Rap

Soul Family Tree (43): Farewell Dennis Edwards & Hugh Masekela + Big Daddy Kane @ NPR Tiny Desk Concerts

Hugh Masekela / Photo © scorpius73 / Wikipedia

Get your Black Friday Grooves, heute wieder verabreicht von Stefan Haase vom Hamburger Freiraum-Blog:

Heute gibt es im Soul Family Tree musikalische Erinnerungen an den früheren Lead-Sänger der Temptations, Dennis Edwards, und Hugh Masekela, die beide vor wenigen Wochen verstarben. Dazu gibt’s auch das Original von „Papa Was A Rollin‘ Stone“. Und als Bonus gibt einen Konzert-Mitschnitt eines neuen Tiny Desk Concerts mit Big Daddy Kane. Here we go.

Es war 1968, als der Sänger Dennis Edwards bei den Temptations neuer Lead-Sänger wurde und David Ruffin ablöste. In den ersten Jahren hatten die Temptations, u.a. durch die Feder von Smokey Robinson, viele Singles-Erfolge und sangen Soul-Pop. Bedingt durch einige personelle Wechsel in der Band und in der musikalischen Ausrichtung wollte das Produzenten-Team von Motown, Norman Whitfield (Musik) und Barrett Strong (Text), einen neuen Sänger, der härter klingen sollte und der besser zum neuen Stil passte. In der Zeit, in der Dennis Edwards Lead-Sänger bei den Temptations war, entstanden Meilensteine und zeitlose Klassiker wie u.a. „I Can’t Get Next To You“, „Just My Imagination (Running Away With Me)“, „Masterpiece“ und „Papa Was A Rollin’ Stone“. Vor wenige Wochen verstarb Dennis Edwards und damit die prägende Stimme der zweiten erfolgreichen Phase der Temptations von 1968 bis in die späten Siebziger Jahre.

Wer Dennis Edwards nicht kennen sollte, hier kommt ein Hit-Medley der Temptations mit fünf sehr bekannten Songs der Band:

Kommen wir zu einem der essentiellen Songs der Tempations: „Papa Was A Rollin‘ Stone“. Der Song wurde im Original von der wenig erfolgreichen Soul-Funk-Band The Undisputed Truth eingespielt, die den Song 1972 erstmals herausbrachten, mit wenig Erfolg. Es war damals üblich, den gleichen Song mit mehreren Vertragskünstlern aufzunehmen. Als diese Version floppte, nahm sich Norman Whitfield den Song nochmal vor und arrangierte ihn für die Temptations neu um. Wenige Monate später entstanden zwei Fassungen: als Single kam eine um knapp sieben Minuten gekürzte Version auf den Markt. Auf dem Album „All Directions“ (1972) erschien die lange Fassung von knapp 12 Minuten. Ein Meilenstein war geboren, der bis heute die Tanzflächen füllt. Hier der direkte Vergleich beider Versionen: The Undisputed Truth im Original und natürlich die Langversion der Temptations, mit Dennis Edwards als Lead-Sänger.

Als die Temptations in den späten 1970er Jahren zu Atlantic Recordings wechselten, verließ Edwards die Band, um später mehrfach wieder zurückzukommen und parallel seine Solo-Karriere zu starten. 1984 landete er bereits mit seinem ersten Solo-Album einen Treffer. Im Duett mit Siedah Garret sang er „Don’t Look Any Further“ und hatte damit einen weltweiten Hit. Doch auch nach seiner Solo-Karriere blieb Edwards den Temptations verbunden und ging z.B. mit den früheren Mitgliedern wie Eddie Kendricks, Otis Williams oder David Ruffin auf Tournee. Zwei Tage vor seinem 75. Geburtstag verstarb Dennis Edwards am 1. Februar in Chicago.

Hier noch ein weiteres Beispiel aus der Motown-Ära der Temptations. Ende der 1960er Jahre wurden die Texte kritischer und der Sound psychedelischer und funkiger. Ein Beispiel dafür ist der Song „War“, den man zuerst mit den Temptations aufnahm. Später entschied Barry Gordy, Gründer von Motown, dass womöglich der Text zu hart für die Tempations sei, arrangierte ihn um und gab ihn Edwin Starr, und es wurde ein großer Hit. Dafür bekamen die Temptations „Ball Of Confusion“. 1970 veröffentlichen The Undisputed Truth ihre Version von „Ball Of Confusion“ als Single. Wie schon bei „Papa Was A Rollin‘ Stone“ wurde diese Version kein Hit, und so nahmen die Temptations den Song selbst auf und landeten damit einen Erfolg. Hier sind beide Fassungen zum Vergleich:

Ende Januar diesen Jahres verstarb der Trompeter Hugh Masekela aus Südafrika. Masekela war einer der wichtigsten Pioniere im Jazz und in der Weltmusik. Genres in dem Sinne kannte er nicht. Er spielte mit vielen bekannten Künstlern zusammen, unter anderem mit Bob Marley, Paul Simon, den Byrds oder U2. Daneben komponierte er auch für andere Künstler, war der Begründer vom Hard Bop in Südafrika und ein Kämpfer gegen die Apartheid in seiner Heimat.
The Economist schrieb dazu: „Home was where the music was. Rhythms of Zulu, Xhosa, Tswana; lyrics of township romances, girls sashaying to get water, rowdy shebeens. The songs kept coming across the Atlantic like a tidal wave. „Stimela“ (Coal Train) described black miners digging and drilling in the belly of the earth to bring wealth to glittering Johannesburg, eating mush from iron plates, living in filthy barracks, torn from their loved ones by the screaming train. „Soweto Blues“, searingly sung by his sometime lover, sometime wife, Miriam Makeba, marked the killing of hundreds of young protesters by the police in 1976: „just a little atrocity“, deep in the City of Gold…“

Es ist schwer, einen oder den Song zu finden, der ihn repräsentiert. Ich habe mich für den Song „Why Are You Blowing My Mind“ aus dem 1967er Album „The Emancipation Of Hugh Masekela“ entschieden.

Thank you Hugh Masekela and Dennis Edwards!

Zum Schluss noch ein Konzert-Tipp. Wer die Reihe NPR Tiny Desk Concerts noch nicht kennen sollte: Entstanden ist das Format vor zehn Jahren. Ein Musikredakteur von NPR regte sich in einer Bar darüber auf, dass man vor lauter Lärm die Livemusik nicht hören könne. Ein Freund riet ihm: „Du solltest die Band in deinem Büro auftreten lassen“. Was als spontane Idee entstand, hat in den letzten 10 Jahren sehr viele bekannte Künstler im Büro auftreten lassen. Vor einigen Tagen erschien das Konzert von Big Daddy Kane. Man kann deutlich sehen, wie sehr er seinen Auftritt genoss.

In vier Wochen gibt es gibt es wieder raren Rhythm & Blues mit musikalischen Ausgrabungen und wieder gehörten Schätzen.

Peace and Soul.

Stefan aka Freiraum.

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Soul Family Tree (42): Black & Proud – The Soul Of The Black Panther Era

„The theme song will not be written by Jim Webb or Francis Scott Key
Nor sung by Glen Campbell, Tom Jones, Johnny Cash or Engelbert Humperdinck.“
(Gil Scott-Heron, The Revolution Will Not Be Televised)

Fünfzig Jahre Achtundsechziger. Vor einem halben Jahrhundert: Weltweite Studenten-Proteste gegen den Vietnamkrieg und für ein freieres Leben; der vom Frost des Moskauer Winters im Keim erstickte „Prager Frühling“; das 1966 in China unter dem Euphemismus der „Kulturrevolution“ von Mao losgetretene, anarchistische Morden der Roten Garden kommt zum Stillstand, der große Vorsitzende lässt die in Ungnade gefallene jugendliche Avantgarde zum Tod-Schuften und Verhungern in Landkommunen und Fabriken verschwinden – Das Jahr 1968: dieser Tage in Sonderbeiträgen, im Feuilleton und ausgedehnten Abhandlungen ausgiebigst dokumentiert und hinsichtlich seiner heutigen gesellschaftlichen und kulturellen Relevanz mehr oder weniger bis zum Erbrechen kontrovers durchdiskutiert (Rainald Grebe kam da in seinem vernichtenden Urteil über dieses Jahr mit einem Viereinhalb-Minuten-Song weitaus schneller zum Punkt, das nur am Rande).
1968 ist auch das Jahr der politischen Morde in den USA. Am 4. April wird der schwarze Civil-Rights-Aktivist und Prediger Martin Luther King in Memphis/Tennessee erschossen, wenige Wochen später fällt Robert F. Kennedy einem Attentat in Los Angeles zum Opfer, der demokratische Bewerber um das Präsidentenamt galt aufgrund seiner liberalen Ansichten und seinem Engagement für Bürgerrechte auch bei der afroamerikansichen Bevölkerung als Hoffnungsträger.
Ausgelöst durch den King-Mord werden amerikanische Metropolen wie Chicago, Baltimore, Detroit, New York und Washington D.C. in den folgenden Monaten von Bürgerkriegs-ähnlichen Unruhen erschüttert, eine Welle der Verwüstung und Gewalt ersteckt sich über mehr als 125 US-Städte, zahlreiche Menschen verlieren ihr Leben.

„Grundlage war der zweite Zusatz zur Verfassung der Vereinigten Staaten, verabschiedet 1791: ‚Das Recht des Volkes, Waffen zu besitzen und zu tragen, darf nicht beeinträchtigt werden.‘ Das sprach Bobby Seale am 2. März 1967 in die TV-Kameras, als er mit dreißig uniformierten und bewaffneten Mitgliedern der Black Panther Party die Stufen des Capitols in Sacramento, Kalifornien, hinaufging, während sich unten auf dem Rasen Gouverneur Ronald Reagan erschreckte, als er gerade eine Rede vor Jugendlichen hielt.“
(Christof Meueler mit Franz Dobler, Die Trikont-Story, Walk Tall!)

Maßgeblich involviert in die Protestaktionen, Demonstrationen und Aufmärsche war die 1966 im Nachgang zur Ermordung an Malcolm X gegründete sozialistische Black Panther Party, die sich den Kampf gegen Rassismus und Imperialismus, für die Rechte der Schwarzen auf die Fahnen geschrieben hatte. „Black Power“ lautete die Devise, die Taktik der Gewaltlosigkeit aus der King-Ära im Kampf für Bürgerrechte und Chancengleichheit war Geschichte, die afroamerikanische Jugend radikalisierte sich und die Panther holten sich ihre Inspiration für den bewaffneten Widerstand durch Studium der revolutionären Schriften aus der Feder von Ernesto „Che“ Guevara, Mao Zedong oder eben Malcolm X.

Zwei Tage nach dem King-Mord wird der Panther-Aktivist Bobby Hutton bei einer Auseinandersetzung mit der Polizei in Oakland getötet. Hutton wurde als Märtyrer stilisiert, seine Ermordung galt als Beispiel für die Polizei-Brutalität gegen die schwarze Bevölkerung, dabei verschwiegen die Panther, dass ein Duzend ihrer Aktivisten der Polizei in einem Gebäude in West Oakland in einem Hinterhalt auflauerte und an der Schießerei maßgeblich beteiligt war.
Die Gruppierung wurde vom notorisch paranoiden FBI-Direktor J. Edgar Hoover als „the greatest threat to the internal security of the country“ bezeichnet und dementsprechend von US-Bundes-Ermittlungsbehörden bekämpft, verfolgt und unterwandert.
Die Black Panther Party war von 1966 bis 1982 in den Vereinigten Staaten aktiv und hatte zwischenzeitlich Ableger in Algerien und Großbritannien. Während ihrer aktiven Zeit wurden an die 40 Mitglieder in Konflikten mit der Staatsgewalt oder in Partei-internen Auseinandersetzungen getötet. Einige Aktivisten verbüßen bis heute lebenslange Haftstrafen in amerikanischen Gefängnissen. Zu ihren prominentesten Partei-Mitgliedern zählte der Bürgerrechtler Stokely Carmichael, der nach der King-Ermordung zum Guerilla-Kampf in den USA aufrief, die kurzzeitige Panther-Aktivistin, Wissenschaftlerin und KPUSA-Politikerin Angela Davis und die Partei-Gründer/-Führer Huey P. Newton, Eldridge Cleaver und Bobby Seale.

„Das hat mich an Amerika und speziell der schwarzen Kultur immer fasziniert. Bei uns ist alles so eng und festgelegt, in Amerika kannst du dich ständig neu erfinden. Du kannst Sklave und Superboss sein, du kannst wie Sun Ra ins Weltall fliegen oder aus dem Weltall kommen (…) Oder Bobby Seale, der Mitbegründer der Black Panther, einer weltweit anerkannten politischen Bewegung. Der findet nichts dabei, wenn er eine Barbecue-Sauce verkauft und im Fernsehen eine Kochshow hat. Ich möchte mal die RAF-Leute sehen, die im Fernsehen irgendwelche Salate machen und den Leuten erklären, was sie für geile Saucen dazu kaufen können.“
(Jonathan Fischer)

Die Forderungen und Slogans der Black Panther inspirieren seit den späten Sechzigern bis heute unzählige Soul-, Reggae-, Jazz- und Hip-Hop-/Rap-Musiker in den Aussagen ihrer Songs und fanden ihren Widerhall im Selbstbewusstsein Muhammad Alis, der Politik Jesse Jacksons oder aktuell in der „Black Lives Matter“-Bewegung. Den Soundtrack der Bewegung hat – wie sollte es anders sein – Compilation-Spezialist und Soul-Kenner Jonathan Fischer 2002 in den zwei hörenswerten Ausgaben der „Black & Proud – The Soul Of The Black Panther Era“-Sampler für das Münchner Indie-Label Trikont inklusive ausführlichen Booklets mit der Geschichte der radikalen Black-Power-Partei und Würdigung der vorgestellten Musiker zusammengestellt, initiiert durch Interviews, die Fischer in New York mit einigen ehemaligen Aktivisten der Black-Panther-Bewegung führte.
Eine Sammlung von harten Soul-Songs und Funk, Reggae und Jazz mit einer eindeutigen Message, mit politischer Stellungnahme und Unterstützung für die Belange der militanten Bürgerrechtsbewegung, in dem Zusammenhang drängte sich einer wie Gil Scott-Heron förmlich auf, dementsprechend finden sich Beiträge des Spoken-Word-Performers, Soul/Jazz-Lyrikers und politisch wie sozial engagierten Proto-Rappers aus Chicago gleich mehrfach auf den „Black & Proud“-Samplern, der Song „The Revolution Will Not Be Televised“, quasi das inoffizielle Motto der Panther, wurde hier bereits von Stefan im Soul Family Tree 10 vorgestellt. Die „Full Band“-Version des Songs ist auf dem ersten Studio-Album „Pieces Of A Man“ von Scott-Heron aus dem Jahr 1971 enthalten, hier findet sich auch seine Hommage an die Jazz-Größen Billie Holiday und John Coltrane, der Text beleuchtet den Vorzug der Musik, die Menschen von ihren persönlichen Problemen und täglichen Sorgen abzulenken, oder, wie Jonathan Fischer in seinem Begleittext treffend anmerkt: „Geistige Freiheit als Gegengift zur spezifisch amerikanischen Form der Paranoia“.

Sozusagen die Vereinshymne steuert die Formation The Last Poets mit der Nummer „Panther“ vom Album „Time Has Come“ bei. Die Last Poets sind eine bis heute aktive Gruppierung von Dichtern und Musikern, die 1968 im Zuge der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung als radikale Gruppe New Yorker Black Muslims in Harlem zusammenfand. Der Bandname ist einem Gedicht des südafrikanischen Dichters Keorapetse Kgositsile entlehnt. Maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung des Hip Hop hatte der Vietnam-Kriegsdienstverweigerer und Poets-Mitbegründer Jalaluddin Mansur Nuriddin mit seiner frühen Form des Sprechgesangs, er wird in der Fachpresse des Öfteren als „The Grandfather Of Rap“ betitelt – „With their politically charged raps, taut rhythms, and dedication to raising African-American consciousness, the Last Poets almost single-handedly laid the groundwork for the emergence of hip-hop“, merkt der Kritiker Jason Ankeny im Allmusic-Portal an. In ihrem Song „Rain Of Terror“ riefen die Last Poets zum Support der Black Panther Party auf, ihre politischen Texte Anfang der Siebziger führten zur zwischenzeitlichen geheimdienstlichen Überwachung des Künstler-Kollektivs durch das FBI. Die Geschichte der Last Poets wäre sicher einen ausführlicheren eigenen Beitrag in der Soul-Family-Tree-Reihe wert.

Eine der herausragendsten Nummern der ersten Ausgabe stammt vom Chor einer Schule aus Rochester/New York, mit dem Song über den Godfather Of Soul „James Brown“ vom Album „Ghetto Reality“, der sich nicht recht zwischen Hommage und angedeuteter Persiflage des Gesangs-Stils der großen Soul-Legende entscheiden kann. Das Stück schaffte es Jahrzehnte später mit Hilfe des Trikont-Samplers auf Platz 1 der Blatt-internen Playlist des renommierten britischen Mojo-Magazins.
Die Formation war ein von der afroamerikanischen Lehrerin Nancy Dupree initiierter Schüler-Chor, die Pädagogin artikulierte mit ihren Kompositionen, welchen Stellenwert die schwarzen Musik-Ikonen für die Gesellschaft hatten und welche charakterlichen Stärken jedes Kind grundsätzlich mit sich bringt („What do I have? Guts…heart…and soul“), mit ihren Texten forderte sie die Bürgerrechte für Schwarze in den USA ein. Das Album „Ghetto Reality“ wurde 1970 von Asch/Folkways veröffentlicht, es blieb Nancy Duprees einziger Musik-Tonträger, daneben erschienen von ihr zwei weitere Alben in den Siebzigern mit Spoken-Word-Aufnahmen ihrer Gedichte.

Mit Sylvester „Syl“ Johnson ist ein altgedienter R&B- und Blues-Musiker aus dem Mississippi-Delta auf dem zweiten Teil der Sammlungen vertreten, „Black & Proud“-Herausgeber Jonathan Fischer wählte die schwer in Richtung Soul driftende Nummer „I’m Talking ‚bout Freedom“ vom 1970er-Album „Is It Because I’m Black?“ des Blues-Gitarristen und Produzenten, der bereits in den fünfziger Jahren in Chicago mit Legenden wie Howlin‘ Wolf, Junior Wells und Jimmy Reed zusammenspielte.
Ab Mitte der Achtziger verabschiedete sich Johnson weitgehend von der Musik und betrieb für etliche Jahre ein Fisch-Restaurant. 1992 wurde sein Song „Different Strikes“ von Public Enemy, Wu-Tang Clan und anderen Rap-Größen gesampelt, was sein eigenes Interesse an einem Comeback befeuerte und ihn wieder Platten aufnehmen und auftreten ließ. Etliche weitere seiner Songs wurden von Hip-Hop-Acts verwendet, Johnson beklagte sich im Nachgang vehement über Copyright-Verletzungen und geistigen Diebstahl.

Neben prominenteren Soul-, Funk- und Reggae-Musikern und -Bands wie Curtis Mayfield, Marvin Gaye, Gil Scott-Heron oder den Staple Singers finden sich auf den beiden Alben auch unbekanntere (Wieder-)Entdeckungen wie der unter dem Namen Darondo auftretende kalifornische Soul-/Funk-Sänger William Daron Pulliam, der mit dem Rare-Grove-Titel „Let My People Go“ an das biblische Gleichnis von Moses erinnert, der sein Volk aus der Gefangenschaft führt.
Der von Soul-Fans hochgeschätzte Musiker soll sich im Nebenerwerb als Zuhälter verdingt haben, was von ihm selbst zu Lebzeiten stets bestritten wurde. In den frühen Siebzigern trat er im Vorprogramm von James Brown und Sly Stone auf, insgesamt waren seine Erfolge im Musik-Business überschaubar. Ende der Achtziger ließ er sich zum Physiotherapeuten ausbilden. Sein Song „Didn’t I“ war in der ersten Staffel der amerikanischen Erfolgs-TV-Serie „Breaking Bad“ zu hören. 2013 ist William Daron Pulliam/Darondo im Alter von 66 Jahren einem Herzinfarkt erlegen.

Die beiden Ausgaben von „Black & Proud – The Soul Of The Black Panther Era“ sind 2002 beim Münchner Indie-Label Trikont erschienen und nach wie vor bei der Plattenfirma selbst oder im gut sortierten Versand-/Fachhandel erhältlich.

Link: „Ich werde immer noch vom FBI überwacht“ – Interview von Jonathan Fischer mit Bobby Seale auf SPIEGEL ONLINE, 2. Mai 2007

Soul Family Tree (39): Let The Good Times Roll

Der erste Freitag im neuen Jahr startet mit einer weiteren Runde Black Music, am Mischpult zaubert heute wieder Stefan Haase vom Hamburger Freiraum-Blog, here we go:

Das Motto für das neue Jahr könnte auch heißen Let The Good Times Roll. Mit zwei Blues-Legenden, B.B. King und Bobby „Blue“ Bland geht es im neuen Jahr los. Vom Album „Together Again…Live“ von 1976 gibt es „Let The Good Times Roll“. Mehr zu Bobby „Blue“ Bland gibt es hier. Und von Blues Boy B.B. King gab es im Soul Family Tree bereits ein Special.

Bo Diddley hätte am 30. Dezember seinen 89. Geburtstag gefeiert. Er gehört zu den ganz großen Pionieren des Rock and Roll. Im Soul Family Tree hatte ich ihn bereits vorgestellt. Er inspirierte so viele Musiker wie u.a. die Beatles, Elvis Presley und besonders die Rolling Stones oder auch Bands wie The Clash. Nach seinem Tod in 2008 ehrten ihn unzählige Musiker und der damalige US-Präsident George W. Bush. Und Mick Jagger wird mit folgenden Worten zitiert: „He was a wonderful, original musician who was an enormous force in music and was a big influence on the Rolling Stones. He was very generous to us in our early years and we learned a lot from him“. Hier kommt Bo Diddley mit seiner 1961er Single „I’m A Man“.

Robert Parker aus New Orleans/Louisiana begann seine Karriere als Saxophonspieler, u.a. in der Band der New Orleans-Ikone Professor Longhair. Er spielte auch mit Fats Domino oder Irma Thomas zusammen. 1965 schrieb er sich seinen größten Hit mit „Barefootin“, der bei Nola Records erschien und in den R&B-Charts wie auch in den Billlboard-Charts hoch notiert wurde. Es wurden davon über 1 Million Schallplatten verkauft. Leider hatte er keine Folgehits, obwohl er weiter Musik machte.

Der Song „Wade In The Water“, im Original ein Negro-Spiritual aus dem 19. Jahrhundert, wurde u.a. in den 1960er Jahren von Ramsey Lewis als Instrumental recht bekannt. Besonders bemerkenswert ist, dass der Song in verschiedenen Genres, vom Gospel über Folk bis Blues überzeugt. Bekannt sind z.B. Versionen von Marlena Shaw, Odetta, Big Mama Thornton u.v.a. „Wade In The Water“ gehört zu den Songs, mit denen sich Sklaven Anfang 19. Jahrhunderts untereinander verständigten, um ihre Flucht zu organisieren. Sie sind bekannt als die „Songs Of The Underground Railroad“.  „Wade In The Water“ erinnerte die Flüchtenden daran, im Wasser zum Beispiel von Bächen zu laufen, damit die Suchhunde der Sklavenhalter ihre Spur verloren.

Fast beiläufig hörte ich im letzten Jahr die Version von Judy Henske und ich wurde sofort hellhörig. Diese Version kannte ich noch nicht. Was für eine Stimme. Henske klingt zwar Deutsch. Doch sie ist eine amerikanische Folk-Sängerin die auch „Queen of the Beatniks“ genannt wurde. Ihre Aufnahme entstand 1963.

Aaron Willis, besser bekannt als Little Sonny ist ein Meister der elektrischen Blues-Harmonika. Sein Mentor war Sonny Boy Williamson und seinen Spitznamen erhielt er von seiner Mutter, die ihn immer Sonny nannte. Seine Interpretation aus dem Jahr 1970 von „Wade In The Water“ ist ein wunderbarer Funk-Blues und funktioniert auf der Harmonika hervorragend.

Am 1. Januar feierte DJ Grandmaster Flash seinen 60. Geburtstag. Er prägte besonders den Hip Hop und Rap und kreierte daraus eine neue Kunstform. Zudem ist er Erfinder der meisten Techniken im DJing. Neben Größen wie Afrika Bambaataa zählt er zu den Gründungsvätern des Hip Hop und Rap-Genres. Bereits in den 1970er Jahren experimentierte er mit zwei Plattenspielern, um einzelne Tracks zugleich abzuspielen, dem sogenannten „Cutting“. Auch das Rückwärtsdrehen der Schallplatte, um eine bestimmte Stelle mehrmals zu spielen, das „Backspinning“, geht auf das Konto von Grandmaster Flash.

1982 kam sein wichtigster Song heraus: „The Message“. Dieser Song war ein Meilenstein in der Pop-Kultur. Übrigens, seine flinken Finger, mit denen er auf Partys in der South Bronx die Platten drehte, brachten ihm seinen Künstlernamen ein.

Rats in the front room, roaches in the back
Junkies in the alley with the baseball bat
I tried to get away but I couldn’t get far
Cause a man with a tow truck repossessed my car

Und der Chorus wiederholt den Refrain:

It’s like a jungle sometimes
It makes me wonder how I keep from going under.

Der Song wurde geschrieben von Ed „Duke Bootee“ Fletcher und Furious Five MC Melle Mel. Obwohl es sich um einen sozialkritischen Text handelt und vom Leben im Ghetto erzählte, wurde der Song weltweit ein Hit und später diverse Male gecovert oder gesampelt. Seine erfolgreichsten Alben erschienen in den 1980er-Jahren. 2007 wurden er und die Furious Five als erste Rap-Gruppe in die Rock’n’Roll Hall of Fame aufgenommen. Happy Birthday Grandmaster Flash.

Ich wünsche allen ein glückliches, friedliches und zufriedenes neues Jahr.
Habt einen guten Start und bleibt gesund.

Peace and Soul.

Stefan aka Freiraum.

Reingehört (363): Shilpa Ray

Shilpa Ray – Door Girl (2017, Northern Spy Records)

Im Jahr des Herrn 2013 war’s, an einem kalt-regnerischen Novemberabend, Nick Cave und seine Bad Seeds haben die treue Gefolgschaft nebst Münchner Kulturschickeria zum Aufgalopp zwecks Präsentation ihrer „Push The Sky Away“-Perle ins unkommode Zenith geladen. Das sich notorisch in dieser Halle durch schlechten Sound und schlechte Sicht einstellende Unwohlsein wurde bereits mit dem Vorprogramm nachhaltig gelindert durch den Auftritt der seinerzeit weithin noch unbeschriebenen Ton-Künstlerin Shilpa Ray. Die aus einer indisch-amerikanischen Migrantenfamilie stammende Ausnahmesängerin und zeitweilige musikalische Cave-Weggefährtin spaltete das Publikum mit ihrem sich selbst nur am indischen Harmonium begleitenden Nico-Gedächtniskonzert in zwei Lager, den einen war der reduzierte Vortrag auf Dauer schlicht zu eintönig, während sich der andere Teil der meditativen Kraft der beschwörenden Töne und den Reminiszenzen an bizarre Auftritte der ehemaligen Velvet-Underground-Chanteuse Christa Päffgen hingab.
Mit dem aktuellen, vor wenigen Tagen erschienenen Ray-Album „Door Girl“ gibt es hinsichtlich stilistischer Vielfalt und Blumenstrauß-artiger Klangfarben-Explosionen hingegen nichts zu knurren, die junge Lady aus Brooklyn legt ihre schmeichelnden wie beizeiten mit beherztem Geschrei vorgetragenen „big-voiced blues-rock howler“ im stimmlichen, voluminösen Querschnitt aus Ella Fitzgerald und Debbie Harry über nostalgische, an die „Copy Cat“-Kollaboration von Punk-Legende Johnny Thunders mit der ex-Flying-Lizards-Sängerin Patti Palladin erinnernde Fifties-Doo-Wop-Schunkler, flotte Uptempo-Pop-Punk-Rocker, einen organischen Rap im wunderbaren „Revelations Of A Stamp Monkey“ und etliche zeitlose, eindringlich-laszive, von Keyboard-Georgel oder Piano begleitete Bar-Blues-Crooner, exemplarisch sei hier auf den Album-beschließenden, getragenen Schmachtfetzen „My World Shatters By The BQE“ verwiesen. Gekrönt wird die Messe vom formvollendeten Punk-Gebrüll im zweiten Teil von „EMT Police And The Fire Department“ und von „Shilpa Ray’s Got A Heart Full Of Dirt“, der besten Blondie-Nummer, die die inzwischen schwer abgewrackte, ehemalige CBGSs-Combo selber nie eingespielt hat, dabei hatte die Truppe seinerzeit in den Siebzigern neben den optischen Reizen der Frontfrau und Karriere-fördernden Verbindungen zu Szene-Größen wie den Herren Reed, Cale, Frau Smith und der happy Ramones-Family durchaus Schmissiges im permanent nach den Chart-Platzierungen schielenden Pop-Punk-Angebot.
Shilpa Ray hat in vergangenen Zeiten tatsächlich mal als Türsteherin für einen Club in der Lower East Side gejobbt, bei dieser Platte ist der Albumtitel genauso wenig Fake wie der emotionale Ausbruch, der Humor und das beherzte Zupacken bei der Präsentation von Siebziger-NY-Punk-Kompromisslosigkeit, Neo-Vaudeville-Blues-Schwere, entfesselter Rock’n’Roll-Frische, der Auseinandersetzung mit den Herausforderungen und Verlockungen der Großstadt.
Anders halt, aber nicht weniger Ohren-schmeichelnd als die Harmonium-Drones, seinerzeit. Und um etliches heller, positiver, schwungvoller als das latent düstere Vorgängerwerk „Last Year’s Savage“ von 2015.
(**** ½ – *****)

Reingehört (354): Tanzania Albinism Collective

„It´s a very Western idea that input equals output. It´s wrong to assume that in order to be a good musician, ‚I have to listen to this person and that person, or I have to be taught‘ – Good musicians are good because music comes from inside of them.“
(Ian Brennan)

Tanzania Albinism Collective – White African Power (2017, Six Degrees)

Der Blues der weißen Schwarzen: In keinem Land der Welt leben mehr Albinos als im ostafrikanischen Tansania, Schätzungen gehen von 200.000 Menschen aus, und nirgendwo leben sie – bedingt durch ihre helle Haut-Pigmentierung – gefährlicher als in der Republik am Indischen Ozean. In früheren Zeiten sofort nach der Geburt ertränkt, später in Einzelfällen von den eigenen Eltern verkauft und von der Bevölkerung als „Geister“ verspottet, sind die unter der Albinismus-Hautstörung leidenden Tansanier heute regelrechten Hexenjagden ausgesetzt, bedingt durch einen im Volk weit verbreiteten Aberglauben werden sie von professionellen Mördern gejagt, welche Medizinmänner mit abgetrennten Gliedmaßen, der Haut und dem hellen Haar der Albinos zum Braunen Wohlstands- und Gesundheits-fördernder Zaubertränke beliefern.
Im Rahmen der zahllosen Verwerfungen unserer globalisierten Lebenswelten mag dieser tödliche Aberglauben nur eine Randnotiz darstellen, für die Leidtragenden offenbart sich mitunter die Hölle auf Erden.
Die Künstler des Tanzania Albinism Collective widmen sich als selbst unmittelbar Betroffene auf ihrem Debüt-Werk diesen lebensbedrohlichen und diskriminierenden Umständen, in musikalischer Form buchstäblich zum ersten Mal, insgesamt sind 18 Sänger und Musiker an diesem 2016 gegründeten Projekt beteiligt, vor den Aufnahmen hatte nur ein einziger von ihnen ein Instrument gespielt – in den ostafrikanischen Communities und Glaubensgemeinschaften ist den Albinos in der Regel selbst in Kirchen das Singen und Tanzen verboten.
„White African Power“ wurde auf der Viktoria-See-Insel Ukerewe in einem von ortsansässigen Lehrern geschützten Refugium für Albino-Tansanier aufgenommen und begleitet von Tinariwen-Produzent Ian Brennan, der die Beteiligten zum Erlernen traditioneller und moderner Instrumente ermutigte – Tanzania Albino Country Folk, Ground Zero, quasi.
In psalmodierenden Gesängen, rauen, afrikanischen Ur-Raps und eindringlicher rhythmischer Monotonie trägt das Kollektiv in 23 oft Kurz- und Kürzest-Beschwörungen seine Klagen, Eindrücke, Gedanken und herzergreifenden, schlichten Balladen vor über den Fluch des Gen-Defekts, die unmenschlichen Mythen und den gefährlichen Irrglauben an übernatürliche Kräfte und erzeugt so eine ureigene, einnehmend-intime Atmosphäre.
Generell sowieso unzweifelhaft und hier einmal mehr im Besonderen: Der wahre Ur-Blues kommt aus Afrika, immer schon…
(*****)