute direkt vor der Haustür liegt.
(**** ½ – *****)
„When you march your barbarian horde through the streets of a fallen city, atop a fifteen hands high silver wildebeest (using their horns as handles), laser beams sparkling and shimmering over the smoking battlefields, a thousand million pearlescent snakes coiling slowly through the dead city streets, tiny unicorns cowering in their cages, A Ways to Uprise, the first single from Kerretta’s sophomore album Saansilo, will be your soundtrack.“
Das Trio Kerretta aus Auckland/Neuseeland hinterließ bereits beim exzellenten Auftritt vor knapp zwei Jahren in der Münchner Glockenbachwerkstatt einen bleibenden Eindruck, das Antanzen am Mittwochabend zum Konzertbesuch im heimeligen Sunny-Red-Keller des Feierwerks war sozusagen heilige Pflicht.
Die seit 2005 aktive Band musste bei ihrem jüngsten München-Gig ungeplant ohne die wuchtigen Bassläufe von William Waters auskommen, der Musiker ist kurzfristig erkrankt und in die Heimat Down Under abgereist.
Die spontan zum Duo geschrumpfte Formation zeigte sich davon zumindest in der Klangpräsentation unbeeindruckt und lieferte ein instrumentales Progressive-/Post-Metal-/-Rock-Set von entfesselt-brachialer und gefangen nehmender Schönheit, das keine Lücken erkennen ließ.
Gitarrist David Holmes mit seinen begnadeten Gitarren-Attacken und Schlagzeuger H. Walker mit wuchtigem Getrommel und knallenden Becken-Gewittern mäanderten sich gekonnt experimentell-intensiv durch düstere Klanglandschaften, euphorische Instrumental-Hymnen und vertrackte Rhythmen, der vom englischen Progressive Rock der 70er-Jahre und Post-/Heavy-Metal-Riffs befruchtete Postrock wusste die Grenzen des Genres in viele Richtungen zu sprengen und zu erweitern. Melodie und Härte, Licht und Schatten, das Beste aus Prog und Post-Irgendwas, die Kiwis von Kerretta bieten davon im Überfluss. Wär total dufte, wenn sie den langen Weg vom anderen Ende der Welt nach Minga irgendwann in nächster Zukunft wieder antreten.
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