Love, Life, Death, And Baseball.
Privataudienz am vergangenen Mittwochabend in den Rosenheimer Suburbs: Willy Tea Taylor, kalifornischer Folk-Songwriter, Farmer, Sozial-Aktivist, Muddy-Roots-Urgestein, ehemaliger Baseball-Spieler und Co-Star in M. A. Littlers herausragender Dokumentation „The Kingdom Of Survival“ über radikale Gesellschaftsmodelle und Gegenwürfe zum American Way Of Life war auf Einladung von Mark Icedigger im heimischen Wohnzimmer des Konzert-Veranstalters für einen privaten Auftritt zu Gast.
Folk-Musik dokumentierte in ihren besten Momenten seit je die prekären Lebensumstände des sozialen Umfelds, legte authentische biografische Zeugnisse ab oder wusste die Zeichen der Zeit aus der Perspektive der sogenannten einfachen Leute zu deuten, und diese Momente findet man in der Musik und den aus dem Leben gegriffenen Texten von Willy Tea Taylor zuhauf. Getragene Balladen in Moll, mit viersaitiger Gitarre begleitet, in denen das vollbärtige Original seine Geschichten vom harten Alltag einer Krankenschwester, aus der Perspektive der vom Staat Abgehängten und Vergessenen, dem Leben seiner permanent alkoholisierten Großmutter und dem unsteten Musiker-Dasein seines Grandpas erzählt, von seiner Liebe zum Baseball und dem einfachen Leben im ländlichen Amerika. Taylors Songs sind in ihrer Erhabenheit herzergreifend, regen gleichsam Gemüt wie Verstand an und wollen doch nie predigen oder beklommene Betroffenheit heraufbeschwören, vor zuviel Moralinsäure bewahrt der ein oder andere Powerchord-Schrammler, die humorige Ansprache des in sich ruhenden Barden, der sich völlig uneitel über sein von einem skandinavischen Fan attestiertes Aussehen als schwedischer Troll amüsiert, über Kinderschnitzel auf deutschen Speisekarten feixt und sich mit erratischen Tanzeinlagen zu einer eigenen Uptempo-Nummer selbst nicht allzu ernst nimmt – und sollte die Tragik doch die Oberhand gewinnen, hilft immer noch ein kräftiger Schluck aus der „Writers Tears“-Flasche.
Der Akustikvortrag geriet bisweilen musikalisch höchst ansprechend, immer dann, wenn der mitgereiste, mittlerweile zwecks der Liebe in Hamburg ansässige Gitarrist Chandler Pratt im Duett sein filigranes und virtuoses Saitenspiel einbrachte – im Verbund zwei exzellent aufeinander eingespielte Folkies, die in der Vergangenheit gemeinsam auch in der Americana/Country-Band The Good Luck Thrift Store Outfit zugange waren.
Das eigene Songmaterial des rothaarigen Songwriters mit dem freien Geist und dem großen Herzen war in den beiden längeren Sets über jeden Zweifel erhaben, die Interpretation der Dylan-Nummer „Not Dark Yet“ ein gelungenes Unterfangen, das dem Original an Intensität in nichts nachstand, einzig der Griff in den Tom-Petty-Fundus war einer, der die Veranstaltung nicht weiter bereicherte.
Die essentielle, soziale Verwerfungen reflektierende wie musikalisch heute mehr denn je relevante, reine Lehre des Akustik-Folk kommt dieser Tage von Musikern wie Charlie Parr, Possessed By Paul James oder eben dem großartigen Willy Tea Taylor: Wer Ohren hat, der höre, alle anderen machen es sich in ihrer privaten Scheinwelt gemütlich und schmeißen den guten Geschmack mit dem Konsum von synthetischen Folk-Derivaten aus den Häusern Decemberists, Mumford und Söhne oder diesem unsäglichen Country-Swing-Genöle vom Nobelpreis-Faktotum über Bord.
God bless the Icedigger House und alle, die da gehen ein und aus: Ansässige, Konzertbetreiber, Gäste und Musikanten. Wie heißt es immer so schön zu derart erhebenden Anlässen: Thanks for having us, an diesem rundum gelungenen Privatkonzert-Abend.
Willy Tea Taylor tritt heute im Quarterdeck in Basel auf, in den folgenden Tagen spielt er seine exzellenten Folksongs zu diesen Gelegenheiten – do yourself a favour:
25.11. – Zürich – Gotthard Bar
26.11. – Dillenburg – Erbse
28.11. – Husum – Speicher
30.11. – Bremen – Schule 21
01.12. – Hamburg – Monkeys