Unrunder Konzert-Abend zur vergangenen Wochenmitte im leidlich gut besuchten Hansa39-Saal des Münchner Feierwerk. Dabei war die Vorfreude zum Auftritt der US-amerikanischen Postmetal-Band Pelican groß, das Quartett zählt neben Formationen wie Russian Circles, Isis, Neurosis oder Jesu zur Speerspitze der Bewegung. Unvergessen ihr grandioser Auftritt beim belgischen dunk!Festival im Frühsommer 2016, der Gig in Flandern stach seinerzeit qualitativ weit aus dem dreitägigen Programm des alljährlichen Postrock-Gipfeltreffens heraus und veranlasste damit das Veranstalter-eigene Label zur Veröffentlichung des Mitschnitts auf limitiertem Vinyl. Der München-Auftritt 2019 wird hingegen kaum in die großen Momente der Pelican-Analen eingehen, das lautmalende Instrumental-Quartett aus Chicago erwischte im Feierwerk bei weitem nicht die besten Rahmenbedingungen ihrer Karriere für einen gelungenen Gig. Dabei startete die Formation um den entfesselt aufspielenden Gitarristen und Bühnen-Derwisch Trevor de Brauw furios, Nummern wie der Opener „Midnight And Mescaline“ funktionieren live wunderbar – wo das Material vom aktuellen, im vergangenen Sommer veröffentlichten Düster-Werk „Nighttime Stories“ so manche Fragezeichen nach der Sinnhaftigkeit einer weiteren Pelican-LP im immer gleichen Instrumental-Flow aufwirft, zeugte die konzertante Interpretation des fast komplett vorgetragenen neuen Werks von Funken-schlagender Energie und ungebändigter Spielfreude. Leider brachte defektes Equipment die zupackende Mixtur aus offensiven, stramm in den vordersten Fronten angreifenden Postmetal-Riffs, Sanges-freiem, Black-Sabbath-infiziertem Doom und großen Postrock-Dramen nach wenigen Stücken zum zwischenzeitlichen Erlahmen, der für die filigranere Gitarren-Arbeit zuständige Dallas Thomas zeigte sich ungehalten über seinen defekten Amp, das Gerät lieferte nicht das, was der Musiker wollte. Nach minutenlanger Unterbrechung und einem weiteren gescheiterten Versuch mit der defekten Marshall-Gerätschaft wurde mit dem Ersatz-Teil der Vorband improvisiert. Den regulären Set brachte die Band damit im strammen Drive zum glücklichen Ende, das Postmetal-Volk nickte gefällig mit bis zur einsetzenden Halsstarre. Finaler Stimmungstöter nach Bühnen-Abgang mit der Weigerung der Band, zusätzliches Material zur knappen Stunde als Zugabe zu kredenzen. Wo einer wie der gute alte Lou Reed selbst bei völlig verstimmten Saiten nur ein lakonisches „It’s good enough for Rock and Roll!“ knurrt und sein Gewerk zur Erbauung des Auditoriums unbeeindruckt fortsetzt, gaben sich die vier Wasservögel als Technik-Perfektionisten und verweigerten jedes weitere Zutun. Im Saal hätte außer den Musikern selbst wohl kaum jemand den Unterschied in der Wiedergabe des Gitarrenanschlags auf improvisiertem Equipment benennen können, anyway, so fährt man eine Nummer, die trotz widriger Umstände gleichwohl im Wesentlichen funktionierte, endgültig gegen die Wand. Schade.
Bereits zuvor eine durchwachsene Darbietung: Den Auftakt der Veranstaltung bespielte das belgische Quartett Slow Crush um die englische Sängerin und Bassistin Isa Holliday, zur Bewerbung der für den 25. Oktober geplanten Veröffentlichung des neuen Tonträgers „Ease“, im Opener mit einem hymnischen, melodischen, geradezu ergreifenden Hybrid aus Shoegazer-Romantik und Postpunk-Energie, dessen hohes Niveau im weiteren Verlauf des Auftritts bedauerlicherweise kaum gehalten werden konnte. Gegen Ende der guten vierzig Minuten ein weiterer Peak an euphorisierenden, Konzert-beschließenden Postrock- und Noisepop-Ergüssen, dazwischen reichlich, geradezu über Gebühr strapaziertes Shoegazer-Standardprogramm, das die engen Grenzen des Genres einmal mehr deutlich aufzeigte und wie bei vielen anderen Vertretern der Zunft unterstrich, warum das Songmaterial jedweder Combo dieser Spielart des Indie-Rock mit zu den austauschbarsten in der weiten Welt der lärmenden Pop-Musik zählt. Die Lichtshow und die gelegentlich zwischen Noise-Rock und Grunge taumelnden Eruptionen setzten unbedingt gefällige Akzente, das Potential der Band scheint jedoch (bisher) nicht ausgeschöpft, die Reise der vier Musikanten nahm vor zwei Jahren erst ihren Anfang, und es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen…
Am vergangenen Freitagabend schütteten die Münchner Konzertveranstalter vom Clubzwei ein fulminantes Doppelpack an psychedelischen Kubikmetern ins konzertante Sommerloch der Stadt und präsentierten mit dem kalifornischen Hauptact Oh Sees eine der wandlungsfähigsten Combos des US-Indierock im Münchner Strom. Die Band aus San Francisco hat in den vergangenen zwei Dekaden zahlreiche Umbenennungen, Umbesetzungen und stilistische Umorientierungen hinter sich, einzige personelle Konstante über die Jahre ist Multiinstumentalist, Sänger und Label-Betreiber John Dwyer, der im ausverkauften Münchner Indie-Club von den beiden Schlagzeugern Paul Quattrone und Dan Rincon, Basser Tim Hellman und Keyboarder Tomas Dolas begleitet wurde.
Unter Sauna-ähnlichen Bedingungen groovte sich die Band aus dem Soundcheck heraus direkt, ohne Umstände und intensiv aus der Hüfte geschossen in ihren Gig, die erste Druckwelle schwappte postwendend aus dem Auditorium mittels heftigstem Pogo-Eintanzen, Schuhe- und Bierbecher-Schmeißen, Stage-Diven und ausgelassenem Gerempel zurück auf die Bühne. Den hochsommerlichen August-Temperaturen mochte im Saal offensichtlich kaum jemand Tribut zollen, und so gaben sich große Teile des Publikum dem Transpirieren im enthemmten Bewegungsdrang hin, einerlei, ob passend zu schmissigen Garagen-Trash/Punk-Hauern, flott durchgeknallten, melodischen Indie-Psychedelic-Perlen oder weithin deplatzierter zu angejazzten Kraut-Passagen oder den gedehnt ausladenden, von frei fließender Space-Orgel und entrücktem Grateful-Dead-Doppelgetrommel geprägten Progressive- und Sixties-Psychedelia-Jams. Die Combo um den durchtätowierten Bandleader mit der hochgehängten Gitarre stand dem intensiv berstenden Geschehen vor der Bühne in nichts nach und hielt das Energie-Level über neunzig Minuten konstant am oberen Limit. Die Oh Sees erfinden in ihrem von den US-Underground- und Indie-Spielarten der Spät-Sechziger, Mitt-Siebziger und achtziger Jahre stark beeinflussten Stil-Mix das Rad gewiss nicht grundlegend neu, vor allem im minutenlangen Endlosschleifen-Flow findet sich etliches an improvisierten Instrumental-Ergüssen, was woanders schon x-fach in gleicher oder ähnlicher Form zum Vortrag kam, mitunter in spannungsgeladener Diversität, der Reiz der Oh-Sees-Auftritte liegt vor allem im wilden Ritt durch eine Vielfalt an stilistischen Mitteln, in unvermittelten Tempi-Wechseln und dem Aufeinanderprallen von früher unvereinbaren Elementen wie der direkten Energie und dem knappen Format des Punk-Rock mit den ausufernden Improvisations-Auswüchsen der kosmischen Progressive-Sternenfahrt. Die Band zelebrierte den Tanz zwischen den Extremen im Dauer-Rausch ohne Verschnaufpause, und so mochte man es dem Quintett nach schweißtreibenden eineinhalb Stunden nicht verdenken, dass dem lauthals vorgetragenen Begehr nach Zugabe kein Gehör geschenkt wurde.
Gibt Bands, die ziehen auf der permanenten Suche nach entsprechenden Ausdrucksformen zum Freisetzen der überbordenden Ideen und überschüssigen Energie in the spirit of rock’n’roll ihr Ding durch und fertig ist die Laube, siehe oben. Der Großteil im populär-musikalischen Zirkus eben, die einen mit einem Schuss mehr Sendungsbewusstsein, die anderen einfach mit ungebändigtem Spaß am eigenen Tun.
Und daneben gibt’s die, die ihr Gewerk bedeutungsschwanger und konzeptionell mit mystischem Überbau versehen, die Experimental-Metaller Sunn O))) in ihren Mönchskutten oder die rituellen Beschwörungs-Postmetaller von Amenra als herausragende Vertreter der Zunft – in die selbe Kerbe schlugen am Freitagabend die drei Franzosen der Abend-eröffnenden Band Aluk Todolo. Der Name der Formation aus Grenoble ist einer uralten ethnischen Religion aus den Bergregionen Indonesiens entlehnt, das instrumentale Lärmen des klassischen Powertrios versehen die Musiker selbst mit dem Label „Occult Rock“. Unter dem Logo des Buchstabens „Un“ aus dem henochischen Alphabet, das für eine magische Kunst-Sprache im Mittelalter vom englischen Alchemisten und Hofastrologen John Dee entwickelt wurde, loten die drei dunkel Gewandeten die Kräfte ihres finster dröhnenden Trance-Flows aus. Lässt man den mythologischen Firlefanz, die theatralische Lichtbeschwörung von Gitarrist Shantidas Riedacker oder die 2011er-Kollaboration mit der musikalisch ohne Zweifel exzellenten, politisch gleichwohl fragwürdigen österreichischen Kraut-Formation Der Blutharsch And The Infinite Church Of The Leading Hand außen vor, bleibt als bedrohlicher, naturgewaltiger Sound ein erschöpfend in dunklen Gefilden mäanderndes, minimalistisches wie hypnotisches Instrumental-Gebräu aus Black-, Experimental- und Post-Metal, schwerst psychedelischem Kraut-Noise und der von Magma-Drummer Christian Vander definierten Spielart Zeuhl, die sich vor allem im freien, schleppend bis fieberhaft nervös die Becken malträtierenden, obsessiven Spiel vom entrückten Perkussionisten Antoine Hadjioannou offenbart. Der Auftritt von Aluk Todolo wird traditionell nur von einer zentral über der Bühne hängenden Lampe durchflutet, deren flackerndes Leuchten mit der Intensität der verzerrten, mitunter radikal dissonanten, lange nachhallenden Gitarren-Riffs und den einhergehenden Feedback-Erschütterungen der Metal-Drones korrespondiert. Finsterwald-Beschallung für neblige November-Tage und die Filmmusik für jegliche Ausprägungen an seelischen Abgründen, die durch diese Art von Schamanen-Kult kaum Aussicht auf Heilung erfahren, dargereicht in den letzten Tagen des Sonnen-durchfluteten Augusts – gewagte Nummer, für den geneigten Postmetal-Freund nichtsdestotrotz für eine halbe Stunde Erbauung und damit mit dem verdienten Applaus bedacht.
The Fifth Alliance – The Depth Of The Darkness (2019, Burning World Records / Init Records / Consouling Sounds / Bharal Tapes)
„It’s the end of the world as we know it, and I feel fine“: Hier wird mal wieder unser schöner Planet von der Apokalypse heimgesucht, nach allen Regeln der Kunst und ohne jegliche Aussicht auf Erlösung, auch wenn’s im Intro der meisten Songs fürs Erste nicht so hoffnungslos scheint, wie es später im Höllenschlund eingekocht wird. Das Quintett The Fifth Alliance aus dem niederländischen Breda veröffentlicht Ende des Monats ihren dritten Longplayer „The Depth Of The Darkness“, und mit dem Titel ist im Wesentlichen bereits alles gesagt: Rabenschwarze Finsternis als das Ende vom Bach, den diese Welt in ihrem desolaten Zustand hinuntergeht. Kultur- und jeglicher anderer Pessimismus zu kompromissloser Tonkunst in fünf ausladenden Sätzen komponiert. Wo melancholisch getragene, hypnotische Postrock-Opulenz in düsterer Gemütslage eingangs zusammen mit Karl Valentin darüber grübeln lässt, ob es am Ende vielleicht doch nicht so schlimm kommt, wie es bereits ist, sorgt die Band im weiteren Verlauf des massiven Dräuens mit unzweideutiger, geballter Doom/Sludge/Black/Post-Metal-Ansage für ernüchternde Endgültigkeit: es wird zappenduster. Die beklemmend lärmenden Brachial-Kaskaden der Instrumental-Abteilung deuten bereits in Richtung finstere Kerker und schaurige Untergeschosse, das kehlige Röcheln und Grollen von Sängerin Silvia Saunders räumt letzte Zweifel aus, wo der Dämon haust und der Bartel den Most holt. Titel wie „Black“, „Hellfire Club“,„Aleister“ und verbales Pentagram-Gefuchtel vom Schlage „Love 666, the new Religion“ sind mit dem gebotenen Abstand zur Thematik und einem ironischen Grinsen zu konsumieren, bei fehlender mentaler Distanz zu diesem Teufelszeug suchen Sie bitte umgehend den nächsten Exorzisten Ihres Vertrauens auf. „The Depth Of The Darkness“ erscheint am 30. August, und jetzt wird’s tatsächlich kompliziert: Als Vinyl im alten Europa bei Burning World Records, in USA bei Init Records, als Compact Disk bei Consouling Sounds, und im Cassetten-Format bei Bharal Tapes. Die Höllentore sind derer viele, aber das ist im Albtraum der Parallelwelt jenseits der Klangmalerei nicht anders…
(**** ½ – *****)
La Bestia de Gevaudan – Kintsukuroi (2019, [Fe]Ral)
Die Bestie des Gévaudan war ein Untier, das Mitte des 18. Jahrhunderts in der gleichnamigen Provinz im französischen Zentralmassiv sein Unwesen trieb und in einem Zeitraum von 3 Jahren über 100 Menschen den Garaus machte. Ob es sich bei dem Raubtier wie über die Jahrhunderte kolportiert um einen mutierten Wolf, eine Schabracken-Hyäne, einen entlaufenen Löwen oder gar ein seltenes Fabelwesen handelte, darüber waren und sind sich damalige Zeitzeugen und Historiker bis heute uneins.
Auch beim chilenischen Trio La Bestia de Gevaudan, das sich offensichtlich nach diesem mysteriösen Killer-Vieh benannte, ist eine eindeutige stilistische Kategorisierung nicht die leichteste Übung, die Formation aus Santiago packt eine reichhaltige Vielfalt an Einflüssen und Ideen aus diversen Dekaden der alternativen und experimentellen Rockmusik in ihr dichtes Gewerk.
Wo zum Europa-Debüt und Auftakt-Konzert der Band beim letztjährigen dunk!Festival im belgischen Zottegem die Stoßrichtung mit energischem Postrock/Postmetal-Grenzgang inklusive vehementer Brüll-Attacken aus den Kriseninterventionsräumen des Doom und Sludge eine klar abgesteckte war, experimentiert die Bestie aus Südamerika auf ihrem jüngst erschienenen neuen Tonträger „Kintsukuroi“ mit einer weiter gefassten Palette an tonalen Ausdrucksformen. Angelegentliches Groll-Geplärr und vor allem massiv aufgetürmte Gitarrenwände, die das Material zum Bau einer kompletten Großstadt liefern, finden sich auch hier zuhauf, daneben lassen entschleunigte, gefällig ins Ohr driftende Ambient-Sequenzen, digitaler Synthie-Space und Anleihen bei kalt-dunklen New-Wave-/Industrial-Mustern aus den Achtzigern die ausladenden Nummern aus dem Einheitsbrei der zusehends austauschbarer klingenden Postrock-Kapellen herausragen – die eingehende Beschäftigung mit den Sound-manipulierenden Möglichkeiten der elektronischen Gerätschaften neben dem Ausleben handelsüblicher Gitarren-Crescendo-Exzesse trägt hier ergiebig Früchte im massiven Crossover-Komplex.
Die Beiträge des großartigen kanadischen Experimental-Gitarristen Eric Quach aka thisquitarmy, von Rosetta-Sänger Michael Armine und die Unterstützung eines gewissen Oliver Melville aus dem südenglischen Metal-Underground bringen das ihre in die vielschichtige Collage ein, wie die tonale Umsetzung der Titel-gebenden, aus dem Zen-Buddhismus stammenden Kintsukuroi-Kunst, einer traditionellen japanischen Reparatur-Methode für Keramik, in der gebrochene Teile unter Verwendung von Kitt, Lack, Pulvergold und Metallen wie Silber und Platin neu zusammengefügt werden. Nicht der schlechteste Ansatz zur Wiederbelebung des von vielen bereits mindestens im Koma gewähnten Postrock-Genres: Zerschlagung der Laut/Leise- und Getragen/Lebhaft-Muster, um sie mit anderen Mitteln zu neuen Klanggebilden zu formen. Postrock isn’t dead, it just needs a Kulturrevolution…
(**** ½ – *****)
dunk!Festival 2019, the third and final report: Das Wetter präsentierte eitel Sonnenschein in Flanderns Auen und Fluren zum Start in den Juni und sorgte bereits vor den ersten Gigs für hochsommerliche Temperaturen, dafür war das gebotene Tagesprogramm beim Veranstaltungs-Finish umso durchwachsener. Den Weckruf zur letzten Runde bespielte das Trio Le Temps Du Loup aus Madrid mit ihrer Interpretation des melodischen Postmetal/Postrock-Crossover, mit ordentlichem Druck-Volumen und variantenreichen Tempi-Wechseln. Den instrumentalen Flow der Spanier hat man in der Form im großen Zelt sicher nicht zum ersten Mal gehört, zu überzeugen wusste die tonale Druckbetankung aufgrund grundsolide durchexerzierter Metal-Riffs, einem satten Klangbild und einhergehender, überwältigender Wucht nichtsdestotrotz.
Im Wald wartete als Opener für den finalen Reigen in der Natur mit Summit eine weitere spannende, noch weithin unbekannte belgische Instrumental-Band der jungen Generation, neben dunklen Postmetal-Riffs und energischen Gitarrenwänden glänzte das Quartett aus Gent in der Nummer „Icarus“ mit unerwartetem wie feinem Desert-Rock-Flow im Mittelteil des Stücks, das sich später zur euphorischen Postrock-Hymne aufschwingen sollte. Dem „Ethereal rock for body and soul“ der vier jungen Musiker bleibt für die Zukunft zu wünschen, dass er über die regionalen Grenzen Ostflanderns hinaus seine aufmerksame Hörerschaft findet.
In anderen Erdteilen, im asiatischen Raum bekannt sind bereits Paint The Sky Red, die Formation aus Singapur überzeugte im ersten Teil ihrer Aufführung mit angenehm gleitenden, tiefenentspanntem Gitarren-Flow, der zur repetitiven Ambient- und Trance-Hypnose neigte, mit Fortgang des Konzerts untermauerte die vierköpfige Combo eindrucksvoll, dass ihr die vehementere Gangart im Uptempo-Drive mindestens genauso leicht von der Hand geht. Sehr deutliche Ansage zum Thema Raubkopien im Übrigen auf der Bandcamp-Seite der Band, spread the word: „In a world of digital piracy which heavily affects independent bands like us, it speaks volumes if you choose to purchase our music in the best manner and to listen to it on vinyl which we guarantee will be the most immersive experience you can get from our music.“
Die belgische Avantgarde-Perkussionistin Karen Willems ist stets ein gern gesehener Gast auf der dunk!-Bühne, 2016 mit ihrem Projekt Inwolves, 2017 zusammen mit dem kanadischen Musiker Aidan Baker, und auch in diesem Jahr sollte mit ihrem Landsmann Jean D.L. ein unkonventioneller Gitarrist an ihrer Seite stehen. Kennern der belgischen Experimental-Szene war klar: Damit war freie Improvisation als Barriere-freies und Grenzen-sprengendes Motto des Auftritts angezeigt. Ulrich Stock zitierte in einem „Zeit“-Artikel über den legendären Gitarristen Fred Frith vor kurzem den amerikanischen Jazz-Saxophonisten Steve Lacy, der den Unterschied zwischen Komposition und Improvisation in 15 Sekunden erklären sollte und das Stakkato-schwadronierend auch schaffte: „Der-Unterschied-zwischen-Komposition-und-Improvisation-in-15-Sekunden-ist-wenn-man-eine-15-sekündige-Komposition-zu-schreiben-hat-kann-man-sich-dafür-so-viel-Zeit-nehmen-wie-man-möchte-und-wenn-man-eine-15-minütige-Improvisation-spielen-soll-hat-man-dafür-15-Sekunden“ – exakt derart spontan gestaltete sich auch das Zusammenspiel von E-Gitarren-Saiten und freiem Trommeln, Jean D.L. ließ seine abstrakten Gitarren-Drones völlig losgelöst von jeglicher gängigen Grifftechnik oder Noten-Lehre zum erratischen Takt von Karen Willems lichtern, die Perkussionistin wirbelte im freien Flow über Becken und Trommeln, schmetterte spontan tibetische Jodler in das Rund und untermalte mit Glocken, E-Bows und Klangschalen das freigeistige Musizieren. Der Vortrag des Duos forderte Aufmerksamkeit und belohnte reichlich mit neuen Hörerfahrungen und Horizonterweiterungen.
Der Auftritt des spanischen Prog/Post/Math-Rock-Quartetts Jardin De La Croix auf großer Bühne fiel notgedrungen dem Essenfassen zum Opfer, den folgenden Set im Wald bespielte die amerikanische Band Shy, Low aus Richmond/Virginia. Gitarrist Gregg Peterson war bereits im Jahr zuvor mit der US-Band Au Revoir beim Festival zugange, zusammen mit seiner Stammformation brachte er bei seiner Rückkehr frischen Wind in die Gitarren-dominierte Postrock-Landschaft. Im Bühnengebaren einer hart ackernden und extrovertiert agierenden Speed-Metal-Band drückten die Musiker schwer nach vorwärts gewandt ihre harten Riffs und brachialen Rhythmus-Anschläge durch die in der Lautstärke nach oben gefahrenen Boxen, die Postmetal-Wucht konterten sie selbst geschickt mit hymnischem, erhebendem Flow aus, heller Wohlklang und finsteres Dröhnen bedingten sich wie Licht und Schatten. Mit ihrem intensiven, emotional ausufernden Set und ihrem unverstellten, authentischen Auftreten bereicherte die Band die Riege der klassisch besetzten Postrock-Bands ungemein, es braucht nicht immer meterhoch aufgeschichtete Soundwände – Riff-dominiertes, straightes Abrocken kann so simpel, effektiv wie erfrischend sein im Postrock und weit aus der Masse herausragen lassen. Shy, Low lieferten mit dieser Rezeptur einen schwer begeisternden Auftritt und eines der unzweifelhaften Festival-Highlights.
Böse Zungen unkten im Vorfeld, dass zum Auftritt der französischen Band Silent Whale Becomes A Dream vermutlich große Teile des Publikums im Zelt einfach sanft entschlummern würden, ob das so stattfand, müssen die beurteilen, die dabei waren, von der Ferne vernommen war der entschleunigte Postrock-Sound mit sorgfältig getragener Langsamkeit und gedehnt anschwellender, entwickelter Intensität hin zum erlösenden Höhepunkt eine angenehme Nachmittags-Beschallung des Festival-Treibens und vor Ort erlebt vermutlich eine ergreifend emotionale Konzert-Erfahrung.
Das war ohne Zweifel auch der Auftritt der chinesischen Band Zhaoze 沼泽 auf der Waldbühne. Die Formation aus der südchinesischen Millionenstadt Guangzhou begeisterte bereits im Vorjahr im großen Zelt mit ihrer ureigenen Spielart des Postrock-Crossovers unter Verwendung traditioneller chinesischer Instrumente. Im Rahmen ihres Aufenthalts nahm das Quartett seinerzeit im Nachgang auf der Anlage der Waldbühne das aktuelle Album „Birds Contending 争鸣“ auf, ein 40-Minuten-Stück, das beim diesjährigen Gig in Gänze am Ort seiner Entstehung zum konzertanten Vortrag gebracht wurde. Die Band und allen voran Leader Hoyliang spielten sich in einen wahren Rausch, mit klassischer Postrock-Linie aus Bass/Gitarre/Drums und den einmal mehr faszinierenden Klängen der elektrisch verstärkten, traditionellen Griffbrett-Zither Guqin, die Meister Hoyliang neben konventionellem Spiel zuweilen mit dem Geigenbogen malträtierte. Daneben bezauberte er mit seinem Langflöten-Spiel in fernöstlichen Ambient-Folk-Variationen, einem wunderschönen, ergreifenden Soundflow, den er im Verbund mit der Band in die cineastische Breitband-Epik der instrumentalen, fernöstlich angehauchten Rockmusik ausufern ließ. Die Klangvielfalt der vier Chinesen kannte offensichtlich keine Grenzen, die Musiker scheuten sich nicht, selbst experimentelle Ausbrüche und Noise-Rock-artige Schlaglichter in den Wohlklang einzuflechten. Wo das Werk in der Studio-Aufnahme in getragener Euphorie zum Ende hin dem Licht in den Baumspitzen (und den dort nistenden Vögeln aus dem Album-Titel) entgegen strebt, trieben Zhaoze 沼泽 das Finale von „Birds Contending 争鸣“ live im minutenlangen Stakkato intensiv gesteigert der explodierenden Klimax entgegen. Mehr euphorisiertes Glücksgefühl ob des dargebotenen Auftritts war beim dunk! 2019 zu keiner Zeit, nirgends. Unzweifelhafte #dnk19-Kulturforums-#1 im diesjährigen Ranking. Hinsichtlich Intensität, Spielfreude, bunt lichternder, Ohren-schmeichelnder Klangvielfalt und experimenteller Wucht war der Auftritt allenfalls mit dem sensationellen Wald-Gig von Bart Desmet und seiner Postrock-Formation Barst beim dunk! 2017 vergleichbar, und so war es nur angezeigt, dass es für diesen herausragenden konzertanten Großwurf von Zhaoze 沼泽 minutenlange, hochverdiente Standing Ovations gab. Im Wald, da sind nicht nur die Räuber, da war beim #dnk19 auch die musikalische Exzellenz daheim…
Nach dem Auftritt von Zhaoze 沼泽 ging nicht mehr viel, da war die Luft hinsichtlich weiterem, aufmerksamem Konzert-Besuch einfach raus, die Nummer mit dem Aufhören, wenn’s am Schönsten ist, bewahrheitete sich einmal mehr. Was sollte nach einem derart überwältigenden Aufführung noch an Steigerung kommen?
Der Auftritt der wiedervereinigten US-Postrocker Gifts From Enola mit ihrer von scharfen Gitarrenriffs, in den Postmetal reichenden Spielart hätte unter anderen Umständen sicher mehr Aufmerksamkeit verdient, wie auch das bombastische, extrovertierte Experimentieren mit Progressive- und Noise-Sounds der australischen PR-Vertreter von Tangled Thoghts Of Leaving.
Freude kam noch einmal zum Auftritt der UK-Formation Bossk aus Kent auf, die Band präsentierte bei ihrem dunk!-Debüt eine facettenreiche Postrock-Mixtur aus nüchterner, wuchtiger Postmetal-Härte, herrlichen Trance-Elegien und psychedelischen Halluzinationen für die Freunde der Progressive- und Space-Trips. Damit entzog sich die Combo jeglicher Schubladen-Kategorisierung, wusste mit einem voluminösen, komplexen Klangbild völlig zu überzeugen und ließ damit die Bäume im Wald, das Publikum und die restliche Fauna ein letztes Mal erbeben.
Der Würdigung des allerletzten Konzerts vor Bandauflösung der britischen Formation Her Name Is Calla mögen sich andere in Ausführlichkeit hingeben, der saumselig-dick aufgetragene Weltschmerz-Postfolk beim finalen Gig im Wald mochte so wenig konvenieren wie der Shoegazer-Kitsch der Festival-beschließenden Headliner von Alcest, die Franzosen waren in der Funktion mindestens so diskussionswürdig wie die Hauptacts der Tage zuvor. Anyway, die Geschmäcker und Vorlieben sind bekanntlich verschieden, und selbst bei einigen Streich-Ergebnissen im Line-Up konnte sich in den drei Festival-Tagen niemand über mangelnde Vielfalt, exzellente Konzert-Beschallung, viele spannende Neuentdeckungen, die erwartet guten Auftritte alter Helden und die ein oder andere freudige Überraschung beschweren.
Sowenig, wie über die einmal mehr hervorragende Organisation, ein friedliches, angenehmes, fachkundiges und zumeist hochkonzentriertes Publikum, eine freundliche und zugewandte Festival-Crew, bestes Catering, einen grandiosen Job der Leute hinter den Soundboards und Lichtreglern – und selbst der Verantwortliche hinter den Wolken hat wieder mitgespielt, irgendeiner da oben muss ein Faible für dieses Festival haben, so soll es sein: Null Niederschlag, ein Traum.
Very special thanks an Joni Sadler von Constellation Records und Wout Lievens von der Festival-Organisation.
Eine Frage bleibt bis auf weiteres jedoch ungeklärt: Wo war Festival-Man? Sein Luftgitarren-Spiel wurde schmerzlich vermisst. War er auf einer anderen Veranstaltung zugange? Ist er hoffentlich wohlauf? Sachdienliche Hinweise nimmt jede Kulturforums-Diensstelle entgegen. Vielleicht ist er beim nächsten Mal wieder dabei, denn: Nach dem Festival ist vor dem Festival – das dunk! findet im kommenden Jahr von 21. bis 23. Mai 2020 an gewohnter Stelle statt, hinterm Vereinsgelände, in Ostflanderns grünen Auen und Fluren. Man darf schon gespannt sein. Wie die Luftgitarren-Saiten vom Festival-Man…