Top-Forty-Gigs 2019, Culture-Forum-Edition: die erinnerungswürdigsten, am längsten nachhallenden Konzerte des vergangenen Jahres, selbstredend wie immer rein subjektiv gewertet. Unterstützen Sie Ihre lokalen Festival- und Konzertveranstalter, knausern Sie nicht rum, wenn der Hut rumgeht, haben Sie im neuen Jahr 2020 bitte Spaß mit den MusikantInnen Ihres Vertrauens, zur Not auch für über 1000 Taler im VIP-Bereich des Stadions bei einem aufgewärmten Rock’n’Roll-Derivate-Scheißdreck wie Gewehre n‘ Rosen: Jeder nach seiner Fasson, the show must go on…
Progressive Rock
Godspeed You! Black Emperor + Mette Rasmussen @ Technikum, München, 2019-11-24
„Luciferian Towers“, endlich auch live in München errichtet: Nachdem Godspeed You! Black Emperor die 2018-Tour zur konzertanten Aufführung ihres jüngsten, bereits vor über zwei Jahren veröffentlichten Meisterwerks großräumig an hiesigen Gefilden vorbeilotsten, konnte das veranstaltende Feierwerk am vergangenen Sonntag im Münchner Technikum ausverkauftes Haus bei der Präsentation der kanadischen Experimental/Postrock-Institution vermelden. Verdientermaßen, darf man anmerken, alles andere wäre einem Affront gegenüber der großartigen Kunst des achtköpfigen Musiker-Kollektivs aus Montreal gleichgekommen. Gitarrist Efrim Menuck begeisterte bereits im vergangenen Sommer zusammen mit Electronica-Duo-Partner John Doria im gemeinsamen Projekt „are SING SINCK, SING“, in der großen Besetzung des Mutterschiffs reihte er sich mannschaftsdienlich ein in die vielstimmige und komplexe Sinfonik des ureigenen GY!BE-Sounds, der in den hundert Minuten des Münchner Auftritts einmal mehr mit doppelter Bass- und Drums-Orchestrierung, Violine und drei Gitarren seine Einzigartigkeit wie die Ausnahmestellung der Band in der weiten Welt des Postrock untermauerte.
Drone, Noise und abstrakte Trance-Rituale überlagerten sich vielschichtig mit vertrautem Progressive-, Experimental- und Kraut-Rock, minimalistischer Neo-Klassik und melodischen Filmmusik-Sequenzen, in einer hypnotischen Klang-Intensität, in der das getragene, traurig-melancholische Element der atmosphärisch-diffusen Klangnebel, experimentelle Ausbrüche, euphorisierende Postrock-Hymnik und treibender Indie-Drive Hand in Hand gehen, in einer tonalen Dichte, wie sie in den Spielarten der instrumentalen Rockmusik nach wie vor ihresgleichen sucht. Dieses Kollektiv braucht keine großen Bühnen-Gesten, keine Applaus-heischenden Ansagen oder solistisches Protzen, um das Publikum völlig in den Bann zu ziehen. Was vor einem Vierteljahrhundert in einer Lagerhalle in Montreal als improvisierte Trio-Nummer startete, ist längst zu einem der renommiertesten, ernsthaftesten, konzeptionell stringentesten, fundamental einzigartigsten Live-Acts des experimentellen Postrock-Genres gereift.
Wie im Jahr zuvor begleitete die norwegische Free-Jazz-Saxophonistin Mette Rasmussen einen Teil der ausladenden „Luciferian Towers“-Nummern, die Band ergänzte das Set mit altbewährten Klassikern wie „The Sad Mafioso“ oder dem eingangs in Überlänge zelebrierten „Hope Drone“. Diverse, zuweilen parallel projizierte Super-8-Filme mit bewegten Bildern von Friedhöfen, brennenden Fabriken und amerikanischen Massendemonstrationen unterstrichen wie in der Vergangenheit zu jedem GY!BE-Auftritt die Dringlichkeit und wortlose, politische Aussage der Kompositionen, gipfelnd in einem minutenlangen, Konzert-beschließenden Feedback-Fade-Out, ein anarchistisches Statement gegen Globalisierung, soziale Gräben, Imperialismus und den militärischen Apparat.
Vermutlich werden Godspeed You! Black Emperor einst in nicht allzu ferner Zukunft als einsamer, leuchtender Turm in der kahlen Wüste der instrumentalen Rockmusik stehen: Wenn alle anderen Bands das immer Gleiche der Laut/Leise-Kontraste bis zum Erbrechen zu Tode geritten haben, wird der Kosmos der Band aus Quebec weiter in einer dunkel funkelnden und faszinierenden Vielfalt erstrahlen, ohne Worte mahnend und warnend vor den finsteren politischen und gesellschaftlichen Verwerfungen der westlichen Zivilisation.
Eingangs galt es am Sonntagabend, das enervierende Solo-Programm von Mette Rasmussen zu überstehen. Die Norwegerin tobte sich für eine halbe Stunde mit ihrem Saxophon im improvisierten Free Jazz aus, abgehackte Töne in das Auditorium trötend, ein gnadenloses Gelärme, dem selbstredend keinerlei Melodik innewohnte, allenfalls bisweilen ein rudimentär erkennbarer Rhythmus im erratischen Radikalausbruch, Kakophonie, die zu keiner Sekunde nach Gefälligkeit heischen mochte. Dem Geplärr des Holzblasinstruments ließ die Musikerin beizeiten das kurze Geschrei der eigenen Stimme folgen – das Nerven-anspannende, Genuss-freie Gewerk ein bebender, explosiver, gleichwohl erschreckend monotoner Ausbruch und für viele die Art von Gejazze, die den christlichen Radfahrer zum absteigen zwingen, die Skeptiker gewiss nicht für experimentelles Musizieren einnehmen und den gemeinen Jazz-Verächter in all seinen ablehnenden Vorurteilen bestätigen. Weitaus ansprechender, voluminös druckvoller und mehrdimensionaler wurde der Vortrag erst zum Ende hin, als sich zum Noten-freien Gebläse von Mette Rasmussen die GY!BE-Musiker Thierry Amar und Timothy Herzog an Bass und Trommel mit wuchtiger Taktgebung für die letzte Nummer ihres Konzerts in das Klangbild einbrachten, aber da war das Kind bereits im Brunnen und die Trio-Besetzung somit nur noch Rettungsweste gegen das komplette Absaufen dieses höchst überflüssigen Support Acts. Schade, dabei kann die Frau so viel mehr, wie ihr Musizieren im Verbund mit GY!BE an diesem Abend wie auch exemplarisch ihre experimentellen Duo-Aufnahmen mit dem Gitarristen Tashi Dorji unterstreichen.
Tatvamasi + White Pulse @ Maj Musical Monday #98, Glockenbachwerkstatt, München, 2019-10-21
Die 98. Ausgabe der Postrock/Experimental/Improvisations-Reihe Maj Musical Monday am vergangenen Montagabend in der Münchner Glockenbachwerkstatt: eine maximal Jazz-lastige Angelegenheit im Doppelpack.
Die Musiker vom Schweizer „Workoutjazz“-Trio White Pulse gingen bereits mit dem ersten Nerven-zerrüttenden Saxophon-Plärren in die Vollen, vom Start weg keine Gefangenen machend in Sachen radikaler Free-Jazz/Noise-Ausbruch. Die Band wurde ihrem Tour-Motto „Fast And Furious“ in ihrem berserkernden Ausbruch ohne Abstriche gerecht, eingangs mit einer ellenlangen, atonalen Kakophonie, zu der Gitarrist Philipp Saner als explosiver Vulkan in Überschall-Geschwindigkeit die Saiten traktierte, wie Trommler Florian Kolb und Bläser Pablo Lienhard permanent neuen Ideen in Gedanken nachjagend und in der Umsetzung zum folgenden erratischen Ausbruch hetzend. Dem ersten dissonanten Beben auf der tonalen Überholspur folgte eine kollektive Rauchpause der drei lärmenden Musikanten, die das Trockeneis-Fluten des Saals mittels E-Zigaretten-Qualm simulierten, während das Auditorium per Videoleinwand mit bewegten Bildern und Sounds von Rennsport-PC-Spielen bespaßt wurde, die den ein oder anderen Gast möglicherweise auch dezent zu verstören vermochten. Damit an bizarrem Absurd-Theater nicht genug, White Pulse wussten ihren sprunghaften, jegliche stilistischen Grenzen einreißenden Auftritt durch eine ausnehmend exzellente Interpretation des Schlagers „Wer nie verliert, hat den Sieg nicht verdient“ aus der Feder von Udo Jürgens weiter anzureichern, ob der große österreichische Unterhaltungskünstler die Version seiner durch den Laibach-Fleischwolf gedrehten Erbauungs-Nummer goutieren würde, wir werden es in diesem Leben nicht mehr erfahren, im Zweifel war hierzu selbst die geballte Kraft der drei Keyboards vergebliche Liebesmüh.
Dem Intermezzo aus der wundersamen Welt der deutschen Sangeskunst folgte ein gedehntes Lärm-Finale, zu dem die Eidgenossen erneut in entfesselter Raserei dem Irrsinn die Sporen gaben, nebst kaum mehr zu greifenden Improvisations-Krach-Attacken ließ das infernalische Trio das ein oder andere Hardcore-Punk-Schlaglicht aufflammen, zerrte den Stooges-Klassiker, in dem Iggy Dein Hund sein will, in schwermetallene Grunge-Tiefen, und demonstrierte mit der Nummer „Ring A Bell“, dass sich selbst in diesem Kontext völlig konträrer, leichtfüßig-luftiger Pop-Sing-Sang ins freigeistige Bühnen-Konzept der Band aus Zürich integrieren lässt. Zugaben-Block erledigte sich quasi von selbst, in der finalen Klang-Apokalypse flogen durch wild-entfesseltes Getrommel die Mikros vom Drum-Kit, das Gitarren-Instrument war mit mehreren gerissenen Saiten unter Hochdruck-Einwirkung ohnehin längst tot-malträtiert. „Search And Destroy“-Auftrag erfüllt, schätzungsweise…
Weitaus konventioneller, stringenter, mehr der ausgereiften Komposition verpflichtet gestaltete das Quartett Tatvamasi aus dem polnischen Lublin ihren Gig im Nachgang zum eruptiven Beben der Schweizer Kollegen. Der Coltrane-, Dolphy- und Rollins-Soul des geerdeten Saxophon-Spiels von Tomasz Piątek schwebte über der ausgefeilten Kraut- und Progressive-Melodik seiner Mitmusiker, allesamt handwerklich versierte und inspirierte Instrumentalisten, denen die filigranen Riffs, Breaks, Rhythmen und Drum-Beats wie locker aus dem Ärmel geschüttelt glückten. Der Jazz mochte hier lautmalend tonangebend sein, ohne permanent auf seine Vormachtstellung zu pochen, der stilistisch weit gefasste Improvisations-Flow der Band atmet psychedelischen Spirit, der treibende Blues aus dem Anschlag der halb-akustischen Gitarre von Grzegorz Lesia bis hin zu atmosphärischen Desert-Rock-Zitaten der Spielart trifft auf die komplexen Bass-Linien des kauzigen Band-Sprechers Łukasz Downar in dessen Interpretation von ausladenden Instrumental-Prog-Rock-Herrlichkeiten. Den Modern Jazz aus den Tiefen des Tenor-Sax flankierte Drummer Krzysztof Redas mit seinem frei austarierten, losgelösten Anschlag. Anregender und schwerst gefälliger Vortrag einer Band für die leider viel zu wenigen Zuhörer, denen die Grenzen des ausladenden Jazz-Rock an diesem Abend nicht weit genug gefasst sein konnten.
Oh Sees + Aluk Todolo @ Strom, München, 2019-08-30
Am vergangenen Freitagabend schütteten die Münchner Konzertveranstalter vom Clubzwei ein fulminantes Doppelpack an psychedelischen Kubikmetern ins konzertante Sommerloch der Stadt und präsentierten mit dem kalifornischen Hauptact Oh Sees eine der wandlungsfähigsten Combos des US-Indierock im Münchner Strom. Die Band aus San Francisco hat in den vergangenen zwei Dekaden zahlreiche Umbenennungen, Umbesetzungen und stilistische Umorientierungen hinter sich, einzige personelle Konstante über die Jahre ist Multiinstumentalist, Sänger und Label-Betreiber John Dwyer, der im ausverkauften Münchner Indie-Club von den beiden Schlagzeugern Paul Quattrone und Dan Rincon, Basser Tim Hellman und Keyboarder Tomas Dolas begleitet wurde.
Unter Sauna-ähnlichen Bedingungen groovte sich die Band aus dem Soundcheck heraus direkt, ohne Umstände und intensiv aus der Hüfte geschossen in ihren Gig, die erste Druckwelle schwappte postwendend aus dem Auditorium mittels heftigstem Pogo-Eintanzen, Schuhe- und Bierbecher-Schmeißen, Stage-Diven und ausgelassenem Gerempel zurück auf die Bühne. Den hochsommerlichen August-Temperaturen mochte im Saal offensichtlich kaum jemand Tribut zollen, und so gaben sich große Teile des Publikum dem Transpirieren im enthemmten Bewegungsdrang hin, einerlei, ob passend zu schmissigen Garagen-Trash/Punk-Hauern, flott durchgeknallten, melodischen Indie-Psychedelic-Perlen oder weithin deplatzierter zu angejazzten Kraut-Passagen oder den gedehnt ausladenden, von frei fließender Space-Orgel und entrücktem Grateful-Dead-Doppelgetrommel geprägten Progressive- und Sixties-Psychedelia-Jams. Die Combo um den durchtätowierten Bandleader mit der hochgehängten Gitarre stand dem intensiv berstenden Geschehen vor der Bühne in nichts nach und hielt das Energie-Level über neunzig Minuten konstant am oberen Limit. Die Oh Sees erfinden in ihrem von den US-Underground- und Indie-Spielarten der Spät-Sechziger, Mitt-Siebziger und achtziger Jahre stark beeinflussten Stil-Mix das Rad gewiss nicht grundlegend neu, vor allem im minutenlangen Endlosschleifen-Flow findet sich etliches an improvisierten Instrumental-Ergüssen, was woanders schon x-fach in gleicher oder ähnlicher Form zum Vortrag kam, mitunter in spannungsgeladener Diversität, der Reiz der Oh-Sees-Auftritte liegt vor allem im wilden Ritt durch eine Vielfalt an stilistischen Mitteln, in unvermittelten Tempi-Wechseln und dem Aufeinanderprallen von früher unvereinbaren Elementen wie der direkten Energie und dem knappen Format des Punk-Rock mit den ausufernden Improvisations-Auswüchsen der kosmischen Progressive-Sternenfahrt. Die Band zelebrierte den Tanz zwischen den Extremen im Dauer-Rausch ohne Verschnaufpause, und so mochte man es dem Quintett nach schweißtreibenden eineinhalb Stunden nicht verdenken, dass dem lauthals vorgetragenen Begehr nach Zugabe kein Gehör geschenkt wurde.
Gibt Bands, die ziehen auf der permanenten Suche nach entsprechenden Ausdrucksformen zum Freisetzen der überbordenden Ideen und überschüssigen Energie in the spirit of rock’n’roll ihr Ding durch und fertig ist die Laube, siehe oben. Der Großteil im populär-musikalischen Zirkus eben, die einen mit einem Schuss mehr Sendungsbewusstsein, die anderen einfach mit ungebändigtem Spaß am eigenen Tun.
Und daneben gibt’s die, die ihr Gewerk bedeutungsschwanger und konzeptionell mit mystischem Überbau versehen, die Experimental-Metaller Sunn O))) in ihren Mönchskutten oder die rituellen Beschwörungs-Postmetaller von Amenra als herausragende Vertreter der Zunft – in die selbe Kerbe schlugen am Freitagabend die drei Franzosen der Abend-eröffnenden Band Aluk Todolo. Der Name der Formation aus Grenoble ist einer uralten ethnischen Religion aus den Bergregionen Indonesiens entlehnt, das instrumentale Lärmen des klassischen Powertrios versehen die Musiker selbst mit dem Label „Occult Rock“. Unter dem Logo des Buchstabens „Un“ aus dem henochischen Alphabet, das für eine magische Kunst-Sprache im Mittelalter vom englischen Alchemisten und Hofastrologen John Dee entwickelt wurde, loten die drei dunkel Gewandeten die Kräfte ihres finster dröhnenden Trance-Flows aus. Lässt man den mythologischen Firlefanz, die theatralische Lichtbeschwörung von Gitarrist Shantidas Riedacker oder die 2011er-Kollaboration mit der musikalisch ohne Zweifel exzellenten, politisch gleichwohl fragwürdigen österreichischen Kraut-Formation Der Blutharsch And The Infinite Church Of The Leading Hand außen vor, bleibt als bedrohlicher, naturgewaltiger Sound ein erschöpfend in dunklen Gefilden mäanderndes, minimalistisches wie hypnotisches Instrumental-Gebräu aus Black-, Experimental- und Post-Metal, schwerst psychedelischem Kraut-Noise und der von Magma-Drummer Christian Vander definierten Spielart Zeuhl, die sich vor allem im freien, schleppend bis fieberhaft nervös die Becken malträtierenden, obsessiven Spiel vom entrückten Perkussionisten Antoine Hadjioannou offenbart. Der Auftritt von Aluk Todolo wird traditionell nur von einer zentral über der Bühne hängenden Lampe durchflutet, deren flackerndes Leuchten mit der Intensität der verzerrten, mitunter radikal dissonanten, lange nachhallenden Gitarren-Riffs und den einhergehenden Feedback-Erschütterungen der Metal-Drones korrespondiert. Finsterwald-Beschallung für neblige November-Tage und die Filmmusik für jegliche Ausprägungen an seelischen Abgründen, die durch diese Art von Schamanen-Kult kaum Aussicht auf Heilung erfahren, dargereicht in den letzten Tagen des Sonnen-durchfluteten Augusts – gewagte Nummer, für den geneigten Postmetal-Freund nichtsdestotrotz für eine halbe Stunde Erbauung und damit mit dem verdienten Applaus bedacht.
dunk!Festival 2019 @ Zottegem/Velzeke, Belgien, 2019-06-01
dunk!Festival 2019, the third and final report: Das Wetter präsentierte eitel Sonnenschein in Flanderns Auen und Fluren zum Start in den Juni und sorgte bereits vor den ersten Gigs für hochsommerliche Temperaturen, dafür war das gebotene Tagesprogramm beim Veranstaltungs-Finish umso durchwachsener. Den Weckruf zur letzten Runde bespielte das Trio Le Temps Du Loup aus Madrid mit ihrer Interpretation des melodischen Postmetal/Postrock-Crossover, mit ordentlichem Druck-Volumen und variantenreichen Tempi-Wechseln. Den instrumentalen Flow der Spanier hat man in der Form im großen Zelt sicher nicht zum ersten Mal gehört, zu überzeugen wusste die tonale Druckbetankung aufgrund grundsolide durchexerzierter Metal-Riffs, einem satten Klangbild und einhergehender, überwältigender Wucht nichtsdestotrotz.
Im Wald wartete als Opener für den finalen Reigen in der Natur mit Summit eine weitere spannende, noch weithin unbekannte belgische Instrumental-Band der jungen Generation, neben dunklen Postmetal-Riffs und energischen Gitarrenwänden glänzte das Quartett aus Gent in der Nummer „Icarus“ mit unerwartetem wie feinem Desert-Rock-Flow im Mittelteil des Stücks, das sich später zur euphorischen Postrock-Hymne aufschwingen sollte. Dem „Ethereal rock for body and soul“ der vier jungen Musiker bleibt für die Zukunft zu wünschen, dass er über die regionalen Grenzen Ostflanderns hinaus seine aufmerksame Hörerschaft findet.
In anderen Erdteilen, im asiatischen Raum bekannt sind bereits Paint The Sky Red, die Formation aus Singapur überzeugte im ersten Teil ihrer Aufführung mit angenehm gleitenden, tiefenentspanntem Gitarren-Flow, der zur repetitiven Ambient- und Trance-Hypnose neigte, mit Fortgang des Konzerts untermauerte die vierköpfige Combo eindrucksvoll, dass ihr die vehementere Gangart im Uptempo-Drive mindestens genauso leicht von der Hand geht. Sehr deutliche Ansage zum Thema Raubkopien im Übrigen auf der Bandcamp-Seite der Band, spread the word: „In a world of digital piracy which heavily affects independent bands like us, it speaks volumes if you choose to purchase our music in the best manner and to listen to it on vinyl which we guarantee will be the most immersive experience you can get from our music.“
Die belgische Avantgarde-Perkussionistin Karen Willems ist stets ein gern gesehener Gast auf der dunk!-Bühne, 2016 mit ihrem Projekt Inwolves, 2017 zusammen mit dem kanadischen Musiker Aidan Baker, und auch in diesem Jahr sollte mit ihrem Landsmann Jean D.L. ein unkonventioneller Gitarrist an ihrer Seite stehen. Kennern der belgischen Experimental-Szene war klar: Damit war freie Improvisation als Barriere-freies und Grenzen-sprengendes Motto des Auftritts angezeigt. Ulrich Stock zitierte in einem „Zeit“-Artikel über den legendären Gitarristen Fred Frith vor kurzem den amerikanischen Jazz-Saxophonisten Steve Lacy, der den Unterschied zwischen Komposition und Improvisation in 15 Sekunden erklären sollte und das Stakkato-schwadronierend auch schaffte: „Der-Unterschied-zwischen-Komposition-und-Improvisation-in-15-Sekunden-ist-wenn-man-eine-15-sekündige-Komposition-zu-schreiben-hat-kann-man-sich-dafür-so-viel-Zeit-nehmen-wie-man-möchte-und-wenn-man-eine-15-minütige-Improvisation-spielen-soll-hat-man-dafür-15-Sekunden“ – exakt derart spontan gestaltete sich auch das Zusammenspiel von E-Gitarren-Saiten und freiem Trommeln, Jean D.L. ließ seine abstrakten Gitarren-Drones völlig losgelöst von jeglicher gängigen Grifftechnik oder Noten-Lehre zum erratischen Takt von Karen Willems lichtern, die Perkussionistin wirbelte im freien Flow über Becken und Trommeln, schmetterte spontan tibetische Jodler in das Rund und untermalte mit Glocken, E-Bows und Klangschalen das freigeistige Musizieren. Der Vortrag des Duos forderte Aufmerksamkeit und belohnte reichlich mit neuen Hörerfahrungen und Horizonterweiterungen.
Der Auftritt des spanischen Prog/Post/Math-Rock-Quartetts Jardin De La Croix auf großer Bühne fiel notgedrungen dem Essenfassen zum Opfer, den folgenden Set im Wald bespielte die amerikanische Band Shy, Low aus Richmond/Virginia. Gitarrist Gregg Peterson war bereits im Jahr zuvor mit der US-Band Au Revoir beim Festival zugange, zusammen mit seiner Stammformation brachte er bei seiner Rückkehr frischen Wind in die Gitarren-dominierte Postrock-Landschaft. Im Bühnengebaren einer hart ackernden und extrovertiert agierenden Speed-Metal-Band drückten die Musiker schwer nach vorwärts gewandt ihre harten Riffs und brachialen Rhythmus-Anschläge durch die in der Lautstärke nach oben gefahrenen Boxen, die Postmetal-Wucht konterten sie selbst geschickt mit hymnischem, erhebendem Flow aus, heller Wohlklang und finsteres Dröhnen bedingten sich wie Licht und Schatten. Mit ihrem intensiven, emotional ausufernden Set und ihrem unverstellten, authentischen Auftreten bereicherte die Band die Riege der klassisch besetzten Postrock-Bands ungemein, es braucht nicht immer meterhoch aufgeschichtete Soundwände – Riff-dominiertes, straightes Abrocken kann so simpel, effektiv wie erfrischend sein im Postrock und weit aus der Masse herausragen lassen. Shy, Low lieferten mit dieser Rezeptur einen schwer begeisternden Auftritt und eines der unzweifelhaften Festival-Highlights.
Böse Zungen unkten im Vorfeld, dass zum Auftritt der französischen Band Silent Whale Becomes A Dream vermutlich große Teile des Publikums im Zelt einfach sanft entschlummern würden, ob das so stattfand, müssen die beurteilen, die dabei waren, von der Ferne vernommen war der entschleunigte Postrock-Sound mit sorgfältig getragener Langsamkeit und gedehnt anschwellender, entwickelter Intensität hin zum erlösenden Höhepunkt eine angenehme Nachmittags-Beschallung des Festival-Treibens und vor Ort erlebt vermutlich eine ergreifend emotionale Konzert-Erfahrung.
Das war ohne Zweifel auch der Auftritt der chinesischen Band Zhaoze 沼泽 auf der Waldbühne. Die Formation aus der südchinesischen Millionenstadt Guangzhou begeisterte bereits im Vorjahr im großen Zelt mit ihrer ureigenen Spielart des Postrock-Crossovers unter Verwendung traditioneller chinesischer Instrumente. Im Rahmen ihres Aufenthalts nahm das Quartett seinerzeit im Nachgang auf der Anlage der Waldbühne das aktuelle Album „Birds Contending 争鸣“ auf, ein 40-Minuten-Stück, das beim diesjährigen Gig in Gänze am Ort seiner Entstehung zum konzertanten Vortrag gebracht wurde. Die Band und allen voran Leader Hoyliang spielten sich in einen wahren Rausch, mit klassischer Postrock-Linie aus Bass/Gitarre/Drums und den einmal mehr faszinierenden Klängen der elektrisch verstärkten, traditionellen Griffbrett-Zither Guqin, die Meister Hoyliang neben konventionellem Spiel zuweilen mit dem Geigenbogen malträtierte. Daneben bezauberte er mit seinem Langflöten-Spiel in fernöstlichen Ambient-Folk-Variationen, einem wunderschönen, ergreifenden Soundflow, den er im Verbund mit der Band in die cineastische Breitband-Epik der instrumentalen, fernöstlich angehauchten Rockmusik ausufern ließ. Die Klangvielfalt der vier Chinesen kannte offensichtlich keine Grenzen, die Musiker scheuten sich nicht, selbst experimentelle Ausbrüche und Noise-Rock-artige Schlaglichter in den Wohlklang einzuflechten. Wo das Werk in der Studio-Aufnahme in getragener Euphorie zum Ende hin dem Licht in den Baumspitzen (und den dort nistenden Vögeln aus dem Album-Titel) entgegen strebt, trieben Zhaoze 沼泽 das Finale von „Birds Contending 争鸣“ live im minutenlangen Stakkato intensiv gesteigert der explodierenden Klimax entgegen. Mehr euphorisiertes Glücksgefühl ob des dargebotenen Auftritts war beim dunk! 2019 zu keiner Zeit, nirgends. Unzweifelhafte #dnk19-Kulturforums-#1 im diesjährigen Ranking. Hinsichtlich Intensität, Spielfreude, bunt lichternder, Ohren-schmeichelnder Klangvielfalt und experimenteller Wucht war der Auftritt allenfalls mit dem sensationellen Wald-Gig von Bart Desmet und seiner Postrock-Formation Barst beim dunk! 2017 vergleichbar, und so war es nur angezeigt, dass es für diesen herausragenden konzertanten Großwurf von Zhaoze 沼泽 minutenlange, hochverdiente Standing Ovations gab. Im Wald, da sind nicht nur die Räuber, da war beim #dnk19 auch die musikalische Exzellenz daheim…
Nach dem Auftritt von Zhaoze 沼泽 ging nicht mehr viel, da war die Luft hinsichtlich weiterem, aufmerksamem Konzert-Besuch einfach raus, die Nummer mit dem Aufhören, wenn’s am Schönsten ist, bewahrheitete sich einmal mehr. Was sollte nach einem derart überwältigenden Aufführung noch an Steigerung kommen?
Der Auftritt der wiedervereinigten US-Postrocker Gifts From Enola mit ihrer von scharfen Gitarrenriffs, in den Postmetal reichenden Spielart hätte unter anderen Umständen sicher mehr Aufmerksamkeit verdient, wie auch das bombastische, extrovertierte Experimentieren mit Progressive- und Noise-Sounds der australischen PR-Vertreter von Tangled Thoghts Of Leaving.
Freude kam noch einmal zum Auftritt der UK-Formation Bossk aus Kent auf, die Band präsentierte bei ihrem dunk!-Debüt eine facettenreiche Postrock-Mixtur aus nüchterner, wuchtiger Postmetal-Härte, herrlichen Trance-Elegien und psychedelischen Halluzinationen für die Freunde der Progressive- und Space-Trips. Damit entzog sich die Combo jeglicher Schubladen-Kategorisierung, wusste mit einem voluminösen, komplexen Klangbild völlig zu überzeugen und ließ damit die Bäume im Wald, das Publikum und die restliche Fauna ein letztes Mal erbeben.
Der Würdigung des allerletzten Konzerts vor Bandauflösung der britischen Formation Her Name Is Calla mögen sich andere in Ausführlichkeit hingeben, der saumselig-dick aufgetragene Weltschmerz-Postfolk beim finalen Gig im Wald mochte so wenig konvenieren wie der Shoegazer-Kitsch der Festival-beschließenden Headliner von Alcest, die Franzosen waren in der Funktion mindestens so diskussionswürdig wie die Hauptacts der Tage zuvor. Anyway, die Geschmäcker und Vorlieben sind bekanntlich verschieden, und selbst bei einigen Streich-Ergebnissen im Line-Up konnte sich in den drei Festival-Tagen niemand über mangelnde Vielfalt, exzellente Konzert-Beschallung, viele spannende Neuentdeckungen, die erwartet guten Auftritte alter Helden und die ein oder andere freudige Überraschung beschweren.
Sowenig, wie über die einmal mehr hervorragende Organisation, ein friedliches, angenehmes, fachkundiges und zumeist hochkonzentriertes Publikum, eine freundliche und zugewandte Festival-Crew, bestes Catering, einen grandiosen Job der Leute hinter den Soundboards und Lichtreglern – und selbst der Verantwortliche hinter den Wolken hat wieder mitgespielt, irgendeiner da oben muss ein Faible für dieses Festival haben, so soll es sein: Null Niederschlag, ein Traum.
Very special thanks an Joni Sadler von Constellation Records und Wout Lievens von der Festival-Organisation.
Eine Frage bleibt bis auf weiteres jedoch ungeklärt: Wo war Festival-Man? Sein Luftgitarren-Spiel wurde schmerzlich vermisst. War er auf einer anderen Veranstaltung zugange? Ist er hoffentlich wohlauf? Sachdienliche Hinweise nimmt jede Kulturforums-Diensstelle entgegen. Vielleicht ist er beim nächsten Mal wieder dabei, denn: Nach dem Festival ist vor dem Festival – das dunk! findet im kommenden Jahr von 21. bis 23. Mai 2020 an gewohnter Stelle statt, hinterm Vereinsgelände, in Ostflanderns grünen Auen und Fluren. Man darf schon gespannt sein. Wie die Luftgitarren-Saiten vom Festival-Man…