Punk-Rock

Raut-Oak Fest 2019 @ Riegsee, 2019-06-29

Der Samstag/Tag 2 des Raut Oak am Riegsee eröffnete mit einem heimischen Beitrag aus dem Münchner Hause Gutfeeling Records: Wo Kapellmeister Andreas Staebler aka G.Rag im vergangenen Jahr mit seinen Hermanos Patchekos das gute Gefühl beim sonntäglichen Faulenzen und den Genuss beim Blicke-Schweifen über das herrliche Bergpanorama im Grünen zusätzlich mit opulenten wie wunderbar schrägen Big-Band-Sounds beförderte, war heuer die schmale Trio-Besetzung der G.Rag/Zelig Implosion Deluxxe angezeigt. Zusammen mit Drummer Mikel „Mr. Zelig“ Jack und Electronica-Tüftler Fritz Fritzmann lieferte Gitarrist/Sänger Staebler den scheppernden Weckruf für die 2. Festival-Runde am frühen Nachmittag mit einem grundsoliden wie unkonventionellen Einstieg in das Konzert-Programm. Weit ab von rauem Blues und artverwandten Variationen bespielte die Band ihr hochgeschätztes Potpourri aus stoisch reduzierten No-Wave- und Postpunk-Perlen, elektronisch veredelten Cumbia-Rhythmen und experimentellen Ausflügen in die Drone- und Space-Welt des Geräte-schraubenden Synthie-Tüftelns, die Sänger G.Rag zuweilen mit verzerrter Singstimme und dadaistisch-minimalistischer Lyrik bedachte. Mindestens die vor der Bühne versammelten Lokalpatrioten wussten wie zu vielen anderen Gelegenheiten in der Vergangenheit den ewig jungen und frischen Punk/Wave-Swing der Münchner Indie-Institution schwerst zu goutieren und starteten den 2. ROF-Tag im Blauen Land mit einem – genau! – Gutfeeling.

Die nächste Runde gehörte den vier Ladies von The Darts aus Phoenix/Arizona, dort ist es nach Ansage von Sängerin Nicole Laurenne regelmäßig noch wesentlich heißer als am hochsommerlichen Riegsee, mehr als knappe Textilien im Bühnen-Outfit haben die Mädels trotzdem nicht aufgetragen für ihre Bad-Taste-Show im Geiste des Sixties-Trash und der Psychedelic-Garage. Krawalliges Uptempo-Gepolter mit Glam-Appeal, Punk-Drive, Horror-B-Movie-Potential und exzessivem Malträtieren der Weltraum-Orgel. Die Band ist beim Alternative-Tentacles-Label von Jello Biafra am Start und präsentierte am Samstag vorwiegend das Material des Ende Mai erschienenen aktuellen Longplayers „I Like You But Not Like That“. Wer’s braucht, war vorn am Bühnenrand, alle anderen im Schatten unter der Eiche oder am Bierstand. Lux Interior hätte sich bei der Wahl zwischen Weibsen oder Drinks wohl zerreißen müssen, aber dieses Dilemma ist ja eine altbekannte Geschichte…

Gritty Tails of the Essex Underworld: Feinsten britischen Pub-Rock zelebrierten Eight Rounds Rapid aus dem südenglischen Southend On Sea. Wer sich spontan an die schneidigen Gitarren-Riffs von Dr. Feelgood’s Wilko Johnson erinnert fühlte, lag goldrichtig und musste nicht lange nach den Wurzeln suchen: ERR-Gitarrist Simon Johnson ist als Sohn des einflussreichen Musikers familiär geprägt vom englischen Prä-Punk der Siebziger und hat sich dabei unverkennbar den ein oder anderen Griff vom Altvorderen abgeschaut. Die Band lieferte im feinen Zwirn bei brütender Hitze ein vollmundiges Gebräu aus der harten Rhythm’n’Blues-Mutation der englischen Kaschemmen und Reminiszenzen an die Aufbruch-Jahre des Punk-Rock auf der Insel vor gut vier Dekaden, mit Verweisen auf die Mod-Nummern des frühen Paul Weller mit The Jam, auf die ungestüme Energie der Pistols bis hin zum fortgeschriebenen PiL-Kapitel. Speziell die stilistische Nähe zu den Johnny-Rotten-Kapellen war durch den schneidenden, fordernden Vokal-Vortrag von Sänger David Alexander offenkundig. Exzellenter erster Eindruck einer bis dato in unseren Breitengraden weithin unbekannten Band, allein dafür ein großes Dankeschön an Organisator Christian Steidl für die Ausgrabung und Präsentation derartiger Perlen.

Großes Staunen und Kinnladen-Runterfallen beim Auftritt von Bones Shake aus Manchester. Sänger David Brennan hat bereits am Vortag mit seinem energischen Auftritt zusammen mit der Combo The Dee Vees mächtigen Eindruck hinterlassen, am Samstag legte er am Spätnachmittag noch eine ordentliche Portion an Bühnenpräsenz und beinhartem Rock’n’Roll-Entertainment drauf. Der rohe, harte und überdrehte Fuzz-Trash und Primitiv-Blues-Rock dröhnte rudimentär und reichlich dissonant mit Gitarre und Drums der Sheffield-Brüder Andy und David aus den Tiefen einer versifften Garage, aus der Brennan in seiner Rolle als sich völlig verausgabender Frontmann wie der sprichwörtliche Springteufel herauskrakeelte, schrie, jaulte und heulte, als seien die letzten Tage und das jüngste Gericht angebrochen. Ein Verrenken, Wälzen auf den Bühnenbrettern und manisches Predigen, das die ohnehin schon völlig kompromisslose Bühnenshow des australischen Bruders im Geiste und Beasts-Of-Bourbon-Vorturners Tex Perkins in seinen besten Zeiten um ein Vielfaches steigerte und auf die Spitze trieb. Mehr Intensität und frenetisches Fiebern beim Grenzen-niederreißenden Herauskehren der inneren Dämonen und wütenden Entladen der Energie ist kaum vorstellbar. Großes Underground-Blues-Kino und damit selbstredend einer der exzellentesten Momente der ROF-2019-Ausgabe. Das jüngst bei Abattoir Blues Record, dem Label von Bandleader David Brennan erschienene Vinyl „Sermons“ ist auch ein sehr feines Teil für alle Freunde der raueren Gangart des Blues.

Zum Auftritt von Repetitor darf das Kulturforum zur Abwechslung mal ganz unbescheiden aufs Blech hauen: Dezenten Hinweis auf das Glockenbachwerkstatt-Konzert der serbischen Postpunk-Granaten im vergangenen Herbst an ROF-Mastermind Christian Steidl gesteckt, der fand Gefallen und hat postwendend mit dem Vertrag gewedelt, das Publikum am Samstag war nicht minder angetan vom Auftritt des gemischten Trios aus Belgrad, alles paletti. Die furios aufspielenden Rhythmus-Musikerinnen Milena Milutinović und Ana-Marija Cupin und ihr in Sachen Intensität in nichts nachstehender Band-Kollege Boris Vlastelica an Gitarre und Gesang zündeten ein Feuerwerk an Postpunk-Vehemenz und progressiven Ideen im Uptempo-Drive ihrer ureigenen Interpretation des harten, lauten und schnellen Alternative-Rock. Virtuos treibende Bass-Linien, entfesseltes Getrommel, schwergewichtige Gitarren-Attacken und verzweifeltes Herausschreien in offensiver Bühnen-Präsentation versetzen große Teile des Publikums in euphorische Ekstase, für nicht wenige war der scharfe Balkan-Noise einer der herausragenden Sets des Festivals. Wer die Band bereits bei früheren Gigs erleben durfte, war nicht wirklich überrascht vom schwer für sich einnehmenden Auftreten der entfesselt aufspielenden Formation, die drei jungen Musiker_Innen haben im Postpunk und seinen zahlreichen Nebensträngen eine eigene Sprache gefunden, die frontal und mit überbordendem Spielwitz zum Vortrag kommt. Der exzellent abgemischte Sound tat das Seine zum herzerfrischenden, frenetisch beklatschten Repetitor-Orkan, zu dem selbst die gröbsten Feedback-Dissonanzen noch glasklar und differenziert vernehmbar waren. Mit derart beherztem Herangehen schreibt man wohl Raut-Oak-Geschichte. Nächstes Jahr gerne wieder.

Die Brüder Aled und Brenning Clifford aus Wales beeindruckten als klassisches Gitarren/Drums-Duo Henry’s Funeral Shoe durch erdigen Heavy-Blues, wuchtige Soul-Grooves und lärmenden Rock’n’Roll, die Mixtur zeigte in der Form auf dem Festival gewiss keine neuen Perspektiven des Genres im Raut-Oak-Standardformat auf, wurde aber energisch, im satten Anschlag und mit Herzblut durch das fein abgemischte Equipment gerockt und ist damit selbstredend eine lobende Erwähnung wert. Slide-Gitarrist Aled Clifford hat sein Handwerk vom langjährigen Van-Morrison-Musiker Ned Edwards erlernt, da ist unzweifelhaft so manche Unterrichtsstunde auf fruchtbaren Boden gefallen. Dieser Umstand und seine raue, voluminöse Bluesmänner-Stimme wie der druckvolle Trommelanschlag seines jüngeren Bruders Brenning sorgten allemal für ein breites Grinsen bei den Freunden ausladender E-Gitarren-Soli und grundsolider, harter Bluesrock-Kost.

In den Abendstunden des Samstags stand der bei weitem kontroverseste Auftritt beim diesjährigen Raut Oak an: Am durchgeknallten Gig des deutschen Duos Dÿse schieden sich die Geister, wo es zu vielen exzellenten Festival-Auftritten keine zweite Meinung gab, war zum Gewerk der Herren Dietrich und van Gohl dahingehend reichhaltige Diversität bei der Konsumenten-Schar geboten. Rammstein für Harzer? Helge Schneider goes Noise-Rock? Schwer erträgliches Blöd-Geblubber, wo man bekloppt von wird, einhergehend mit durchaus ansprechendem, lärmendem Rockmusik-Gewerk – oder tatsächlich genial-spontaner Dadaismus, mit schmissigem, schwerst gefälligem und brachial nach vorne abgehendem Trash-Metal orchestriert? Bis zur abschließenden Klärung dieser Fragen und dem Ausräumen aller etwaigen Unklarheiten: Sag einfach Hans zu mir… (Indifferent-Achselzuck und ab).

Mittlerweile Dauergäste beim Raut Oak sind Left Lane Cruiser aus Fort Wayne/Indiana, fortwährend gebucht und hochwillkommen wie der großartige Orgel-Wizard James Leg, der am kommenden Tag seinen großen Auftritt haben sollte, gehört das Trailerpark-Hardblues-Duo mittlerweile zum festen Inventar der Veranstaltung – und doch war nicht alles beim Alten zum 2019er-Gig: Fredrick „Joe“ Evans IV hat sich extra fein gemacht und war beim Bader („Barber Shop“ heißt der Friseur heutzutage bei den Rauschebart-Hipstern im Glockenbachviertel, in Williamsburg und allen anderen tot gentrifizierten Nachbarschaften), und eine Handvoll neue Songs wie einen neuen Trommler hatte er auch im Schlepptau. Pete Dio kümmert sich daheim in den Staaten um den Nachwuchs, dafür durfte Johnny Revers als Ersatz die Stöcke schwingen, weitaus defensiver und zurückgenommener als sein Vorgänger, was dem rauen und unverblümt aus der Hüfte geschossenen, hart und unverdaut vor die Front gerotzten Slide-Riffs und den Einsichten aus der prekären Welt der „Abgehängten“ im Mittleren Westen der US of A von Gitarrist/Sänger Evans etwas die schneidende Schärfe nahm. Als singender, Soul-infizierter Drummer im Geiste eines Levon Helm macht der Mann mit dem imposanten Bartwuchs in einer Handvoll an Nummern obendrein eine gute Figur. Evans der Vierte sorgte mit seinem permanenten „Fucking-dies-und-fucking-das“-Gefluche, polternden Knurren und Zuprosten zwischen den beinharten Trash- und Punk-Blues-Ausbrüchen dafür, dass es nicht allzu gemütlich wurde. Die hochgefahrene Lautstärke intensivierte den wie seit eh und je überwältigenden Auftritt der Blues-Berserker, eine schweißtreibende und herzerfrischende Angelegenheit, aber damit erzählt man der Raut-Oak-Gemeinde weiß Gott nichts grundlegend Neues, und das ist in dem Fall auch gut so.

Zu den Klängen von Radio Moscow ging es in Richtung heimatliche Gefilde, um Mitternacht war nach nahezu zehn Stunden konzertanter Beschallung, anregenden Gesprächen in den Umbaupausen und einem kurzen Abstecher an die Tiki-Bar der Almost Boheme die Aufnahmefähigkeit am Tiefpunkt, über die Psychedelic-Combo aus Iowa stand an dieser Stelle im Rahmen der Platten-Besprechung zum letzten Werk „New Beginnings“ folgendes zu lesen: „Bandgründer, Sänger und Multiinstumentalist Parker Griggs und die beiden anderen Langhaarigen hören sich auch auf dem fünften Radio-Moscow-Album so an, wie die Optik der Band mit dem ersten Gedanken spontan vermuten lässt: nach Heavy-Sound, Marshall-Boxen-Türmen, ausladenden Gitarren-Soli, rausgerotzten Rock’n’Roller-Weisheiten, säuerlichen Alkohol-Ausdünstungen am Tag danach, eingefangen in Biker-Garagen-Atmosphäre, die Luft geschwängert vom Motorenöl-Duft, Rauchwaren-Schwaden und dem Aroma von verschüttetem Bier“ – in der vernommenen ersten halben Stunde des ROF-Gigs des Power-Trios hat sich das nicht viel anders ausgenommen, die Band ist in den längst vergangenen Zeiten des Siebziger-Blues-Rock verhaftet, im ausgedehnten Ausleben der Gitarren-Exzesse zwischen Wah-Wah-Verzerrungen, psychedelischen Sound-Trips und endlosem Flow, getrieben vom wummernden Rickenbacker-Bass und einer latent zu schnellen, ausladenden Drum-Rhythmik, die das aus der Zeit gefallene Retro-Gebräu in Richtung Stoner-Härte drängt.
Zum Konzert des jungen spanischen Trash/Psychobilly-Duos Yo Diablo lassen sich mangels Anwesenheit nur die Zeugen vor Ort zitieren, es herrschte wohl einhellige Meinung, dass die Band mit ihrem zum orientalischen Swing neigenden Desert-Blues-Geschrammel völlig zu überzeugen wusste und damit jede/r das abrupte Ende des Auftritts um 3 Uhr morgens zwecks verordneter Nachtruhe schwerst bedauerte. Zweite Chance im nächsten Jahr, vielleicht?

ROF 2019 / Day 3 – coming soon…

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Reingehört (529): Lungbutter

These girls know how to build a wall of noise.
(JoronJoron, Bandcamp-User)

Lungbutter – Honey (2019, Constellation Records)

Die Produkt-Verantwortlichen der Montrealer Plattenfirma Constellation Records laufen in diesen Tagen mit exzellenten Veröffentlichungen zu Hochform auf, mit dem neuen Album von Siskiyou, der SING SINCK SING-Kollaboration von GY!BE-Mastermind Efrim Menuck mit Kevin Doria und der Trinity-Sessions-Interpretation von Deadbeat & Camara werden in den nächsten Wochen herausragende Tonträger aus dem aktuellen Release-Katalog des feinen kanadischen Indie-Labels in den Verkaufsregalen und Download/Streaming-Plattformen des Musikalien-Fachhandels landen. Damit nicht genug, mit der Ankündigung des ersten Volle-Länge-Werks vom Mädels-Trio Lungbutter steht das nächste erhebende Wunderwerk aus der Constellation-Kreativ-Schmiede ins Haus.
Die Band veröffentlichte bereits im Sommer 2014 die Tape-EP „Extractor“ und skizzierte damit erstmals in rohen DIY-Entwürfen ihre Vorstellung von lärmender Brachial-Beschallung. Wesentlich filigraner ist das Material der kommenden „Honey“-LP auch nicht geraten, jedoch weit vollmundiger, mit satterem Sound produziert, ohne den ruppigen Indie-Krachern die Ecken und Kanten zu nehmen.
Dröhnende, Luft-schneidende Fuzz-Gitarren im steten Grenzgang zur dissonanten Übersteuerung, irgendwo zwischen hoher Jon-Spencer-Schule, heftigen Grunge-Eruptionen und brennendem Funken-Schlagen aus der Trash-Garage, mit wild jaulenden Saiten und Amp-Rückkopplungen der Hörerschaft von Kaity Zozula um die Ohren geblasen, dazu das kongenial stramme Straight-Forward-Scheppern von Drummerin Joni Sadler – mehr braucht es nicht an musikalischer Untermalung zum wild flackernden, befreit ausbrechenden Schwadronieren von Sängerin Ky Brooks, die in den elf Songs eine beeindruckende Bandbreite an vokalen Ausdrucksformen auffährt, halbwegs poppige Riot-Grrrls-Gesänge, weirdes, schrilles Zetern, Gebetsmühlen-hafte Mantras, kathartisches, leidenschaftliches Geschrei, bis hin zu ausuferndem, sich permanent wiederholendem Spoken-Word-Dadaismus als strings of consciousness.
Lungbutter fräßen sich mit ihrem pulsierenden Lärm-Cocktail nachhaltig in die Hirnwindungen und erheben ihr kompromissloses, experimentelles Noise-Gebräu zur radikalen Kunstform, mit eruptiven Breaks ins Atonale, mit unvermittelten Tempi-Wechseln, Driften in freies Drone-Lärmen, ohne je die scharf abrockenden Song-Strukturen gänzlich aus den Augen zu verlieren. No Wave, Sludge, Postpunk, Slowcore und eine Ahnung von roher Industrial-Härte dürfen das ihrige zum nachhallenden Zerrbild aus den dunklen Gruften der inneren Befindlichkeiten beitragen. Hier werden keine Gefangenen gemacht, hier trifft jeder Anschlag voll auf die Zwölf ins Schwarze. „Honey“ ist ein energisch bebender Druckkessel, ständig dem Bersten nahe, von den markerschütternden Gitarren-Riffs als zentraler Dreh- und Angelpunkt zusammengehalten.
Wer sich mit dem Lungbutter-Sound an den rumpelnden Siebziger-Punk von X-Ray Spex, Sonic Youth in ihrer heftigen Frühphase oder die chaotischen Ergüsse von Ann Magnuson und Mark Kramer mit ihrer Combo Bongwater erinnert, darf das gerne tun, umfänglich gerecht wird man dem ungestümen Drängen des Frauen-Trios aus Quebec damit allenfalls ansatzweise.
Punk Rock isn’t dead, it just goes to bed at a more reasonable hour, hieß es mal auf einem humorigen Sticker mit den Konterfeis der Althelden Rollins und MacKaye, zuweilen kommt er dann doch noch völlig überraschend im Entwurf dreier junger Krawall-Ladies schwungvoll als Frischzellenkur um die Ecke.
Aus Montreals DIY-Underground direkt hinein ins heimische Kämmerlein: Der für eine gute halbe Stunde virulente Unruheherd „Honey“ erscheint am 31. Mai beim kanadischen Indie-Label Constellation Records. Have one and play it LOUD!
(***** – ***** ½)

1328 Beercore @ Neujahrsempfang der „Löwenfans gegen Rechts“, Gewerkschaftshaus, München, 2019-01-05

Laut und trinkfreudig gestaltete sich am vergangenen Samstagabend im Münchner Gewerkschaftshaus der Auftakt zum Konzertjahr 2019, wie so oft in den vergangenen Jahren wurde der Anstoß angepfiffen beim traditionellen Neujahrsempfang der 1860-Supporter-Initiative „Löwenfans gegen Rechts“. Die politisch gegen Rassismus und Diskriminierung engagierte, mittlerweile mehrfach für ihre Arbeit an der Fan-Basis und im Stadion ausgezeichnete Gruppierung lud wie stets vor dem Dreikönigsfest zu Party, Umtrunk und konzertanter Erbauung durch ortsansässige Musikkapellen, heuer erstmalig in die Räumlichkeiten der Gewerkschaften in der Schwanthalerstraße.

Mit der Münchener Punk-Combo 1328 und ihrem strammen „Beercore“, der sich thematisch nahe liegend vorwiegend mit der Liebe zum Brauerei-Produkt auseinandersetzt, ging die Sause nach kurzer einleitender Ansprache unkompliziert in die Vollen – das nach dem Gründungsjahr des ältesten Münchner Brauhauses Augustiner benannte Quartett erwies sich mit nahezu zwei Jahrzehnten Erfahrung im Übungskeller, aus unzähligen Live-Gigs, diversen Plattenaufnahmen und Poltern im Geiste der Siebziger-Ursuppe als versierte Feten-Anheizer.
Bierzelt-Schunkeln war da eher weniger angezeigt, weitaus mehr der flott eingesprungene Pogo inklusive Bier-Dusche und zeitweiligem Gerempel zu den unverstellten Drei-Minuten-Gassenhauern. Ein Humpen aus dem Ramones-Sudkessel, etwas Buzzcocks-Stammwürze, angereichert mit ordentlichem Hardcore-Drive und kräftigem Geplärr, fertig war das Gebräu aus der Punkrock-Mälzerei der Weltstadt des Gerstensafts, und wo würde eine Band mit derartig unmissverständlichem philosophischem Unterbau auch mehr Sinn machen als in der Metropole des alljährlich im Frühherbst für zwei Wochen zelebrierten weltgrößten Massen-Besäufnisses?
Es muss weiß Gott kein Green-Day-Musical oder der ganze Fiedel- und Dudelsack-Firlefanz der Dropkick Murphys sein, drei stramme Akkorde, griffige, hymnische, Ohrwurm-taugliche Refrains fernab der intellektuellen Herausforderung und ein frisches Helles auf die Hand erfüllen da ihren Zweck weit mehr, und in jedem Fall authentischer, ehrlicher und näher an der street credibility der guten alten Uptempo-Rock-and-Roll-Beschallung.
Mag auch inhaltlich weitgehend der Bezug zum Fußball und speziell zu den Münchner „Löwen“ gefehlt haben – gut, vor und im Stadion wie anschließend in der dritten Halbzeit wird mitunter auch ordentlich weggepichelt, keine Frage – mit 1328 Beercore trafen die Gastgeber bei weitem nicht die schlechteste Wahl zur lautstarken Untermalung der LFgR-Feierlichkeiten, zumal so mancher Grottenkick in jüngster Zeit im Stadion an der Grünwalder Straße und das ewige Gezipfel mit dem jordanischen Investor tatsächlich oft nur noch mit erhöhten Promille-Werten zu ertragen waren. Gegen den Neonazi in der Kurve brauchts dann allerdings schon stärkeres Gift und gewichtigere Argumente, aber da kommt dann die Fan-Initiative selbst wieder ins Spiel.
In diesem Sinne: Fight Fascism, Reclaim The Game & Still Not Loving Ismaik, die linke hält die Faust hoch, die rechte hält das Bier fest, es muss ja nicht zwingend das Schädelspalter-Gustl sein… ;-))

Party-Sound zum Abskanken gab’s dann zu vorgerückter Stunde von der ortsansässigen Formation Sentilo Sono, im Ska-Rhythmus, mit knackigen Bläsersätzen, inklusive scharf gestochener Tattoos als optischer Hingucker. „Not my cup of tea“, wie der Brite sich zu solchen Gelegenheiten aus der Affäre zieht. Da mögen andere ihre Meinung zu abgeben, das Tanzvolk war zweifelsohne sehr animiert.

Henry Rollins Travel Slideshow @ Muffathalle, München, 2018-12-09

„Wortkrieger, Überzeugungstäter, Provokateur, Humorist, selbst Motivations-Trainer: Was für ein wunderbar enthusiastisches und mitreißendes Geschnatter!“
(The Washington Post)

Man kennt das aus dem Privatleben: Freundeskreis bereist ferne Länder und lädt im Nachgang zum abendfüllenden Dia-Abend, zu dem dann jeder Kaktus und jedes bettelnde Kind zigfach per Foto und verbal bis zum Erbrechen dokumentiert und kommentiert werden, ein Teil der Gäste pennt bereits weit vor dem Finale des 800-Bilder-Marathons weg, ein Teil hält sich am Bier und den gereichten Fressalien schadlos und gibt sporadisch den ein oder anderen sarkastischen Einwurf zum Besten, und der Rest heuchelt bis zum bitteren Ende aufmerksames Interesse.
Dass die Nummer auch anders über die Bühne gehen kann, hat der gute alte Henry Rollins am vergangenen Sonntagabend in der vollbepackten Münchner Muffathalle eindrücklich vorgeführt: Das amerikanische US-Punk-Urgestein, formerly known as the hardest working man in rock and roll business, ehemals berserkernder und nichts weniger als alles gebender, Muskel-bepackter Straight-Edge-Frontmann der legendären kalifornischen Hardcore-Combo Black Flag wie in späteren Jahren seiner eigenen Rollins Band (inklusive zweiter Auflage mit diesen unsäglichen Mother-Superior-Deppen), ließ auch mit seiner „Travel Slideshow“ zu keiner Sekunde Langeweile aufkommen und schwadronierte in einem einzigen, schier endlos dahinfließenden Wortschwall-Stakkato über sage und schreibe zwei Stunden fünfzehn ohne Punkt und Komma, in unseren bajuwarischen Auen und Fluren sagt man über so einen gemeinhin: „Bei dem müassns d’Goschn amoi extra daschlong“.
Als launiges, höchst unterhaltsames Entertainment, im Modus eines frei referierenden Stand-Up-Comedians, ergossen sich unzählige ineinander greifende Geschichten auf die lauschende Zuhörerschaft, die der seit über einem Jahrzehnt inaktive Punkrock-Sänger neben seinen derzeitigen anderweitigen Professionen als Radio- und TV-Moderator, Schriftsteller, Schauspieler und Spoken-Word-Artist in seiner Inkarnation als weit gereister, investigativer, rasender Reporter von seinen Aufenthalten in den entlegensten Erdteilen zu berichten wusste. Wo ihn seine frühen Konzertreisen vor allem in Nordamerika und Europa touren ließen, bereist Rollins heutzutage die Mongolei, Sibirien und die Antarktis, von amerikanischen Streitkräften heimgesuchte Staaten wie Afghanistan oder den Irak, die fernöstlichen Länder oder Krisenregionen wie Syrien oder Mali.
Nebst humorigen Geschichten wie die Anekdote über gefakte Black-Flag-Shirts im fernen Asien oder Kamele als Zuhörer beim Desert Music Festival in der Sahara ließ the great Hank auch immer wieder ernsthafte, kritische und nachdenkliche Statements verlauten. Rollins kommentierte seine Fotos aus ehemaligen Kriegsgebieten, für die es nach seinem Dafürhalten von US-amerikanischer Regierungsseite weitaus sinniger gewesen wäre, die Bevölkerung mit Nahrung und Bildung zu versorgen statt mit Waffenlieferungen und militärischen Interventionen, er machte sich Gedanken über gute und schlechte Regierungen, ausgelöst durch einen Besuch der „Killing Fields“ in Kambodscha, und schilderte seine Eindrücke im Zusammenhang mit den zerstörerischen Nachwirkungen des Kampfstoffs „Agent Orange“ mittlerweile bereits in der dritten Generation nach dem Vietnamkrieg an Beispielen von Heimkindern und den Lebensläufen ehemaliger Kämpfer des Vietcong.
Die Diashow des Henry Rollins ist weit mehr als ein locker beplauderter Bilder-Reigen, sie ist permanentes Schwanken zwischen den Extremen, eine verbale Tour de Force in einem Wechselbad der Gefühle und letztendlich das eindringlich und in bunten Farben dokumentierte Panoptikum des prallen und vielfältigen Lebens. Nebst polemischen, zuweilen extrem witzigen Geschichten fällt der ex-Punk immer wieder in Reflexionen über das Dasein auf der untersten Stufe der sozialen Leiter, etwa durch seine Begegnungen mit Menschen in Bangladesh, die Essen in Müllbergen sammeln und trotzdem ihre Würde bewahren, wie in Gedanken über die letzten Dinge des Lebens, die ihm beim zeremoniellen Leichen-Verbrennen in Bhutan durch den Kopf geisterten. Die ehemals entfesselte, ungebändigte Wut des Punk-Sängers ist mittlerweile einer gewissen Altersmilde gewichen, sein kritischer Geist ist gleichwohl wach wie eh und je.
Bei Henry Rollins liegt es auf der Hand, dass er als ausgewiesener Verehrer und Chronist zahlreicher Bands und Musiker punktuell seine Anekdoten und Anmerkungen zum Rock’n’Roll-Business in den Kontext seines Vortrags einfließen lässt, sei es zu brillanten Tuareg-Blues-Bands aus West-Afrika, sei es zu dummen Bruce-Dickinson-Statements über die Relevanz des Punkrock (der – von Rollins ironisch dokumentiert – selbst in einem mongolischen Friseur-Laden seine Spuren hinterlassen hat), zu gemeinsamen Touren mit den Beastie Boys und Cypress Hill oder zum spontanen Backgroundsänger-Auftritt zusammen mit Kumpel Jello Biafra für seinen langjährigen Freund Nick Cave. Der beschließende Teil des Abends gehörte seinem Part in der amerikanischen Punkrock-Historie: Nachdem Rollins ein paar alte Fotos präsentierte, die ihn und seinen alten Freund aus Washington-DC-Tagen, den ehemaligen Fugazi-Frontmann Ian MacKaye, als junge Skate-Punks im Flug über die Halfpipe zeigten, erzählte er die Story, wie er als spontaner und sich selbst in Stellung bringender Gast-Sänger 1981 postwendend zu seinem Black-Flag-Job kam, für ihn der Startschuss zu einem langen, bis heute andauernden Road-Trip, und damit schloss sich der thematisch weit ausholende Kreis des Abends.
Direkt und unverstellt, wie seine hart zupackende Musik in ihren besten Momenten auf den alten Alben eben auch ist, schildert Rollins unverblümt und frei von der Leber seine Sicht der Dinge, das mag nicht unbedingt immer höchsten philosophischen Ansprüchen genügen, dafür ist es fern jeglichen Hirngewichses allgemein für alle verständlich wie verbindlich in der Ansage, und es liegt sicher nichts Falsches im Statement, dass das Leben viel zu schnell vorbeirauscht und damit viel zu schade ist, um sich von Institutionen, langweiligen Jobs oder Konventionen reglementieren oder homo-/xenophobem und misanthropischem Gedankengut leiten zu lassen – wer hätte einst vermutet, dass die Punks von gestern damit nur einen Steinwurf von den Welt-verbessernden Gutmenschen-Hippies von vorgestern entfernt sind?
Für die altgedienten Fans war’s ein willkommenes, die eigenen Gedanken anregendes Wiedersehen mit einer alten Punk-Legende, die einen stets bestens bedient und gut versorgt mit grandiosen, intensivsten Konzerten durch die Achtziger und Neunziger brachte, mit energetischen Shows, zu denen der nur mit Boxer-Shorts gewandete Hardcore-Taifun auch nur auf einem Kamm hätte blasen können, um den Rest der seinerzeit als große Events gepriesenen Hanseln – nennen wir sie U2 oder Springsteen – von der Bühne gefegt hätte, für die Novizen bot die kommentierte Fotoschau die Gelegenheit, einen der außergewöhnlichsten Entertainer und subkulturellen Multitalente der letzten vier Dekaden endlich live erleben zu dürfen, wenn es auch kein lautstarkes „Liar“, „1000 Times Blind“ oder „Black And White“ durch die Verstärker gewuchtet gab.
Der gute alte Henry Lawrence Garfield aka Henry Rollins, in Zeiten des Trump-Trottels fast schon sowas wie ein amerikanischer Hoffnungsträger, und immerhin der Garant dafür, dass dort drüben nicht nur Vollpfosten durch die Gegend rennen – obwohl, oft daheim ist er ja nicht, wie seine Dia-Show eindrucksvoll aufzeigte…

Henry Rollins Travel Slideshow im alten Europa noch zu folgenden Gelegenheiten, do yourself a favour:

12.12.Stuttgart – Im Wizemann
13.12.Hamburg – Kampnagel
19.12.Kiew – Caribbean Club

Eine Kerze für Pete Shelley

„Die Buzzcocks waren verdammt nochmal unterbewertet! Vielleicht haben sie den falschen Namen gewählt, vielleicht ist auch meine Wahrnehmung falsch. Sie hätten viel erfolgreicher sein können, ich verstehe das nicht. Das ganze Gewese um die Manchester-Szene und so. Schau dir doch mal Oasis an – was soll an denen bitte so toll sein? Warum sind die Buzzcocks nicht so groß wie Oasis?“
(Keith Levene, in: John Robb, Punk Rock. Die Geschichte einer Revolution)

Der britische Punk-Musiker Pete Shelley ist gestern in seiner Wahlheimat Tallinn/Estland im Alter von 63 Jahren vermutlich an den Folgen eines Herzinfarkts verstorben.
Shelley gründete 1976 zusammen mit dem späteren Magazine-Frontmann Howard Devoto die einflussreiche nordenglische Punkrock/Pop-Punk-Band Buzzcocks. In späteren Jahren versuchte er sich solistisch mit durchaus hörenswerten Ergebnissen auf dem Gebiet der New-Wave-Electronica, etwa auf dem bei der Kritik seinerzeit sehr geschätzten Album „Homosapien“ aus dem Jahr 1981, in dem sich Pete Shelley thematisch unter anderem auch mit seiner Bisexualität auseinandersetzte.
Was bleibt? Mit „Another Music In A Different Kitchen“ ein rasantes, herrlich überdrehtes Punk-Rock-Debüt aus dem Jahr 1978, die „Harmony In My Head“ dank grandioser, heute noch mustergültiger 7″-Compilation „Singles Going Steady“ mit überwältigenden Hymnen jener längst verblassten Ära des Aufbruchs, in denen die Buzzcocks mit Ohrwürmern wie „What Do I Get?“, „Ever Fallen in Love (With Someone You Shouldn’t’ve)“ oder der erwähnten Harmonie im Kopf eindrucksvoll unterstrichen, dass ihr Punk auch eine gehörige Portion Pop-Appeal zu bieten hatte. Sonst? Die Erinnerung an ein Buzzcocks-Reunion-Konzert im Münchner Atomic Cafe vor vielen Jahren, zu dem sich neben Pete Shelley mit Steve Diggle ein weiteres Ur-Mitglied zum nostalgischen Stelldichein gesellte, und zu dem die Band ihre Klassiker im Hochdruck-Tempo, ohne jegliche Schnörkel und vor allem mit einem mangelndem Gespür für die popmusikalischen Feinheiten ihrer Songs durch die Anlage jagte und damit eine zwar harte, letztendlich aber auch stumpfe Waffe in der Hand hatte, die die Tatsache nicht zu erschlagen wusste, dass die Relevanz des Punk in jener Zeit bereits unübersehbar am Verblassen war.